31.1.07

By any means necessary

Demonstrationen für Israel sind eine Seltenheit in Deutschland. Am vergangenen Sonntag jedoch gab es eine in Berlin, organisiert von I like Israel und Honestly Concerned, an der etwa 1.500 bis 2.000 Menschen bei widrigstem Wetter teilnahmen. Verschiedene Redner formulierten ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat und forderten einen sofortigen Stopp des iranischen Atomprogramms. „Deutschland muss sich entscheiden, ob es an der Seite des Iran Partei gegen die USA ergreifen will, oder an der Seite der USA Partei gegen den Iran“, stellte beispielsweise Matthias Küntzel klar und hielt fest: „Das Land der Holocaust-Täter ist für das Land der Holocaust-Leugner der wirtschaftspolitische Komplize Nr. 1“. Selbst nach den unverhohlenen Vernichtungsdrohungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedjad habe die Bundesregierung die Neu-Investitionen deutscher Konzerne im Land der Mullahs noch mit stattlichen Hermesbürgschaften honoriert, erläuterte der Publizist: „Hermes-Bürgschaften garantieren, dass der Staat die Verluste deutscher Firmen im Iran aus Steuermitteln ersetzt. Sie lenken deutsche Investitionen dahin, wo man sie aus politischen Gründen haben will. So wurden mit Unterstützung der Bundesregierung allein in der ersten Jahreshälfte 2006 Waren im Wert von 2,3 Milliarden Euro in den Iran exportiert.“ 70 Prozent der iranischen Industrie gehörten dem staatlichen Sektor an; die von der Bundesregierung geförderten Geschäfte würden nicht mit unabhängigen Firmen, sondern mit eben jenem Regime gemacht, das die Auslöschung Israels vorbereitet, so Küntzel.

Eine solche Zusammenarbeit lässt sich schwerlich noch Appeasement nennen; Kollaboration wäre wohl der weitaus treffendere Begriff. Auch der Jüdische Studentenverband Berlin (JSB) wies darauf hin, dass es die deutsche und europäische Politik seien, die Ahmadinedjad seine Vorhaben erst ermöglichten. „Israel wird nicht die Tschechoslowakei des heutigen Jahrhunderts werden!“, forderte ein Vertreter des JSB in einem Redebeitrag, und er machte weiter deutlich: „Stimmen in Europa, die sich für windelweiche Sanktionen gegen den Iran einsetzen, sind keine Friedensaktivisten, sondern unverbesserlich naive und verwirrte Angsthasen.“ Denn: „Der oberste Repräsentant der iranischen Regierung unterstützt offen den Terrorismus und leugnet den Holocaust. Europa, das sich brüstet, seine neue Identität aus den Lehren des Holocaust gewonnen zu haben, müsste aufstehen und erklären, mit allen denkbaren Mitteln gegen den Iran und seine Pläne vorzugehen.“ Lizas Welt dokumentiert im Folgenden die bisher unveröffentlichte Rede.


Jüdischer Studentenverband Berlin (JSB)

Stoppt den iranischen Krieg gegen Israel!


62 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz rückt der Iran die Leugnung des Holocaust ins Zentrum seiner Politik. Der Staat Israel wird diffamiert und angegriffen. Die Bewohner des jüdischen Staates stehen jedoch nicht erst heute im Visier des antisemitischen Terrorregimes in Teheran. Denn der Iran hat Israel längst den Krieg erklärt: Die Mullahs schürten ihn bereits vergangenen Sommer. Israel musste sich der Angriffe von Terroristen erwehren, die über Jahre hinweg in Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Moscheen und Wohnkomplexen ihre Hauptquartiere und Waffendepots errichtet hatten. Die mit Eisenkugeln gefüllten iranischen Katjuscha-Raketen sorgten für Tod und Zerstörung in Israel.

Es ist der Iran, der den Krieg im Irak eskalieren lässt. Es ist der Iran, der den Libanon destabilisiert. Es ist der Iran, der den internationalen Terrorismus anführt. Neu ist der Antisemitismus des dortigen Regimes nicht. Neu ist aber, dass die Terroristen bald eine Atombombe zur Verfügung haben. Wir demonstrieren hier gegen den gefährlichsten Politiker der Welt. Wir demonstrieren aber auch gegen die gefährlichen Appeasement-Politiker der internationalen politischen Bühne. Israel wird nicht die Tschechoslowakei des heutigen Jahrhunderts werden!

Es ist dieselbe Welt auch heute, in der der Holocaust geschehen ist – die Welt, die ihn geduldet und dazu geschwiegen hat und die erst viel zu spät gegen das Verbrechen eingeschritten ist. Und erinnern wir uns: Die Nationalsozialisten haben sehr schnell ihren Blutdurst auf ganz Europa ausgebreitet. Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Kultur werden von Ahmadinedjad angeprangert und bekämpft. Auch Deutschland wird nicht verschont bleiben. Der fundamentalistische Iran erwartet mit dem Beginn eines Weltkriegs das Kommen des Mahdis. Und auch dafür rüstet er sich. Wird sich Europa dagegen wehren können?

Stimmen in Europa, die sich für windelweiche Sanktionen gegen den Iran einsetzen, sind keine Friedensaktivisten, sondern unverbesserlich naive und verwirrte Angsthasen. An ihrer Brust trugen sie früher Abzeichen mit dem Schriftzug „Atomkraft, nein danke!“ oder „Peace“. Heute könnte auf diesen Ansteckern stehen: „Der Iran hat ein natürliches Recht auf Atomkraft!“ Diese Menschen nehmen die Auslöschung des jüdischen Staates und auch Europas in Kauf. Sie fordern Krieg und Vernichtung. Hat Europas Außenpolitik wirklich nichts aus dem Holocaust und den zwei Weltkriegen gelernt?

Hier in Berlin regiert ein schwuler Bürgermeister. Das wäre im Iran nicht gut so. Denn dort werden Homosexuelle, Regimegegner, säkulare Menschen, Kurden, zu laut gewordene Frauen und Journalisten verfolgt, gefoltert, hingerichtet oder für Jahrzehnte in menschenunwürdige Gefängnisse gesperrt. Der oberste Repräsentant der iranischen Regierung unterstützt offen den Terrorismus und leugnet den Holocaust. Europa, das sich brüstet, seine neue Identität aus den Lehren des Holocaust gewonnen zu haben, müsste aufstehen und erklären, mit allen denkbaren Mitteln gegen den Iran und seine Pläne vorzugehen. Der Regimewechsel ist erst die Voraussetzung für Weiteres.

Deutschland darf seine Außenpolitik nicht mehr an wirtschaftlichen Eigeninteressen ausrichten, sondern sollte sich an der amerikanischen Außenpolitik orientieren. Der Kampf gegen Terrorismus hat oberste Priorität. Lösen wir uns vom alten Europa der erneuerten Vichy-Hitler-Ideologie eines Gerhard Schröder und Jacques Chirac, und üben wir den Schulterschluss mit unseren amerikanischen Freunden. Deutschland und ganz Europa stehen vor großen außenpolitischen und innenpolitischen Herausforderungen. Heute muss alles daran gesetzt werden, den Iran – und all jene, die ihn unterstützen – zu isolieren und notfalls mit allen Mitteln von seinem Plan abzubringen, die nukleare Auslöschung des jüdischen Staates Israels zu realisieren. Nachsicht bedeutet Teilhabe an der Planung und Durchführung der Vernichtung der Bewohner Israels. Europa hat schon einmal Nachsicht geübt. Jeder, der es ernst meint mit dem Bekenntnis, aus dem Holocaust Konsequenzen gezogen zu haben, muss jetzt aufstehen und fordern, mit allen verfügbaren Mitteln zu handeln.

Daher fordern wir: Stoppt den iranischen Krieg gegen Israel! Keine Beziehungen zum Terror-Iran! Keine Waffen für den Iran! Und wir rufen feierlich aus: Lang lebe Israel! Lang leben die Vereinigten Staaten von Amerika! Lang lebe das neue Europa!

Fotos: Ex-Blond

29.1.07

Soundtrack des Terrors

Auf den ersten, flüchtigen Blick ist es schwierig, die Bilder aus Gaza und Beirut voneinander zu unterscheiden. Seit Tagen eskaliert hier wie dort die Situation: Während im palästinensischen Gazastreifen einmal mehr Hamas und Fatah aufeinander losgehen und dabei seit dem vergangenen Freitag 25 Menschen starben, veranstaltet die Hizbollah in der libanesischen Hauptstadt – unterstützt von der palästinensischen PFLP und dem Islamischen Djihad – neuerliche Riots, auch wenn sie den vollmundig angekündigten Generalstreik gegen die libanesische Regierung abgesagt hat. Selbst Libanons Premierminister Fuad Siniora bezeichnet die Gotteskriegertruppe inzwischen als terroristisch und nicht mehr, wie bisher, als Widerstandsorganisation. Der Journalist Michael Totten schrieb, Hizbollah-Führer Hassan Nasrallah habe die Kontrolle über seine Gefolgschaft verloren: „Das macht die Angelegenheit für ihn und den Libanon sogar noch schlimmer. Die Hizbollah und ihre Fans wissen nicht, wann sie aufhören müssen. Ihre Wahnvorstellungen von Überlegenheit, Stärke und Popularität könnten ihr das Genick brechen. Sie haben diesen Fehler mit den Israelis begangen und aus dieser Erfahrung überhaupt nichts gelernt.“ Abgesehen davon wird man konstatieren müssen, dass es tatsächlich etwas noch Schlimmeres gibt als Mordbanden mit Anführern wie Hanija oder Nasrallah: zersplitterte und völlig außer Rand und Band geratene Killertruppen ohne diese Figuren nämlich.

In jedem Fall hat die Hizbollah seit Freitag letzter Woche zwei Bunker weniger: Die israelische Armee sprengte die in unmittelbarer Nähe zur israelischen Grenze gelegenen Verstecke, die offenbar dazu dienten, israelische Soldaten zu beobachten. Einige Wochen zuvor hatte die IDF bereits Waffen und militärisches Gerät gefunden und zerstört, das augenscheinlich der Hizbollah-Einheit gehörte, die die beiden israelischen Soldaten Eldad Regev and Ehud Goldwasser entführt hatte. Die Uno-Truppe UNIFIL, zu deren Aufgaben das Aufspüren von solcherlei Equipment eigentlich gehört, ist zu diesem Vorgehen ganz offensichtlich immer noch nicht in der Lage. Dennoch konnte sie gestern ihr ganzes Potenzial ausschöpfen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete:

„Bunte Luftballons mit einem hebräischen Schriftzug, die offenbar Teil einer Werbeveranstaltung der israelischen Zeitung ‚Haaretz’ waren, haben im Südlibanon Panik in der Bevölkerung ausgelöst. Die Bewohner von Nabatijeh und Tyrus baten die libanesische Armee um Hilfe, nachdem fünf Menschen nach Kontakt mit den grünen und orangefarbenen Ballons ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Sie litten unter Übelkeit und Schwindelgefühlen. Der Hizbollah-Fernsehsender ‚El Manar’ warnte, die israelische Luftwaffe habe Ballons mit giftigem Inhalt über libanesischem Gebiet fliegen lassen. Die libanesische Armee und Truppen der UN-Mission UNIFIL zerstörten die Ballons.“

Endlich ein Erfolgserlebnis für die Einheiten der Vereinten Nationen im Libanon: Wenn sie schon keine israelischen Kampfflugzeuge abschießen dürfen, bezwingen sie immerhin als „Teil einer Werbeveranstaltung“ getarnte, in Wahrheit jedoch mordsgefährliche Flugobjekte „mit einem hebräischen Schriftzug“ und verhindern so, dass der jüdische Staat mit besonders perfiden Mitteln Pest und Tod über sein Nachbarland bringt. Mann, wer hätte das gedacht? Vermutlich noch nicht einmal Nena.

