31.10.06

Öde Orte

Sollten Sie sich schon einmal gefragt haben, wen oder was die Truppen der Vereinten Nationen im Libanon eigentlich vorrangig bekämpfen, hat ein großes deutsches Wochenmagazin nun die Antwort für Sie herausgefunden. Nein, die Hizbollah ist es nicht, aber das ist auch keine große Überraschung. Israel wäre eine Option – und ist es auch, aber dazu später. Doch der Feind Nummer eins ist in Wahrheit ein ganz anderer: die Langeweile! Nun ließe die sich angemessen vertreiben, würde die UNIFIL das tun, was man im Grunde genommen von ihr erwarten kann: Nasrallahs Truppen daran hindern, zu tun, was sie tun, wenn man sie nicht daran hindert. Für die Freunde des Völkerrechts abzüglich ihrer medialen Rabauken bei der Abteilung Agitation & Propaganda: Ja, das wäre tatsächlich zulässig. Aber nichts da: „Mit der Entwaffnung der Hizbollah habe die zuständige libanesische Armee noch nicht im Ansatz begonnen, ob die Miliz jemals ihre Waffen abgeben werde, sei fraglich. Ob die massive Präsenz der lokalen und internationalen Truppen die Hizbollah daran hindert, sich neu aufzustellen und ihre im Krieg beschädigte Infrastruktur wiederherzustellen, ebenso. Nachts werde aus Sicherheitsgründen keine Patrouille gefahren, gibt Ricardo Ortax, Presseoffizier der spanischen Elite-Einheit zu Protokoll. Was die ortskundige Miliz im Schutz der Dunkelheit so treibt, entziehe sich der Kenntnis der UNIFIL“, berichtet der Spiegel. Wahrscheinlich kann man das von der neuerdings mit indischer Folklore-Malerei verzierten Finnsauna aus, die an einem Außenposten nahe Kfar Kila steht, auch nicht so gut sehen.

Der Sinn der UN-Mission scheint aber auch prinzipiell ein anderer zu sein, wie ein spanischer Marineinfanterist zu Protokoll gab: „Was wir hier machen, können wir genau sagen: Wir sind hier, um hier zu sein.“ Das ist durchaus ungewöhnlich für Soldaten, deren Anwerbung in der Regel unter dem Motto No risk, no fun geschieht. Aber die Realität sieht dann doch ein bisschen anders aus, wie die Jerusalem Post befand: „Jedes Land, das seine Truppen den Risiken in Bint Jbail und Marjayoun aussetzt, bemüht sich um lokale Sicherheiten dafür, dass seine Angehörigen nicht erschossen werden oder unter Selbstmordbombern leiden.“ Und daher war die Aufregung bei der UNIFIL gar groß, als die deutsche Bundeskanzlerin es wagte, Garantien für die Sicherheit des jüdischen Staates einzufordern: „Angela Merkel wurde hier so verstanden, dass die Blauhelme nur hier sind, um Israel zu schützen“, tat der UNIFIL-Sprecher Alexander Ivanko kund. Diese Bemerkung habe die libanesische Bevölkerung gegen die UN-Einheiten aufgebracht: „Wir sind heute, einen Monat nach Merkels Ansprache, immer noch damit beschäftigt, Schadensbegrenzung zu betreiben.“ Der Schutz des jüdischen Staates als Schaden – gut, vielleicht sollte man es positiv sehen und für diese Offenheit dankbar sein. Nur beschwere sich dann niemand, wenn Israel daraus die Konsequenzen zieht.

Hattip: Mona Rieboldt

30.10.06

Nassforsch in der Alster

Negativschlagzeilen mag keine Armee dieser Welt. Und die Bundeswehr, die eifrig bemüht ist, aus dem Schatten ihrer historischen Vorgängerin herauszutreten und weltweit das herbeizuführen, was sie für Frieden & Gerechtigkeit hält, kann sie sich schon gar nicht leisten. Doch die eigentlich empörenden Headlines werden derzeit nicht in Afghanistan produziert, wo Soldaten sich aufführen wie zu spät pubertierende Medizinstudenten, sondern vor der libanesischen Küste: Die deutsche Marine nimmt dort an einem UN-Einsatz teil, der Israel mehr schadet als nutzt; gleichzeitig fühlt sie sich mitsamt der veröffentlichten Meinung berufen, den jüdischen Staat, in dem sich ein „mutmaßlicher Sex-Täter ans Präsidentenamt klammert“ (Spiegel), per Video „der Lüge zu überführen“ (noch einmal der Spiegel), nachdem dieser den deutschen Ambitionen mit dem Einsatz von F-16-Flugzeugen (Foto) einen „überflüssigen Schuss vor den Bug“ (tagesschau.de) versetzt hatte und nicht nur die Deutsche Welle deshalb der Ansicht war, dass Israel sich „gefälligst zurückzuhalten hat“. Gestern Abend konnte schließlich Vollzug gemeldet werden: „Nach Zwischenfällen: Israels Premier ruft Luftwaffe zur Ordnung“ (erneut der Spiegel) und „Olmert gelobt Besserung“ (Die Welt). Wäre ja auch noch schöner, wenn die selbst gestellte Frage, ob 61 Jahre nach Auschwitz Deutsche auf Juden schießen dürfen, von letzteren einfach ungestraft umgekehrt wird.

Die Reaktionen in der deutschen Politik, der Bundeswehr und den Medien zeigen dabei zweierlei: Zum einen verdeutlichen sie die Ignoranz, mit der der Situation Israels nach dem Krieg gegen die Hizbollah und der UN-Resolution 1701 begegnet wird; zum anderen lassen sie erkennen, wie gekränkt man sich hierzulande fühlt, wenn der jüdische Staat die Sicherung seiner Existenz nicht einfach der deutschen Marine überlässt, sondern gegen die an der UN-Mission beteiligten Verbände begründetes Misstrauen hegt: Während der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Raabe, altväterlich erwartet, „dass sich ein solcher Fall in Zukunft nicht wiederholen wird“, äußern sich andere noch deutlicher. „Die Israelis wollten uns eine Harke zeigen“, nölten beleidigte deutsche Offiziere, doch da gab es ja noch Vizeadmiral Hans Joachim Stricker, der den israelischen Einsatz als „unfreundlichen Akt“ bezeichnete und die Welt daran erinnerte, was echte deutsche Präzisionsarbeit ist: „Wir haben glücklicherweise alles akribisch auf Video mit guten Zeiss-Objektiven aufnehmen können und schon nach Berlin geschickt.“ Bei dem Flottendienstboot Alster, über dem die israelische Luftwaffe zwei ungezielte Schüsse und Anti-Raketen-Täuschkörper abgefeuert hatte, handelt es sich um ein so genanntes Aufklärungsschiff; aus deutschen Marinekreisen hieß es, die israelische Regierung sei offenbar „not amused“, weil sie fürchte, dass die Bundeswehr sie mit ihren Spionageanlagen an Bord „irgendwie überwachen kann“

So nassforsch tönt es aus deutschen Armeeangehörigen, die gegenüber Israel am liebsten noch mehr Stärke demonstrieren würden; mit stolzgeschwellter Brust rühmen sie sich, die Aktivitäten des jüdischen Staates mit deutscher Gründlichkeit zu registrieren, und bei den diesbezüglichen nachrichtendienstlichen Tätigkeiten legt man eine Akribie an den Tag, die man der Hizbollah nie widmen wollen würde. Zum Skandal taugte das in den deutschen Medien gleichwohl nicht; vielmehr stand aufgeplusterte Aufregung über abgedrängte Hubschrauber und unerwartete Warnschüsse im Mittelpunkt: „Es ist nur einer glücklichen Fügung zu verdanken, dass der Beschuss eines unbewaffneten Aufklärungsschiffs der deutschen Marine in internationalen Gewässern vor der Küste des Libanon durch zwei israelische Kampfflugzeuge nicht in eine Katastrophe mündete“, behauptete etwa die Süddeutsche Zeitung; dem „sicherheitspolitischen GAU“ sei man „vor allem dank der Besonnenheit des Befehlshabers des Marineverbandes entgangen“ – der somit als personifizierte „glückliche Fügung“ gewissermaßen einen Heiligenstatus beanspruchen kann. Von einem „überflüssigen Manöver“ Israels und einem „Zeichen eines offenbar verinnerlichten Machtgehabes“ sprach wiederum der ARD-Korrespondent Clemens Verenkotte, und Peter Philipp konnte sich in seinem Kommentar für die Deutsche Welle gar nicht mehr beruhigen: „So kann das nicht weiter gehen: Vielleicht nicht Berlin, aber doch sicher die UNO sollte Israel nachdrücklich klar machen, dass es sich gefälligst zurückzuhalten hat. Solange Israel sich in Rambo-Manier über alles hinweg setzt, was international auch in seinem Interesse vereinbart wurde, gefährdet es den ohnehin zweifelhaften Erfolg der UNIFIL. Israel riskiert, auch noch die letzten Freunde zu verprellen, die es international hat.“ Zum Beispiel einen Mitarbeiter des deutschen Auslandssenders, der den Vorwurf, Antisemit und Hizbollah-Anhänger zu sein, gewiss empört von sich wiese, weil Juden selbstredend seine besten Freunde sind, für die der Medienrambo stets nur das Beste will und daher ein gestrenges „Machtwort“ der Vereinten Nationen einklagt, weil „Israel sich nicht um die Forderungen und Erfordernisse von UNIFIL kümmert“.

Dass es dafür Gründe geben könnte, käme den meisten deutschen Nahostberichterstattern selbstverständlich genauso wenig in den Sinn wie der Politik oder dem Militär. Die Süddeutsche Zeitung hatte zwar eine leise Idee, verwarf sie aber umgehend als lächerlich: „Die Israelis beobachten die Einsätze der UN-Truppe UNIFIL offenbar sehr genau, weil sie argwöhnen, dass der Waffenschmuggel für die islamistische Hizbollah-Miliz im Südlibanon nicht wirksam unterbunden wird.“ Derlei Argwohn kann, scheint’s, nur unbegründet sein, obwohl es die sprichwörtlichen Spatzen von den Dächern pfeifen, dass die Einheiten der Vereinten Nationen in erster Linie damit beschäftigt sind, Israel von seinen Flügen über den Libanon abzuhalten, während wirksame Maßnahmen gegen die Hizbollah unterbleiben. Dazu passt, dass die Vereinten Nationen bekanntlich ihren Beschluss widerriefen, nach dem deutsche Marineeinheiten innerhalb der Sechsmeilenzone vor der Küste Libanons Schiffe ohne Genehmigung der libanesischen Regierung auf Waffenlieferungen für Nasrallahs Truppen kontrollieren dürfen – was in Deutschland inzwischen für einen Streit sorgt, der wahrscheinlich robuster ist als das UN-Mandat.

Zu allem Überfluss meldete sich auch noch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana (Foto) zu Wort, geißelte die Kontrollflüge Israels als Verstoß gegen die UN-Resolution 1701 und forderte ihre Beendigung. Zuvor hatte er gegenüber der israelischen Tageszeitung Jerusalem Post einen neuerlichen Einblick in seine gedanklichen Sphären gewährt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass der wirkliche religiöse Imperativ jemanden dazu bringt, ein anderes Land zu zerstören. Das wäre ein Missbrauch der Religion. Ich glaube daher nicht, dass es das Wesen der Hamas ist, Israel zu vernichten. Ihr Wesen ist die Befreiung der Palästinenser.“ Solana – der sich, wie könnte es anders sein, einen „guten Freund Israels“ nannte – ergänzte, er sei vielmehr in Sorge, weil „einige der Positionen mancher israelischer Politiker nicht die besten Rezepte sind, um die Sicherheit Israels zu gewährleisten“. Beispiel gefällig? „Ich dachte nie, dass der Bau der Sicherheitsmauer eine gute Idee ist.“ Was also tun? Verhandeln, verhandeln, verhandeln: „Mit seinen Feinden zu sprechen, ist kein Appeasement.“ Es ist wie immer: Wehe dem, der solche Freunde hat. Denn sie verstehen nicht, warum Israel sich nicht auf UN-Truppen und diplomatische Gespräche verlässt – weil sie es nicht verstehen wollen.

