30.3.07

Alter Wein in neuen Schläuchen

Manche Reformen, die in der Weltgeschichte vollzogen werden, vergisst man nicht zuletzt deshalb so schnell wieder, weil sich ihre Resultate von dem für reformierungsbedürftig gehaltenen Status quo ante nicht groß unterscheiden. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ist so eine Neuerung, die zwar mit einigem Getöse angekündigt wurde, aber letztlich doch nur Altbekanntes und Gewohntes fortführt. Im Juni vergangenen Jahres löste dieses Gremium die 1946 gegründete Menschenrechtskommission ab, die immer stärker in die Kritik geraten war: In ihren Entschließungen wurden selbst derbste Verbrechen von Mitgliedsstaaten und deren Verbündeten nicht verurteilt. Dafür hatte sie sich mehrheitlich und dauerhaft – wie könnte es anders sein? – auf Israel eingeschossen und den jüdischen Staat fortwährend ärgster Knechtung der Palästinenser bezichtigt. Der seinerzeitige UN-Generalsekretär Kofi Annan wünschte sich schließlich einen Ersatz für die Kommission und kurbelte die Entstehung des Rates mit an. Der trifft sich ein bisschen häufiger als sein Vorgänger, ähnelt ihm jedoch stark in punkto Agenda und Prozedere. Angeblich sind die Aufnahmekriterien schärfer; die Mitglieder sollen in Bezug auf die Menschenrechte für „höchste Standards“ stehen und sich per Zweidrittelmehrheit von ihren schwarzen Schafen trennen können. Doch die Ratsangehörigen tun mehrheitlich das, was sie bereits im Vorläufermodell getan haben. Israel und die USA traten ihnen daher gar nicht erst bei.

Aus gutem Grund, wenn man weiß, was beispielsweise die vierte Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf, die am 12. März begann und just heute zu Ende geht, so alles verhandelt hat. Hierzulande blieb das neunzehntägige Treffen weitgehend unbeachtet; lediglich seine Kritik am deutschen Bildungssystem war kurzzeitig ein Thema. Die erneuten Attacken gegen Israel jedoch fanden höchstens am Rande Erwähnung. Gleich in mehreren Berichten von Ratsmitgliedern wurde der jüdische Staat angegriffen; einer davon geißelte die Behandlung schwangerer palästinensischer Frauen durch israelische Soldaten an den Grenzübergängen, zwei andere hatten die „Lage der Menschenrechte in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten“ zum Thema. Und da lief der zuständige UN-Sonderberichterstatter John Dugard einmal mehr zu großer Form auf. Israel sei gekennzeichnet durch „Kolonialismus“ und „Apartheid“, tönte der Südafrikaner unter Berufung auf, na klar, Jimmy Carters Buch; es stelle sich daher die Frage nach rechtlichen Konsequenzen für die israelische Regierung. Also schlug Dugard vor, „diese Frage zuständigkeitshalber an den Internationalen Gerichtshof zur weiteren Beurteilung“ weiterzureichen, mit einer unmissverständlichen Vorgabe: „Das offensichtliche Scheitern der westlichen Staaten, dieser Situation ein Ende zu bereiten, stellt langsam ihre Entschlossenheit im Fall der Menschenrechte in Frage.“ Kassam-Raketen? Selbstmordattentate? Vernichtungsdrohungen? Nicht der Rede wert.

Am vergangenen Freitag hatte deshalb der Direktor der Nichtregierungsorganisation UN Watch, Hillel Neuer, die Faxen gründlich dicke. Als er ans Mikrofon trat, um seinen kurzen Beitrag vorzustellen, fielen Worte, die in dieser Deutlichkeit und Klarheit eine Rarität sind: Die Rede war eine Abrechnung mit dem Menschenrechtsrat und seiner Verfasstheit; Neuer zog eine Bilanz, die sich gewaschen hatte. Er sprach im Zusammenhang mit den führenden Kräften des Gremiums von „Despoten“ und resümierte: „Sie versuchen, die israelische Demokratie zu dämonisieren, den jüdischen Staat zu delegitimieren, das jüdische Volk zum Sündenbock zu machen. Sie versuchen außerdem noch etwas anderes, nämlich die eigentliche Sprache und Idee der Menschenrechte zu entstellen und zu pervertieren.“ Die ursprüngliche Idee einer Menschenrechtskommission sei von der Shoa geprägt gewesen; die Visionen ihrer Gründer seien jedoch inzwischen „durch furchtbare Lügen und moralische Verdrehungen in einen Albtraum verwandelt“ worden. Das war für den Präsidenten des Rates, den Mexikaner Luis Alfonso de Alba, zu viel der Wahrheit; er drohte Neuer mit Konsequenzen: „In Erinnerung an die Personen, auf die Sie sich bezogen haben, die Gründer der Menschenrechtskommission, und zum Wohle der Menschenrechte ermahne ich Sie, bei zukünftigen Stellungnahmen ein Minimum an gutem Benehmen und korrekter Sprache an den Tag zu legen. Andernfalls wird jedes Statement, das Sie in einem ähnlichen Tonfall wie heute von sich geben, aus dem Protokoll gestrichen werden.“

Hillel Neuers außergewöhnliche Ansprache verdient eine vollständige Dokumentation. Auf diversen Websites ist sie als Video zu finden; auch der Redetext liegt in englischer Sprache vor. Lizas Welt hat ihn ins Deutsche übersetzt.


Hillel Neuer

Ein Menschenrechtsalbtraum

Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat,
23. März 2007


Herr Präsident,

vor sechs Jahrzehnten, während der Nachwirkungen des Nazi-Horrors, versammelten sich Eleanor Roosevelt, Réné Cassin und andere bedeutende Personen hier, am Ufer des Genfer Sees, um die Grundsätze menschlicher Würde noch einmal zu beteuern. Sie gründeten die Menschenrechtskommission. Heute fragen wir: Was wurde aus ihrem noblen Traum? In dieser Sitzung erfahren wir die Antwort. Angesichts eindringlicher Berichte aus aller Welt über Folter, Verfolgung und Gewalt gegen Frauen: Was hat der Rat verkündet, und was hat er entschieden?

Nichts. Seine Antwort war Schweigen. Seine Antwort war Gleichgültigkeit. Seine Antwort war kriminell. Man könnte in Harry Trumans Worten sagen, dass dies ein untätiger und nichtswürdiger Rat geworden ist. Aber das wäre ungenau. Denn der Rat hat etwas getan. Er hat eine Resolution nach der anderen verabschiedet, in denen ein einzelner Staat verurteilt wurde: Israel. In acht Stellungnahmen – und drei weitere werden in dieser Sitzung folgen – wurde der Hamas und der Hizbollah Straffreiheit zugesichert. Der gesamt Rest der Welt – mit Abermillionen Opfern in 191 Ländern – wird weiterhin ignoriert.

Also: Ja, der Rat tut etwas. Und die Diktatoren des Nahen Ostens, die diese Kampagne orchestrieren, werden Ihnen sagen, dass das gut so ist. Und dass sie versuchen, die Menschenrechte zu schützen, die Rechte der Palästinenser. Die rassistischen Mörder und Vergewaltiger der Frauen von Darfur berichten uns, dass sie sich um die Rechte der palästinensischen Frauen kümmern, die Besetzer Tibets kümmern sich um die Besetzten, und die Schlächter der Muslime in Tschetschenien kümmern sich um die Muslime. Aber kümmern sich diese selbst ernannten Verteidiger wirklich um die Rechte der Palästinenser?

Denken wir an die vergangenen Monate. Mehr als 130 Palästinenser wurden durch palästinensische Streitkräfte getötet. Das ist das Dreifache der Zahl der Toten, die den Vorwand für die beiden Sondersitzungen im vergangenen Juli und November bildete. Doch die Meister der Rechte der Palästinenser – Ahmadinedjad, Assad, Ghaddafi, John Dugard –, sie sagen nichts. Der kleine dreijährige Junge Salam Balousha und seine zwei Brüder wurden in ihrem Auto von Truppen des Premierministers Haniya ermordet. Warum hat dieser Rat beschlossen zu schweigen? Weil Israel nicht dafür beschuldigt werden konnte. Weil in Wahrheit die Despoten, die diesen Rat führen, sich um nichts weniger scheren als um die Palästinenser und generell um die Menschenrechte.