Hattips: barbarashm, Rowlf_the_Dog

26.1.07

Double Standards

Es gehört zum Repertoire des Antizionismus, an Israel gänzlich andere Maßstäbe anzulegen als an andere Staaten, also mit double standards zu arbeiten. Damit einher geht eine Verdrehung von Ursache und Wirkung, von Tätern und Opfern; wie auch immer der jüdische Staat sein Tun begründet: Es wird ihm als Winkelzug, Ausflucht oder Vorwand zur Unterdrückung angeblich unschuldiger Menschen ausgelegt. Wenn etwa die Palästinenser mehrheitlich eine antisemitische Terrorbande in die Regierung wählen, deren erklärtes Ziel die Vernichtung Israels ist, und das dergestalt bedrohte Land daraufhin Sanktionen verhängt, sich also nicht einfach so von der Landkarte tilgen lassen will, heißt es beispielsweise: „Kollektivstrafe für Hamas-Wahl“ – und gleich anschließend: „Im Gazastreifen leben eingesperrt von der Besatzungsmacht mehr als eine Million Palästinenser“. Ganz Gaza sei ein einziges „großes Gefängnis“, und die Welt schaue dabei zu. Daher müsse man sich nicht wundern, wenn Raketen abgefeuert werden und sich Selbstmordattentäter auf den Weg machen – so mutiert blanker Terror zu legitimem Widerstand gegen ein per se illegitimes Land. Mehr zu diesem anhaltenden Realitätsverlust weiß Karl Pfeifer.


Karl Pfeifer

Immer wiederkehrender Realitätsverlust


Das nationalbolschewistische Zentralorgan junge Welt aus Berlin lässt John Pilger (Foto) eine Jeremiade über die schrecklichen Lebensbedingungen im Gazastreifen vorbringen. Zu den Ursachen dieses Zustandes verlautbart der „preisgekrönte australische Journalist, Buchautor und Dokumentarfilmer“: „Der Vorwand für die anhaltenden israelischen Terrorangriffe ist die Gefangennahme eines israelischen Soldaten, eines Mitgliedes einer illegalen Besatzung, durch den palästinensischen Widerstand.“ Die Kassam-Raketen also, die auf israelisches Gebiet fallen, sind nach seiner Logik Teil des Widerstands, und wenn ein israelischer Soldat aus israelischem Gebiet – also innerhalb der Grünen Linie, die bei den Waffenstillstandsvereinbarungen 1949 gezogen wurde – entführt wird, dann kann laut Pilger daraus gefolgert werden, dass das legitim ist, weil ganz Israel illegitim ist und liquidiert gehört, wie es die Hamas fordert. Anstatt die Ursachen des Zustands zu beseitigen – also den Beschuss durch Kassam-Raketen zu stoppen –, fährt sie mit ihrem Tun fort; anstatt Israels Existenz anzuerkennen, erklären sie weiterhin, das niemals tun zu wollen, um gleichzeitig über die Reaktion der von ihnen angegriffenen Nachbarn Krokodilstränen zu vergießen. Wer das Verhalten Israels gerecht beurteilen will – und Pilger und die Nationalbolschewisten wollen das selbstverständlich nicht –, der muss es mit dem Verhalten anderer Staaten in ähnlicher Lage vergleichen, beispielsweise mit dem Verhalten Russlands in Tschetschenien. Und da fällt auf, dass alle arabischen und muslimischen Länder eng befreundet sind – mit einem Land, das ganz anders gegen ihre muslimischen Brüder und Schwestern vorgeht als Israel.

John Pilger macht für die Tatsache, dass im Gazastreifen 1,4 Millionen Menschen leben, Israel verantwortlich. Laut Meyers Universallexikon (1) hatte der Gazastreifen im Jahre 1979 nur 500.000 Einwohner. Für ein derartigen Bevölkerungszuwachs trägt Israel insofern eine Verantwortung, als es die Gesundheitsfürsorge und die hygienischen Verhältnisse während der Besatzung bis Sommer 2005 wesentlich verbessert hatte. Doch schauen wir uns die Ziffern der Uno an (2), die sich noch auf alle besetzten Gebiete bezieht und in der Zeit von 2000 bis 2003 „gewaltige Rückschritte bei der menschlichen Entwicklung“ feststellt. Die Armutsrate vor September 2000 lag bei 20,1 Prozent und stieg bis 2003 auf 55,1 Prozent, während die Arbeitslosenrate im gleichen Zeitraum von 10,0 auf 30,5 Prozent stieg. Dafür sind diejenigen verantwortlich, die 2000 die Terrorwelle namens Intifada gegen Israel ausgelöst haben. Pilger beklagt sich, dass die Menschen, die die Situation beobachten, „sich in Schweigen hüllen“, um dann jedoch „ranghohe UN-Hilfsvertreter“ zu zitieren, die „im Herbst 2006 in Le Figaro“ über den Gazastreifen berichteten. Damit dementiert er seine eigene Aussage. Er erklärt das so: „Es war ein Versuch, das Schweigen in Europa zu brechen, dessen gehorsame Allianz mit den USA und Israel sich darum bemüht, die demokratischen Ergebnisse, mit denen Hamas bei den palästinensischen Wahlen vor einem Jahr an die Macht kam, rückgängig zu machen.“

Dann kommen die jüdisch-israelischen Kronzeugen an die Reihe: „Der Historiker Ilan Pappe dokumentierte, dass die genozidale Politik nicht aus einem Vakuum käme, sondern ein Teil der von Zionisten beabsichtigten historischen ethnischen Säuberung ist.“ Pilger behauptet: „Ein Genozid schwappt gerade über die Menschen im Gazastreifen“. Genozid heißt Völkermord und bedeutet Vernichtung nationaler, rassischer oder religiösen Gruppen; das steht im vollkommenen Gegensatz zu dem außerordentlichen Bevölkerungswachstum im Gazastreifen. Pilger weiter: „Amira Hass, die in Gaza gelebt hat, beschreibt dieses als Gefängnis, das zur Schande ihres eigenen Volkes gereicht. Sie erinnert sich, wie ihre Mutter Hannah im Sommer 1944 von einem Viehtransportzug zum Nazi-KZ in Bergen-Belsen laufen mußte. ‚Diese sah, wie deutsche Frauen sich den Zug der Gefangenen anschauten, also, nur zuschauten’, schrieb sie. Dieses Bild hat sich mir sehr eingeprägt, dieses verächtliche ‚Danebenstehen’ und ‚nur Zusehen’.“ Haben die Juden aus Bergen-Belsen die Deutschen mit Raketen beschossen? Was sollen solche perversen Vergleiche? Sie tragen natürlich zum Erfolg der Bücher bei, und man wird eingeladen, um zu bestätigen, was man in unseren Breitengraden so gerne hört: „Die Juden sind nicht besser als unsere Ahnen, die schauen ja auch bloß zu.“

Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Wir haben es mit Ideologietätern zu tun, die agitieren und die wissen, was sie tun. Sie bestärken den sekundären Antisemitismus in Europa, der mit einer Täter-Opfer-Umkehr arbeitet und implizit – und manchmal auch explizit – die Juden Israels als Nazis brandmarkt. Diese „Postzionisten“ stellen als Ursache hin, was tatsächlich nur Wirkung ist. In Europa appellieren sie an das Analogiedenken. So wie wir hier – mit Ausnahme des Jugoslawienkriegs und der Auseinandersetzungen im Kaukasus – seit Jahrzehnten in Frieden leben, so sei das ja auch im Nahen Osten möglich, wenn nur nicht die bösen Israelis wären. Das ist die Ratio, laut Ilan Pappe und Amira Hass. So wie der Hass des Antisemiten auf die Juden doch einen Grund haben müsse, so müsse doch der Hass der Palästinenser gegen Israel einen vernünftigen Grund haben, den man aus der Welt schaffen könnte. Doch diese nicht nur arabische, sondern auch islamische Feindseligkeit gegen Israel ist sowohl irrational als auch wohl kalkuliert. Wer diesen Hass gegen einen nichtarabischen und nichtislamischen Staat in der Region verniedlicht, macht sich seine Sache leicht. Tatsächlich ist es ja gar nicht einfach, die Wirklichkeit des Nahen Ostens so zu sehen, wie sie ist.

Die Vorschläge, wie denn der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu lösen sei, erinnern allzu sehr an die auch von gutwilligen Österreichern vor 1938 (und während der Waldheim-Kampagne von einer führenden österreichischen Journalistin) vorgebrachten Gedanken, wie der Antisemitismus zu bekämpfen sei: Die Juden müssten aufhören, mit derartiger Energie in die akademischen Berufe zu drängen, hieß es damals. Mit ähnlicher Logik fordern die Antizionisten nun, Israel müsse auf den palästinensischen Terror reagieren, indem es dessen Ursachen beseitigt – das heißt, sich nicht mehr sich mit Gewalt zu verteidigen, sondern sozusagen auch die zweite Gesichtshälfte hinzuhalten und den Nachkommen der etwa 650.000 bis 750.000 palästinensischen Flüchtlingen, die schon in dritter oder vierter Generation außerhalb des Landes geboren wurden, die „Rückkehr“ zu ermöglichen.

Wir leben in einer Zeit, in der im sudanesischen Darfur Hunderttausende ermordet oder dem Hungertod preisgegeben werden und die Großmächte sich mit Spitzfindigkeiten weigern, von einem Genozid zu sprechen. Darüber berichten die Medien sehr wenig, sind doch die Arbeitsbedingungen in Israel für Journalisten geradezu ideal, während man im Sudan sein Leben oder wenigstens seine Gesundheit riskiert. Darüber hingegen, wie Palästinenser mit anderen Palästinensern umgehen, hört man wenig bis nichts. Wer protestiert hier schon dagegen, dass die Todesstrafe in den palästinensischen Autonomiegebieten noch immer praktiziert wird und mehrere Dutzend auf ihre Hinrichtung warten? Hat hier schon jemand gegen die ungesetzlichen Inhaftierungen und die Gewalt gegen Frauen in den palästinensischen Gebieten demonstriert? Regt sich jemand auf, wenn dort immer wieder – oft genug aus dem Ausland zur Hilfe herbeigeeilte – Menschen entführt werden? Wen kümmert es, wenn während eines Jahres politische Flügelkämpfe, Familienfehden und das Begleichen alter Rechungen das Leben von mehr als 100 Palästinensern fordern und mehrere andere zur Zielscheibe von Anschlägen und Tötungen durch bewaffnete Gruppen werden, weil man sie der „Kollaboration“ mit israelischen Sicherheitsdiensten verdächtigte? Gibt es eine moralische Entrüstung darüber, wenn – wie vor kurzer Zeit geschehen – drei Schulkinder in einem Taxi in Gaza ermordet wurden, nur weil ihr Vater bei den gegnerischen Sicherheitskräften angestellt ist?

Was also auffällt, ist die Heftigkeit, mit der man von Israel ein Verhalten fordert, das sonst von niemandem verlangt wird. Der gegen Israel gerichtete Hass hat nicht nur neurotische Züge, er geht auch mit Realitätsverslust einher. Die Feindschaft der meisten arabischen Palästinenser richtet sich nicht nur gegen jegliche jüdische Souveränität, sondern überhaupt gegen die Anwesenheit einer jüdisch-israelischen Nation im Heiligen Land. Dieser Hass und diese Unversöhnlichkeit einigen die sonst gründlich zerstrittenen arabischen Staaten und Gesellschaften, sie lenken aber vor allem von den internen arabischen Differenzen ab. Die schlechte Lage im Gazastreifen resultiert aus der Alles-oder-nichts-Haltung der Mehrheit der Palästinenser und aus den wahnwitzigen Versuchen, Israel auszulöschen, sowie aus der völligen Unfähigkeit der palästinensischen Elite, konstruktive Lösungen anzustreben. Es ist natürlich einfacher, Israel zu kritisieren, weil es nicht kapituliert, und die Konzessionen, die der jüdische Staat bereits gemacht hat und für einen dauernden Frieden zu machen bereit ist, zu übersehen.