„Die israelische Auffassung der neuen internationalen Einheit im Libanon ist die einer verbesserten Version der alten Südlibanesischen Armee, einer Bevollmächtigten also, die dort ist, um als Puffer zwischen Israel und der Terrorgefahr zu wirken. So haben sie unsere Politiker beschrieben. Aber wir sind die einzigen, die imstande sind, solch einer Illusion Glauben zu schenken“, fasste Anshel Pfeffer in der Jerusalem Post trocken zusammen, welche unterschiedlichen Interessen und Erwartungen mit dem UNIFIL-Einsatz verbunden sind: „Jedes Land, das seine Truppen den Risiken in Bint Jbail und Marjayoun aussetzt, bemüht sich um lokale Sicherheiten dafür, dass seine Angehörigen nicht erschossen werden oder unter Selbstmordbombern leiden. Als Verteidiger Israels zu erscheinen, ist dafür kein gangbarer Weg.“ Das erkläre auch die Differenzen mit Deutschland: „Trotz des Wunsches von Premierminister Ehud Olmert, Deutschland möge eine führende Rolle in der neue Truppe spielen, fürchtete Berlin, dass Bundeswehrsoldaten sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust ihre Waffen erneut auf Juden richten. Nur wenige Israelis verstanden diese Bedenken. Sie erwarteten, dass die Waffen gegen die andere Seite gerichtet würden“ – eine Selbstverständlichkeit, die hierzulande trotz aller Beteuerungen, das „Existenzrecht Israels“ zu verteidigen, nie ein Thema war, wie auch Pfeffer feststellte: „Aber für die Deutschen und andere Nationen stellte sich diese Frage nicht – für sie ging es darum, den Frieden in beide Richtungen zu sichern.“

Es ist diese scheinbare Äquidistanz vermeintlicher Verbündeter, die Israels Lage noch prekärer macht, als sie es ohnehin schon ist – eine Äquidistanz, die jedoch eine De-facto-Parteinahme für die Feinde des jüdischen Staates darstellt. Anders ist das Wirken von Spionageschiffen, deren Besatzung stolz darauf ist, Israels militärisches Vorgehen lückenlos dokumentieren zu können, und von Einheiten, die die Hizbollah gewähren lassen, während sie Israels Selbstverteidigung behindern, jedenfalls nicht zu verstehen. Doch daran stößt sich in Deutschland – und nicht nur dort – kaum jemand.

Siehe auch: Provokation oder Verteidigung?
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Niko Klaric, Spirit of Entebbe

26.10.06

Hoppauf Hakoah!

Zu den traditions- und erfolgreichsten Sportvereinen Österreichs zählt immer noch der SC (früher SK) Hakoah Wien. Seine Ringer, Schwimmer und Wasserballer errangen internationale und olympische Titel; bekannt wurde der Klub jedoch vor allem durch seine Fußballmannschaft. Die Gründung der Hakoah erfolgte 1909, zum einen als Folge des gestiegenen Selbstbewusstseins liberaler Juden und zum anderen als Konsequenz aus dem wachsenden Antisemitismus, der es Juden immer schwerer oder sogar unmöglich machte, in anderen Vereinen Aufnahme zu finden. „Wann die g’winnen, gibt’s an Pogrom“, hörte man in den zwanziger Jahren auf den Tribünen so manches Wiener Fußballklubs; Hakoah war 1920 in die höchste Spielklasse aufgestiegen und spielte bereits unter Profibedingungen, als es professionellen Fußball in Österreich offiziell noch gar nicht gab. Hauptkonkurrent war zu jener Zeit der Lokalrivale Austria. 1925 errang Hakoah die österreichische Fußballmeisterschaft und war mit rund 5.000 Mitgliedern zeitweilig die größte Sportorganisation der Welt. Viele Juden in aller Welt sympathisierten und identifizierten sich mit ihr, darunter nicht wenige Schriftsteller und Intellektuelle wie etwa Franz Kafka und Friedrich Torberg.

„Die Machtübernahme der Nationalsozialisten bedeutete das Ende des Vereines und seiner Sportstätten. 1938 wurde der Platz im Prater ‚arisiert’, 1941 der Name Hakoah in Wien offiziell ausradiert“, schildert der Klub auf seiner Website die weitere Entwicklung seiner Geschichte. Einige Spieler wanderten nach Palästina aus; dort gründeten sie 1938 den Verein Hakoah Tel Aviv, der mit Maccabi Ramat Gan schließlich zu Hakoah Ramat Gan fusionierte und heute in der ersten israelischen Liga spielt. Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus füllten jedoch auch einige wenige Überlebende und Rückkehrer die Wiener Hakoah mit neuem Leben, obwohl die beschlagnahmten Spielstätten nicht zurückerstattet wurden. Heute umfasst der Verein die Sportarten Basketball, Karate, Schwimmen, Touristik & Skiclub, Tennis, Tischtennis und Wandern; eine Fußballabteilung ist nicht mehr dabei.

Zur Legende wurde Hakoah Wien insbesondere durch ein Spiel im Jahre 1923. Darüber berichtet Erik Eggers in der gestern erschienenen November-Ausgabe der Zeitschrift 11 Freunde in der Rubrik „Jahrhundertmannschaften“, und er weiß außerdem, dass der Klub nicht nur sportliche Prinzipien hatte, sondern auch der zionistischen Idee stark verbunden war. Da der Beitrag nicht online abzurufen ist, sei er hier vollständig dokumentiert.


Erik Eggers

Balltänzer und Muskeljuden


11 Freunde, Nr. 60 (November 2006)

Als Hakoah Wien 1923 den englischen Erstligisten West Ham United in dessen Stadion 5:0 schlug, brach ein neues Zeitalter an. Noch nie war ein Klub von der Insel dermaßen von Kontinentaleuropäern gedemütigt worden. Aber die Hakoah spielte nicht nur einen eleganten Fußball, sie sah sich auch als Kämpferin für die zionistische Sache.

Ein neues Zeitalter brach an mit diesem 3. September 1923, fand jedenfalls Walther Bensemann. Nachdem erstmals eine Mannschaft vom Kontinent auf der Insel gegen eine englische Profimannschaft gewonnen hatte, gegen einen Vertreter der Pioniere des Fußballs, sah der Herausgeber des Kicker in einem Kommentar endgültig die „Suprematie des englischen Fußballsports gebrochen“. Und der profunde Kenner des englischen Fußballs, der umgehend dem österreichischen Verband zum glorreichen Sieg gratulierte, stand nicht allein mit diesem Urteil. Laut der Münchner Zeitschrift Fußball beschäftigte der spektakuläre 5:0-Sieg des SC Hakoah Wien beim englischen Erstdivisionär West Ham United „alle Sportzeitungen der Welt“. In Wien feierte Felix Schmal, der berühmte Fußball-Kommentator, die „sportliche Heldentat“ unter dem schottischen Trainer Bill Hunter. Klar war: Die 15.000 Zuschauer im Upton Park waren, da die Hakoah „zum ersten Male den Löwen in seiner eigenen Höhle bezähmt“ hatte, wie Bensemann schrieb, Zeuge einer historischen Stunde des Fußballs geworden.

Die publizistische Wucht, die der Kantersieg entwickelte, ist angesichts der Unantastbarkeit und Überlegenheit des britischen Fußballs in der frühen Epoche des Fußballs verständlich. Auf der Insel, wo es seit 1888 professionellen Fußball gab, nahm man die Amateure vom Festland nicht allzu ernst; nicht umsonst war die Football Association wieder einmal aus dem Weltverband FIFA ausgetreten. Auch die Hammers hatten die Hakoah womöglich unterschätzt, denn der Erstliga-Aufsteiger sonnte sich noch im Ruhm des legendären White Horse Finals im neu erbauten Wembley-Stadion, wo man im Sommer den Bolton Wanderers nur knapp mit 0:2 unterlegen war. Wer war da schon dieses Team aus dem fernen Österreich? So hatte West Ham für das Freundschaftsspiel auch zahlreiche Stammkräfte nicht aufgeboten.

Diese Konstellation mag der Grund dafür gewesen [sein], warum die englische Presse das Debakel nicht allzu entsetzt reflektierte. Allein die Daily Mail teilte diese Gelassenheit nicht. Dass der Gastgeber nicht in bester Besetzung angetreten sei, urteilte die Tageszeitung harsch, „ändert nichts an der Tatsache, dass West Ham in einer Art und Weise zu Boden gezwungen wurde, die wir nur mit dem Prädikat ‚lächerlich’ bezeichnen können, und dass die Hakoah uns ein Spiel vorführte, das vielen unserer Ligamannschaften zur Nachahmung dienen kann“. Was den Beobachter vor allem nachdenklich gemacht hatte, war die Kombination aus herausragender Athletik und technisch überlegenem Stil, mit dem die Wiener ihren Gegner ausgetanzt hatten.

„Die Wiener sind kräftig gebaute Leute“, urteilte der Fachmann, „von eher teutonischem als jüdischem Einschlag; ihre Form zeugte von der Arbeit eines guten Trainers; ihre Spielweise verriet Durchbildung und Methode; von Rempelcomment und Kick-and-rush-System wollten sie nichts wissen. Ihre Kombination war glänzend, ihr Stellungsspiel verständig, und niemals sah man Raketen. Alle Bälle kamen flach, das Zuspiel erfolgte im vollen Lauf und ebenso das Stoppen der Bälle, und vor allem: sie waren außerordentlich schnell am Ball, so schnell, dass manche West-Ham-Leute im Vergleich bleierne Füße zu haben schienen.“ Und dann rühmte er ausführlich den blitzschnellen ungarischen Rechtsaußen Sandor Nemes, der allein drei Tore erzielt hatte.

Der Hinweis auf den „jüdischen Einschlag“ verriet, dass es sich bei der Hakoah um keinen normalen Sportverein handelte. Hakoah ist hebräisch und heißt „Kraft“ – keine zufällige Bezeichnung, denn mit aller Kraft wollte der 1909 gegründete Klub auf dem Sportfeld das weit verbreitete antisemitische Vorurteil entkräften, Juden seien körperlich unterlegen. Getrieben durch die Idee des „Muskeljudentums“, das Max Nordau 1897 erstmals auf einem zionistischen Kongress postuliert hatte, war die Hakoah „mehr als ein Verein; [sie] war ein zionistisches, ein nationaljüdisches Projekt“ – so der Soziologe Detlev Claussen in seinem Buch über den Fußballer Béla Guttmann, der 1922 aus Budapest zur Hakoah gekommen war und in Wien als extrem offensiv ausgerichteter Mittelläufer zu einem Star avancierte. Auch die Daily Mail wies 1923 auf diesen politischen Aspekt hin: „Der Klub wurde zu dem Zweck gegründet, den Sport bei der israelitischen Jugend zu propagieren, um diejenigen, die später nach Palästina gehen, körperlich so durchzubilden, dass sie den Erfordernissen anstrengender Pionierarbeit gewachsen sind.“ Der Fußball sollte mithin als Vorbereitung auf das große Ziel der zionistischen Bewegung dienen: die Staatsgründung Israels.

Vor diesem Hintergrund war die Fußballsektion der Hakoah „nicht weniger als die planmäßig aufgezogene Promotion der zionistischen Sache auf dem Feld des Leistungsfußballs“, wie der Autor Ludwig Tegelbeckers schreibt. Dass die Spieler vornehmlich aus politischen Gründen für die Hakoah Tore schossen oder verhinderten, darf indes bezweifelt werden, denn sie hatten – wie etwa Josef Eisenhoffer oder auch Guttmann – vor ihrem Engagement mit der nationaljüdischen Sache rein gar nichts zu tun. Sie spielten bei der Hakoah als Profis, weil dort in Zeiten der Inflation enorm viel Geld zu verdienen war – was die Wasserballer, Ringer oder Schwimmer im damals größten jüdischen Klub der Welt vehement kritisierten. Davon unabhängig identifizierten sich viele Juden, die nach dem ersten Weltkrieg knapp zehn Prozent der Wiener Bevölkerung ausmachten, stark mit den Erfolgen der Hakoah, weil dem Verein neben Guttmann noch fünf weitere jüdische Spieler aus Budapest angehörten. Denn die Siege der Hakoah widersprachen dem „schlechten Image vom dreckigen, schwachen Ostjuden aus dem Schtetl“ (Ckaussen), diesem verarmten osteuropäischen Areal, dem so viele Wiener Juden entstammten.