Sie versuchen, die israelische Demokratie zu dämonisieren, den jüdischen Staat zu delegitimieren, das jüdische Volk zum Sündenbock zu machen. Sie versuchen außerdem noch etwas anderes, nämlich die eigentliche Sprache und Idee der Menschenrechte zu entstellen und zu pervertieren. Sie fragen: Was ist aus dem Traum der Gründer geworden? Durch furchtbare Lügen und moralische Verdrehungen wurde er in einen Albtraum verwandelt.

Vielen Dank, Herr Präsident.

* * * * *

Die Antwort des Präsidenten des Menschenrechtsrats, Luis Alfonso de Alba:

Zum ersten Mal in dieser Sitzung werde ich keinen Dank für eine Stellungnahme aussprechen. Ich sollte das gegenüber dem angesehenen Repräsentanten der Organisation, die gerade zu Wort kam, betonen, gegenüber dem angesehenen Repräsentanten von United Nations Watch, wenn Sie so freundlich wären, mir zuzuhören. Es tut mir Leid, dass ich mich außerstande sehe, Ihnen für Ihre Äußerungen zu danken. Ich sollte erwähnen, dass ich keine ähnlichen Stellungnahmen hier im Rat dulden werde. Die Art und Weise, in der hier auf Mitglieder des Rats Bezug genommen wurde und in der auf den Rat selbst Bezug genommen wurde, ist unzulässig. In Erinnerung an die Personen, auf die Sie sich bezogen haben, die Gründer der Menschenrechtskommission, und zum Wohle der Menschenrechte ermahne ich Sie, bei zukünftigen Stellungnahmen ein Minimum an gutem Benehmen und korrekter Sprache an den Tag zu legen. Andernfalls wird jedes Statement, das Sie in einem ähnlichen Tonfall wie heute von sich geben, aus dem Protokoll gestrichen werden.

Update: Auf der Website von UN Watch findet sich eine Sammlung von Beispielen für Stellungnahmen, die im UN-Menschenrechtsrat im Gegensatz zum Redebeitrag Hillel Neuers unbeanstandet blieben. Während der Präsident also Kritik an seinem Gremium partout nicht hören mag, gab es gegen Holocaustleugnungen, die Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen, die Rechtfertigung der Todesstrafe für Schwule und die Glorifizierung von Terror keinerlei Einwände.

29.3.07

Immer laufen lassen!

Irgendwo muss man Oliver Kahn (Foto) einfach verstehen. Da wirft sein FC Bayern den Erzfeind Real Madrid aus der Champions League, die Mitspieler feiern ausgelassen, die Familie wartet darauf, endlich essen gehen zu können – und dann heißt es: bitte zur Dopingprobe. Schon zum vierten Mal nacheinander. Trotzdem an sich keine große Sache: Schnell ein paar Tropfen ins Röhrchen, und gut ist’s. Denkste: „Ich kann nach solchen Spielen einfach nicht. Ich trinke Wasser, Mineralgetränke, bis nichts mehr reingeht – nichts. Ich brauch’ da immer zwei, drei Stunden, bis alles erledigt ist“, schildert der Torwart seine Not mit der Pflichtübung. Irgendwann ist der Kelch dann doch voll, „so gegen ein Uhr nachts“. Doch damit hat die Angelegenheit noch längst nicht ihr Ende: „Als ich dem Dopingarzt meinen Becher bringe, sagt er, dass er nicht zugesehen hätte. Ich müsste noch mal.“ Da läuft das Fass über, und zwar im Wortsinn: Kahn schleudert das Resultat der Geduldsprobe samt Behältnis in den Lokus; dabei bekommen die Unterlagen des erbarmungslosen Uefa-Kontrolleurs Franz Krösslhuber – „Zum Glück hatte ich die Formulare in doppelter Ausfertigung dabei“ein paar Spritzer der hart erkämpften Substanz ab. Kahns Mitspieler Lúcio, der ebenfalls zum Wasserlassen antreten musste, eilt seinem Keeper zur Hilfe. Das folgende Wortgefecht ist nicht dokumentiert, soll dem Vernehmen nach allerdings auch nicht druckreif gewesen sein. Der Bayern-Torhüter entschuldigt sich, als bekannt wird, dass der europäische Fußballverband gegen ihn ermittelt; dennoch wird er zu einer Geldstrafe sowie einem Spiel Sperre verurteilt.

Für Kahns Probleme mit dem Urinieren unter Zeitdruck gibt es einen medizinischen Fachterminus: Paruresis. Broder-Jürgen Trede weiß im Fußballmagazin RUND Näheres dazu:
„Unter bestimmten Umständen – etwa unter Zeitdruck, der Anwesenheit anderer Personen in öffentlichen Toiletten und dem Gefühl, beim Pinkeln unter Beobachtung zu stehen – können manche Menschen ihre Blase nicht entleeren. Sie leiden unter einer so genannten schüchternen Harnblase. ‚Bei Stress kommt es naturbedingt zu einem Zusammenziehen des Ringmuskels der Blase, wodurch das Harnlassen erschwert wird’, erklärt Dr. Philipp Hammelstein, Privatdozent an der Uni Düsseldorf, ‚mit Gewalt geht dann gar nichts. Pressen ist ein absolutes No Go und wirkt kontraproduktiv’. Unter dem Titel ‚Lass es laufen’ hat Dr. Hammelstein einen Ratgeber zur Überwindung der Parureris verfasst. Sein wichtigster Tipp: ‚Es hilft im Grunde genommen nur Entspannung. Die Fußballer sollten etwa anderthalb Minuten vor dem Wasserlassen tief einatmen, die Luft anhalten und dann am Urinal bewusst ausatmen, um so den möglichen Flow zu unterstützen.’“
Offenbar hat Oliver Kahn etwas zu tief eingeatmet und seinen Flow vor allem am Uefa-Beauftragten vollstreckt, weshalb er seinem Team nun im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim AC Milan Anfang April fehlen wird, sofern die Uefa in der Berufungsverhandlung nicht doch noch Gnade walten lässt. Damit ist der Münchner, bei Lichte betrachtet, ein Dopingopfer der besonderen Art. Und das, obwohl es dem organisierten Fußball diesbezüglich an bizarren Fällen ohnehin nicht mangelt. Inwieweit Doping beim Kicken überhaupt von wettbewerbsverzerrender Bedeutung ist und also angeblich der Restriktion bedarf, darüber streiten sich die Gelehrten immer noch; ausgerechnet Otto Rehhagel, sonst eher die Law-and-Order-Marke, brachte einmal auf den Punkt, warum sich die Auswirkungen in Grenzen halten dürften: „Wer mit links nicht schießen kann, trifft den Ball auch nicht, wenn er hundert Tabletten schluckt.“ Vollends absurd wird es gar, wenn mal wieder einer dafür aus dem Verkehr gezogen wird, dass er sich gelegentlich einen Joint gönnt. Denn der ist eins ganz sicher nicht, nämlich leistungssteigernd. CannabisLegal, eine Initiative mit „Argumenten für eine realistische Drogenpolitik“, vermutet daher andere Absichten hinter der Bestrafung von kiffenden Kickern:
„Was mit den Cannabistests bei Spitzensportlern bezweckt werden soll, ist unklar. Offiziell werden sie mit der Fürsorgepflicht der Verbände begründet. Nachdem ohnehin Urinproben zum Test auf Aufputschmittel genommen werden, kann man gleich zur Abschreckung auf Cannabis als illegale Substanz mittesten, so geht wohl die Überlegung der Funktionäre. Dass die Tests noch Wochen zurückliegenden Konsum nachweisen, der für die Leistung im Spiel ohne Konsequenz ist, dass also in erster Linie das Privatleben überwacht wird, scheint kein Problem zu sein.“
Den Konsum von Marihuana für unlauteren Wettbewerb und darüber hinaus für prinzipiell verwerflich zu halten, entspringt dem Weltbild des Reaktionärs, der sich noch mit zwei Promille ans Steuer setzt, aber das Kiffen für die Vorstufe zur Drogenhölle hält. Doch die gesellschaftliche Akzeptanz ist ein wenig gewachsen: Vor ein paar Jahren galt der Genuss von Cannabisprodukten vielleicht noch als irgendwie verrucht und subversiv; heute ist er selbst für Rechtsanwalte und Jungunternehmer nichts Außergewöhnliches mehr. Manche bauen selbst an; der Rest fährt nach Holland oder lässt sich etwas mitbringen. Das ganz große Gewese macht man staatlicherseits inzwischen nicht mehr zu alledem; trotzdem ist diese Form von Rausch in Deutschland immer noch so weit illegalisiert, dass man die Ingredienzen für ihn offiziell nicht kaufen oder verkaufen darf. Und im Sport bildet weiterhin die ehrlos ergraute, aber anscheinend zeitlos genussfeindliche Keine Macht den Drogen!- Kampagne den ideologischen Rahmen eines Selbstverständnisses, das die kollektive Bierseligkeit im Sportverein als Ausdruck von Geselligkeit wahlweise begrüßt oder doch wenigstens duldet, sich aber stur der Einsicht widersetzt, dass das Rauchen von Tüten ein nicht minder legitimes Bedürfnis ist und zudem weniger körperliche Dependenzen verursacht als der Alkohol.