Drittes Bild von oben: Titelseite einer Ausgabe der Zeitschrift New Statesman vom Februar 2002, in der John Pilger und Dennis Sewell unter dem Titel „A kosher consiracy?“ über eine angebliche „Israel-Lobby“ in Großbritannien herzogen. Der Chefredakteur des Blattes entschuldigte sich später dafür in einem Editorial: Man habe „Bilder und Worte in einer Art und Weise verwendet, dass sie unwissentlich den Eindruck erzeugen, der New Statesman folge einer antisemitischen Tradition, die Juden als Verschwörung sieht, die das Herz der Nation durchbohrt.“

Anmerkungen

(1) Meyers Universallexikon, Leipzig 1979, Band 2, Seite 95
(2) Bericht über die menschliche Entwicklung 2005, UNDP, Seite 207

Siehe auch den Beitrag des Weblogs Tante Emma: John Pilger und Junge Welt – ein Traumpaar

24.1.07

Massen gegen Demo

Am Sonntag wird in Berlin gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs demonstriert. Aus guten Gründen sollte Kritik an den Veranstaltern geübt, die Veranstaltung selbst aber unterstützt werden. Das ist vielen zu viel der Dialektik, denn nun regt sich erhebliche Abwehr gegen die Demonstration. Die einen wollen nicht mit zu viel Deutlichkeit den Mainstream der Deutschen verschrecken, während andere, von denen man das nicht erwartet hätte, derweil dem „organisierten Judentum“ die Leviten lesen. Sie alle lassen Israel im Stich. Eine prozionistische Kollaboration von Lizas Welt und Hector Calvelli.

Wer im wiedergutgemachten Deutschland zu jener kleinen Minderheit gehört, die nicht achselzuckend oder gar mit Befriedigung die existenzielle Bedrohung zur Kenntnis nimmt, die vom iranischen Atomprogramm für Israel ausgeht, findet hierzulande kaum Adressaten für seine Forderung, die Mullahs sollten von ihrem eliminatorischen Tun abgehalten und der jüdischen Staat stattdessen mit allen Mitteln – auch militärischen – unterstützt werden. Denn er sieht sich sowohl einer politischen Ökonomie der Eliten gegenüber, die sich durch beste Beziehungen zu den Feinden Israels auszeichnet, als auch dem antizionistischen Mainstream im Fuß- und Wahlvolk, das in den Juden die Reinkarnation der Nazis erblickt und in den Palästinensern die Opfer der Opfer. Der Appell an die Vernunft ist daher ein fast aussichtsloses Unterfangen, denn er muss zwangsläufig dort verhallen, wo längst nur noch das Ressentiment waltet – und das ist nicht allein an den politischen Rändern zu Hause, sondern auch in jener Mitte der Gesellschaft, die es wie stets zu erreichen gilt, will man seinen Minderheitenstatus nicht auf ewig festgeschrieben sehen.

Das deutsche Zentrum ist in seiner Mehrheit – die man nicht zuletzt mit der Warnung zu überzeugen versucht, Europa würde am Ende selbst die Zielscheibe von Ahmadinedjad und seinen willigen Helfern –mit der Äquidistanz, also der wohlfeilen Parteinahme gegen Israel, und der Appeasement-Politik gegenüber den Mullahs gänzlich einverstanden. Wobei Appeasement zunehmend ein irreführender Begriff ist: Wird der Islamismus gar als Avantgarde gegen die wahren Aggressoren USA und Israel interpretiert, so kann von einer Politik der Beschwichtigung und der Zugeständnisse schon keine Rede mehr sein; der treffendere Begriff ist: Kollaboration. Dementsprechend ist die europäische Politik gegenüber dem Iran weniger von der Angst vor der Atombombe geprägt, denn von der Zustimmung für die berechtigten Interessen der Mullahs.

Eine World without Zionism ist deren sehr konkrete Utopie. Sie wurde unzählige Male formuliert, insbesondere vom iranischen Präsidenten höchstselbst. Der Mann meint, was er sagt, und er sagt, was er meint. Keine Gelegenheit lässt er aus, um die Shoa zu bestreiten und die Seinen als Opfer einer zionistischen Verschwörung zu verkaufen, die es per Massenvernichtungswaffen aus der Welt zu räumen gelte. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum, und wer angesichts dessen nicht erstens dem jüdischen Staat die Mittel lässt, die er zu seiner Verteidigung für notwendig erachtet, und ihn zweitens nicht nach Kräften unterstützt, macht sich, bewusst oder nicht, zum Komplizen des antisemitischen islamischen Terrors. Wer gegenüber dem eliminatorischen Antisemitismus zu Dialog und Kompromissen rät, der sollte sich vergegenwärtigen, dass derlei Vorgehen von denen, die sie als Schwäche betrachten, nur dazu benutzt werden, um das Drohpotenzial erst recht zu entfalten und Konsequenzen folgen zu lassen. Doch deutsche Politik changiert zwischen Appeasement und Kollaboration und erfährt dafür vom Volke breite Unterstützung, und deshalb braucht man nicht auf Massen zu hoffen, sondern muss vielmehr mit Unbill rechnen, wenn man sich hierzulande für Israel auf die Straße begibt.

Basis oder basics?

Am 28. Januar kommt es nun – selten genug – zu einer größeren Demonstration für Israel, nämlich in Berlin. Das Datum liegt dabei nicht zufällig in zeitlicher Nähe zum Gedenktag für die Opfer der Shoa: „Ich will den atomaren Holocaust“, lautet die Schlagzeile des Plakates, mit dem für die Protestaktion geworben wird. Darunter sieht man einen fanatisch dreinblickenden und entschlossen die Faust ballenden Mahmud Ahmadinedjad und noch weiter unten eine Aufnahme aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Unter der Fotomontage steht die Forderung: „Demonstriert gegen den gefährlichsten Politiker unserer Zeit“; es folgen Ort und Zeit. Der Aufruf zur Demonstration ist extrem knapp gehalten und nicht weniger plakativ als der Aushang; er besteht nur aus fünf Sätzen:
  • Irans Präsident Ahmadinedjad plant den Massenmord
  • Die „Holocaust-Konferenz“ in Teheran ist Teil seiner Vorbereitung
  • Die Entwicklung von Atombomben und Raketen bedroht auch Europa
  • Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend
  • Demokraten dürfen nicht schweigen
Auf nähere Ausführungen haben die Initiatoren und Organisatoren also genauso verzichtet wie auf eine dezidierte Kritik derjenigen, die die Mullahs mal gewähren lassen, mal tatkräftig unterstützen und jedenfalls nichts unternehmen, um der drohenden Vernichtung des jüdischen Staates entgegenzutreten. Nichtsdestotrotz müssten die Initiative von I like Israel (ILI) und Honestly Concerned (HC) begrüßt und deren Auslassungen eigenständig gefüllt werden – doch von vielen, die schon vorab um Unterstützung gebeten wurden, kam längst nicht nur Zustimmung. Der Zentralrat der Juden in Deutschland beispielsweise lehnte es ab, mit zu der Demonstration aufzurufen und Unterstützung zu leisten: Die Analogie des Demonstrationsaufrufs, Ahmadinedjad würde das Werk Hitlers fortsetzen wollen, bezeichnete der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, in einem Schreiben an die Organisatoren schlicht als „idiotisch“ und die Demonstration als „lächerlich“. Der Sekretär machte gegenüber den Demonstrationsorganisatoren deutlich: „Der Zentralrat kann einer Initiative von Honestly Concerned oder ILI nicht beitreten. […] Es gibt bestimmte politische Spielregeln.“ Im Schreiben Stephan J. Kramers hieß es ferner: „Es gab damals und gibt auch heute keine Bereitschaft, gegen den Iran und schon gar nicht für Israel auf die Straße zu gehen.“ Und damit hat er in Bezug auf die geplante Massendemonstration aus falschen Gründen beinahe Recht. Denn Massendemonstrationen in Deutschland waren einstmals vor allem nationalsozialistische Fackelzüge und sind heute höchstens noch friedensbewegte Manifestationen wider den alliierten Militärschlag gegen einen Diktator wie Saddam Hussein. Mehr ist in absehbar endlicher Zeit nicht zu erwarten. Daran scheint der Sekretär des Zentralrats auch nichts ändern zu wollen.

Entsprechend deutlich wurde der ILI-Vorsitzende Leo Sucharewicz in einem offenen Brief an Kramer. Er verwies auf die Legitimität des Vergleichs zwischen Ahmadinedjad und Hitler, stellte klar, es gehe „nicht um eine Demonstration gegen den Iran, sondern gegen die Holocaust-Leugnung von Ahmadinedjad und seine wiederholten Ankündigungen, Juden in Israel und außerhalb massenhaft umzubringen“, und forderte indirekt den Rücktritt des Generalsekretärs: „Wenn Ihnen diese politischen ‚Basics’ fehlen, sind Sie in einer Zeit wachsender Bedrohungen der falsche Mann an einer wichtigen Stelle. Diese Stelle verlangt heute als conditio sine qua non Entschlossenheit, analytische Fähigkeiten, Klugheit und soziale Kompetenz, um die begrenzten pro-jüdischen und pro-israelischen Kräfte zu mobilisieren.“ Doch der Zentralrat blieb bei seiner Ablehnung; seine Vorsitzende Charlotte Knobloch sagte in einem Interview mit der Jüdische Allgemeinen, man arbeite „seit Monaten daran, Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften zusammenzubringen“ und „ein deutliches Signal für die Existenz Israels, gegen die Holocaustleugnung des iranischen Präsidenten und gegen einen Iran auf dem Weg der nuklearen Rüstung“ zu setzen.* Nur mit einer „breiten gesellschaftlichen Koalition“ könne man „nachhaltig Aufmerksamkeit erreichen“. Dem Aufruf für den 28. Januar fehle „diese notwendige Basis“. Warum hierzulande einem jeden Aufruf für die unbedingte Unterstützung Israels und die entschiedene Abwehr seiner Vernichtung die notwendige Basis fehlt, reflektiert Knobloch nicht. Derweil tut das Berliner Büro des American Jewish Comittee (AJC), was es immer tut, wenn es etwas zu tun gäbe: Es tut nichts.

Wohlfeile Einwände

Doch es ist auch nicht die alleinige Aufgabe jüdischer Organisationen, sich aktiv für Israel zu engagieren. Deshalb haben sich ILI und HC um die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) als Mitveranstalter und Partner bemüht. Die stieg jedoch nach anfänglichem Interesse rasch wieder aus: Im Vorfeld habe es zu wenige inhaltliche Diskussionen gegeben; außerdem sei der Stil des Aufrufs zu aggressiv. Überdies halte man ein inhaltliches Konzept, das auch Kirchen, Gewerkschaften und Parteien die Teilnahme ermögliche, für hilfreicher. Und schließlich stelle der Vergleich Ahmadinedjads mit Hitler die Singularität von Auschwitz in Frage.* Letzteres ist nicht einmal falsch – aber wohlfeil: Es ist der iranische Präsident, der an dieser Singularität liebend gerne etwas ändern würde, abgesehen davon, dass er die Existenz nationalsozialistischer Vernichtungslager bekanntlich gar nicht erst als historische Tatsache anerkennt. Dies steht im Zentrum des Anliegens, das die Initiatoren des Berliner Protestmarsches haben. Und selbst wenn man die martialische und an Anti-AKW-Manifestationen erinnernde Ästhetik ihres Plakates für die Demonstration als problematisch kritisiert und sich fragt, welche anderen Diktatoren außer Adolf Hitler eigentlich die Vernichtung der Juden erstrebt haben sollen, wenn es im Aufruf heißt: „Der Vergleich mit den gefährlichsten Verbrechern der Weltgeschichte ist zutreffend“, handelt es sich bei der eindringlichen Warnung vor den eliminatorischen Plänen der Mullahs nicht um eine Form von Katastrophismus, sondern um eine realistische Einschätzung.