Und Siege feierte die Hakoah auch nach 1923 noch reichlich. Als in Österreich das Profitum eingeführt wurde, errang der Verein 1925 die erste Meisterschaft. Im gleichen Jahr bezwang er den tschechoslowakischen Spitzenklub Slavia Prag in einem legendären Spiel mit 6:5 – nach einem zwischenzeitlichen 1:5-Rückstand. Der Niedergang der jüdischen Elf begann 1926, als die inzwischen weltberühmte Mannschaft zu einer USA-Tournee aufbrach. Fast zehn Akteure blieben danach nämlich in Amerika, um dort harte Dollars zu verdienen, unter ihnen auch der Schlüsselspieler Guttmann. Diesen personellen Aderlass vermochte die Hakoah nicht zu kompensieren, 1929 stieg der Klub in die 2. Liga ab. Was blieb, war der spektakuläre 5:0-Sieg bei West Ham United. Jener historische Erfolg, mit dem eine neue Ära anbrach.

Zu den Bildern (von oben nach unten): Heutiges Vereinslogo des SC Hakoah Wien; Szene aus dem Spiel West Ham United – Hakoah Wien, das den Hakoah-Spieler Grünwald (Zweiter von rechts) im Zweikampf mit einem englischen Verteidiger zeigt; die Fußballmannschaft der Hakoah im Jahre 1925.

25.10.06

Ein Käfig voller Narren

Man hat sich in Bezug auf Äußerungen und Nachrichten über Israel mit der Zeit ja schon an einiges gewöhnt, doch es gibt Momente, in denen der Eindruck besonders stark ist, dass die Welt zu nicht eben geringen Teilen aus monströsen Narrenställen besteht, die sich untereinander dezentral organisieren. Eines dieser föderalen Gehege steht in Großbritannien, wo einmal mehr Polit-Clowns vom Schlage George Galloways den Al-Quds-Tag Seit’ an Seit’ mit militanten Judenhassern feierten. Doch was soll’s – sind wir nicht alle gerne mal ein bisschen (hiz)ballaballa und freuen uns, wenn der Karnevalspräsident ein paar tausend Kilometer weiter eine Büttenrede hält, in der er palästinensische Ozeane anschwellen lässt, die in Europa für eine Flutkatastrophe sorgen sollen? Ob dagegen Sandsäcke genügen? Man weiß es nicht und lauscht daher umso aufmerksamer dem Leiter des Internationalen Versöhnungszentrums der Kathedrale von Coventry, Paul Oestreicher, der sich im Deutschlandfunk als „Paul Oesterreicher“ Israels schämt, vor Philosemitismus Angst hat und anständige Deutsche sucht, die mit ihm die Verbrechen des jüdischen Staates kritisieren wollen. Tusch!

Auch in Frankreich mag man Israel nicht besonders, weshalb Journalisten, die nicht in den populären Faschingsschlager „Kindermörder!“ einstimmen wollen, von Spaßvögeln in Robenkostümen schon mal wegen Verleumdung zur Kasse gebeten werden, während die ebenfalls aus diesem Land stammenden Jecken Jean-Marie Guéhenno, Leiter der Friedenseinsätze bei der UNO, und Alain Pellegrini, Kommandant der UNO-Truppe im Libanon (UNIFIL), im Verbund mit Italien über andere Waffen als Konfettikanonen nachdenken, sollte Israel weiterhin die Hizbollah beaufsichtigen und auf die Entwaffnung von Hassan Nasrallahs Komödienstadl drängen. Unterdessen will auch Hugo Chávez nicht die Spaßbremse geben, bloß werden die Eintrittskarten in seinen Fastnachtsklub bis auf Weiteres nicht mehr an Israelis verkauft: Bürger des jüdischen Staates erhalten vorerst kein Visum für einen Aufenthalt in Venezuela; schließlich hat Israel im Libanon kürzlich einen „neuen Holocaust“ angezettelt. Narhallamarsch!

Doch auch in entlegeneren Winkeln dieses Planeten hat man es nicht gerne, wenn einer die Session stört oder gar den Aschermittwoch vorziehen will: In Bangladesch sprach sich der Journalist Salah Uddin Schoaib Chudhury für freundschaftliche Beziehungen zwischen seinem Land und Israel sowie zwischen Juden und Moslems aus, woraufhin ein 40-köpfiges Festkomitee unter der Leitung des Ministers für internationale Beziehungen, Helal Khan, das Büro des Mitarbeiters der englischsprachigen Wochenzeitung Blitz stürmte, ihn als „Agenten der Juden“ bezeichnete und sein Fußgelenk brach. Eine Anzeige gegen die Angreifer wurde nicht zugelassen; vielmehr droht Chudhury nun eine Anklage wegen Blasphemie, Unruhestiftung, Hochverrats und Spionage – und im Falle einer Verurteilung der Tod.

Um wie viel angenehmer sind da doch Menschen, die zu derlei närrischem Treiben auf Distanz gehen: Der kanadische Premierminister Stephen Harper (Foto) bezeichnete in Toronto unlängst die Unterstützung Israels als „grundlegend für die Werte dieser Nation“. Er verteidigte die Unterstützung des jüdischen Staates im Kampf gegen die Hizbollah: „Wenn wir uns mit einem Krieg zwischen Israel und einer terroristischen Organisation zu beschäftigen haben, können und werden dieses Land und diese Regierung niemals neutral sein“, sagte Harper, und er ergänzte: „Diejenigen, die Israel angriffen, und diejenigen, die diese Angriffe finanzierten, suchen, was sie und ihresgleichen schon immer suchten: die Zerstörung Israels und die Vernichtung des jüdischen Volkes.“ Solche Angriffe gälten „uns allen“, weshalb man mit entsprechender Schnelligkeit und Klarheit Position bezogen habe.

An manchen Tagen lohnen sich die Nachrichten dann doch: Nicht überall regiert ein Elferrat. Wie beruhigend.

Hattips: barbarashm, Clemens Heni

24.10.06

Pallywood in Frankreich

„Dies ist ein düsterer Tag für Frankreich. Das französische Justizsystem hat einen falschen Bericht für rechtsgültig erklärt.“ Philippe Karsenty, Inhaber von Media Rating – einer Website, die die Medienberichterstattung kritisch kommentiert –, war entsetzt. Ein Pariser Gericht hatte ihn vergangene Woche zu einer Geldbuße von 1.000 Euro sowie zur Zahlung eines symbolischen Betrags von einem Euro an den französischen Fernsehsender France 2 und dessen Israel-Korrespondenten Charles Enderlin verurteilt. Karsentys angebliches Vergehen: Verleumdung. Er hatte France 2 vorgeworfen, vor sechs Jahren einen Beitrag über den Tod des zwölfjährigen Jungen Mohammed al-Dura gefälscht zu haben. Dabei hielt die Staatsanwaltschaft Karsentys Recherchen für stichhaltig und plädierte für ihn – doch der Richter entschied anders. „Wenn das Urteil Bestand hat, sollten sich Juden fragen, welche Zukunft sie in Frankreich noch haben“, sagte der Journalist. „Die Justiz deckt die antisemitischen Lügen eines öffentlichen Senders. Das ist ein eindeutiges Signal, es ist ernst.“ Und das ist möglicherweise erst der Auftakt: Die Gerichte befassen sich noch mit weiteren zwei Verleumdungsklagen von Enderlin und France 2 gegen französische Juden, die den Fernsehsender wegen seiner antiisraelischen Berichte kritisiert hatten.

Die Bilder gingen seinerzeit um die Welt: Zwei Tage nach dem Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada starb am 30. September 2000 ein palästinensisches Kind bei einem Schusswechsel zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten in den Armen seines Vaters – getroffen, so schien es, von israelischen Kugeln. Die Aufnahmen stammten von Talal Abu Rahma, einem palästinensischen Kameramann, der für France 2 arbeitete. Abu Rahma überzeugte seinen Auftraggeber – den Israel-Korrespondenten des Senders, Charles Enderlin –, eine 55 Sekunden dauernde Sequenz ohne weitere Verzögerung, das heißt ohne Prüfung des Materials, auszustrahlen. Enderlin, der selbst nicht vor Ort war, verkündete im Journal de 20 heures, dass israelische Soldaten den Knaben mutwillig erschossen, also ermordet hätten. Der Fernsehbeitrag verfehlte seine Wirkung nicht: „Der Tod des Jungen löst gewaltsame Proteste und auch weltweit eine riesige Empörung aus. Er steht exemplarisch für die Brutalität der israelischen Armee. [...] Briefmarken mit dem Konterfei ‚der bleibenden Ikone’ der Intifada II Mohammed al-Dura werden in Ägypten und Tunesien gedruckt, in Kairo wird eine Straße nach ihm benannt, eine wahre Hysterie bricht aus“, schrieb die Publizistin Gudrun Eussner. Das Kind wurde zum Symbol für den neuerlichen Aufstand der Palästinenser, der seine Berechtigung nicht zuletzt aus den scheinbar eindeutigen Bildern zog. „Kindermörder Israel!“ riefen die Demonstranten einmal mehr – und das weltweit.

Doch einige wenige stellten Nachforschungen an und hatten bald erhebliche Zweifel an der Unumstößlichkeit des Films: Die israelische Armee etwa, die sich zunächst für den Tod Mohammed al-Duras entschuldigt hatte, kam bei intensiveren Nachforschungen zu dem Ergebnis, dass der Junge durch palästinensische Munition getroffen worden sein könnte. In Deutschland wurde eineinhalb Jahre nach der Schießerei eine Dokumentation der Journalistin Esther Schapira ausgestrahlt, die den Titel „Drei Kugeln und ein totes Kind“ trug und die offizielle Version ebenfalls in Frage stellte. „Je mehr wir nachgefragt und mit den Betroffenen gesprochen haben, desto klarer wurde, dass die Bilder gar nicht so eindeutig sind, wie sie scheinen. [...] Das Mindeste, was man sagen muss, ist, dass es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, wer geschossen hat. Viele Indizien deuten aber darauf hin, dass palästinensische Kugeln das Kind trafen. Der Einschusswinkel lässt darauf schließen. Auch ballistische Erkenntnisse sowie die Aussage des Pathologen, der das Kind untersucht hat, stützen diese Vermutung“, sagte Schapira in einem Interview mit der Wochenzeitung Jungle World und berichtete von nicht unerheblichen Behinderungen ihrer Recherchen durch die Palästinenser. Nach der Ausstrahlung des Beitrags erhielt sie antisemitische Hassmails mit teilweise handfesten Drohungen.