Also wurde der Mönchengladbacher Profi Quido Lanzaat im Januar 2000 für satte drei Monate gesperrt, nachdem während des Winter-Hallenmasters Spuren von Tetrahydrocannabinol (THC), dem Wirkstoff von Haschisch, in seinem Urin festgestellt worden waren. Zudem – und nichts könnte diese Groteske schöner abrunden – wurde den Gladbachern der (völlig unbedeutende) Turniersieg aberkannt; den Pokal erhielt stattdessen der Zweitligist aus Fürth. Doch Lanzaat blieb nicht allein: Auch der Dortmunder Ibrahim Tanko wurde als Cannabiskonsument geoutet und infolgedessen längerfristig an der Ausübung seines Berufs gehindert. Und ein Profikicker trug sogar das Nationaltrikot, als er positiv auf THC reagierte: Alexander Walke hieß der junge Mann, der damals bei Werder Bremen spielte – heute ist er beim SC Freiburg – und im Dezember 2003 nach einem U-20-Länderspiel gegen die USA zur Dopingprobe einbestellt wurde. Aus dem 3:1-Sieg für Deutschland wurde am grünen Tisch eine 0:2-Niederlage; zudem folgte eine Sperre für den Torwart.

Wenn man bedenkt, dass in Frankreich die Nationalkeeper Fabien Barthez und Bernard Lama auch schon mal als Haschrebellen auffällig wurden, ist man fast geneigt zu glauben, dass die Torhüter einen besonderen Hang dazu haben, dann und wann mal einen zu bauen. Denn sie gelten ja ohnehin recht eigentlich als die etwas anderen Mitspieler, und das oft gar nicht mal zu Unrecht. Walke befand sich zumindest in guter Gesellschaft. Dass Oliver Kahn nach des Tages Mühen das grüne Glück aus der Schublade holt und sich oral zuführt, darf man gleichwohl bezweifeln. Dabei wäre es mutmaßlich gar keine schlechte Idee, könnte er auf diese Weise etwas mehr Gelassenheit aufbringen. Dem Uefa-Beauftragten Krösslhuber wenigstens wäre das zweifellos zupass gekommen. Es müsste also auch im Interesse der Fußballverbände liegen, aus den Dopingrichtlinien zumindest THC-haltige Substanzen zu streichen. Außerdem hätten die Spieler, die sich nach einem Kick höchstoffiziell erleichtern müssen, eine weitere Option, sich die Zeit zu vertreiben: Sie könnten mit den zuständigen Funktionären außer Karten zu zocken oder sich gemeinsam zu betrinken auch gepflegt einen durchziehen. Kiffen macht bekanntlich friedlich und vor allem gleichgültig. Irgendwann läuft dann alles wie von selbst. Wenn das mal kein Grund ist.

28.3.07

Resolutionsgarden

Am vergangenen Freitag wurden fünfzehn britische Marinesoldaten von iranischen Revolutionsgardisten entführt und an einen bislang noch nicht bekannt gewordenen Ort verschleppt. Der Vorwurf des Mullah-Regimes, die Seeleute seien „illegal in iranische Hoheitsgewässer“ eingedrungen und hätten dies auch bereits gestanden, ist – wie stets – nichts als Propaganda; das britische Schiff befand sich auf irakischem Territorium, als es geentert wurde. Was die tatsächlichen Hintergründe des Kidnappings sein könnten, darüber wird jedoch gerätselt. In den deutschen Medien wurde zunächst die Möglichkeit favorisiert, der Iran könnte einen Austausch von Gefangenen bezwecken, konkret: die Freilassung von fünf Mitgliedern einer Spezialeinheit der Revolutionsgarde erzwingen wollen, die am 11. Januar dieses Jahres im irakischen Arbil von amerikanischen Soldaten festgenommen worden waren. Der irakische Außenminister Manuchehr Mottaki dementierte diese Absicht jedoch.

Fest steht: Die Entführung geschah einen Tag, bevor der UN-Sicherheitsrat seine Resolution 1747 beschloss, mit der den Mullahs eine neuerliche Frist von 60 Tagen gesetzt wird, ihren Schuldigkeiten insbesondere in Bezug auf das Atomprogramm nachzukommen. Zudem werden alle Staaten und Finanzinstitutionen aufgerufen, „keine neuen Verpflichtungen für Darlehen, Finanzhilfen und Kredite an die Regierung der Islamischen Republik des Irans einzugehen – außer für humanitäre Zwecke und Entwicklungsprojekte“. Nach Ablauf des genannten Zeitraums will die Uno „weitere angemessene Maßnahmen im Rahmen des Artikel 41, Kapitel VII der UN-Charta beschließen“, falls der Iran „der Resolution 1737 (2006) und dieser Resolution nicht nachgekommen ist“. Beide Entscheide beruhen also auf einem Paragrafen, der militärische Gewalt als „angemessene Maßnahme“ jedenfalls nicht vorsieht. Und Russland hat bereits deutlich gemacht, dies solle auch weiterhin so bleiben. Dass die Resolution schmerzhafte Konsequenzen für das iranische Regime hat, darf daher bezweifelt werden.

Natürlich ist es kein Zufall, dass die Geiselnahme kurz vor dem UN-Meeting erfolgte; die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, der Überfall sei bereits am 18. März beschlossen worden: An jenem Tag traf der Hohe Verteidigungsrats der Islamischen Republik zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Grundlage war ein Bericht, den General Ghassem Soleimani, der Kommandeur der Ghods-Brigade, verfasst hatte. Die Ghods-Brigade ist eine nach Jerusalem benannte Spezialeinheit der Revolutionsgarde (Pasdaran). Er untersuchte die Folgen von zwei Vorfällen, die den iranischen Streitkräften erhebliches Kopfzerbrechen bereiten.“ Der eine davon betreffe die bereits erwähnten fünf von den USA festgenommenen Revolutionswächter, der andere Ali Reza Askari, einen der wichtigsten Geheimdienstler der Ghods-Brigade im Irak, der an früheren Waffenverhandlungen des Irans maßgeblich beteiligt war und sich anscheinend in die Vereinigten Staaten abgesetzt hat. Die Gefangenen könnten Staatsgeheimnisse ausplaudern, fürchten die Mullahs.

„Früher wäre das, was der Iran getan hat, allgemein als Kriegsakt verstanden worden“, kommentierte das Wall Street Journal; es habe sich um einen „vorsätzlichen Akt“ gehandelt, nur Stunden vor der UN-Zusammenkunft. Die Zeitschrift weist zudem darauf hin, dass der Iran 2004 schon einmal britische Soldaten wegen einer angeblichen Grenzverletzung gefangen nahm; dass Großbritannien einen solchen Fehler ein zweites Mal begehen könnte, spotte jeder Beschreibung. Möglicherweise sei das Kidnapping erfolgt, um ein Faustpfand für den erwähnten Ali Reza Askari zu haben, mutmaßt das Periodikum; auch die
Spekulation darauf, dass Tony Blair im Interesse eines reibungslosen Abtritts einen hohen Preis für die Auslösung der Geiseln zu zahlen bereit sein müsste, wird als möglicher Beweggrund genannt. Weitere Motive: ein Hineinziehen der Briten in einen begrenzten Konflikt, in dem die Mullahs Sympathien in der Bevölkerung gewinnen wollen, sowie ein beschleunigter Abzug der Koalitionstruppen aus dem Irak.