Wenn sich also der Zentralrat und die DIG dieser Erkenntnis verweigern, mag man lieber gar nicht wissen, wie denn deren Aufruf aussähe, wenn dabei noch Parteien, Kirchen, Verbände und Gewerkschaften eingebunden werden sollen – die Mitte der Gesellschaft also, die man von allzu einschneidenden Wahrheiten verschonen will. Herauskommen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zahnloser Appell, der niemandem weh tut, eine allzu deutliche Positionierung auf der Seite Israels vermeidet und also eine Kritik des antizionistischen Mainstreams unterlässt. Man kann allerdings auch den Organisatoren der Berliner Demonstration den Vorwurf nicht ersparen, ihre Botschaft so formuliert zu haben, dass sie nicht allzu sehr schmerzt. Dass es sich um eine dezidiert proisraelische Kundgebung handelt, ergibt sich zwar aus der Kombination aus Plakat und Aufruf; warum das Wort Israel aber kein einziges Mal explizit vorkommt, bleibt fragwürdig. Und dass „die Entwicklung von Atombomben und Raketen auch Europa“ bedroht, mag in letzter Konsequenz stimmen; gleichwohl ist zum einen der jüdische Staat die Hauptzielscheibe des iranischen Vernichtungsprogramms – was bereits Grund genug sein sollte, sich auch auf der Straße zu zeigen –, und zum anderen werden die Nuklearpläne der Mullahs bekanntlich gerade von den angeblich ebenfalls bedrohten Europäern unterstützt, nicht wider besseres Wissen, sondern sehenden Auges. Welche Demokraten also „nicht schweigen“ sollen, wie der Aufruf fordert, bleibt folgerichtig eine nicht näher bestimmte Floskel.

Dennoch: Knapp 90 Gruppen und Organisationen stehen heute auf der Unterstützerliste der Demonstration, darunter zahlreiche jüdische Gemeinden. Viele haben ihren Support just in dem Moment zugesagt, als der Zentralrat den seinen verweigerte und kurz darauf auch die DIG absprang, wie ILI berichtet. Mögen ILI und HC auch das vollmundig angestrebte Ziel einer „Großdemonstration“ verfehlen – was, um es noch einmal zu unterstreichen, eine Menge über den Mainstream der Mitte aussagt –, so setzen sie bei aller Kritik ein Zeichen für Israel, das alles andere als alltäglich ist. Und es würde gewiss niemandem verwehrt, mit eigenen Flugblättern oder Transparenten aufzulaufen, deren Botschaften deutlicher, präziser und ausführlicher sind als die der Organisatoren.

Noch mehr Kritiker...

Doch zum Zentralrat, zum AJC und zur DIG gesellten sich nun noch weitere Kritiker, die mit der Demonstration rein gar nichts zu tun haben wollen und sich sogar explizit gegen sie aussprechen, obwohl man ihnen bisher nicht vorwerfen konnte, eine unmissverständliche Positionierung auf der Seite des jüdischen Staates zu unterlassen: Als der Antisemitismus der deutschen Linken sich immer weniger als Antizionismus zu tarnen vermochte, als offenbar wurde, dass sich mit der globalisierungskritischen Bewegung ein reaktionäres Bündnis gegen Amerika und Israel etablierte, als mit dem linksradikalen Jubel über Nine-Eleven und der antiimperialistischen Kollaboration mit den islamistischen Rackets diese Linke sich bis zur Kenntlichkeit entstelle, da gab es einige Ehemalige, die den revolutionären Ex-Genossen den größtmöglichen Affront präsentierten und sie als das bezeichneten, was sie schon immer waren und heute noch sind: ein reaktionäres, linksfaschistisches Pack. Aus dieser Auseinandersetzung entstanden die Antideutschen; ihr oft verdienstvolles Zentralorgan war über Jahre die Vierteljahreszeitschrift Bahamas. Mit der Ablösung von der ordinären Linken war eine kompromisslose Parteinahme für Israel und gegen die Kontinuitäten des deutschen Antisemitismus verbunden; die Vokabel antideutsch wurde in diesem Sinne als äußerste Provokation gegen rechte Nationalisten wie linke Antiimperialisten verwendet.

Ausgerechnet jetzt jedoch, da es in Berlin eine Demonstration gegen den antisemitischen Vernichtungswahn der Teheraner Mullahs gibt, die zumindest so deutlich und entschieden ist, dass es von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bis zum Zentralrat der Juden in Deutschland keine Unterstützung gibt – weshalb vor allem kleinere jüdische Gruppen auf sich allein gestellt die Organisierung vorantreiben –, schießen die Redakteure der Bahamas gegen ein solches Unterfangen. Nicht allein, dass sie sich nicht an diesem beteiligen wollen, was einigermaßen zu verschmerzen wäre; nein: sie denunzieren darüber hinaus die Veranstalter in einer geifernden Rhetorik, die nicht mehr als Kritik zu verharmlosen ist: „Wir bestreiten den Aufrufern, es ernst zu meinen“, so leiten die Insulaner ein, und sprechen, was wohl witzig daherkommen soll, von der Demonstration als einer „Lockerungsübung wider den tierischen Ernst“; die Organisatoren müssten, was gar nicht mehr komisch ist, „ihre eigene Schande“ vorgeführt bekommen.

Dabei entzündet sich die vorgebliche Kritik der Bahamas ausgerechnet an der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Ihre „Kritik“ offenbart sich aber als blanke Rage, da nämlich die DIG bekanntlich gar nicht mehr zu der Demonstration aufruft. Von dieser Tatsache überhaupt nicht angekränkelt, wütet die Bahamas gegen die Demonstration als DIG-Veranstaltung und muss sich bei derlei Realitätsverweigerung fragen lassen, was tatsächlich hinter dieser Rage steckt. Klar wird dies, wenn man folgenden Ausfall genauer analysiert: Den zu der Demonstration aufrufenden jüdischen Gemeinden und Gruppen wird ausdrücklich vorgehalten, sie beteiligten sich „wohl in der Hoffnung, ihrerseits ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben“. Es ist die Ebene der Verdachts, die hier ins Spiel kommt, denn Belege für die Spekulation, den Teilnehmern gehe es bloß um eine familiäre Karnevalsparty und nicht um eine ernsthafte Manifestation gegen Judenhass, fehlen gänzlich. Und mehr noch: Es ist eine klassische antisemitische Projektion zu behaupten, der Jude sei individualistisch statt kollektivistisch, setze auf sich allein und nicht auf die Gemeinschaft. Wenn Juden aber nun vorgehalten wird, sie würden ein „Gemeinschaftsgefühl“ erhoffen, so wird ihnen explizit zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht der wahnhaften Projektion des gemeinen Antisemiten Folge leisten wollten. Damit denunziert sich die Rage der Bahamas im Kern selbst als antisemitisch. Man kann der Redaktion eines nämlich nicht vorwerfen: einen ungenauen und unüberlegten Umgang mit der Sprache, mithin eine unzureichende Kenntnis der kritischen Theorie des Antisemitismus.

...geraten in Rage

In diesem Kontext nimmt es auch nicht Wunder, dass die Bahamas sich über einen, wie sie es nennt, „repräsentativen Ausschnitt des organisierten Judentums in Deutschland“ beklagt, weil dieser die Demonstration zu unterstützen gedenkt. Dabei ist das Gerede vom „organisierten Judentum“ längst zum Code rechts- wie linksradikaler Antisemiten geworden; deutsche Neonazis benutzen ihn genauso wie etwa Norman Finkelstein und Israel Shamir. Dahinter steht im antisemitischen Milieu die Behauptung einer organisierten Bedrohung, die in der Stürmer-Parole „Judentum ist organisiertes Verbrechen“ kulminiert. Auch dies wird in der Bahamas nicht unbekannt sein, hier sind die Redakteure in der Formulierung ihrer „Kritik“ regelrecht entgleist. Und so sind die Initiatoren der Demonstration, jüdische zumeist, gleich Pazifisten, Appeaser und nur noch „Kritiker“ des Antisemitismus in Anführungszeichen. Dies wirkt deshalb auch besonders schräg, da derlei Zuschreibungen von der Bahamas sonst jenen Politikern gelten, die „wie Frank Walter Steinmeier, Kofi Annan, Wladimir Putin, Jacques Chirac, Javier Solana und all die anderen Demokraten“ gar als „die gefährlichsten Politiker unser Zeit“ gehandelt werden. Die berechtigte Kritik an Appeasement und Kollaboration mit den Mullahs – von EU bis Uno – kippt völlig ins Absurde, wenn einerseits den derart kritisierten Politikern beinahe unterschiedslos das „organisierte Judentum“ zugeschlagen wird und andererseits Ahmadinedjad ausdrücklich nicht mehr als einer der „gefährlichsten Politiker unser Zeit“ dargestellt wird.

Zudem ist sowohl diese Sichtweise als auch der daraus resultierende Boykott der Berliner Demonstration einigermaßen erstaunlich, wenn man bedenkt, dass der Bahamas eine realpolitische Betätigung ansonsten nicht eben fremd ist: Im letzten Sommer beispielsweise rief die Redaktion der Zeitschrift erst zu drei Demonstrationen gegen einen möglichen Besuch Mahmud Ahmadinedjads bei der Fußball-Weltmeisterschaft auf – übrigens gemeinsam mit Honestly Concerned und ILI, denen man jetzt „ihre eigene Schande“ vorführen möchte – und begrüßte dabei auch die Teilnahme des bayerischen Innenministers Günter Beckstein bei der Kundgebung in Nürnberg. Anschließend organisierte sie eine Demonstration für Israel in Berlin, bei der neben anderen der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, sprach. Und selbst im Kiez scheut man die Realpolitik nicht und empfahl deshalb vor wenigen Tagen den „Wählerinnen und Wähler in Friedrichshain-Kreuzberg“, den Antrag der CDU gegen die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu unterstützen. Denn „auch wenn wir wissen, dass die CDU ganz bestimmt nicht aus den von uns dargelegten Gründen die Initiative gegen die Umbenennung der Kochstraße ergriffen hat“, so lasse sich „nicht bestreiten, dass die Christdemokraten – wenn auch aus vornehmlich falschen Gründen – das Richtige tun“. So viel Gnade vor den Augen der Insulaner finden die Organisatoren der Demonstration am Sonntag nicht. Das nennt man dann wohl Doppelmoral.

Die Redaktion der Bahamas, in Dialektik geschult, kritisierte oft zu Recht die ungenügende Deutlichkeit und Entschiedenheit von derlei Parteinahmen und Kooperationen und beteiligte sich dennoch an ihnen. Denn Kritik und Parteilichkeit wurden bisher stets zusammengedacht. Vieles wäre im Rahmen der Demonstration am 28. Januar zu Recht zu kritisieren, aber die Form und auch die Konsequenz einer solchen Kritik sind entscheidend. Die Rage der Bahamas-Redaktion gegen den Veranstalter der Demonstration ist diesbezüglich aus vernünftigen Gründen nicht mehr zu rechtfertigen; vielmehr denunziert sich eine solche „Kritik“, gekennzeichnet von Realitätsverlust, äußerst waghalsiger Polemik und dem Verzicht auf jedes begründete Argument, von selbst. Die Bahamas ist, so scheint es, enttäuscht vom Ersatzobjekt ihrer Zuneigung, da es nicht den von ihr vorgegebenen Maßstäben genügt. So wie einst dem real existierenden Proletariat, so wird nun nach und nach dem real existierenden Judentum die Freundschaft aufgekündigt. Die Regression zur alten Linken hat wohl längst schon begonnen.