Gleichzeitig weigerte sich France 2 zunächst, das insgesamt 27 Minuten umfassende Filmmaterial des annähernd eine Stunde dauernden Schusswechsels zu Prüfungszwecken freizugeben und eine weitere, umfassendere Dokumentation des Vorfalls zuzulassen. Dennoch häuften sich die Ungereimtheiten und Widersprüche: Wer die Schüsse in Richtung des palästinensischen Jungen und seines Vaters abgegeben hatte, war in dem knapp einminütigen Ausschnitt aus den Aufnahmen des Kameramanns Talal Abu Rahma nicht zu sehen. Auch von Blut weit und breit keine Spur, obwohl die beiden al-Duras angeblich zwanzig Minuten lang mit offenen Wunden an ihrem Ort verharrten. Ein Krankenwageneinsatz war ebenfalls nicht dokumentiert, es gab keine Autopsie, und von den etwa zehn anderen am Tatort anwesenden Reportern diverser Agenturen konnte niemand das bestätigen, was der Kameramann von France 2 gesehen haben wollte. Dass noch nicht einmal gezeigt wurde, wie der Junge getroffen wurde, begründete Charles Enderlin mit einem Verweis auf das Gebot der Pietät. Vier Jahre nach der Sendung ließ sich diese Rechtfertigung jedoch nicht mehr halten: „Die beiden angesehenen Journalisten Denis Jeambar, Herausgeber der Zeitschrift ‚L’Express’, und Daniel Leconte, ein ehemaliger Mitarbeiter von France 2, [sichten] gemeinsam mit Luc Rosenzweig, einem ehemaligen Redakteur der ‚Le Monde’ und heutigen Mitarbeiter der israelischen ‚Metula News Agency (Mena)’, das gesamte Filmmaterial und stellen fest, dass es die von Charles Enderlin angeblich herausgeschnittene Szene von der Agonie des Mohammed al-Dura nicht gibt“, berichtete Gudrun Eussner in einem aufschlussreichen und lesenswerten Beitrag auf ihrer Website, der auch über die Auseinandersetzungen Jeambars, Lecontes und Rosenzweigs mit Enderlin aufklärt sowie weitere Reaktionen und das Desinteresse etablierter Medien an diesem Skandal schildert.

Noch früher, nämlich bereits im Oktober 2003, hatte der Historiker Richard Landes das Filmmaterial von France 2 in Augenschein nehmen können. Er kam zu dem Ergebnis, dass die ganze Szenerie von der palästinensischen Seite gestellt worden war – um zwei Tage nach Ausrufung der zweiten Intifada einen propagandistischen Coup zu landen –, dass Mohammed al-Dura sich noch bewegte, als der französische Fernsehsender ihn bereits für tot erklärt hatte, und dass auch andere vermeintliche Verletzungen schlichtweg eine Fälschung darstellten. Als Landes Enderlin mit diesen Erkenntnissen konfrontierte, habe er die lapidare Antwort bekommen: „Oh, das machen sie immer. Das ist ihr kultureller Stil.“ Der Tod Mohammed al-Duras sei gleichwohl nicht erfunden: „Dafür sind sie nicht gut genug.“ Landes – der von Philippe Karsenty (Foto) als Zeuge in seinem Prozess gegen France 2 berufen wurde – versuchte vergeblich, die Aufmerksamkeit der Mainstreampresse auf diesen Skandal zu lenken, und stellte schließlich Videobeiträge zu Mohammed al-Dura ins Netz; darüber hinaus sind auf der von ihm ins Leben gerufenen Website The Second Draft ausführliche Dokumentationen und Hintergründe zu den Geschehnissen vom 30. September 2000 abzurufen. Der Historiker vergleicht die Bedeutung des aktuellen Gerichtsverfahrens gar mit der Dreyfus-Affäre Ende des 19. Jahrhunderts.

Gemessen daran ist das Schlimmste zu befürchten, nachdem das Pariser Gericht in seltener und überraschender Abweichung vom Plädoyer der Staatsanwaltschaft den Media Rating-Chef Karsenty verurteilte. Damit hat die französische Justiz erdrückende Beweise und Indizien für ein neuerliches Pallywood absichtsvoll in den Wind geschlagen. Appeasement ist noch die harmloseste Bezeichnung für diese Art der Geschichtsklitterung. Sie ist ein Sieg für die Intifadisten und Djihadisten – mitten in Europa.

Hattip: barbarashm

23.10.06

Steilvorlagen und Schenkelklopfer

Es ist ein Jammer, dass sich kein einheimischer Kabarettist des ganzen wirklich brillanten, weil absurden Materials annimmt, das in Presse, Rundfunk und Fernsehen sowie im Internet kursiert. Hierzulande spaßt man lieber über Hartzvier und die Gesundheitsreform, verlacht den amerikanischen Präsidenten und die Bundeskanzlerin oder spöttelt über Gammelfleisch und Dieter Bohlen. All diese Schenkelklopfer sorgen jedoch bestenfalls für gepflegte Langeweile und bedienen ansonsten zielsicher die ohnehin vorhandenen Ressentiments; deren Protagonisten geben sich subversiv, wenngleich ihre vorgebliche humoristische Rebellion nichts weiter ist als purer Konformismus. Um das Thema Islam wird deshalb ein kilometerlanger Bogen gemacht: Bloß nichts und niemanden provozieren – wenn schon ein paar Karikaturen oder eine harmlose Papstrede ausreichen, um einen muslimischen Tsunami auszulösen, was wird dann erst los sein, wenn der Spaß im öffentlich-rechtlichen oder auch privaten Abendprogramm respektive auf den Brettern, die doch angeblich die Welt bedeuten, für Unterhaltung sorgen soll? Da verbrennt sich lieber niemand die Finger, obwohl dem Kabarett in seinen guten Zeiten kein Eisen zu heiß war, um es zu einer Waffe der Kritik zu schmieden. Doch das ist lange her. Dabei gäbe es so viel Stoff zu verarbeiten, dass selbst mäßig begabte Nachwuchskünstler berechtigte Hoffnungen haben dürften, nicht mehr für einsfünfzig die Stunde Laub rechen oder Fahrkarten kontrollieren zu müssen. Nachfolgend ein paar mehr oder weniger wahllos zusammengestellte Ideen der letzten Tage, mit denen Berufene problemlos eine neunzigminütige Vorstellung gestalten könnten.

Hosni Mubarak beispielsweise ist eine echte Fundgrube. Kein besonders guter Rhetoriker, aber ein, sagen wir, durchaus begabter Büttenredner. „Sollten wir Muslime nicht einen Teil der Verantwortlichkeit für die falschen Ideen über den Islam auf uns nehmen? Haben wir unsere Pflicht erfüllt, das Bild des Islam und der Muslime zu korrigieren? Was haben wir unternommen, um einem Terrorismus zu begegnen, der unter dem Deckmantel des Islam auftritt und das Leben von Menschen bedroht?“, fragte der ägyptische Präsident während des Ramadan in eine Runde von ägyptischen Beamten und islamischen Klerikern – und ließ sogleich die Pointe folgen: „Wir nehmen es nicht hin, dass unsere Heiligtümer im Namen des Meinungs- oder Pressefreiheit beleidigt werden, denn wenn unser Glauben nicht respektiert wird, entfacht das wütende Emotionen und Extremismus, und es führt uns zu ernsten Schritten.“ Mit denen die falschen Ideen über den friedlichen Islam dann umgehend korrigiert werden. Der Deckmantel kommt derweil in die Altkleidersammlung. Da guckt aber kein Kabarettist jemals hinein.

Der britische Daily Star hätte die Geschichte vermutlich gerne gedruckt, aber den hielt die National Union of Journalists (NUJ) schon davon ab, eine Satire namens „Daily Fatwa“ zu veröffentlichen, die neben einem „Seite 3 Burka Babes Special“ auch einen „Verbrenn’ eine Fahne und gewinn’ einen Corsa“-Wettbewerb sowie eine „Allah ist groß“-Kolumne umfassen sollte. Das Ganze „könnte als rassistisches Vorurteil und Provokation angesehen werden“, fand die NUJ; das Material „hätte die muslimische Gemeinschaft schwer verletzt“. Muslimische Kommentatoren begrüßten den Schritt der Vereinigung, das Vorhaben des Boulevardblatts zu unterbinden: Die Publikation hätte ähnliche Reaktionen wie die dänischen Cartoons auslösen können. Genau das wäre aber wirklich eine perfekte Steilvorlage gewesen – Ken Livingstone oder George Galloway geben als Muslimbrüder im Geiste eigentlich immer prächtige Witzfiguren ab. Schade um die verpasste Chance.

Doch auch in britischen Kreisen, in denen wohl eher die Times oder der Guardian gelesen wird als die Yellow Press, liefert man gerne das Material für Grotesken: Ein von der Regierung unterstütztes akademisches Forschungsprojekt, das die Hintergründe für den in den letzten zwanzig Jahren gewachsenen Einfluss islamistischer Gruppierungen in sechs ausgewählten Regionen und weiteren sechs Ländern eruieren sollte, wurde gestoppt: Forschungseinrichtungen fürchteten, ihre Wissenschaftler würden mit dem Vorhaben in akute Gefahr gebracht; darüber hinaus habe man den Eindruck, hier sollten Akademiker wie im Kalten Krieg als Spione dienen und „in eine Art islamischen McCarthyismus“ hineingezogen werden, „der schwer wiegende Implikationen für die akademische Freiheit“ habe. Was die in islamischen Staaten arbeitenden britischen Forscher nun mit letzterer anfangen, nachdem sie sie erfolgreich gegen die Counterinsurgency verteidigt haben, ist nicht bekannt.

Vielleicht nehmen sie sich ja derweil die Zeit, mal einen genauen Blick in die heilige Schrift des Islam zu werfen. Am ungestörtesten ist man dabei bekanntlich auf dem stillen Örtchen. Nur vergessen sollte man das Buch dort nicht, denn das kann bekanntlich böse Folgen haben. Und das neuerdings nicht nur in den Ländern, wo der Koran die größte Verbreitung findet, sondern auch in den USA: Dort wurde er in der Pace University kürzlich gleich zwei Mal auf der Toilette liegen gelassen. „Das unterscheidet sich nicht von einem brennenden Kreuz vor einem Haus oder einem Hakenkreuz an einem Spind“, fand Aliya Latif von der Muslim-American Lawyers Association. Und Omar T. Mohammedi vom American-Islamic Relations Council frohlockte: „Wir haben gestern mit dem New York Police Department gesprochen, und dort sagten sie, sie täten alles in ihrer Macht Stehende, um eine Verhaftung herbeizuführen.“ Koran + Klo = Knast. Nachgerade ein Elfmeter ohne Torwart für jeden halbwegs zielsicheren Kleinkünstler. Nur ist gerade mal wieder kein Schütze in Sicht.

Und schließlich wäre da noch Human Rights Watch, eine dieser so genannten Menschenrechtsorganisationen, die schon wussten, mit welch brutalen Waffen Israel im Libanon vorging, als noch nicht einmal die Tinte auf dem Papier der UN-Resolution 1701 getrocknet war: mit Streubomben nämlich, gegen die die Raketen der Hizbollah offenbar ein harmloses Kinderspielzeug waren. Jetzt, drei Monate später, ist die Organisation ernsthaft von der Erkenntnis „beunruhigt“, dass auch Nasrallahs Truppen diese Geschosse einsetzten. Zuvor hat sie die Hizbollah wahrscheinlich für ihre libanesische Dépendance gehalten.

Doch weit uns breit ist niemand in Sicht, der uns stilsicher mit diesen Perlen der Realsatire beglücken könnte. Also weiter mit Hartz und Ulla Schmidt, weiter mit Bush und Merkel, weiter mit Fleischskandalen und einem früheren Modern Talking-Barden samt seinen Gespielinnen. Weiter also mit den Anschlägen auf den guten Geschmack. Dass das Anschläge ganz anderen Kalibers dauerhaft verhindert, darf allerdings bezweifelt werden. Gut, dass wenigstens den Dänen die Ideen nicht ausgehen (Foto oben).

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattip: barbarashm

20.10.06

Comeback der Untoten

Erinnern Sie sich noch an Jamal Karsli? Ja, genau: An den stets freundlich dreinblickenden Herrn mit der Halbglatze und dem akkurat gestutzten Vollbart, der sich immer gerne in dieser typischen Möchtegern-Denker-Pose (Daumen und Zeigefinger am Kinn gespreizt) ablichten ließ. Der Israel „Nazi-Methoden“ vorwarf, Möllemann prima fand – weil der bis zu seinem letzten Flug(blatt) auch was gegen die „zionistische Lobby“ hatte – und darum von den Grünen zur FDP gehen wollte, bis er schließlich eine eigene Partei gründete. Der Paul Spiegel und Michel Friedman anzeigte, weil die ihn das nannten, was er unzweifelhaft ist: einen Antisemiten. Lange nichts mehr von ihm gehört oder gelesen, nachdem er im Juni letzten Jahres aus dem nordrhein-westfälischen Landtag ausgeschieden war. Aber kein Grund zur Beruhigung: Shraga Elam, der selbst ernannte „Recherchierjournalist“, schafft gerne für zwei und definitiv in Karslis Sinn. Außerdem ist da ja noch Anis Hamadeh, der schon vor zweieinhalb Jahren wusste, dass Karsli (Foto) gar kein Monster ist, sondern auch nur Tee trinkt, und eingedenk dieser Erkenntnis fortwährend die Toilette aufsuchen musste.