Die Welt solle sich daran erinnern, schließt das Wall Street
Journal, dass der Iran seine jüngste militärische Aggression noch als konventionelle Militärmacht unternommen habe. Eine Antwort darauf sei immer noch möglich, in dem Vertrauen auf die eigene Überlegenheit. Dieses Vertrauen werde jedoch „in dem Moment verschwinden, in dem der Iran sein Ziel erreicht hat, eine Nuklearmacht zu werden. Wer weiß, wozu die Revolutionäre in Teheran dann fähig sein werden?“ Diese Frage stellt sich auch Ely Karmon, der Leiter einer Forschungsgruppe am Institute for Counterterrorism, das wiederum zum Interdisciplinary Center in Herzliya gehört. Er erinnert daran, dass es Geiselnahmen durch den Iran nicht erst seit gestern gibt und dass der Iran „für keine seiner gegen den Westen gerichteten Aggressionen bestraft“ wurde. Ein Muskelspiel gegenüber dem Irak und der Versuch, Großbritannien und die USA gegeneinander auszuspielen, könnten nun der Anlass für die neuerlichen Entführungen gewesen sein. Was damit einher geht und welche Konsequenzen zu befürchten sind, schildert Karmon in einem Beitrag für die Jerusalem Post. Lizas Welt hat ihn ins Deutsche übersetzt.


Ely Karmon

Der Iran dreht der Welt eine lange Nase

Jerusalem Post, 26. März 2007

Die Entführung von 15 britischen Soldaten, die sich an Bord der HMS Cornwall befanden, ist die iranische Art, der Welt ins Gedächtnis zu rufen, dass der Iran eine starke militärische und regionale Macht ist und dass die internationale Gemeinschaft ihre Grenzen nicht überschreiten soll, wenn die nationalen Interessen der Islamischen Republik tangiert werden. Indem sie 15 britische Soldaten mit Waffengewalt fortschaffte, und zwar just einen Tag vor der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats über neue Sanktionen gegen den Iran, zeigten die Iraner ziemlich deutlich, dass ihnen die Vereinten Nationen vollkommen gleichgültig sind.

Obwohl Präsident Mahmud Ahmadinedjad sich dadurch getroffen fühlte, dass ihm in New York beim UN-Treffen zu den Sanktionen die Zuhörerschaft verweigert wurde, ist seine dreiste Missachtung des internationalen Friedens und der Sicherheit eine Botschaft an die Vereinten Nationen und ihren Sicherheitsrat, dass Teheran keine Angst vor Sanktionen hat, ja, dass die Maßnahmen, die derzeit zur Diskussion stehen, nicht ausreichen, um die Regierung von ihrem Kurs abzubringen.

Das Kidnapping einer ausländischen Belegschaft ist für das iranische Regime nichts Neues. Vielmehr ist es ein Verhaltensmuster, das wir seit der Krise 1979 kennen, als 66 amerikanische Geiseln 444 Tage lang festgehalten wurden. Seitdem wurde der Iran für keine seiner gegen den Westen gerichteten Aggressionen bestraft. Wie wir zuvor an den Fällen der Belgier und Franzosen gesehen haben, gehört es zur iranischen Taktik des Schreckens, Botschaften in Teheran anzugreifen und neuerlich zum Mittel der Entführung ausländischer Offizieller im Libanon oder im Iran selbst zu greifen.

Im Jahre 2003, als der Iran die britische Außenpolitik als gegen sich gerichtet betrachtete, schossen die Revolutionsgarden auf die britische Botschaft, um dem Druck zu begegnen und die Spannungen zu lösen. Die Iraner waren sogar so dreist, 1983 eine amerikanische Militärbasis im Libanon durch ihre Bevollmächtigte, die Hizbollah, zu attackieren. Israel hatte die größte Chance, die aggressive Taktik des Irans zurückzuweisen, aber sein Misserfolg im Krieg gestattete es dem Iran, noch frecher und stärker zu werden.

Einzig die Vereinigten Staaten wären in der Lage, den iranischen Angriffen ein Ende zu bereiten, doch statt die Welt davon zu überzeugen, dass sie dabei sind, dies auch zu tun,
zeigen sie zu viel Unentschlossenheit. Der Iran hat die USA bislang nicht direkt angegriffen, was aber das einzige zu sein scheint, das die Amerikaner in einen militärischen Konflikt mit dem Iran zwingen könnte. Die amerikanische Militärpräsenz am Golf ist nicht die Abschreckung, die viele für den Grund dafür halten, dass der iranisch-amerikanische Konflikt noch nicht eskaliert ist. Und die Iraner haben noch keine Vergeltung für die Festnahme von fünf Revolutionswächtern durch amerikanische Truppen im Irak geübt!

Die Entführung der britischen Seeleute in der Schatt el-Arab-Wasserstraße, die den Irak und den Iran trennt, ist so bedeutsam wie symbolisch. Diese Wasserstraße ist nicht nur die Hauptschlagader für den Transport von irakischem Öl, sondern auch das Zentrum einer Gebietsstreitigkeit zwischen dem Irak und dem Iran seit nunmehr fast 30 Jahren. Die Behauptung des iranischen Außenministers, die Seeleute hätten sich in iranischen Gewässern befunden, war eine Möglichkeit für seine Regierung, der irakischen Regierung deutlich zu machen, dass man immer noch der Ansicht ist, diese Wasserstraße gehöre zum Iran.

Wenn die Iraner schon so viel Lärm um den Vorfall machen, glauben sie sich wahrscheinlich in einer sehr starken Position, um dem Westen einen Deal abnötigen zu können. Sie hoffen, dass diese Nervenprobe genügend politische Implikationen hat, um einen internationalen Zwischenfall zu provozieren und einen Keil zwischen die USA und Großbritannien zu treiben, aber die Situation gebietet es in Wirklichkeit, dass keine Seite die Spannungen bis zu einem solchen Punkt eskalieren lässt. Die Briten könnten sich überreden lassen, ihre Soldaten freizukaufen. Sie wissen, dass jeder einzelne dieser Soldaten, der wegen Spionage verurteilt wird, einen unerträglichen Druck innerhalb Großbritanniens bedeuten würde, um eine Hinrichtung zu verhindern.

Es ist seltsam, dass die Briten zu Zeiten eines Krieges und eingedenk ihrer starken Militärpräsenz ihre unglücklichen Fünfzehn nicht verteidigten. Wenn sie Angst vor einem Konflikt mit den Iranern in großem Maßstab haben, sieht die Zukunft für die 14 Männer und eine Frau der HMS Cornwall nicht gut aus.

Hattips: Franklin D. Rosenfeld, Ludger Keitlinghaus

24.3.07

Die Lehren der Geschichte

Noch zu Kohls Zeiten wäre es kaum denkbar gewesen, aus der deutschen Vergangenheit so etwas wie nationales Selbstbewusstsein abzuleiten. Der Nationalsozialismus schien diesem Unterfangen vielmehr unausweichlich entgegenzustehen, und die fortwährenden Versuche, ihn im Zuge der „geistig-moralischen Wende“ der Normalität wegen entweder durch allerlei abstruse Vergleiche und Aufrechnungen zu relativieren und einzunorden oder gleich ganz zu beschweigen, waren letztlich von nur mäßigem Erfolg gekrönt – zu offensichtlich und skandalträchtig war oft das Anliegen, die Historie möglichst schmerzfrei und folgenlos zu entsorgen. Spätestens mit dem Amtsantritt von Rot-Grün änderte sich jedoch etwas an der deutschen Staatsräson; dass man hier am liebsten über seine Geschichte hinweg sieht, kann inzwischen niemand mehr behaupten: In Berlin steht mitten in der Stadt schließlich das größte Mahnmal der Welt, in Jugoslawien wurde per Friedensmission ein „zweites Auschwitz“ verhindert, und dass Krieg und Vertreibung etwas ganz Schlimmes sind, wusste man in deutschen Landen ohnehin schon immer, nur nicht immer ganz so laut und zahlreich wie seit den amerikanischen Militärschlägen gegen den Irak. „Aus dem Bekenntnis zur eigenen Scham“, so formulierte es unlängst der Herausgeber der Monatszeitschrift konkret, Hermann L. Gremliza, „soll den Deutschen das Recht erwachsen, an anderen moralisch Maß zu nehmen“. Die „anderen“ – das sind zuvörderst Amerikaner und Juden, die einfach nicht verstanden haben und nicht verstehen wollen, dass Gewalt nur Gegengewalt hervorruft und in der zivilisierten Welt die Dinge nicht im Alleingang, sondern gemeinsam am Verhandlungstisch gelöst werden.

Wie geläutert die Deutschen inzwischen sind, dokumentieren dabei immer wieder die kleinen und großen Ereignisse, die Meinungsumfragen und Äußerungen der etablierten Politik, die mediale Berichterstattung und die Leserkommentare, die Gerichtsurteile und die Expertisen sich berufen fühlender Juristen und Nahostexperten. Satte siebenundsiebzig Prozent der Eingeborenen beispielsweise halten den Einfluss Israels in der Welt für negativ, wie eine Studie der BBC kürzlich ergab – das ist in der EU der Spitzenwert und wird im globalen Maßstab nur noch vom Libanon (85 Prozent) und von Ägypten (78 Prozent) überboten. Auch in Bezug auf die Vereinigten Staaten von Amerika sind sich die Deutschen weitgehend einig: 74 Prozent sehen die USA negativ; deutlicher fällt die Ablehnung, weltweit betrachtet, nur in Griechenland (78 Prozent) aus.