Dementsprechend wird die Demonstration verhöhnt als eine „Sternstunde des deutschen Vereinswesens“, die teilnehmenden, fast ausnahmslos jüdischen Organisatoren werden angepöbelt als „Vorstände, Vorsitzende und Präsidenten deutscher Vereine, die scharf darüber wachen, dass die Mitglieder nicht auf eigene Gedanken kommen, die aus Solidarität Parteidisziplin und aus Kritik parteischädigendes Verhalten machen und statt Politik für Israel zu betreiben einen Pakt mit dem Common Sense zu schmieden suchen“. Die eigentlichen deutschen Vereine aber fehlen. Unter ihnen ist auch jene Kreuzberger Zeitschriftenredaktion, die für den Vortag eine „Veranstaltung zur Rettung der Israelsolidarität“ organisiert. Der historische Ort, an dem verhindert werden soll, „realpolitisch Israels Todfeinden in die Hände zu arbeiten“, ist das Hinterzimmer einer schmierigen Kreuzberger Kneipe. So reproduziert sich im linksradikalen Berliner Kiez der Wahnsinn des falschen Ganzen.

Die Ablehnung einer Demonstration für Israel und gegen den eliminatorischen Antisemitismus eint nicht nur ordinäre Antisemiten und ehrbare Antizionisten, sondern de facto auch die DIG, den Zentralrat, das AJC und einige Größen einer kleinen linken Zeitschrift. Und jeder hat seine je eigenen falschen Gründe. So wird die geplante Massendemonstration höchst bescheiden enden; und viele haben daran ihren Anteil, ja, ihren Gefallen.

* Jüdische Allgemeine vom 11. Januar 2007 (nur Printausgabe)
Hattip: Rowlf_the_Dog

22.1.07

Frei gedacht

Eigentlich ist die Geschichte der Freidenkerbewegung eine sehr bemerkenswerte. Ihre Ursprünge hatte sie Ende des 17. Jahrhunderts in England und Frankreich; in Deutschland traten bürgerliche Freigeister erstmals im Vormärz nachdrücklich in Erscheinung, als sie ihren Widerstand gegen die Dogmen der Kirche deutlich zum Ausdruck brachten. Auch in der Folgezeit war das Engagement gegen die Macht und die Glaubenssätze des Klerus und für eine humanistische, rationale und an der Aufklärung orientierte Weltsicht zentral. Die Nationalsozialisten erließen ab 1934 ein Verbot gegen die Freidenkerorganisationen; viele Mitglieder dieser Vereinigungen waren daraufhin im Widerstand aktiv, und der damalige Vorsitzende des Freidenker-Verbandes, Max Sievers, wurde am 17. Januar 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich zahlreiche Freidenker-Gruppierungen neu; die erste war der bis heute existierende Deutsche Freidenker-Verband (DFV). Von dessen Zielen klingen viele mehr als annehmbar: „Für eine dogmenfreie, rationale und wissenschaftlich, begründete Weltsicht und -erkenntnis, für die strikte Trennung von Staat und Kirchen, sowie von Kirche und Schule, [...] für die völlige Emanzipation des Individuums, [...] für eine freie Gesellschaft gleichberechtigter Menschen. [...] Die Freidenkerinnen und Freidenker sind tätiger Humanität verpflichtet. [...] Freies Denken bedeutet weltanschauliche Selbstbestimmung jedes Menschen sowie Selbstverantwortung für seine Lebensgestaltung und die Sinnhaftigkeit seines Lebens.“

Diese „weltanschauliche Selbstbestimmung jedes Menschen“ und die damit verbundene „Sinnhaftigkeit seines Lebens“ schließen beim DFV jedoch regelrechte Hasstiraden gegen die USA und Israel ein. Vor allem der Verbandsvorsitzende Klaus Hartmann lässt kaum eine Gelegenheit aus, insbesondere gegen den jüdischen Staat zu agitieren. Ende September 2004 etwa hielt er auf einer Kundgebung „anlässlich des Aktionstages zum vierten Jahrestag der palästinensischen Intifada“ in Köln eine Rede, in der er vor einem „zionistischen Erstschlag gegen den Iran und Syrien“ warnte, vom „Volkswiderstand“ – vulgo: dem Terror – im Irak schwelgte, die CIA und den Mossad als „Mörderbanden“ bezeichnete, gegen die „Apartheidmauer“ wetterte und unter anderem allen Ernstes forderte: „Freiheit für alle Gefangenen unter der Besatzung des Irak und Palästinas! Und dies schließt ein: Freiheit für Saddam Hussein!“ Und in der Verbandszeitschrift Freidenker schrieb Hartmann von der „rassistischen und völkermörderischen Besatzungspolitik“ Israels, deren Kritik mittels – natürlich völlig haltloser – Antisemitismus-Vorwürfe verunmöglicht werde.

Auch in Österreich gibt es Freidenkervereinigungen, deren größte der Freidenkerbund ist. Vor mehr als einhundert Jahren ins Leben gerufen und ebenfalls von den Nationalsozialisten verboten, gründete er sich 1947 neu. Eines seiner Hauptanliegen ist der Kampf für eine vollständige Säkularisierung und gegen den katholischen Klerus; im Unterschied zum DFV verklärt der Freidenkerbund islamistischen Terror allerdings nicht zu „Widerstandsaktionen“, sondern begreift ihn als Angriff auf Zivilisation und Aufklärung. Zum so genannten Karikaturenstreit beispielsweise bemerkte er auf seiner Website: „Dänische Karikaturisten haben den ‚Propheten Mohammed’ karikiert. Das ist Ende Jänner 2006 der Anlass zum weltumspannenden Toben der Islamofaschisten. [...] Heilig, heilig, heilig ist ihre eigene Religion – der Rest der Menschheit hat das unterwürfig zu respektieren. Es wäre nunmehr ein großer Schritt für die Meinungsfreiheit, wenn die Dänen nicht zu Halbmond kröchen und die Europäer aufhörten, zu Kreuze zu kriechen.“ Und Mitte September letzten Jahres kritisierte die Organisation einen Zeitungsbeitrag des Integrationsbeauftragten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Omar Al-Rawi, scharf: „Es erscheint selbst einem im aufgeklärten Österreich des 21. Jahrhundert lebenden muslimischen Funktionär als Selbstverständlichkeit, zu verlangen, auch Nichtmuslims müssten die ‚Göttlichkeit’ des Islam anerkennen. Auf solche Forderungen müsste ein aufgeklärtes Land mit Aufklärung reagieren: dass nämlich Religion maximal ihre Anhänger betrifft, aber allen anderen Menschen scheißegal sein kann. Ein Integrationsbeauftragter, der das nicht begreift, wird der Integration herzlich wenig Nutzen bringen. Und es kann wohl nicht die Aufgabe Europas sein, jetzt eine Neuaustragung der Aufklärung inszenieren zu müssen, um dann in 200 Jahren auch die hiesigen Muslime aus dem Mittelalter abgeholt zu haben.“

Doch durchgängig sind solche hellsichtigen Ausführungen nicht, wie Karl Pfeifer berichtet, der unter die Lupe genommen hat, was ein nicht ganz unbekannter Aktivist des Freidenkerbundes bisweilen von sich gibt.


Karl Pfeifer

Der schiefe Vergleich eines Freidenkers


Wenn jemand unter dem Namen Wolfgang Schüssel oder Alfred Gusenbauer seine krause Meinung in einem Internetforum äußert, dann kann man sicher sein, dass sie von keinem der beiden Politiker stammt. Daher nahm ich an, dass auch Anton Szanya, der im Standard-Diskussionsforum ausführte: „Israel führt gegen die eingeborenen Palästinenser in der gleichen Art Krieg wie die USA gegen die eingeborenen Indianer. Vielleicht haben diese beiden Staaten deswegen ein so gutes Verhältnis zueinander?“, nicht identisch ist mit dem gleichnamigen Volksbildner und Aktivisten des Freidenkerbundes, zumal diese Zeilen ausgerechnet am 20. April 2002 (also Führers Geburtstag) publiziert wurden und Ähnliches oft genug vom rechten Rand kommt. So hatte beispielsweise der Rechtsextremist Hans Jakob Rosenkranz bereits ein Jahr zuvor in seiner Zeitschrift fakten eine Grafik mit einem Indianer publiziert, zu der es hieß: „Die Indianer konnten die Einwanderer nicht stoppen. [...] Heute leben sie in Reservaten!“ Als ich dieser Tage die Kopie eines Artikels von Anton Szanya aus der Zeitschrift Freidenker zugesandt bekam, musste ich einsehen, dass ich mich gründlich geirrt hatte. In seiner Polemik gegen andere Atheisten behauptet Szanya dort, diese „verteidigen heute in bemerkenswerter Blindheit die Politik Israels, die jener ähnelt, die die frühen Vereinigten Staa­ten gegenüber den Indianern angewandt haben.“

Welchen Stellenwert hat dieser Vorwurf in einem Nachfolgestaat des „Dritten Reichs“? Der Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits meint dazu: „Indem man den Spieß umdreht und seinerseits die Amerikaner des Genozids bezichtigt, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Auf eine Ebene mit den Nazis gestellt, wird den Amerikanern die moralische Berechtigung zur Kritik entzogen, worauf sich die Hoffnung gründet, von diesen als besonders vorlaut und lästig empfundenen Beckmessern endlich in Ruhe gelassen zu werden.“ (1) Doch noch schärfer ist natürlich die Opfer-Täter-Umkehr, die Anton Szanya bereits 2002 im Standard anlässlich der Kämpfe um die terroristische Hochburg Jenin, bei denen 23 israelische Soldaten und etwa 50 zumeist bewaffnete Palästinenser getötet wurden, vorgenommen hatte. Tatsache ist, dass palästinensische Terroristen zuvor in Netanja mehrere Dutzend betende Juden ermordet hatten. Darauf folgte die israelische Militäraktion in Jenin, woher die Terroristen kamen. Zu implizieren, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern, ist ein starkes Stück, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung in den Autonomiegebieten weltweit mit am stärksten wächst.

Szanyas Stellungnahme zum Begriff Islamofaschismus oder islamischer Faschismus ist ebenfalls selbstentlarvend. Natürlich kann man nicht behaupten, der heutige Islamismus sei eine originalgetreue Kopie des historischen Faschismus. Aber die Parallelen und Ähnlichkeiten sind verblüffend, selbst wenn Szanya vom Gegenteil überzeugt ist und schreibt: „Es ist auch ein Zeichen von unzureichendem historischen und politischen Wissen und von verstandesmäßiger Unzu­länglichkeit, wenn von einem islamischen Faschismus geredet wird. Dem Islamismus feh­len wesentliche Merkmale einer faschistischen Bewegung: er kennt keinen integralen Natio­nalismus, keine Ideologie einer Herrenrasse, keine Bürokratie, keinen sozialen Korporatismus und auch keinen Körperkult.“ Islamismus muss zwar tatsächlich nicht immer mit „integralem Nationalismus“ zusammengehen, doch gerade bei der Hamas und der Hizbollah wird diese Koinzidenz von allen Beobachtern dieser Organisationen bestätigt. Das Ziel der Hamas ist die Errichtung eines islamischen Staates auf dem Gesamtgebiet von „Palästina“, das heißt die Beseitigung Israels. Die Hizbollah wiederum vereint Islamismus und libanesischen Nationalismus. Beide Bewegungen haben auch christliche Araber als Anhänger oder sogar als Würdenträger.

Die Hamas bekennt zudem, universalistisch zu sein; sie beansprucht also, dass ihr Djihad von den Muslimen in allen Teilen der Welt zu unterstützen ist. Dementsprechend wird nicht allein Israel als Gegner ausgemacht; vielmehr heißt es in der Charta der Hamas, sie sei „die Speerspitze und die Avantgarde“ im Kampf gegen „den Weltzionismus“. Wenn der Islam erst einmal an Stärke gewonnen habe, so steht es in Artikel 17, „wird er diese [zionistischen] Organisationen, die die Feinde der Menschheit und des Islam sind, ausrotten“. Die Hamas werde, wie Artikel 6 ankündigt, „das Banner Allahs über jeden Zentimeter Palästinas hissen. [...] Für das palästinensische Problem gibt es keine Lösung außer dem Heiligen Krieg. Initiativen, Resolutionen und internationale Konferenzen sind reine Zeitverschwendung.“ Eine solche Gewaltverherrlichung charakterisierte auch den historischen Faschismus. Die Hamas ist die palästinensische Filiale der in Ägypten gegründeten Organisation der Muslimbrüder, die das Lob der Nation verkünden: Sie wisse, „wie man edel stirbt“. Im Unterschied zu den Muslimen, die die Kunst des Sterbens beherrschten, bestehe die Schwäche „der Juden“ gerade darin, dass sie „das Leben mehr als irgendwelche anderen Leute lieben und es vorziehen, nicht zu sterben“, erklärte anlässlich des oben erwähnten Ostermassakers 2002 der damalige Hamas-Sprecher und heutige Ministerpräsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Ismail Haniya gegenüber der Washington Post (2). Auch die Faschisten hatten einen Todeskult; man erinnere sich nur an den Slogan spanischer Faschisten, „viva la muerte“.