Und schließlich denkt beizeiten auch IRIB, der staatliche Hörfunk- und Fernsehsender des Iran – eines Staates, dessen Präsident just gestern Israel einmal mehr als „erfunden“ und „den Ländern in der Region aufgezwungen“ bezeichnete –, an den deutsch-syrischen Diplomingenieur. IRIB hat nämlich ein deutschsprachiges Programm und macht gerade mächtig die Welle wegen des Al-Quds-Tages, der alljährlich am letzten Freitag des Ramadan über die Bühne geht und an dem nicht nur in Beirut und Teheran, sondern auch in zahlreichen anderen Städten weltweit die Vernichtung Israels gefordert und der islamistische Gottesstaat im Sinne Ayatollah Khomeinis (Foto unten) gepriesen wird. Also klingelte der Propagandafunk bei Karsli durch und erfuhr, was er hören wollte: „Fast jeden Tag findet in Palästina ein Massaker statt“, dozierte der Ex-Parlamentarier und meinte damit nicht das Gemetzel zwischen den rivalisierenden Judenhassertruppen Hamas und Fatah, sondern – was sonst? – die israelische Armee. Die zeigt sich derzeit zwar ausgesprochen reserviert, aber das wollte der Interviewer beim iranischen Radio natürlich nicht hören.

Also erzählte ihm Karsli etwas vom „Versagen“ des jüdischen Staates im Libanon und von dessen „Versuch, in Palästina Muskeln zu zeigen“, nachdem er sich zuvor „eine blutige Nase geholt“ habe. Israel werde gewiss den Gazastreifen erneut besetzen und dabei „Menschenleben vernichten“, die Palästinenser aushungern, Hamas und Fatah aufeinander hetzen und einen Bürgerkrieg inszenieren. Der übliche Masterplan halt. Die empörte Frage des Moderators, warum palästinensische Organisationen „auf diese Verschwörung hereinfallen“, konnte Karsli zwar auch nicht so recht beantworten, wusste aber immerhin, was eine Kausalkette ist: Israel erkenne „die Rechte der palästinensischen Bevölkerung“ nicht an, weshalb es nur logisch sei, dass die Hamas ihrerseits Israel nicht akzeptiere; warum die Fatah trotzdem mit dem Feind kooperiere, sei ihm daher „unverständlich“, zumal es doch darum gehen müsse, eine „Regierung der nationalen Einheit“ zu bilden. Als deren Berater würde sich Karsli zweifellos gerne zur Verfügung stellen. Wie man im Parlament die zionistische Weltverschwörung bekämpft, weiß er schließlich.

Jenseits dieser Einrichtung rüstet die islamistische APO derzeit global zum Großkampf-, also dem bereits erwähnten Al-Quds-Tag. Auch in Berlin wird es am Samstag – wie in den letzten Jahren schon – eine Manifestation geben, diesmal unter dem Motto „Gerechter Frieden für Palästina, sichere Zukunft für die Juden“. Was man sich diesbezüglich unter „Gerechtigkeit“ und „Sicherheit“ vorzustellen hat, verrät der Aufruf, der zu fordern beliebt: „Der Zionismus als Herrschaftsideologie muss Gegenstand unabhängiger und freier Forschung werden. Die Menschen müssen ein Recht darauf haben, diese, ihre Gesellschaft beeinflussende, Ideologie kennen zu lernen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.“ Könnte direkt bei Ahmadinedjad abgeschrieben sein und ist es wahrscheinlich auch; sollte die Demonstration dennoch nicht zu einer Ausstellung der höchstprämierten iranischen Holocaust-Karikaturen werden, dürfte das daran liegen, dass die polizeilichen Auflagen für den Aufmarsch eine solch eigenwillige künstlerische Freiheit nicht vorsehen. „Wir verurteilen jede Form vom Antisemitismus“, behauptet der Appell des weiteren, aber wann hätten Antisemiten je zu verstehen gegeben, sie seien welche?

Also bringt man sein Anliegen in eine zeitgemäße Form, indem man sich als Opfer einer Zensur geriert: „Wir fordern das Recht auf Meinungsfreiheit, sodass in Deutschland frei über den Zionismus geforscht und berichtet werden kann. Warum müssen Politiker, Lehrer und Beamte um Beruf, Stellung und Ansehen bangen, wenn sie sich frei äußern?“ Schließlich gilt: „In einer Gesellschaft, in der jegliche Verunglimpfung des Christentums, des Islam und der Propheten zulässig ist“, wird man doch wohl noch gegen Juden zu Felde ziehen dürfen, Verzeihung: „muss zumindest die Analyse und Beurteilung einer Ideologie erlaubt sein!“ Ergo verlangt man die „Beendigung der Waffenlieferungen an Israel“ und einen Stopp der „Finanzierung der Verbrechen Israels mit deutschen Steuergeldern“, „humanitäre Hilfe für das palästinensische Volk und die Verhinderung einer menschlichen Katastrophe in den besetzten Gebieten“ sowie eine „Beendigung der Belagerung und des Boykotts Palästinas“. Judenhasser? Wir doch nicht! Bloß israelkritische Geister!

Gegen diesen unheimlichen Aufmarsch mobilisiert erneut ein Berliner Bündnis gegen den internationalen Al Quds Tag, dessen Aufruf sich „gegen Islamismus, Judenhass und Vernichtungsdrohungen gegen Israel“ wendet und „für Demokratie und Menschenrechte im Iran“ eintritt. Seine Initiatoren haben den Anspruch, eine gewisse Breite zu erreichen. Daran wäre nichts Falsches, würde darunter nicht, wie so oft, die Tiefe leiden. „Wir Unterzeichnerinnen und Unterzeichner haben unterschiedliche Meinungen zu dem andauernden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern“, heißt es zu Beginn, „aber gemeinsam weisen wir jeden Angriff auf das Existenzrecht Israels zurück und treten für eine friedliche und für beide Seiten akzeptable Zweistaatenlösung ein“. Es wäre schon interessant zu erfahren, wie letztere aussehen soll – zumal nach dem Wahlsieg der Hamas und der damit verbundenen Willensbekundung der Mehrheit der Palästinenser, es unterhalb dessen, was beim Bündnis als „Angriff auf das Existenzrecht Israels“ firmiert, nicht zu machen – und welche „unterschiedlichen Meinungen“ in dem Zusammenschluss eigentlich vertreten sind. Dass das iranische Regime alles tut, „um eine solche Lösung zu verhindern“, wie es im nächsten Satz des Aufrufs heißt, ist zwar richtig, aber die Mullahs sind nun mal beileibe nicht die einzigen, denen die Vernichtung Israels eine Herzensangelegenheit ist.

Etwas seltsam mutet auch dieser Passus des Bündnisappells an: „Wir wenden uns zugleich gegen jede Diskriminierung von Menschen muslimischen Glaubens oder migrantischen Hintergrunds. Es geht nicht um einen Kulturkampf gegen ‚den’ Islam, sondern um ein gemeinsames politisches Streiten gegen Islamismus und religiös verbrämte Gewalt.“ Das Wörtchen Islamophobie war man ganz offensichtlich tunlichst zu vermeiden bemüht; dennoch scheinen die Verfasser entweder den in diesem Zusammenhang gänzlich albernen Vorwurf des Rassismus zu fürchten, oder sie können respektive wollen selbst nicht von einem Kollektiv lassen, das als „Menschen muslimischen Glaubens“ ethnifiziert wird und damit gleichzeitig per se dem offensichtlichen Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus entzogen ist. Dadurch wird jedoch die Kritik des politischen Islam abgeschnitten, statt das Individuum vor den Zumutungen der Umma in Schutz zu nehmen und zu stärken – also der Ideologie, die den Al-Quds-Tag kennzeichnet und bestimmt, mit aller Konsequenz entgegenzutreten. Denn wie sagte es Khomeini 1979? „Der Al-Quds-Tag ist ein islamischer Tag und ein Tag der Mobilisierung der Muslime. Ich hoffe, dass dieser Tag die Basis zur Gründung einer Partei alle Unterdrückten der Welt sein wird. Sie können dann alle Probleme, die ihnen im Wege stehen, beseitigen und gegen die Arroganz aufstehen. Sie werden die Fahne des Islams hochhalten und die Herrschaft der Armen in der Welt errichten. Bisher waren die Muslime gespalten. Heute haben wir ein Modell für die islamische Einheit.“

Hattip: barbarashm

18.10.06

Kavaliersdelikt Antisemitismus

Ein widersprüchliches und in weiten Teilen reichlich merkwürdiges Urteil hat das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbands (BFV) nach dem Ende September abgebrochenen Kreisliga-Fußballspiel zwischen der Reservemannschaft der VSG Altglienicke und der zweiten Mannschaft des TuS Makkabi Berlin, bei dem Zuschauer ungehindert antisemitische Hassparolen grölten, gefällt: Während Altglienicke mit ausgesprochen milden Strafen davon kam, wurde der Schiedsrichter der Partie auf Lebenszeit gesperrt.

Zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die verpflichtende Teilnahme an einem „Seminar gegen Rassismus“ und das Stellen von Platzordnern, die bei antisemitischen oder rassistischen Parolen einschreiten sollen – das sind die Sanktionen, die gegen die Volkssportgemeinschaft aus Altglienicke verhängt wurden. Geldstrafen oder Sperren gab es nicht, und auch die Punkte wurden dem Klub trotz des Spielabbruchs nicht abgezogen: Die Begegnung wird auf neutralem Platz wiederholt. „Das Urteil reicht weiß Gott nicht aus, um ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemitismus zu setzen“, sagte der Makkabi-Vorsitzende Tuvia Schlesinger (Foto unten). Deutlicher wurden Spieler der Zweitvertretung des Vereins: „Es hätte einen Punktabzug und Geldstrafen geben müssen. Und zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind lächerlich – in der Kreisliga schaut doch ohnehin kaum jemand zu“, kritisierte Rafael Tepmann. Und sein Mannschaftskollege Alexander Zoi meinte: „Altglienicke ist nicht hart genug bestraft worden. Und über dieses Seminar lachen die doch nur.“ Auch außerhalb des Klubs stieß die Entscheidung des Sportgerichts auf Unverständnis: Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer „moralischen Bankrotterklärung“. Sein Vizepräsident Dieter Graumann nannte das Urteil „grotesk milde“, „lächerlich“ und „brandgefährlich“. Der Präsident des BFV, Bernd Schultz, verteidigte hingegen die harmlosen Maßnahmen: Sie hätten „eher helfenden als strafenden Charakter“. Das „Antirassismus-Training“ koste den Verein rund 1.000 Euro; „das ist schon eine Sanktion, die nicht ganz ohne ist“, meinte er.

Wesentlich härter fiel die Strafe gegen Referee Klaus Brüning aus: Er darf nie wieder ein Fußballspiel pfeifen und von keinem Verein mehr als Mitglied geführt werden. Damit schenkte das Sportgericht den Einlassungen des Unparteiischen, der keine antisemitischen Sprüche und Gesänge gehört haben wollte, keinen Glauben. „Wer auf dem Platz absolut nichts hört und darüber hinaus die Hinweise der Spieler ignoriert, rassistische Rufe zu unterbinden, der ist als Schiedsrichter nicht tolerabel“, war BFV-Präsident Schultz mit dem Urteil gegen den Spielleiter zufrieden. Auch der sportliche Leiter des TuS Makkabi, Claudio Offenberg, meinte: „Mit diesem Detail sind wir sehr einverstanden.“ Dennoch sei der Beschluss insgesamt „vollkommen inkonsequent“. Und tatsächlich ist es höchst seltsam, dass der Referee für ein Vergehen lebenslänglich gesperrt wurde, das dem Klub aus Altglienicke gleichzeitig wenig schmerzhafte Sanktionen einbrachte: Auch dessen Vertreter – namentlich die Trainerin und die Spieler – hatten in der Sportgerichtsverhandlung wahrheitswidrig angegeben, keine antisemitischen Schmähungen vernommen zu haben. Weshalb der Verein dann jedoch nicht mit einem Punktabzug belegt wird, keine Geldstrafe zu entrichten hat und mit der Teilnahme an einem vermutlich völlig folgenlosen „Antirassismus-Seminar“ – dessen Titel bereits nahe legt, dass etwa die politischen und ideologischen Unterschiede zwischen Rassismus und Antisemitismus kein Thema sein werden – eine freundliche Bewährungsauflage bekommt, ist schlicht nicht nachvollziehbar.