Angesichts dessen muss man sich gar nicht über das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts wundern, das den, ja doch, Israelkritikern Recht gab, die ihren unbedingten Friedenswillen auf einer großen Demonstration gegen den Libanonkrieg im August vergangenen Jahres gerne mit den entsprechenden Symbolen untermauert hätten, daran jedoch von der Polizei gehindert wurden: Hizbollah-Fahnen und Nasrallah-Porträts waren nämlich untersagt und wurden konfisziert. Zu Unrecht, meinte nun das Gericht, denn das Zeigen der Insignien der Judenhassertruppe sei lediglich „als Parteinahme für einen der Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung zu verstehen, die unter den durch Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit“ falle. Und diese „Parteinahme“ könne zudem „nicht dahingehend verstanden werden, dass mit ihr jede Äußerung oder Handlung der Hizbollah oder ihres Generalsekretärs gut geheißen oder unterstützt werde“. Natürlich nicht – Alt- und Neonazis finden trotz ihrer „Parteinahme für einen der Beteiligten der kriegerischen Auseinandersetzung“ schließlich auch nicht alles gut, was der Führer früher so getrieben hat; dass er den Krieg verlor und anschließend immer noch Juden lebten, nehmen ihm heute noch viele richtig übel. Begeisterung über das Berliner Urteil herrschte jedenfalls bei der jungen Welt, die völlig zu Recht fand, das Gericht habe die Flaggen und Bilder der Hizbollah zu „Symbolen eines legitimen Widerstands gegen die Aggression Israels“ erklärt.

Ganz so würde die Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul ihre Ansichten zur Situation im Nahen Osten vielleicht nicht formulieren; gleichwohl hält sie das Beharren auf das Existenzrecht Israels grundsätzlich ebenfalls für ein echtes Friedenshindernis. Zumindest dürfe es „keine Vorbedingung für uns sein, überhaupt in Gespräche einzutreten“, sagte sie; vielmehr gehöre es zu den „Forderungen und Zielen, die gerade mit dem Dialog erreicht werden sollen“ – dem Dialog mit der neuen palästinensischen Einheitsregierung aus Hamas und Fatah nämlich, der eigentlich gar nichts Besonderes sei, sondern vielmehr die Leitlinie deutscher Außenpolitik: „Schließlich sind wir mit allen arabischen Regierungen im Dialog – und zehn von ihnen erkennen Israel diplomatisch nicht an.“ Norman Paech, der Völkerrechtler der Linkspartei, war trotzdem nicht ganz zufrieden: Gespräche reichten nicht; „Europa sollte dem Beispiel Norwegens folgen und offizielle Kontakte aufnehmen“, „alle Sanktionen gegen die Autonomiebehörde ohne Vorbedingungen“ aufheben und „auf Israel einwirken, den Palästinensern ihren Anteil am Zoll- und Steueraufkommen zu überweisen“. Die „Frage des Existenzrechts“, darin wusste sich Paech mit seiner Ministerin wiederum einig, „kann nur am Ende eines Verhandlungsprozesses stehen, ebenso die Frage der Grenzziehung“. Es entspreche „internationalen Gepflogenheiten“, nur die „Anerkennung der Existenz“ zu verlangen und nicht des Existenzrechts, das vielmehr eine „verbale Überhöhung“ sei.

Was er damit meinte, führte Paech (Foto) vor einigen Tagen in der Wochenzeitung Freitag näher aus. Dort schrieb er, die Anerkennung des jüdischen Staats sei „durch die PLO bereits erfolgt und bezieht sich auf ein Israel in den Grenzen von 1967“. Israel habe diese Grenzen jedoch „nie als endgültig anerkannt, wie ein Blick auf seine offiziellen Landkarten zeigt“. Und deshalb fragten die Palästinenser „logischerweise“: „Wie können wir das Recht eines Staates anerkennen, der seine eigenen Grenzen nicht akzeptiert und dessen Ansprüche auf unser Territorium täglich durch ungebremsten Landraub unterstrichen werden?“ Man solle ihnen daher „zumindest zugestehen, über das existenzielle Problem künftiger Grenzen auf einer Friedenskonferenz zu verhandeln – frei von allen Sanktionen“. Zumal „bisher kein geschlossener Vertrag bekannt“ sei, „an den sich die palästinensische Regierung nicht halten will“; Israel hingegen weigere sich, „den Palästinensern wie vereinbart die ihnen zustehenden Steuern und Zollgebühren zu überlassen“. Und die Angriffe auf den jüdischen Staat? „Palästinensische Verwaltungen“ hätten schon unter Arafat „wiederholt Anlauf genommen, den Terror zu unterbinden“ – doch sie seien „oft machtlos“ gewesen, „da die gezielten Tötungen der israelischen Armee, der Siedlungs- wie auch der Mauerbau von den Palästinensern mehrheitlich als Strategie des permanenten Terrors empfunden wird und Gegenreaktionen provoziert“.

Im Grunde genommen lohnt es die Mühe nicht, diese hoch ideologisierte Packelei mit den Feinden des jüdischen Staates Wort für Wort auseinander zu nehmen und darauf hinzuweisen, dass die Palästinenser längst einen eigenen Staat haben könnten, wenn sie nicht jede Verhandlungslösung kurz vor ihrem Abschluss mit neuen Terrorwellen torpediert hätten; dass es ihre Landkarten sind, auf denen es kein Israel gibt, weil sie ihren Anspruch auf „ganz Palästina“ – ohne Juden wohlgemerkt – nie aufgegeben haben; dass Israel mitnichten „täglich ungebremsten Landraub“ begeht; dass der Boykott palästinensischer Regierungen unter Beteiligung der Hamas die Folge der antisemitischen Vernichtungsabsichten und Angriffe der Gotteskrieger auf einen souveränen Staat ist; dass diese Angriffe durch Raketen und suicide attacks die Ursache für die Maßnahmen der israelischen Armee sind und keine „Gegenreaktionen“ oder gar Verzweiflungstaten. Einer, der diese Sisyphosarbeit trotzdem auf sich genommen hat – für diejenigen, die im Unterschied zu den Norman Paechs dieser Welt noch nicht völlig vernagelt sind –, ist der israelische Historiker und Archivdirektor der Gedenkstätte Yad Vashem, Yaacov Lozowick. In seinem kürzlich auch auf Deutsch erschienen Buch Israels Existenzkampf – eine moralische Verteidigung seiner Kriege (Konkret Literatur Verlag, Hamburg) schildert er den Kern des Konflikts:
„Immer schon hatte die palästinensische Herrschaft über Juden weitaus schrecklichere Konsequenzen für die Betroffenen als die jüdische Herrschaft über die Palästinenser sie je hatte. [...] Seit 1967 übte Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, und sein Verhalten kann in vieler Hinsicht kritisiert werden. Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufrieden geben würden. Sollten die Palästinenser jemals Herrschaft über die Juden erlangen, wird Palästina ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall. Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Israel blockiert lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser (beziehungsweise hat das früher getan), die Palästinenser hingegen bedrohen die nackte Existenz der Juden.“
Zu dieser Einsicht mögen sich in Europa und zumal in Deutschland aber nur wenige durchringen. Nicht die satte Dreiviertelmehrheit mit negativem Israelbild jedenfalls, nicht die Berliner Verwaltungsrichter, nicht die Entwicklungsministerin und nicht der graue Völkerrechtler und seine Linkspartei. Sie alle glauben sich längst im Recht, an anderen moralisch Maß nehmen zu dürfen. Die deutsche Geschichte ist dabei kein Hindernis, sie ist vielmehr Bedingung. Auschwitz, so sagte es einmal der seinerzeitige deutsche Außenminister Joseph Fischer, sei für die Berliner Republik so identitätsstiftend wie der Unabhängigkeitskrieg für die Amerikaner und die Revolution von 1789 für die Franzosen. Was das heißt, lässt sich in diesem Land nahezu täglich beobachten.