Die Bürokratie in den arabischen Staaten ist sprichwörtlich, und im Iran, wo eine islamistische Revolution stattfand, wird diese auch beklagt. Beide Bewegungen, der historische Faschismus wie der Islamismus, postulieren geradezu sozialen Korporatismus und lehnen den Klassenkampf und den Kommunismus als jüdische Erfindung radikal ab. Was den Körperkult anbelangt, schaue man sich ihre Aufmärsche im Stechschritt einmal an. Ähnlich den Faschisten werden bereits Kleinkinder mobilisiert (Foto rechts), und die Hizbollah-Kämpfer leisten ihren Schwur auch schon mal mit dem Hitlergruß (Foto oben). Islamismus ist nicht erst in seinen terroristischen Handlungsformen eine Bedrohung, und zwar nicht nur Israels. Bereits als politische Ideologie enthält er eine Kampfansage an universelle Menschenrechte, für die ja auch der Freidenker Anton Szanya einzutreten meint. Der Druck islamistischer Kreise in Europa auf kritische Medien und Wissenschaftler führt zudem zu einer „schleichenden Auszehrung der Neugier“ und ist „eine Gefahr für die Pressefreiheit“ (3).

Neben diesem Druck spüren wir auch einen Kulturrelativismus in Medien, Politik und Gesellschaft. Grundrechte – wie das Recht auf freie und auch kritische oder satirische Meinungsäußerung, das Recht auf Unversehrtheit und Schutz vor Diskriminierungen, das Recht auf Selbstbestimmung und religiöse Pluralität sowie die positive, aber auch die negative Religionsfreiheit – sind zwar universal und gelten per Gesetz für jeden Bürger in den Ländern der Europäische Union. In der Einforderung und Umsetzung dieser Rechte wird aber nicht selten vor dem Hintergrund eines positivistischen Verständnisses der eigene Maßstab einer vermeintlichen „Kultur“ untergeordnet. „Die Bereitschaft zur Selbstpreisgabe“, wie es die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann formuliert, „ist im Umgang und der Konfrontation mit Organisationen und Akteuren des politischen Islam zudem oft gekoppelt an Blauäugigkeit, Ahnungslosigkeit und Ignoranz“.

Ludwig Feuerbach sagte einst: „Niemand urteilt schärfer als der Ungebildete. Er kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht.“ Das Problem ist, dass auch Gebildete wie Anton Szanya manches Wirtshausgeschwätz – wie das über die Amerikaner, die uns nichts vorhalten dürften, weil doch ihre Ahnen die Indianer ausgerottet hätten –, wenn auch in einer etwas gemäßigteren Form, wiederholen und mittels Täter-Opfer-Umkehr sogar noch verschärfen.

Anmerkungen
(1) Andrei S. Markovits: Amerika, dich haßt sich’s besser. Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa, Hamburg (konkret-Texte) 2004, Seite 81. Dieses Buch kam soeben in Englisch in einer Neuauflage heraus.
(2) Vgl. Thomas Friedman: Suicidal Lies, in: New York Times vom 31. März 2002
(3) Heribert Seifert: Schleichende Auszehrung der Neugier. Deutsche Medien und der radikale Islamismus, in: Neue Zürcher Zeitung vom 16. Mai 2003

19.1.07

Europäische Patridiotie

Als in Teheran kürzlich eine Konferenz von Holocaustleugnern stattfand, nahmen an ihr auch europäische Rechtsextremisten teil, die den Schulterschluss mit dem iranischen Regime praktizierten. Sie und ihresgleichen sind alles andere als untätig und organisieren sich immer stärker; 20 Abgeordnete aus sieben Ländern haben im Europaparlament nun eine gemeinsame Fraktion der Ultrarechten gebildet. Deren frisch gekürter Vorsitzender, der Franzose Bruno Gollnisch (Foto), wurde just heute vom Strafgericht Lyon zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldbuße verurteilt. Er stelle zwar „die Hunderttausenden, die Millionen Toten“ in den nationalsozialistischen Lagern nicht in Frage und bestreite auch die Existenz von Gaskammern nicht; es müsse aber „eine freie Debatte“ darüber geben, wie die Menschen in diesen Lagern gestorben seien, hatte Gollnisch gesagt. Mehr über die Internationale der Rechtsextremisten, ihre Mitglieder und Ziele weiß Karl Pfeifer.


Karl Pfeifer

Die Internationale der Rechtsextremisten


Rechtsextremisten deklamieren in der Regel: Mein Land, mein Volk und meine Nation kommen zuerst, dann kommen alle anderen. Doch was tun sie, wenn sie in das EU-Parlament gewählt werden? Sie versuchen uns ein Viereck als Kreis zu verkaufen, sie bilden eine Fraktion „Identität, Tradition und Souveränität“ und möchten „Antagonismen“ und „Erbfeindschaften“ überwinden. Auf vollen zwei Seiten von Zur Zeit vom 12. Januar 2007 berichtet Andreas Mölzer über einen rechten „Minimalkonsens in Europa“. Er hält sich tatsächlich an die Tradition und schreibt schwülstig und großspurig „vom armen geschundenen deutschen Volk“, das „übrig geblieben ist“. Weder Stil noch Inhalt seiner Ausführungen sind neu: „Und jenen Kräften, die als patriotische Deutsch-Österreicher selbstverständlich Solidarität mit Südtirol üben, muss klar sein, dass sie das Überleben ihres Volkes nur gewährleisten können, wenn sie mit den nationalbewussten Kräften Italiens zusammenarbeiten, sosehr diese auch aus historischer Sicht für die Brenner-Grenze eintreten.“ Das heißt konkret: Die deutschnationalen Rechtsextremisten tun sich zusammen mit italienischen Neofaschisten wie Alessandra Mussolini und Luca Romagnoli, die am liebsten die Autonomie in Südtirol abschaffen würden – was Südtiroler nicht erfreuen kann. Ähnliches hat es bekanntlich schon einmal gegeben. Und frei nach Hegel: Was das erste Mal Tragödie war, kommt das zweite Mal dank Mölzers Gesinnungsgemeinschaft als billige Farce.

Die FPÖ spricht wieder einmal mit zwei Zungen, denn kaum hat Mölzer das Fraternisieren mit seinen italienischen Kompagnons verkündet, tritt schon FPÖ-Obmann Heinz-Christian „HC“ Strache auf den Plan, um die schlagenden Burschenschaften und sonstige treue Wähler zu beruhigen: „Unrechtsgrenzen bleiben Unrechtsgrenzen“ und „Die Freiheitlichen sind stets an vorderster Front gestanden, wenn es um eine echte und tiefgreifende Umsetzung der Südtiroler Autonomie gegen ist“. Der Abgeordnete und ehemalige FPÖ-Minister Herbert Scheibner (BZÖ) findet das Bündnis mit den italienischen Neofaschisten „bedauerlich und befremdlich“. Das wiederum lässt HC Strache nicht ruhen, der in einer langen Presseerklärung zu lavieren versucht. Einerseits sieht er „Tirol – von Kufstein bis Salurn“, andererseits rechtfertigt er das Bündnis mit den Neofaschisten. Er „verbürgt“ sich sogar „gegenüber heimattreuen und patriotisch gesinnten Kräften, dass die Selbstbestimmungsfrage Südtirols für die FPÖ selbstverständlich weiterhin eine Kernfrage bleibt“.

Nur eine technische Fraktion?

Mölzer (Foto) kennt seine hiesigen Pappenheimer gut und macht in der erwähnten Ausgabe von Zur Zeit kein Hehl aus seiner Meinung: „Insgeheim wird da in der einen oder anderen Brust eines Deutschen oder Österreichers auch die Gewissheit schlummern, dass der Slawe ohnedies nur ein Untermensch sei. Da sind die Holländer degeneriert, die Bürger des perfiden Albion eben perfid, Balkanesen korrupt, Polen arbeitsscheu und so weiter und so fort.“ HC Strache, dem seine Gesinnungsgemeinschaft ebenfalls wohl vertraut ist, erklärt bezüglich der neuen Fraktion schon einmal präventiv: „Wo es nachweisliche Entgleisungen gibt, werden wir uns distanzieren. Aber die Bildung der Fraktion ist ein guter und wichtiger Schritt.“ (Die Presse, 13. Januar 2007). Mölzer schließt in der gleichen Ausgabe von Zur Zeit messerscharf: „Wie mit derlei Denkweisen ein politisches Zusammenwirken der nationalbewussten Kräfte der europäischen Völker für die Gegenwart und die Zukunft ermöglicht werden soll, ist rätselhaft.“ Und weil das Mitglied des Europaparlaments (MdEP) Othmar Karas (ÖVP) auf die Unzulässigkeit technischer Fraktionen hingewiesen hat, bekommt er von Andreas Mölzer in einer Presseerklärung auch noch sein Fett weg. Wie es in seinen Kreisen üblich ist, nimmt Mölzer Karas in Sippenhaftung, wirft ihm allen Ernstes vor, „der Schwiegersohn von Altbundespräsident Kurt Waldheim“ zu sein, und fragt, „wo denn eigentlich der Unterschied zwischen angeblich christdemokratisch-konservativen Politikern wie Karas und den altbekannten Ausgrenzern vom ultralinken Rand“ liege. Wenn ausgerechnet die ÖVP in die linksextreme Ecke gestellt wird, dann haben wir es anscheinend mit einer paranoiden Wahrnehmung der österreichischen Realität zu tun.

Im EU-Parlament sind keine technischen Fraktionen vorgesehen. Und so befinden sich die rechtsextremen Parteien, die an der neuen Fraktion teilnehmen, in einer wahren Zwickmühle: Zu Hause in ihren Ländern erklären sie ihren erbosten Gesinnungskameraden, in Brüssel hätten sie sich nur deswegen in eine Fraktion begeben, um die Vorteile zu genießen; in Wirklichkeit handle es sich nur um eine technische Fraktion. In Brüssel wiederum erklären sie feierlich, eine gemeinsame Politik betreiben zu wollen. Andreas Mölzer lässt in Zur Zeit seine Leser wissen, er habe von den österreichischen Abgeordneten im Europaparlament am häufigsten geredet – als ob es von der Quantität und nicht von der Qualität abhängen würde. Und er hat noch mehr zu bieten, wenn er sich gegen „politisch korrekte Diffamierung“ wehrt und John Gudenus in Schutz nimmt. Da muss er sich aber an der eigenen Nase fassen, hat er doch Gudenus – nachdem dieser 2006 rechtskräftig verurteilt wurde – von der Liste der Herausgeber von Zur Zeit gestrichen. Jetzt wird dieses hochsubventionierte Blatt vom Botschafter a.D. Johann Josef Dengler (ÖVP), dem Volksanwalt Hilmar Kabas (FPÖ) und MdEP Andreas Mölzer herausgegeben.

Der Südosteuropa-Flügel...