Das Urteil des Berliner Sportgerichts macht letztlich deutlich, dass die ganzen Kampagnen des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) und seiner Regional- und Landesverbände gegen die vor allem im Amateurfußball immer zahlreicher und schlimmer werdenden Ausschreitungen von Neonazis nicht mehr sind als hilf- und wirkungslose Appelle, die niemandem weh tun und deren Ernsthaftigkeit daher elementar in Frage gestellt werden muss. An einer Einzelperson wie einem Schiedsrichter ein Exempel zu statuieren, ist nicht schwer und heuchelt Tatkraft und Entschlossenheit, wo es zuvörderst darum geht, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Denn wenn ein Verein, dessen Zuschauer so lange antisemitische Parolen dreschen dürfen, bis die gegnerische Mannschaft vom Platz geht, dessen Spieler und Verantwortliche sich ausdauernd taub stellen und noch nicht einmal hinterher ein Wort des Bedauerns finden, von nachhaltigen und einschneidenden Maßnahmen verschont bleibt, wird das wohl kaum dazu führen, dass sich Szenen wie in Altglienicke – mit fast 20 Prozent der Wählerstimmen eine absolute NPD-Hochburg – künftig nicht wiederholen. Sprüche wie „Synagogen müssen brennen“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“ oder „Vergast die Juden“ erscheinen 61 Jahre nach Auschwitz als reines Kavaliersdelikt. Kaum zu glauben.

14.10.06

Kleine Pause (II)

Und noch einmal folgt eine kurze Pause, bis zum 18. Oktober. In der Zwischenzeit ein bisschen Werbung: Für ein Interview mit der großartigen Wafa Sultan bei Al-Jazeera. Für South Park. Für die zehn Regeln bei Verhandlungen auf dem Nahostbasar. Für Ayaan Hirsi Ali. Für Christopher Hitchens. Für Saul Friedländer. Für Dan Schueftan. Für den schönen Rudi. Und für große Haufen. Wir sind gleich wieder zurück!

Brot statt Böller!

Gestern war Freitag der Dreizehnte. Es ist nicht bekannt, ob man beim UN-Sicherheitsrat abergläubisch ist. Aber bevor noch ein Unglück passiert, hat man die Verabschiedung einer Resolution gegen Nordkorea vorsorglich auf den heutigen Samstag verschoben. Immerhin scheint ungewohnte Einstimmigkeit zu herrschen, was die Frage des Strafmaßes gegen Pjöngjang betrifft: Nachdem Russland und China die ursprünglich vorgelegten Entwürfe der USA zu scharf waren, ist jetzt nicht mehr von militärischen Maßnahmen und einem allgemeinen Waffenembargo die Rede. Stattdessen sind ökonomische Sanktionen geplant; zudem soll der Handel mit schwerem Rüstungsgerät wie Panzern und Kampfflugzeugen untersagt werden. Japan hat derweil schon eigene Schritte unternommen: Schlag Mitternacht wurden für das nächste halbe Jahr alle Häfen für nordkoreanische Schiffe gesperrt und Importe nordkoreanischer Waren gestoppt.

Von der Friedensbewegung ist jedoch noch nichts zu sehen, denn die feiert gerade das 25-jährige Jubiläum ihrer Demonstration gegen amerikanische Pershing II-Raketen und Cruise Missiles. Gegen nordkoreanisches Gerät hat sie aber vermutlich wenig bis nichts. Außerdem braucht sie auch gar nicht auf die Straße zu gehen, denn ihre islamische Dépendance hat diesbezüglich bereits Klartext gesprochen: „Der Iran ist gegen den Einsatz und die Herstellung von Atomwaffen“, tat Regierungssprecher Gholamhossein Elham schon am vergangenen Dienstag kund. Denn: „Kein Land ist befugt, Atomwaffen einzusetzen.“ Und: „Jeder Schritt, der den Weltfrieden und die Sicherheit gefährdet, ist für den Iran inakzeptabel.“ Chapeau! Und da dachte man immer, die islamische Republik wollte selbst welche haben. Aber nichts da: „Die iranischen Atomarbeiten liegen offen. Sie sollten nicht als eine Bedrohung betrachtet werden.“ Stattdessen erging die freundliche Anweisung an die Atommächte, ihr Arsenal abzurüsten. Schließlich sei Washington für den nordkoreanischen Atomtest verantwortlich. Darauf einen Malvetee! Oder ein Glas Mekka Cola!

Dabei meinte man in Israel doch glatt, Nordkorea könnte Material und Technologie zur Entwicklung von Atomwaffen an die Mullahs weitergeben. Die entsprechende Bereitschaft dazu ließ Kim Jong-Il jedenfalls verlautbaren; schließlich hat sein Land enge militärische Beziehungen zum Iran und zu Syrien und liefert beiden Boden-Boden-Geschosse sowie das Knowhow über ballistische Raketen. Aber da hat wohl einer die Rechnung ohne Ahmadinedjad gemacht. Vielleicht ist der aber auch nur eifersüchtig, weil er den Friedensnobelpreis frühestens nächstes Jahr bekommt. Jedenfalls muss der jüdische Staat sich jetzt keine Sorgen mehr machen. Dabei hatte Kabinettsminister Benjamin Ben-Eliezer noch befürchtet, der nordkoreanische Atomtest gefährde sein Land noch stärker als bisher: „Iran wartet jetzt, wie die Welt darauf reagiert. Wenn die Welt nicht stark reagiert, kann das zum Beschleuniger für den Anreicherungsprozess des iranischen Atomprogramms werden.“ Weit gefehlt: Die Mullahs reichern inzwischen nur noch das Futter für ihre Friedenstauben an. Brot statt Böller!

„Wer wirklich zündelt“, liegt daher auf der Hand: „Nach Nordkoreas Atomtest verstärken Israel und US-Neocons [ihre] Polemik gegen Iran.“ Warum? Darum: „Israelische Politiker sind zuversichtlich, dass sie den koreanischen Atomtest für ihre Kampagne gegen Iran ausschlachten können.“ Potztausend und alle Wetter! Wer spricht solches? Die gewöhnlich gut informierten Kreise bei den Nationalbolschewiken der jungen Welt, hier vertreten durch ihren Knut Mellenthin, der Dan Gillerman, dem Botschafter Israels bei den Vereinten Nationen, ganz genau auf die Lippen geschaut hat, als dieser sagte: „Ich habe das Gefühl, dass dieser Test und das internationale Meinungsklima uns zur Hoffnung berechtigen, dass wir auch gegenüber Iran mit entschiedeneren Aktivitäten des Sicherheitsrats rechnen können. Die Welt versteht weitgehend, was jetzt in Nordkorea passiert. Was Iran zu tun im Begriff ist, könnte noch weitaus schlimmer, sehr viel furchterregender und sehr viel gefährlicher sein.“ Das findet auch Dan Blumenthal vom American Enterprise Institute (AEI): Der koreanische Atomtest zeige die Vergeblichkeit von Verhandlungen mit Schurkenregimen, zitiert ihn Mellenthin und wartet danach mit Michael Rubin – ebenfalls vom AEI – auf, der der (wohl alles andere als abwegigen) Ansicht ist, der Atomversuch habe „allen Argumenten, man könne sich mit Diktatoren arrangieren, den Boden entzogen“.

Ja, dem Herrn „Journalist, Autor, Redakteur“, wie Mellenthin sich auf seiner Homepage vorstellt, macht man so leicht nichts vor, denn er hat es in punkto Akribie bereits annähernd zur Perfektion gebracht: Er tüftelt an einem „Neocon-Lexikon“, das immerhin schon bis zum Buchstaben F steht und detailliert ausführt, wer hinter der „Pro-Israel-Lobby“ in den USA steckt, welche „Rechtszionisten“ am Werk sind und wer sich sonst noch mit dem jüdischen Staat verschworen hat. Antisemitisch kann das aber nicht sein; schließlich hat Mellenthin zuvor eine umfangreiche „Holocaust-Chronologie“ erarbeitet und damit seine Solidarität mit den Juden hinreichend bezeigt. Zumindest mit den toten. Die (noch) lebenden konfrontiert er deshalb erfreut und besten Gewissens beispielsweise mit der Erkenntnis, dass Nasrallahs Truppen als „die neuen Helden der arabischen Welt“ gelten können und die „Spaltung der libanesischen Bevölkerung“ überwinden halfen: „Neue Umfrageergebnisse zeigen, dass Hizbollah mit ihrem Widerstand gegen Israels Angriffe den Respekt aller Teile der libanesischen Bevölkerung gewonnen hat. 87 Prozent der Libanesen unterstützten bei einer Umfrage Ende Juli Hizbollahs Kampf gegen Israel. Im Februar waren es 30 Prozent weniger gewesen. 80 Prozent der Christen und sogar 89 Prozent der Sunniten erklärten sich mit Hizbollah solidarisch.“

Da tut man als echter deutscher Kommunist natürlich, was man kann. Auch und gerade, wenn Freitag der Dreizehnte ist. Bevor noch ein Unglück passiert.

Hattip: barbarashm

12.10.06

Die ewige Lust der Gewohnheitstäter

Seit einiger Zeit schon treibt ein Genre neue Blüten, das zuvor durchaus an Popularität verloren hatte: Das absurde Theater rafft sich auf, der Welt neue Grotesken zu vermachen. Deren Unterhaltungswerte und Inszenierungsvermögen können sich mit den Ursprüngen dieser Ausdrucksform zwar nicht messen, aber man weiß ja, dass Geschichte, die sich wiederholt, beim zweiten Mal als Farce auftritt. Die Proben für das neueste Stück dieser künstlerischen Gattung finden zwar bisher nur virtuell statt; an Engagement – um nicht zu sagen: an Besessenheit – fehlt es gleichwohl nicht. Ob es auch live aufgeführt wird, darf jedoch füglich bezweifelt werden; irgendwie ist das Drehbuch gar zu schlecht. Und da die Protagonisten die Beschränktheit ihres Talents vielleicht sogar ahnen, bleibt den Teilnehmern und Besuchern der Podiumsdiskussion „Die ewige Lust an den Tätern – von der Schwierigkeit, den Opfern ihr Überleben zu sichern“, die am 29. Oktober das viertägige XIII. Else-Lasker-Schüler-Forum in Zürich beschließen wird, eine peinliche Performance womöglich erspart.

Nun soll an dieser Stelle gar nicht behauptet werden, man könne an dieser Welt nicht verrückt werden; meist genügt ein flüchtiger Blick in eine Tageszeitung, den Fernseher oder das Internet, um das Gegenteil konstatieren zu müssen. Das größte Problem stellen dabei allerdings diejenigen dar, die im Brustton der Überzeugung als Fleisch gewordene Vernunft sich ausweisen zu sollen meinen und doch nur durch obsessiven Verfolgungswahn, unaufklärbare Ressentiments und andere Beleidigungen des Verstandes dokumentieren, dass die Aufklärung tatsächlich im adornitischen Sinne dialektisch ist. Nicht selten genügen in diesem Zusammenhang kleinste Anlässe, um die Paranoia manisch werden zu lassen – beispielsweise die Einladung Henryk M. Broders zu einem Symposium einer Gesellschaft, die sich des Vermächtnisses einer von den Nazis verfolgten, vor 61 Jahren verstorbenen jüdischen deutschen Dichterin angenommen hat.