21.3.07

Wiener Würstchen

Glaubt man den Worten des Mitbegründers der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), Tarafa Baghajati, dann ist der „Islam in Österreich“ ein „Vorzeigemodell“: „Das Gastarbeiter-Image werden die Muslime zunehmend los. Das Ziel, endlich als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, brachte seit 1999 Aufbruchstimmung und Engagement nach dem Motto: ‚Integration durch Partizipation’.“ Gäbe es nicht „krude Allianzen gegen die positive Entwicklung“ – ein Bündnis etwa aus, na klar, „selbst ernannten linken Philozionisten“, die „auf Punkt und Komma genauso wie die rechtspopulistische FPÖ“ argumentierten, sowie, versteht sich, „christlich-fundamentalistischen Journalisten“, die „mit nachweislich falschen Übersetzungen und verdrehten Zitaten für Unruhe“ sorgten –, könnte wirklich alles zum Besten bestellt sein für die Muslime in der Alpenrepublik, findet Baghajati.

Die Islamische Föderation in Wien durfte im Oktober vergangenen Jahres sogar den SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer, inzwischen österreichischer Bundeskanzler, auf ihrem Koran-Rezitationswettbewerb in der Wiener Stadthalle begrüßen (Foto) und sich von ihm bescheinigen lassen: „Die Veranstaltung diente der Integration un
d dem Dialog, um sich besser kennen zu lernen.“ Deshalb zeigte sich die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) – zu deren Vorfeldorganisationen die IMÖ und die Föderation gehören – rundum zufrieden; mehr noch: Sie ist qua Selbstauskunft die europaweit einzige Institution, die alle in einem Land lebenden Muslime vertritt und hat mit Scheich Adnan Ibrahim eine Art Vorzeige-Imam in ihren Reihen, den sie als besonders liberal handelt.

Dummerweise sind vor allem in der jüngsten Vergangenheit ein paar Sachen passiert, die so gar nicht zum harmonischen und weltoffenen Bild passen wollen, das die IGGiÖ von sich selbst ze
ichnet. Denn ihr angeblich so umgänglicher Imam Adnan Ibrahim proklamierte in der Wiener Schura-Moschee den bewaffneten Aufruhr gegen staatliche Institutionen, bezeichnete Hamas-Terroristen als „Helden“ und äußerte sich auf seiner Internetseite rassistisch gegen islamisch-christliche Mischehen: Sie seien „ein soziales Verbrechen“, weil dadurch „fremdes Blut in unsere Nachkommen“ gelange. Zwei eigene Fatwas bildeten dafür die Grundlage.

Darüber hinaus forderte Ibrahim (Foto) die Muslime zur Beteiligung am Krieg „in Palästina und im Irak“ auf und pries Djihad und Märtyrertum: „Wie lange wollt ihr als Zuschauer warten, was im Irak und in Israel geschieht? Wollt ihr warten, bis dasselbe Erdbeben auch Euch trifft? Das geschieht, weil Ihr nicht genügend unterstützt, materiell und ideell, vor allem die Märtyrer.“ Es gebe „keinen alternativen Weg als den Dschihad“: „Vor Allah ist der rechte Djihad der Djihad im Irak, der rechte Djihad ist der Djihad in Palästina.“ Und: „Eine Stunde an einem Kriegsschauplatz im Dschihad für die Sache Allahs zählt mehr als 70 Jahre frommes, religiöses Leben.“ Mehrere hundert Tonbänder, die der Wiener Zeitung vorliegen und ausgewertet wurden, dokumentieren die Hassreden des Vorbeters.

Und das war nicht – was schon arg genug wäre – der einzige Grund, warum die IGGiÖ in die Schlagzeilen geriet. Auch ihre Entscheidung, Hassan Mousa zum ersten Leiter der Islamischen Religionspädagogischen Akademie (IRPA) zu machen, sorgte für Gesprächsstoff: Mousa war Schulerhalter der Al-Azhar-Schule in Floridsdorf, die mit nicht bezahlten Lehrergehältern, nicht gemeldeten arabischem Lehrpersonal und einem eigenen islamischen Lehrplan auf sich aufmerksam machte. Zudem werden die demokratische Legitimation und die Repräsentanzberechtigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft inzwischen aus guten Gründen in Frage gestellt.

Auch die mit der IGGiÖ verbundene IMÖ macht immer wieder von sich reden, insbesondere ihr Vorkämpfer Tarafa Baghajati. Der wollte kürzlich beispielsweise die Lesungen des Publizisten Henryk M. Broder in Wien am liebsten verhindern – und als das nicht klappte, versuchte er kurzerhand, einen der Vorträge in eine Podiumsdiskussion umzuwandeln, mit sich selbst als Teilnehmer. Das muss es sein, was er unter „Integration durch Partizipation“ versteht. Dabei rannte er bei der zuständigen Magistratsabteilung auch noch offene Türen ein. Karl Pfeifer berichtet in seinem Beitrag für Lizas Welt, warum das Unterfangen dennoch scheiterte, wie sich die österreichische Sozialdemokratie liebevoll um eine „sachliche und unvoreingenommene Darstellung der Situation der muslimischen Minderheit“ sorgt und weshalb beleidigte Islamfunktionäre vor allem in der Hauptstadt der Alpenrepublik so populär sind.


Karl Pfeifer

Wien kapituliert


Wenn rings um Österreich alle Länder beben, alle Völker übereinanderstürzen, alle Throne wanken – doch Österreich steht fest –, dann frohlocken seine Staatsmänner: Seht! Bei uns ist Ruhe, Friede, Ordnung; was habt
ihr gewonnen bei eurem rastlosem Streben?
(Ludwig Börne)


Irgendein gescheiter Kopf hat schon vor Jahren den Spruch „Wien ist anders“ geprägt, um damit Touristen anzulocken. Die Geschä
fte auf den Hauptstraßen gehören – auch dank der Europäischen Union – den gleichen Firmen wie in anderen EU-Städten, so dass dem Touristen in Wien manches bekannt vorkommen muss. Was die Preise betrifft, stimmt dieser Spruch jedoch, denn Wien gehört zu den teuersten Städten Europas. Und auch der Träger des Börne-Preises Henryk M. Broder hat während seines Besuches in Wien erfahren, wie anders Wien ist. Denn die Stadt hat ihm etwas zugemutet, was in dieser Form sonst nirgendwo für möglich gehalten wird.

Als ich am ersten Abend seines Wiener Besuchs einige pessimistische Bemerkungen von Broder über ein mögliches „Eurabia“ hörte, dachte ich mir, d
ass er doch ein wenig übertreibt. Doch nur einen Tag später musste ich erfahren, dass wir tatsächlich auf dem besten Weg dorthin sind. Broder hielt vor einem bis zum Rand voll besetzten Saal im Wiener Jüdischen Gemeindezentrum einen vom Herausgeber der Internetzeitung Die Jüdische, Samuel Laster, moderierten Vortrag. Seine glänzende Polemik schlug dabei einen weiten Bogen von Karl Kraus bis zum heutigen Wien. Er sprach aber auch von den vielen Muslimen, die nichts mit Extremismus am Hut hätten, und wandte sich energisch gegen alle fremdenfeindlichen Tendenzen.

Der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Raimund Fastenbauer, machte darauf aufmerksam, dass es von muslimischer Seite Einwände gegen die Einladung Broders gegeben habe. Es war nicht das erste Mal, dass die von DI Tarafa Baghajati angeführte Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) – die eng mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) verbunden ist – gegen eine Veranstaltung protestierte, die sich kritisch mit dem Islamismus auseinandersetzt. Fastenbauer betonte jedoch, die IKG entscheide selbst, wer in ihrem Gemeindezentrum sprechen darf. In diesem Zusammenhang wies er auch darauf hin, dass die Islamischen Gemeinde schwieg, als die IKG gegen den fremdenfeindlichen, antitürkischen und antiislamischen Wahlkampf der FPÖ protestierte und entsprechende Unterstützung erwartete.

Weil ich daran interessiert war, Henr
yk M. Broder einmal in einer ganz anderen Umgebung zu erleben, besuchte ich auch seinen Vortrag in der Städtischen Bibliothek Penzing (XIV. Wiener Bezirk) am folgenden Abend. Dort las er aus seinem Buch Hurra, wir kapitulieren!, in dem er Kritik an der Tendenz westlicher Gesellschaften übt, auf den Islamismus mit unangemessenem Entgegenkommen zu reagieren. Nur ein Beispiel: Nach dem bekannten Streit um die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung und die darauf folgenden Gewaltwellen verbreitete der Großkonzern Nestlé eine öffentliche Erklärung, in der er betonte, dass er für seine Produkte keine aus Dänemark stammenden Zutaten verwende. Eine solche Art vorauseilenden Gehorsams wurde nun anscheinend auch von der Leiterin der Bücherei Penzing erwartet: Am Nachmittag vor der Veranstaltung kündigte ihr die vorgesetzte Dienststelle, die Magistratsabteilung 13, die Teilnahme eines Vertreters der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen an. Die IMÖ hatte bereits öffentlich gegen eine weitere, einen Tag später stattfindende Buchpräsentation Broders bei WeltStadt Wien (ÖVP) protestiert.