Zur neuen Fraktion gehört auch der Bulgare Dimitar Stojanov, Ataka-MdEP, dem es bereits als Beobachter im EU-Parlament gelungen ist, einen Skandal auszulösen: Eine ungarische Roma-Abgeordnete sollte zur Parlamentarierin des Jahres gewählt werden. Stojanov protestierte daraufhin mit einer E-Mail an alle Abgeordneten; in Bulgarien gebe es „viel hübschere Zigeunerinnen“, die schlanker seien und die man kaufen könne: „Die schönsten sind die teuersten, 5.000 Euro das Stück.“ Ataka-Vorsitzender Volen Siderow wiederum ist besorgt, denn Bulgarien sei „bedroht von außen durch die Ausländerflut“; er möchte „Türken und Zigeuner“ aus seinem Land werfen und kritisiert die „unter jüdischem Einfluss stehende“ USA. Bereits zuvor war er als Autor von Büchern über eine „globale Verschwörung der Juden“ in Erscheinung getreten. Und er war Gast der FPÖ bei einem konspirativen Treffen von Rechtsextremisten zur Vorbereitung der Fraktion in Wien im November 2005.

Nicht fehlen in dieser illustren Gesellschaft darf die 1991 gegründete Groß-Rumänien-Partei (PRM), der man nachsagt, der politische Arm antiwestlicher Teile des berüchtigten Ceauşescu-Geheimdienstes Securitate zu sein. Die Ideologie der PRM besteht aus einer Mischung aus Nationalismus, Antisemitismus und neofaschistischen Versatzstücken. Sie fordert ein autarkes, christlich-orthodoxes und ethnisch homogenes Rumänien. PRM-Anführer Corneliu Vadim Tudor (Foto) war vor 1989 ein bekannter Hofdichter Ceauşescus und Mitarbeiter der Securitate-Zeitschrift Saptamina (Die Woche), die seit 1990 unter dem Titel Romania Mare (Groß-Rumänien) erscheint. Seinen Antisemitismus zwang Tudor auch in Reimform: „Rabbi, Rabbi, mit deinem lockigem Bart / mit deinem Haar voller Schuppen / Rabbi, Rabbi, du alter Gaul / du alter weichhirniger Mann in Lumpen / du spuckst auf die heiligen Dinge Rumäniens / Rabbi, Rabbi, du hast uns an die Ungarn und an die Russen verkauft“. Der PRM-Abgeordnete Dumitru Dragomir wiederum verkündete öffentlich, „Juden zu Seife“ verarbeiten lassen zu wollen. Anfang Juni 2002 feierte die PRM den 120. Geburtstag des faschistischen Diktators und Nazi-Kollaborateurs Ion Antonescu. Heute vermeidet sie allzu offene Anklänge an den rumänischen Faschismus und seine historischen Führer. Tudor selbst distanziert sich mittlerweile von seinem Antisemitismus und der entsprechenden Hetze im Parteiblatt. Nach wie vor aber hetzt er gegen die ungarische Minderheit und gegen Roma, die er in Lager gesperrt sehen will.

...und der aus dem Westen

Der belgische Vlaams Belang, der sich früher geziert hat, bei einem solchen Bündnis mitzumachen, ist dieser Fraktion ebenfalls beigetreten. Er ist die Nachfolgeorganisation des im Jahre 2004 aufgrund anhaltender Verstöße gegen das belgische Anti-Rassismusgesetz behördlich aufgelösten Vlaams Blok (VB). Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg qualifiziert diese beiden Organisationen respektive die Auflösung des VB so: „Die rechtsextremistische belgische Partei ‚Vlaams Blok’ (VB) hat sich am 14. November 2004 auf einem Sonderparteitag in Antwerpen aufgelöst und unter dem Namen ‚Vlaams Belang’ neu gegründet. Anlass hierfür war eine Entscheidung des belgischen Obersten Gerichtshofs vom 10. November 2004, nach der es die Richter als erwiesen ansahen, dass sich der ‚Vlaams Blok’ schwerer Verstöße gegen das Rassismusbekämpfungsgesetz schuldig gemacht hat. Das Programm des VB sei als diskriminierend und rassistisch einzustufen. In einem Interview in der Wochenzeitung ‚Junge Freiheit’ (JF) erklärte der Parteivorsitzende Frank Vanhecke: ‚Diese Partei hat dieselben Menschen und dasselbe Programm. Unsere Widersacher sollten sich also keinen Illusionen hingeben. Das Vlaams-Blok-Programm von 2003 und 2004 wird das Programm von Vlaams Belang sein’.“

Zum Vorsitzenden der Rechtsextremistengruppe im Europäischen Parlament wurde der stellvertretende Vorsitzende des französischen Front National (FN), Bruno Gollnisch, erkoren, der auch bei dem erwähnten Treffen in Wien im November 2005 anwesend war. Gollnisch stellte am 11. Oktober 2004 in Bezug auf den Holocaust fest: „Nicht ein einziger seriöser Historiker verteidigt mehr hundertprozentig die Ergebnisse des Nürnberger Prozesses. Ich bestreite nicht, dass Konzentrationslager existiert haben, aber die Zahl der Toten betreffend gäbe es Diskussionsstoff für die Historiker. Und hinsichtlich der Existenz von Gaskammern liegt es an den Historikern, sie festzustellen.“ Das Europaparlament hat Gollnisch deswegen an Frankreich ausgeliefert, wo er nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, und die Lyoner Jean-Moulin-Universität hat den Professor für japanisches und internationales Recht für fünf Jahre suspendiert.

Trias des Hasses

Was eint diese Fraktion? Im Grunde genommen dies: Antiamerikanismus, Antisemitismus – der sich manchmal auch als Antizionismus verkleidet – und Fremdenfeindlichkeit. Andreas Mölzer bringt es auf den Punkt: Er wünscht sich ein Europa, „das sich nicht vom Weltpolizisten USA domestizieren“ und „das sich nicht automatisch vor den Karren Israels im Nahost-Konflikt spannen lässt“, sondern eines, das „selbstbewusst im globalen Kampf der Kulturen gegenüber der islamischen Welt“ eintritt. Einen bescheidenen Anfang machte seine Partei ja schon beim letzten Wiener Wahlkampf, als sie unter anderem plakatieren ließ: „Daham statt Islam“ und „Wien darf nicht Istanbul werden“. Und weil Mölzer doch am Zeitgeist hängt, sieht er eine Welt, die „durch Amerikanisierung, Globalisierung und geistige Gleichschaltung gefährdet ist“, wenn die „volksbewussten Kräfte“ nicht „zusammenarbeiten und gemeinsam an Gewicht gewinnen“. Mölzer befürchtet, dass sie nicht lange werden zusammenarbeiten können, und droht für diesen Fall mit furchtbaren Konsequenzen. Er halte bereits das „Überleben der europäischen Völker und damit auch unseres deutschen Volkes“ für gefährdet. Man sieht: Der Mann, der noch vor weniger als zehn Jahren vom Wiener Oberlandesgericht bestätigt bekam, ein FPÖ-Jahrbuch mit „Nazitönen“ veröffentlicht zu haben, hält – auch wenn er sich gemäßigt gibt – fest an Schwulst und Pathos.

17.1.07

Garmischer Tragikomödie

Antiamerikanische Witze haben hierzulande bekanntlich Konjunktur. Wer etwa über George W. Bush die üblichen Späßchen macht, kann sich einigermaßen sicher sein, die Lacher auf seiner Seite zu haben. Und dann haben sie auch noch absurde Gesetze, diese Amis: Bei ihnen kann man beispielsweise die Tabakindustrie auf Schadenersatz verklagen, wenn man wegen übermäßigen Rauchens Lungenkrebs bekommt. Da schüttelt der Deutsche den Kopf, denn so etwas findet er verrückt. Wenn es aber in seinem eigenen Land noch weit kurioser zugeht, nimmt er davon kaum Notiz. Dabei ist es an Tragikomik schwer zu überbieten, dass drei Neonazis für die Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ freigesprochen wurden, während ein erklärter Nazigegner eine Geldstrafe zu zahlen hat, weil er mit Flugblättern für eine Vortragsveranstaltung gegen Nazismus und Islamismus werben wollte – und beiden Gerichtsurteilen der Paragraf 86 a des Strafgesetzbuches zugrunde lag, der das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ unter Strafe stellt.

Das beschauliche deutsche Städtchen Mittenwald ist Anziehungspunkt für Touristen aus so ziemlich aller Herren Länder. Aber Urlauber und Gäste sind nicht die einzigen, die gerne dorthin kommen: Auch Wehrmachts- und SS-Veteranen versammeln sich seit fast 50 Jahren unterm Karwendel – meistens zu Pfingsten –, um gemeinsam mit ehemaligen und jetzigen Bundeswehrsoldaten als „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ auf dem Hohen Brendten am 1957 errichteten „Ehrenmal der Gebirgsjäger“ ihrer „gefallenen Kameraden“ zu gedenken. Die Verbrechen, die Einheiten der Gebirgsjäger im Rahmen des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges unter dem Vorwand der „Bandenbekämpfung“ oder von „Vergeltungsaktionen“ begingen, waren bei diesen Treffen noch nie ein Thema – nicht die über 50 Massaker in Griechenland, Italien, Frankreich, Finnland, Jugoslawien, Polen, Albanien und der Sowjetunion; nicht die Ermordung von 317 Zivilisten im nordgriechischen Dorf Kommeno; nicht das Niedermetzeln von über 4.000 entwaffneten Italienern auf Kephallonia, einer Insel bei Korfu.

Doch die Traditionspflege des „Kameradenkreises“ geht seit 2002 zumindest nicht mehr ungestört über die Bühne. Denn seit jenem Jahr organisiert der Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege Protestaktionen gegen die Versammlungen der deutschen Helden, und das regelmäßig unter erschwerten Bedingungen. In Mittenwald stößt man sich nämlich weniger an den alljährlichen Nostalgieveranstaltungen für NS-Kriegsverbrecher, sondern an denen, die diese Meetings nicht einfach geschehen lassen wollen. Immer wieder kam es zu Festnahmen und anschließenden Strafverfolgungen gegen Demonstranten, während die Gebirgsjägerfreunde stets unbehelligt blieben. Die Staatsanwaltschaft stellte beispielsweise 2002 „wegen Geringfügigkeit“ ein Verfahren gegen zwei österreichische Weltkriegsveteranen ein, die während der Versammlung des „Kameradenkreises“ in Mittenwald Hakenkreuzorden getragen hatten. Und im Sommer letzten Jahres kam einer ebenfalls mit einer solchen Einstellung davon, der noch ganz anderes vorweisen kann: Ottmar Mühlhauser hatte 1943 ein Massaker-Kommando zusammengestellt und die Erschießung der bereits erwähnten 4.000 kriegsgefangenen italienischen Soldaten und Offizieren auf Kephallonia befehligt. Die Münchner Staatsanwaltschaft focht das jedoch nicht an: Dieses Wehrmachtsverbrechen stehe „nach sittlicher Wertung nicht notwendig auf tiefster Stufe“, denn es sei ohne „politische Beweggründe“ erfolgt: „Es ging vielmehr um militärische Belange, die zur Erschießung führten“; zudem könnten die Täter, die hilflose Kriegsgefangene exekutiert hatten, „menschliche Schwäche“ in Anspruch nehmen, weshalb sie des Mordes unverdächtig seien. Irgendwie will die Mär von der sauberen Wehrmacht ja auch juristisch abgesichert sein.