Das brachte jedenfalls zunächst Shraga Elam auf die Palme, einen in Zürich lebenden Mann, der sich selbst den Titel „israelischer Recherchierjournalist“ verliehen hat und stolz damit hausieren geht, Träger des gewiss weltberühmten „australischen Preises Gold Walkley Award für ausgezeichneten Journalismus“ zu sein, den er vermutlich für seine Fähigkeit zur Bildung bis dato gänzlich unbekannter Tautologien verliehen bekam. Elam hat bei seinen investigativen Untersuchungen zum Beispiel herausgefunden, dass Auschwitz eigentlich eine Besserungsanstalt war, Israel „Nazi-Methoden“ anwendet und der Zentralrat der Juden in Deutschland der „Komplizenschaft mit den israelischen Kriegsverbrechern, grober Verletzung der jüdischen Interessen und einer rassistischen Haltung“ verdächtig ist. Und er weiß, dass die Teilnahme Broders an besagter Podiumsdiskussion eine „Beleidigung für Frau Else Lasker-Schüler“ darstellt. Das hat er deshalb auch gleich dem Moderator der Veranstaltung geschrieben und in Kopie neben vielen anderen auch dem Vorstand der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft.

Hajo Jahn, der als Vorsitzender dieser Vereinigung das erwähnte Forum organisiert, muss ein freundlicher und unglaublich geduldiger Mensch sein. Und darüber hinaus auch jemand, der das freie und kontroverse Wort schätzt. Augenscheinlich nicht ahnend, mit was für einem Maniker er es zu tun hat, antwortete er Elam in bester Absicht höflich und zurückhaltend, pochte mit Rosa Luxemburg – einer Freundin Lasker-Schülers – auf die „Freiheit der Andersdenkenden“, verteidigte die Einladung Broders und lud den Berufstautologen zu den Veranstaltungen des Forums ein. Doch das brachte diesen erst so richtig auf Touren, zumal nachdem er erfuhr, dass die ursprünglich eingeladene, in Tübingen lebende Schriftstellerin und Anwältin Felicia Langer nicht an der Diskussion teilnehmen wird, weil die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft deren nicht eben geringen Honorarforderungen nicht nachkommen konnte noch wollte.

Was folgte, war nach Jahns Worten ein „kleines Bombardement von Mails und Anrufen“ – von den in solchen Fällen üblichen Verdächtigen wie etwa Erhard Arendt, Arne Hoffmann, Abraham Melzer, Hajo Meyer, Rainer Rupp und Claudia Karas –, mit dem er zur Ausladung des Publizisten genötigt werden sollte: „Alle Mails wurden gleichzeitig an eine Reihe von Persönlichkeiten geschickt, um zu imponieren oder um mich einzuschüchtern?“, schrieb Jahn auf der Website der Gesellschaft, und er wunderte sich ein wenig über die Praktiken des „Recherchierjournalisten“: „Eine Vorabanfrage, ob einige der in den gemailten Vorwürfen aufgestellten Behauptungen stimmen, hat es durch den Zürcher Journalisten Shraga Elam bei mir nicht gegeben.“ Auch für Argumente scheine dieser nicht zugänglich zu sein; vielmehr beharre er „auf seiner Anweisung, Henryk M. Broder auszuladen“. Jahn hätte alles Verständnis dieser Welt verdient gehabt, wenn er die Debatte nicht zuletzt mit dem Verweis auf die Priorität wichtigerer Dinge beendet und den Ukas Elams einfach ignoriert hätte, doch Transparenz war ihm eine vornehme Pflicht: „Als zum Schluss die Androhung kam, nunmehr eine Kampagne gegen [Broders] Teilnahme zu organisieren, habe ich mich entschlossen, den Vorgang öffentlich und auch Herrn Broder (Foto) zugänglich zu machen, um jedem Interessenten ein eigenes Bild zu ermöglichen.“

Wie zu erwarten war, genügte das den aufrechten Kämpfern für Frieden & Gerechtigkeit nicht, und so hackten sie eilends einen Aufruf „gegen die Beteiligung Henryk M. Broders am ELS-Forum in Zürich und gegen die Ausladung von Felicia Langer“ in die Tasten, stilisierten sich in ihm erneut zu den wahren Sachwaltern Lasker-Schülers und attackierten Broder mit heiligem Zorn als „Stichwortgeber für Rechtsradikale“, der zudem noch „vulgär“ und „zynisch“ und daher „auf einer Gedenkveranstaltung für eine friedliebende Lyrikerin völlig fehl am Platze“ sei: „Mit ihrem Engagement für Versöhnung und Verständigung steht die mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Felicia Langer der verstorbenen Lyrikerin geistig näher als Broder.“ Als Beleg führten die Initiatoren des Aufrufs einen Ausschnitt aus einem Beitrag Broders in der Jüdischen Allgemeinen vom 17. März 2005 auf, in dem es hieß: „Es stimmt, Israel ist heute mehr Täter als Opfer. Das ist auch gut und richtig so, nachdem es die Juden fast 2000 Jahre lang mit der Rolle der ewigen Opfer versucht und dabei nur schlechte Erfahrungen gemacht haben. Täter haben meistens eine längere Lebenserwartung als Opfer, und es macht mehr Spaß, Täter als Opfer zu sein.“

Was als schlagender Beweis dafür dienen soll, dass es besonders perfide sei, den Verfasser solcher Zeilen zu einer Diskussion mit dem Titel „Die ewige Lust an den Tätern“ einzuladen, entpuppt sich jedoch bestenfalls als Bauernschläue und noch weit mehr als Beleg dafür, dass sich hinter dem Ruf nach Frieden bloß die Mörder verschanzen, wie der verstorbene frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, es einmal treffend formulierte. Denn der Antizionismus toleriert in all seinen Varianten Juden nur tot oder als willige Kronzeugen gegen Israel. Sie haben das ewige Opfer zu sein; sobald sie sich zur Wehr setzen gegen das Mordprogramm derer, die sie lieber heute als morgen ins Meer treiben oder anderweitig ins Jenseits befördern wollen, ist Schluss mit lustig. Der christliche Antijudaismus, der moderne Antisemitismus, die Rücknahme bürgerlicher Gleichheitsversprechen inklusive der damit verbundenen Assimilationsangebote, der nationalsozialistische Massenmord, die stalinistische Judenverfolgung, die deutsche Schuldabwehr, der Antizionismus und die djihadistischen Fanale – all diese historischen und gegenwärtigen Erfahrungen unterstreichen die Legitimität der zionistischen Idee und die unbedingte Notwendigkeit eines Staates Israel als bewaffnete Notwehr gegen den eliminatorischen Judenhass auf dieser Welt. Das ist es, was Broder mit polemischer Eleganz auf den Nenner brachte. Doch das versteht nicht, wem das Ressentiment – mithin also die Lust an den Tätern und der Unwille, den prospektiven Opfern des antisemitischen Furors ihr Überleben zu sichern – längst die Synapsen verkleistert hat.

Felicia Langer hingegen ist die in friedensbewegten Kreisen willkommene Kronzeugin gegen den jüdischen Staat, weil sie die angebliche Kompromissbereitschaft der vernichtungswütigen Hamas lobt, die Selbstmordattentate zu Verzweiflungstaten verniedlicht und das allemal völkische Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser einklagt, die längst gezeigt haben, wozu sie fähig sind, wenn man sie gewähren lässt. All dies zu einem „Engagement für Versöhnung und Verständigung“ umzulügen und auch noch in die Tradition Else Lasker-Schülers zu stellen, ist strafrechtlich wohl irgendwo im Bereich zwischen der Störung der Totenruhe und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener anzusiedeln, zumal wenn derlei Frevel ausgerechnet von Leuten in Szene gesetzt wird, die selbst keinen Satz geradeaus zu formulieren imstande sind, sich aber als legitime Erben einer Sprachkünstlerin begreifen, die nicht zufällig mit Karl Kraus befreundet war. Auch deshalb ist es eine ausgesprochen weise und geschichtsbewusste Entscheidung, Henryk M. Broder als Diskutanten für das Symposium zu gewinnen.

Das ganze Elend, nachzulesen auf der Achse des Guten:
Zwergenaufstand in Zürich – Was tun?
Der Zwergenaufstand geht weiter
Zwergenaufstand Runde zwei – Frau Evelyn ist auch dabei
Mullahs Little Helper
Alle Else oder was?


Oberes Bild: Else Lasker-Schüler (Radierung, 2003)

10.10.06

Makkabi chai!

Seit knapp einem Monat ist im Berliner Centrum Judaicum die bis zum 15. Dezember dauernde Ausstellung „Kicker, Kämpfer, Legenden – Juden im deutschen Fußball“ zu sehen. Sie beschäftigt sich mit den jüdischen Fußballpionieren wie etwa dem Gründer der Fachzeitschrift kicker, Walther Bensemann, den deutschen Nationalspielern Julius Hirsch und Gottfried Fuchs – letzterer ist bis heute mit zehn Toren in einem Spiel und einer Quote von sage und schreibe 2,33 Treffern pro Spiel immer noch einsamer Rekordhalter –, dem langjährigen Präsidenten von Bayern München, Kurt Landauer, oder dem Erfolgstrainer Richard „Little“ Dombi. Und sie befasst sich mit dem Antisemitismus im deutschen Fußball, der bis heute ein ständiger Begleiter jüdischer Klubs, Trainer und Spieler ist. Der TuS Makkabi Berlin kann ein Lied davon singen, wie die Ausstellung dokumentiert. Zwei Wochen nach deren Beginn ereignete sich in einem Spiel der Reservemannschaft des Vereins bei der Zweitvertretung der VSG Altglienicke ein neuerlicher Vorfall: Eine Gruppe Neonazis grölte unentwegt antisemitische Parolen, die sowohl der Schiedsrichter als auch die Trainerin der Gastgeber partout nicht vernommen haben wollen. Nach 78 Minuten verließen schließlich die Makkabi-Spieler den Platz; die Partie wurde abgebrochen. Am heutigen Dienstag kommt es deshalb zu einer Sportgerichtsverhandlung.

„Synagogen müssen brennen“, „Führer, Führer, Führer“, „Auschwitz ist wieder da“, „Dies ist kein Judenstaat, dies ist keine deutsche Judenrepublik“, „Vergast die Juden“, „Wir bauen eine U-Bahn bis nach Auschwitz“ und andere Parolen hätten die Nazis skandiert respektive gesungen, berichtet Vernen Liebermann, Mittelfeldspieler des TuS Makkabi, und er ergänzte: „Ich hatte den Eindruck, Spieler und Störer kannten sich.“ Letztere hätten sich unmittelbar neben die Bank gestellt, auf der die Trainerin und die Reservisten der Altglienicker saßen, und in regelmäßigen Abständen ihre antisemitischen Tiraden zum Besten gegeben. Liebermann weiter: „Die Stimmung in einem sehr fairen Spiel wurde aber nicht nur dadurch aggressiver, sondern auch ganz klar durch den Schiedsrichter, der leider nicht die Sensibilität aufbrachte, um die Gemüter zu beruhigen, sondern durch das schnelle Zücken von gelben Karten gegen die Spieler von Makkabi, die Aberkennung eines regulären Tors, das Wegschauen und das nicht Hinhören die ganze Situation anheizte. Zusätzlich verwies er den Trainer des TuS Makkabi des Platzes.“ Während des Spiels sei der Referee mehrfach auf die Hassgesänge aufmerksam gemacht worden – ohne Erfolg. „Mitte der zweiten Halbzeit, nachdem die Anhänger des VSG Altglienicke immer mehr Bier getrunken hatten und schon fast auf dem Platz standen, bekamen einige Spieler des TuS Makkabi Angst und fragten sich, wie das hier enden soll, wenn die gegnerischen Fans immer aggressiver würden“, schilderte Liebermann den weiteren Verlauf.