Selbstverständlich muss man Broders Meinungen nicht zustimmen: Jedem steht es frei, Veranstaltungen zu besuchen und
in der Diskussion kontroverse Standpunkte zu vertreten. Mit einer „Teilnahme“ des IMÖ-Vertreters war allerdings etwas anderes gemeint: Er sollte neben Broder auf dem Podium sitzend als Diskussionspartner den Abend bestreiten können. Nun war aber die Veranstaltung nicht als Podiumsveranstaltung, sondern als Buchpräsentation mit Lesung und anschließender Publikumsdiskussion geplant und angekündigt. Nachdem der einige Zeit vor Beginn der Veranstaltung eingetroffene Repräsentant der IMÖ, DI Tarafa Baghajati, feststellen musste, dass für ihn lediglich ein Platz in der ersten Publikumsreihe reserviert und er herzlich eingeladen war, sich von dort aus am Gespräch zu beteiligen, führte er lange Telefonate.

Daraufhin verlangte die Magistratsabteilung 13 von der Bibliotheksleiterin – ebenfalls telefonisch – nochmals mit Nachdruck, Baghajati einen Platz auf dem Podium einzuräumen. Die Veranstaltung hatte bereits in der geplanten Form begonnen und Baghajati in der ersten Reihe Platz genommen, als ein weiterer Anruf der Magistratsabteilung folgte – diesmal schon zu spät, dafür jedoch mit der interessanten Information, dass der Wunsch nach einer Änderung des Charakters und Ablaufs der Veranstaltung aus dem Büro der für die Büchereien Wiens zuständigen Stadträtin und Vizebürgermeisterin stammte und dass die Weigerung der Bibliotheksleiterin Folgen haben könne. An diesem Interventionsversuch wurde deutlich, dass selbst die einfachsten Regeln der Meinungsfreiheit für die Stadt Wien offenbar nicht bindend sind und dass sie lieber in vorauseilendem Gehorsam gegenüber selbst ernannten Vertretern des Islams handelt.

Die Aktivitäten des Tarafa Baghajati

In Österreich wird einer kleinen Gruppe in der off
iziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und um sie herum gestattet, die 400.000 hier lebenden Muslime zu vertreten, obwohl sie dazu demokratisch nicht legitimiert ist. Ein Grund für diese Bevorzugung dürfte sein, dass die Gruppierung sich und dem Islam bestätigt, in Österreich ein „Vorzeigemodell“ zu sein – als ob viele Muslime nicht teils latente, teils explizite Ausländerfeindlichkeit erleben müssten und als ob Österreich eine Insel der Seligen wäre. DI Tarafa Baghajati (Foto) ist ein viel beschäftigter Mann, der Kritiker des Islamismus als „islamophob“ und „rassistisch“ verleumdet. Belege, die seine Unterstellungen stützen, liefert er nicht; stattdessen verschickt er „vertrauliche“ Briefe mit unwahren Behauptungen über ihm nicht genehme Personen – das kann er tun, weil derlei Diffamierungen nun einmal im Bereich des rechtlich Undefinierten gedeihen.

Diese Seite von Baghajatis Tätigkeit wird jedoch selten genug thematisiert. Michael Genner von Asyl in Not machte einige der Interventionen öffentlich; Baghajati protestierte beispielsweise bei der Österreichischen Liga der Menschenrechte, weil diese in ihrer Zeitschrift liga meinen Artikel über Rechtsextremismus und Antisemitismus in Ungarn publiziert hatte. Warum dies einen angeblichen Antirassisten wie Baghajati stört? Ganz einfach: In frecher Anmaßung versuchen er und sein Kreis – dem nachgesagt wird, sich im Dunstkreis der Muslimbrüder zu bewegen –, ihre Anschauungen zum Maß aller Dinge zu machen. Bereits 2003 hatte Baghajati bei der Aktion gegen den Antisemitismus gegen die Verleihung der Joseph-Bloch-Medaille an mich interveniert. Wolfgang Neugebauer, der damalige Leiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW), erklärte dazu seinerzeit: „DI Tarafa Baghajati, Repräsentant der Initiative muslimischer Österreicher, dem offenbar diese heutige Ehrung missfällt, schreibt mir am 16. 11., dass Karl Pfeifer ‚als militanter Besatzer’ nach Palästina hingefahren war und ‚als solcher dort agierte’. Ein Fünfzehnjähriger, der mittel- und waffenlos vor den NS-Judenverfolgungen in Europa geflüchtet ist, wird zum Besatzer herabgewürdigt und zum Schuldigen an einer Katastrophe, die in Wirklichkeit durch den Aggressionskrieg der arabischen Nachbarn gegen Israel ausgelöst wurde.“

Ein Musterbeispiel für Baghajatis Stil und Operationsmethode stellt ein Absatz in einer E-Mail dar, die er am 4. März 2007 an mehrere Personen verschickte. Darin hieß es: „WICHTIG: Bitte dieses Mail vertraulich zu behandeln. Aus uns nicht bekannten
Gründen landen Privatmails bei Samuel Laster, Karl Pfeifer und danach erscheinen sie samt Telefonnummer der Verfasser in verschiedenen hetzerischen und islamfeindlichen Seiten im Internet wie Jihadwatch, Politicaly incorrect und wie sie alle heißen.“ Warum wohl sollte dies alles vertraulich behandelt werden? Um mir keine Möglichkeit zu geben, die Angelegenheit aufzuklären. Auch der Kulturreferent der Österreichischen Hochschülerschaft, Baruch Wolski, hatte in seiner Funktion und mit voller Adresse einen diffamierenden Protest gegen Henryk M. Broders Lesung in der Penzinger Bibliothek gemailt. Ich hatte dies kritisiert und dabei auch seine gehässige Mail veröffentlicht, nämlich unter dem Titel „Ein Kulturreferent als Denunziant“.

Friedrich Freiherr von Logau charakterisierte bereits vor einigen hundert Jahren die Vorgehensweise von Leuten wie Baghajati, der ein Meister der gespaltenen Zunge ist; hinter dem Rücken spricht er aggressiv, in der Öffentlichkeit hingegen bemüht er sich, moderat zu erscheinen. „Die Mücken singen erst, bevor sie einen stechen; Verleumder lästern bald, die erst so lieblich sprechen“, schrieb von Logau. Und Niccolo Machiavelli
erkannte: „Bei Verleumdungen braucht man keinen Zeugen, und es gibt überhaupt keine Möglichkeit zur Überprüfung ihrer Richtigkeit, so dass jeder von jedem verleumdet werden kann. Dagegen kann nicht jeder angeklagt werden, da bei einer Anklage vollgültige Zeugen und Tatsachen die Wahrheit der Anklage beweisen müssen.“ Wenn ich also die Methoden von DI Tarafa Baghajati hier dokumentiere, dann mache ich mir keine Illusionen, dass er nun sein Tun einstellt; vielmehr wird er mir wahrscheinlich auch in Zukunft ohne jeden Beleg weiterhin Angriffe gegen die Muslime Österreichs und sogar gegen den Islam insgesamt unterstellen. Der Dramatiker Sébastien-Roch Nicolas Chamfort, der noch die französische Revolution erlebte, brachte es dereinst auf den Punkt: „Verleumdung ist wie die Wespe, die uns lästig umschwärmt. Man darf nicht nach ihr schlagen, wenn man sie nicht sicher tötet, sonst greift sie noch wütender an als zuvor.“