Bei so viel Verständnis für alte Nazis muss man in einem Ort, der alles daran setzt, um potenzielle Störungen der ländlichen Idylle gar nicht erst aufkommen zu lassen – und dabei die alten Kameraden nicht als solche empfindet –, mit allem rechnen, wenn man antritt, um die Friedhofsruhe ein bisschen zu beeinträchtigen. Und David Goldner (28), Politikwissenschaftler und erklärter Nazigegner, wusste, was ihn erwartet, als er zu den letztjährigen Protesten gegen das Mittenwalder Kameradschaftstreffen Ende Mai beitragen wollte. Aber dass ihm der polizeiliche Staatsschutz bei einer der zahlreichen Personenkontrollen 150 Flugblätter aus dem Rucksack nahm und einbehielt, erstaunte auch ihn. Man beschlagnahme die Handzettel, so wurde Goldner beschieden, weil sie einen Verstoß gegen den § 86 a StGB darstellten, da auf ihnen verfassungswidrige Symbolik zu sehen sei. Gemeint war das Foto, das sich auf einem Buchumschlag befindet und arabische Islamisten zeigt, die den Hitlergruß entbieten; verwendet wurde es für das im ça ira-Verlag erschienene Buch Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus (Bild ganz oben), das von seinem Herausgeber Stephan Grigat kurz nach den Protesten gegen die Gebirgsjäger auf einer Veranstaltung vorgestellt werden sollte. Für diesen Vortrag wollte David Goldner mit den Flugblättern werben, auf denen das Buchcover abgebildet war. Dass es sich um einen Aufruf handelt, der sich eindeutig gegen Nazismus und Islamismus positioniert, war auch für die Polizei offensichtlich; das spiele jedoch – da war sie sicher – keine Rolle. Das sah auch das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen so und schickte Goldner einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 40 Euro, also 2.400 Euro insgesamt: Der Tatbestand der Verwendung gesetzeswidriger Symbole sei erfüllt. Der Beklagte legte Widerspruch gegen den Bescheid ein, und so kam es am vergangenen Mittwoch zur Gerichtsverhandlung vor dem nämlichen Amtsgericht.

Ein knappes Jahr zuvor hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die Verwendung der Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS“ nicht strafbar ist und drei Neonazis der Karlsruher Kameradschaft, die diesen Spruch auf den Anrufbeantworter ihres „Nationalen Infotelefons“ getextet hatten, vom Vorwurf des Verstoßes gegen den § 86 a freigesprochen. Begründung: Die Losung sei weder mit der Parole der Waffen-SS („Unsere Ehre heißt Treue“) noch derjenigen der Hitlerjugend („Blut und Ehre“) identisch oder ihnen ausreichend ähnlich. Und schon waren die drei Faschos raus aus der Sache – darum, dass sie eine nationalsozialistische Organisation verherrlicht hatten, ging es dem Rechtsstaat nämlich nicht. Erheblich mehr Mühe mit dem Freispruch hatte dagegen ein 22-jähriger, dem im März vergangenen Jahres sein zehn Monate zuvor beschlagnahmter Anstecker wieder ausgehändigt wurde, auf dem ein durchgestrichenes (!) Hakenkreuz abgebildet war. 200 Euro sollte er ursprünglich zahlen – wegen des Verwendens eines verfassungsfeindlichen Symbols. Dass sich ein dicker roter Balken über der Swastika befand, der somit den Träger des Buttons als Nazigegner auswies, interessierte das Amtsgericht Tübingen nicht. Die Richterin senkte die Strafe zwar auf 50 Euro, blieb jedoch bei der Verurteilung des Angeklagten und rechtfertigte ihren Beschluss mit dem Argument, ein japanischer Tourist könne nicht erkennen, dass es sich bei dem durchgestrichenen Hakenkreuz um ein antifaschistisches Symbol handelt; er sehe nur das NS-Zeichen. Eine Instanz höher stufte man das Urteilsvermögen asiatischer Urlauber dann allerdings doch etwas höher ein. Vielleicht hätte auch der Bundesgerichtshof diese Zielgruppe beanspruchen und sie das schneidige Stakkato auf dem Anrufbeantworter der Karlsruher Neonazis hören lassen sollen.

Doch zurück zu David Goldner, über den nach seinem Einspruch in Garmisch-Partenkirchen vergangene Woche zu Gericht gesessen wurde. Eine Dreiviertelstunde dauerte es, dann hatte Richter Dieter Klarmann den Strafbefehl bestätigt und lediglich die Höhe des Tagessatzes von 40 auf 10 Euro reduziert. Auf den Flugblättern sei der Hitlergruß deutlich zu erkennen gewesen, und der Text des Aufrufs habe sich nicht klar genug davon distanziert, gab Goldner gegenüber Lizas Welt die Begründung des Vorsitzenden wieder. Gelesen haben kann letzterer das Flugblatt nicht, denn sonst hätte er zur Kenntnis nehmen müssen, wie der Vortrag des Buchherausgebers dort angekündigt wurde:
„Die Radikalität der besten Arbeiten der Kritischen Theorie resultiert daraus, in der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft sich dessen bewusst zu werden, dass allererst die ebenso zwanghafte wie selbstgewählte Reaktion auf diese Gesellschaft abzuwehren ist: der Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten, der auf Juden und Jüdinnen zielt. Darin ist die Erfahrung der nationalsozialistischen Verfolgung bei diesen linken Intellektuellen zur Grundlage einer Kritik geworden, die den Marxismus hinter sich lassen musste, um die Befreiung mit der kritischen Theorie von Marx noch denken zu können. Darin liegt ihre ganze Aktualität in der postnazistischen Gesellschaft.“
Vielleicht überstiegen diese Zeilen aber auch einfach Klarmanns Horizont. Doch besonders schwer ist es andererseits eigentlich nicht, den „Vernichtungswahn der regressiven Antikapitalisten“ in Form hitlergrüßender Islamisten auf dem Foto zu erkennen, im Text die Forderung nach dessen Abwehr zu finden und angesichts des Titels Feindaufklärung und Reeducation schließlich den logischen Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen herzustellen. Es wäre sicher auch kein großes Problem gewesen herauszufinden, dass das Buch schon seit längerem vollkommen unbeanstandet ausgeliefert und verkauft wurde. Doch so viel Mühe wollte sich Richter Klarmann anscheinend nicht machen, wie David Goldner berichtete: Mindestens zwei Mal betitelte er das Buch mit ‚Feindaufklärung und Reduktion’ statt ‚Reeducation’. Das alleine zeigt schon, wie wenig er sich damit befasst hat.“ Dabei müsste Klarmann diese Reeducation zu seinen früheren Zeiten noch ansatzweise mitbekommen haben. Aber man vergisst ja bekanntlich das, was einen nicht groß beeinflusst hat, recht schnell wieder. Doch wenn man schon nicht den Sammelband eines kleinen Freiburger Verlages zur Kenntnis nimmt, dann vielleicht zumindest die auflagenstärkste Boulevardzeitung des Landes. Denn die hatte ein ähnliches Verbrechen begangen wie der Politologe, wie dieser in seiner Verteidigungsrede deutlich machte:
„Am Mittwoch den 26. Juli 2006 publizierte die BILD-Zeitung auf Seite 2 ein 30 cm mal 15 cm großes Farbfoto, das Kinder der libanesischen Hizbollah zeigt, die ihre rechten Arme zu einem Gruß strecken, der stark an den Hitlergruß erinnert. Die entsprechende Seite von damals habe ich dabei. Laut Wikipedia erreicht die BILD-Zeitung zur Zeit eine verkaufte Auflage von circa 3,8 Millionen Exemplaren pro Tag (2005). Sie erreicht damit etwa 18,8 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren, das sind 12,11 Millionen Menschen. Meines Wissens hat keine Staatsanwaltschaft Deutschlands – und auch keine in Bayern – den Axel-Springer-Verlag wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angezeigt oder verklagt.“
Es half alles nichts – zumal sich die Staatsanwältin mit dem Argument „Zur BILD-Zeitung kann ich leider nichts sagen, da diese Zeitung nicht zu den Zeitungen gehört, die ich lese“ herausgewunden habe, wie David Goldner schilderte –: Er wurde verurteilt. Dabei machte Richter Klarmann mit nachgerade bestechender Logik geltend, der Angeklagte habe ja erstens an den Protesten gegen das Traditionstreffen der Gebirgsjäger teilgenommen, und von diesen seien zweitens einige – hört! – an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Was allemal beweise: Goldner habe während der Protestkundgebungen Flugblätter verteilen wollen, und die Personen auf diesen Flugblättern zeigten den Hitlergruß. Wie früher die Gebirgsjäger, soll das vermutlich heißen – und wer derlei argumentative Stringenz nicht nachvollziehen kann, muss sich nicht grämen, sondern nur wundern.

David Goldner hatte das Pech, dass sein Verfahren vor einem typischen Provinzgericht stattfand. Und wenn so eins mal große Politik spielen will, statt immer nur Verkehrsdelikte zu ahnden, kommt oft ziemlicher Murks heraus. In Lüdinghausen beispielsweise verurteilte das dortige Amtsgericht mitten im so genannten Karikaturenstreit des vergangenen Jahres einen Mann zu einer Bewährungsstrafe, weil er Toilettenpapierstücke mit dem Aufdruck „Koran“ verteilt hatte. Nun schrieb Dieter Klarmann ein weiteres bizarres Stück Rechtsgeschichte – ein Richter, der im ländlichen Bayern berüchtigt ist „für eine gewisse Schroffheit im Umgang mit Prozessbeteiligten, die aus irgendeinem Grund sein Missfallen erregen, seien es Angeklagte, Zeugen oder Verteidiger“, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb:*
„Einmal, das war im Jahr 2000, fand er sich selbst auf der Anklagebank wieder, weil er einen Angeklagten mit dem Adjektiv ‚saudumm’ belegt hatte. Einer Verurteilung entkam er nur, weil er sich im Gerichtssaal entschuldigte und der Kläger seinen Strafantrag zurückzog. Als das Tagblatt darüber berichtete, teilte ein Garmischer Anwalt per Leserbrief weitere Klarmannsche Sottisen mit: Einmal habe er die Ausführungen eines Verteidigers ‚schwachsinnig’ genannt, ein anderes Mal einen Gastwirt mit dem Spruch ‚wer nix wird, wird Wirt’ bedacht. Und ein seit Jahren eingebürgerter Iraker, der nachts in Garmisch wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gestoppt wurde, musste sich von Klarmann sagen lassen: ‚In der Wüste können Sie so schnell fahren, wie Sie wollen.’.“
Eine Anzeige fing sich Richter gnadenlos auch ein, weil er zwei türkische Männer als „Rindviecher, Ochsen und Kühe“ bezeichnet haben soll. Und in einem anderen Gerichtsverfahren verurteilte er eine 41-jährige Medizinerin wegen angeblicher Beihilfe zum illegalen Aufenthalt ihres nigerianischen Ehemanns. Im Urteil hieß es sinngemäß: Trotz ihrer „Verliebtheit“ hätte sich der Frau angesichts des „Aussehens“ und der „Herkunft“ ihres Mannes der Verdacht aufdrängen müssen, dass dieser sich den Aufenthalt „erschlichen“ hat. Weil sie bewusst Nachforschungen unterlassen habe, wurden sie zu einer Geldstrafe von 2.550 Euro verurteilt. Ihr Verteidiger war fassungslos, sprach von Diskriminierung und erwog rechtliche Schritte gegen den eigenwilligen Gesetzesausleger.

David Goldner, Klarmanns jüngstes Opfer, gibt sich gleichwohl noch lange nicht geschlagen und sieht das groteske Urteil gelassen: „Alles in allem kann man das nicht ernst nehmen. Ich hoffe, das Oberlandesgericht entscheidet anders; ansonsten muss ich zur Not bis vor den Bundesgerichtshof gehen“, sagte er zu Lizas Welt. Und dieser Bundesgerichtshof hat ja noch eine Menge gutzumachen.

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David Goldner bittet dringend um Spenden für die Prozesskosten. Diese können unter dem Stichwort Prozesskosten Garmisch-Partenkirchen auf folgendes Konto überwiesen werden:

ISF e.V.
Konto-Nr. 2260 45-756
Postbank Karlsruhe
BLZ 660 100 75

Das Bayerische Fernsehen berichtete in seiner Sendung Zeitspiegel ausführlich über den Prozess; ein Interview mit David Goldner ist zudem bei Radio LORA zu hören.

Update 3. Februar 2007: Eine englische Übersetzung dieses Beitrags erschien unter dem Titel Tragicomedy in the Bavarian Alps im American Thinker.

* Süddeutsche Zeitung vom 9. Mai 2003 (nur Printausgabe)