Eine Viertelstunde vor dem regulären Spielende habe Mitspieler Raffael Tepmann nach einer neuerlichen antisemitischen Parole deren Urheber dann die Meinung gesagt – und vom Schiedsrichter dafür die gelbe Karte bekommen. Er selbst sei mit der gelb-roten Karte des Feldes verwiesen worden, nachdem er zum Referee gesagt habe: „Wenn Sie eine Funken Anstand haben für die Geschichte in diesem Land, dann müssen Sie uns jetzt helfen.“ Sein Team habe sich schließlich entschieden, „den Platz [zu] verlassen, um so schnell wie möglich die Heimreise anzutreten. Die Angst war berechtigt, stellten die letzten Spieler fest, als sie die Kabine verließen, denn vor dem Sportgelände, wo die Autos parkten, wurde eben diesen Spielern aufgelauert. Sie wurden sowohl verbal, als auch körperlich bedroht“. Liebermann bekräftigte zudem seine Kritik am Unparteiischen: „Der einzige Mensch, der das Recht hatte, offiziell in dieser Situation dem TuS Makkabi zu helfen und ein Exempel zu statuieren“, habe es vorgezogen, Augen und Ohren zu verschließen. „Dieser Umstand machte uns Sorgen, bestärkte uns aber gleichermaßen, selbst zu handeln und den Platz zu verlassen, bevor es noch mehr eskaliert wäre. Nachdem wir den Platz verlassen hatten, hielt sich der Schiedsrichter noch etwa 25 Minuten mit den gegnerischen Spielern und Anhängern auf und unterhielt sich, wie es uns schien, sehr angeregt mit diesen, anstatt den Ernst der Lage zu erkennen und mehr Toleranz und Courage zu zeigen.“

Der Kritisierte, Referee Klaus Brüning, stellte sich in seinem schriftlichen Sonderbericht taub: „Da ich nichts gehört hatte, konnte ich nicht eingreifen.“ Er habe aber „beide (!) Mannschaften ermahnt“, „dass ich ausländerfeindliche Äußerungen und Beschimpfungen bestrafen werde“. Auch Kerstin Forchert, Trainerin der VSG Altglienicke, konnte sich nicht an antijüdische Hassparolen erinnern, wollte aber trotzdem beherzt eingegriffen haben: „Auf Grund“ (!) einer roten Karte gegen einen Makkabi-Spieler „soll es eine Äußerung eines uns unbekannten Zuschauers gegeben haben, die weder ich noch der Schiedsrichter hörten. Es soll sich hierbei um eine ausländerfeindliche Parole gehandelt haben. Als ich erkannte, dass der Spieler mit der Nummer acht von TuS Makkabi [Vernen Liebermann] und dieser Zuschauer diskutierten, schickte ich alle dort vorhandenen Zuschauer von der Sportanlage.“

Folgt man den Einlassungen des Referees und der Altglienicker Übungsleiterin, gab es offenbar keine rechtsradikalen Zuschauer, sondern nur Gästespieler, die mit übertriebenen Unsportlichkeiten ein völlig normales Fußballspiel grundlos zur Eskalation brachten. Der Unparteiische hatte bis zum Abbruch gleich drei Makkabi-Spieler des Feldes verwiesen und den Trainer von der Seitenlinie verbannt – nach eigenen Angaben jeweils wegen übermäßiger Proteste und Beleidigungen – sowie weitere Sanktionen gegen den Gästeklub angedroht. Und die Trainerin behauptete: „In der Halbzeitpause wurde der Schiedsrichter von einigen Spielern sowie vom Trainer von TuS Makkabi beschimpft und beleidigt, woraufhin der Schiedsrichter nicht in seine Kabine ging, sondern draußen auf der Tribüne blieb. Der Trainer von TuS Makkabi betitelte ihn auch als Arschloch.“ Von der Situation, in der ein Makkabi-Kicker mit den Zuschauern aneinander geriet, gab sich der Referee vollkommen überrascht: „Auf einmal fühlte sich ein Spieler von Makkabi von den Zuschauern beleidigt, und alles stürzte zur Seitenlinie, wo die Zuschauer standen.“ Als Konsequenz zeigte er eine gelb-rote Karte gegen Liebermann, weil der seine Mitspieler zum Verlassen des Platzes aufgefordert habe. Auch Coach Kerstin Forchert sah in dem Makkabi-Akteur den eigentlichen Schuldigen: „Das Publikum war im Begriff zu gehen, als der Spieler mit der Nummer acht, der noch immer nicht das Spielfeld verlassen hatte, dem Zuschauer eine Bemerkung hinterher rief, worauf sich die gehenden Zuschauer noch einmal umdrehten.“

Diese Schilderungen erscheinen allerdings wenig glaubwürdig, zumal sowohl Spieler als auch einige Vereinsangehörige der VSG Altglienicke eine ganz andere Sicht auf die Dinge haben: Im Webforum des Klubs zeigten sich Mitglieder entsetzt von den Vorfällen und entschuldigten sich bei Makkabi*, und in einem Forum der Berliner Zeitung Tagesspiegel kommentierte ein Altglienicker Spieler die Geschehnisse, schrieb von „pöbelnden Idioten“ und „dummen Hassparolen“ und berichtete: „Kurz nach Spielende gingen einige Spieler meiner Mannschaft in die Kabine TuS Makkabis und entschuldigten sich für die verbalen Attacken.“ Zuschauer hätten die Polizei alarmiert, die jedoch erst eine Stunde später eingetroffen sei. Inzwischen habe der Verein Anzeige erstattet. „Wir haben zwei Personen ermittelt, die dabei gewesen sein sollen“, sagte der Altglienicker Jugendkoordinator Sven Klebe; „gegen diese Leute haben wir ein Stadionverbot verhängt“. Warum ein Engagement seitens der Altglienicker Kicker und Verantwortlichen nicht schon während der Partie möglich war, bleibt jedoch ein Rätsel.

Eine knappe Woche nach dem Spielabbruch bezog schließlich auch der Berliner Fußball-Verband (BFV) Position, dem der TuS Makkabi zuvor Passivität und den Versuch, „Gras über die Sache wachsen zu lassen“, vorgeworfen hatte. In einer Pressemitteilung kündigte der BFV Konsequenzen an und versprach, die Vorschriften des Weltfußballverbands FIFA umzusetzen, nach denen bei rassistischen respektive antisemitischen Schmähungen und Handlungen empfindliche Strafen gegen die betreffenden Vereine ausgesprochen werden können – ein Schritt, der längst hätte erfolgen müssen. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wurde über die Ereignisse in Altglienicke informiert. Der Makkabi-Vorsitzende Tuvia Schlesinger äußerte in einem offenen Brief an den BFV seine Zufriedenheit über die Bemühungen des Verbandes, erneuerte jedoch auch seine Kritik: „Weder der Schiedsrichter noch die Funktionäre des Heimvereins machten nur den geringsten Versuch, dieses skandalöse und menschenverachtende Verhalten zu unterbinden. [...] Selbst nachdem unsere Spieler in der 78. Minute das Spielfeld verließen, weil sie sich nicht mehr dem über das ganze Spiel andauernden, psychischen Druck und diesen irregulären Verhältnissen sowie [der] pogromartigen Stimmung aussetzen wollten, wurde seitens des Heimvereins und des Schiedsrichters nicht dafür Sorge getragen, dass unsere Spieler belästigungsfrei die Kabine verlassen und die Heimfahrt antreten konnten. [...] Hier wurden schwere verfassungsfeindliche Straftaten begangen, die durch Vertreter des Vereins und des BFV durch ihre Passivität geduldet wurden.“ Am heutigen Dienstag nun werden um 18.30 Uhr im Haus des Fußballs in der Berliner Humboldtstraße 8a im Rahmen einer Sportgerichtssitzung die Vorfälle erörtert und die drei Platzverweise gegen Makkabi verhandelt. Man darf gespannt sein, zu welchen Ergebnissen die Spruchkammer kommt – und ob sie die VSG Altglienicke mit Sanktionen bedenkt oder am Ende gar den TuS Makkabi für den Spielabbruch verantwortlich macht und ihm Punkte abzieht.

Die antisemitischen Ausschreitungen in diesem Kreisligaspiel waren dabei ein weiterer Höhepunkt einer Entwicklung, die es schon länger im Berliner Fußball – und nicht nur dort – gibt. Bereits nach dem Aufstieg der ersten Mannschaft Makkabis in die Landesliga vor etwas mehr als einem Jahr hatte deren Trainer Claudio Offenberg in einem von Martin Endemann für das Magazin Ballesterer geführten Interview** eine Zunahme der Ressentiments festgestellt: „Der Aufstieg sei erkauft, die Spieler spielten nicht für die Ehre, sondern nur für einen Haufen Geld. Das funktioniert dann oft in dem Tenor, jetzt spielen die Proletarier gegen die jüdischen Millionarios.“ Nun konstatierte der Coach der Mannschaft, die mittlerweile sogar in der Verbandsliga spielt, erneut: „Die Stimmung ist in letzter Zeit aggressiver geworden.“ Pöbeleien von Gegenspielern und Zuschauern seien nichts Ungewöhnliches. Das könne man nicht an einzelnen Vereinen festmachen, sagte Offenberg; „es ist eher ein undefinierbares Gemisch, was uns da entgegenschlägt“. Und der Vorsitzende Tuvia Schlesinger berichtete: „Nach einem Spiel sind Spieler als Judensäue beschimpft worden.“

Trauriger Alltag für einen Klub, der 1898 unter dem Namen Bar Kochba ins Leben gerufen wurde und dem die Nationalsozialisten 1938 ein Ende setzten. 1970 gründete sich Makkabi neu und schaffte es in den 1980er Jahren bis in die damals höchste deutsche Amateurklasse, die Oberliga, bevor fehlende finanzielle Mittel den Verein bis in die Niederungen des Freizeitkickens stürzten. Nun spielt er in der höchsten Klasse des BFV, hat rund 500 Mitglieder und ist einer von 30 Makkabi-Klubs in Deutschland. In der ersten Mannschaft „gibt es Christen, Juden, Buddhisten und Muslime“, erzählte Trainer Offenberg; Radio Berlin-Brandenburg bezeichnete den Klub als „wahrscheinlich ethnisch bunteste Mannschaft Berlins“. In ihr spielen unter anderem Türken und Iraner, Polen und Russen, Armenier und Inder, Chinesen und Deutsche. Ende April dieses Jahres richtete der TuS Makkabi Berlin gemeinsam mit der European Maccabi Confederation und Makkabi Deutschland die jährlich stattfindende Maccabi-Football-Trophy aus, ein europäisches Turnier für Auswahlmannschaften, an dem die Makkabi-Nationalteams aus Großbritannien, Ungarn, Russland und Deutschland ihren Europameister ermittelten. Gewidmet wurde der diesjährige Wettbewerb Julius Hirsch – einem jüdischen Fußballpionier und Nationalspieler. Er wurde in Auschwitz von den Deutschen ermordet.

Update 11. Oktober 2006: Das Sportgericht vertagte sich nach einer mehr als vier Stunden dauernden Verhandlung auf den kommenden Freitag. Bernd Schultz, Präsident des Berliner Fußball-Verbandes, sagte jedoch bereits gestern Abend, er halte die Darstellung der Makkabi-Spieler für glaubwürdiger als die Angaben des Schiedsrichters und der Altglienicker Trainerin: „Wir wollen uns nicht mit Aussagen abfinden, dass der Schiedsrichter nichts gehört und nichts gesehen hat.“ Schultz kündigte entsprechende Schulungen für Vereinsvertreter und Referees an. Nach seiner Auffassung droht Altglienicke neben einem Punktabzug eine Geldstrafe von bis zu 3.000 Euro.

Update 18. Oktober 2006: Das Urteil ist gesprochen – siehe den Beitrag Kavaliersdelikt Antisemitismus auf diesem Blog.

* Die Einträge wurden nach kurzer Zeit gelöscht; eine Kopie ist jedoch auf der Homepage des TuS Makkabi zu sehen.
** Printausgabe, nicht online abrufbar.

Hattip: Clemens Heni