Die Sorgen der Sozialdemokratie

Die Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska (SPÖ), die als Stadträtin für die Magistratsa
bteilung 13 verantwortlich ist, schrieb mir nach Henryk M. Broders Lesung in der Penzinger Außenstelle der Städtischen Bücherei unter anderem: „Ich darf Ihnen versichern, dass die Büchereien ihr Veranstaltungsprogramm eigenständig planen und durchführen und dass es meinerseits keine Anweisung gegeben hat, Hrn. Baghajati als Koreferenten einzuladen. Ich habe die zuständige Abteilung daher um eine Stellungnahme gebeten, aus der hervorgeht, dass die Initiative muslimische ÖsterreicherInnen Bedenken betreffend der sachlichen und unvoreingenommenen Darstellung der Situation der muslimischen Minderheit in Europa durch eine unkommentierte Präsentation des gegenständlichen Buches hegte und die Fachabteilung MA 13 der muslimischen Community in Wien Gelegenheit zur Darstellung ihrer Haltung geben und damit eine ausgewogene Diskussion über dieses kontroverse Buch gewährleisten wollte. Daher erging seitens der MA 13 die Information an die Leiterin der Büchereizweigstelle in Penzing, dass ein Vertreter der Initiative muslimische ÖsterreicherInnen erscheinen wird, sowie das Ersuchen, diesem die Möglichkeit zur Darlegung seiner Sichtweise zu dem Buch im Rahmen dieser Veranstaltung zu geben. Ich kann mir nur vorstellen, dass seitens der Abteilung die Befürchtung bestanden hat, dass es zu einem Eklat kommen könnte oder dass man einem möglichen Konflikt ausweichen wollte, und gehe davon aus, dass alle Beteiligten von der Sache gelernt haben.“

Und weiter: Auf die Anfrage von Gemeinderat Dr. Franz Ferdinand Wolf (ÖVP), die erwähnte Lesung betreffend, „betonte Bürgermeister Dr. Michael Häupl (SPÖ, Foto), er habe sich nicht zu rechtfertigen. Es habe von ihm und auch seitens der Vizebürgermeisterin keine Weisung und keine Intervention gegeben. Es war eine normale Veranstaltung, wie viele andere auch und jeder Politiker wisse, dass kontroversielle Diskussionen etwas ganz Normales seien. Auf eine Zusatzfrage stellte Dr. Michael Häupl (SPÖ) fest, derartige Veranstaltungen fänden in der eigenen Verantwortung der jeweiligen Leiter statt. Und er sei für freie Diskussionen“.

Die IMÖ musste also gar nicht beim Bürgermeister oder bei der Vizebürgermeisterin intervenieren; für das Anliegen, eine Lesung in eine Podiumsdiskussion umzuwandeln, genügte ein einfacher Anruf bei einem Amt der Stadtverwaltung. Die Politiker gaben sich hinterher ahnungslos. Wenn sie tatsächlich nichts von der Intervention gewusst haben, dann ist das umso schlimmer; hatten sie aber Kenntnis und behaupteten bloß das Gegenteil, dann entspricht das der Haltung vieler Österreicher, die gerne jede Verantwortung für ihr Handeln von sich weisen. Bemerkenswert ist immerhin die Sorge der sozialdemokratischen Politikerin um eine „sachliche und unvoreingenommene Darstellung der Situation der muslimischen Minderheit“: Die regelmäßig erscheinenden ausländerfeindlichen Texte der meistgelesenen österreichischen Tageszeitung Neue Kronenzeitung – in der es doch eher selten zu einer solchen „sachlichen und unvoreingenommenen Darstellung der muslimischen Minderheit“ kommt – stören die SPÖ anscheinend nicht; zumindest hat, soweit ich informiert bin, noch kein amtierender SPÖ-Politiker das Wort gegen sie erhoben.

Im Gegenteil: Als ich am 25. Oktober 2000 Bürgermeister Michael Häup
l – der anlässlich einer internationalen Pressekonferenz im Alten Rathaus von Wien vor der Einweihung des Shoa-Denkmals am Judenplatz sagte: „600 Jahre Antisemitismus in Wien sind genug“ – fragte, was zu folgern sei, wenn in der Neuen Kronenzeitung fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Texte erscheinen und seine Partei ganzseitige Inserate in genau dieser Zeitung schaltet, antwortete er mir, er wolle an einem solchen Tag nicht Stellung zur österreichischen Innenpolitik nehmen und keine Medienrüge betreiben. Es war ein Novum, dass ein österreichischer Politiker sich mitten in Wien weigerte, zum Antisemitismus – dessen extremste Form ja den Anlass bot, dieses Denkmal zu errichten – Position zu beziehen. Häupl demonstrierte also zum einen Gleichgültigkeit gegenüber Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus in der meistgelesenen Zeitung Österreichs, mit deren Herausgeber und Miteigentümer er einen freundschaftliche Umgang pflegt; zum anderen leistet seine Magistratsabteilung vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Interventionen prominenter Islamfunktionäre.

Öffentliche und veröffentlichte Reaktionen

DI Tarafa Baghajati schrieb in einer weit verbreiteten Stellungnahme gegen Henryk M. Broder unter anderem: „Ironie, Polemik und Humor können zweifelsohne ein Mittel und Ausdruck gesellschaftspolitischer Kritik sein. Im Falle von Henryk M. Broder handelt es sich jedoch um eine regelrechte Hetze gegen die muslimische Minderheit in Europa. Wer Broders Aktivitäten und Texte in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß was die ZuhörerInnen erwarten wird. Der Einladungstext lässt da auch kaum Zweifel aufkommen. Seine ‚Achse der Guten’ und seine Auftritte gemeinsam mit der als rassistisch geltenden antideutschen Organisation ‚Bahamas’ in Deutschland sprechen für sich.“ Die Geduld des so Angegriffenen war unendlich, denn er bot Baghajati sogar ein privates Treffen nach der Diskussion in der Bibliothek an.

Interessant sind die Reaktionen der österreichischen Medien auf den Versuch der Magistratsabteilung 13, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Das Wochenmagazin profil etwa sprach von einer „Gesprächsverweigerung“ Broders und korrigierte diese Falschmeldung anschließend nicht, wie man es von seriösen Medien es in solchen Fällen erwarten kann, sondern begnügte sich mit dem Abdruck eines Leserbriefs. Überhaupt keine Erwähnung fand der Vorfall in der Tageszeitung Der Standard – vielleicht deshalb, weil Broder erwähnte, dass die außenpolitische Redakteurin Gudrun Harrer ausgerechnet dem sattsam bekannten Muslim-Markt ein Interview gewährt hatte. Über den Skandal berichtet haben jedoch Die Presse, die Salzburger Nachrichten und die Wiener Zeitung.

Der KPÖ-nahe Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) stellte sich entschieden auf die Seite der von Disziplinarmaßnahmen bedrohten Kollegin: „Anstatt dem beleidigten Vertreter einer sich beleidigt fühlenden religiösen Organisation einen Platz auf dem Podium einzuräumen, wies sie ihm einen Sessel in der ersten Reihe zu, von dem aus er sich nach der stattgefundenen Lesung an der Diskussion beteiligen konnte. Das genügte ihm aber nicht, so intervenierte er telefonisch abermals bei der Dienststellenleitung der MA 13, welche im Gegenzug heftig auf die widerstrebende Büchereileiterin einzuwirken versuchte mit Konsequenzen für diese drohte, auch nachdem die Veranstaltung wie geplant in Gang gekommen war. Dank der Zivilcourage der Büchereileiterin wurde die Veranstaltung aber nicht zu dem gemacht, was sich die religiöse Institution vorgestellt hatte. Es bleibt aber trotzdem ein gehöriges Maß an Unbehagen darüber, dass eine säkulare Einrichtung wie eine Magistratsabteilung den Begehrlichkeiten religiöser Gruppierungen nachgibt und gegen die eigenen Bediensteten vorgeht. Natürlich halten politische Gruppierungen wie die Wiener FPÖ mit Hilfe solcher Vorgaben ihr eigenes Süppchen namens ‚daham statt Islam’ am Köcheln. Im Übrigen wurde der Umstand, dass die Leiterin der Bücherei Penzing mit Konsequenzen irgendwelcher Art bedroht worden ist, entschieden bestritten. Es hatte ja nur eine telefonische, niemals jedoch eine schriftliche Weisung gegeben. Vorsichtshalber wurde der Büchereileiterin aber untersagt, irgendwelche Informationen oder Stellungnahmen zu diesem Fall abzugeben. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Magistrats können sich also für die nähere Zukunft auf so einiges gefasst machen.“

Skurril mutet hingegen der ausführliche Artikel von Gerhard Drexler an, der in einem Gastbeitrag für die Antiimperialistische Koordination von „überwiegend aus dem Kreis der Zionisten stammenden Zuhörerinnen und Zuhörern“ schrieb, die an der Lesung in der Penzinger Bibliothek teilgenommen hätten. Übersetzt aus der nationalbolschewistischen Tarnsprache heißt das: Die meisten Anwesenden waren Juden – was nicht stimmt. Wie kommt Drexler also zu seiner Feststellung? Nun, er schreibt auch auf der stalinistischen Homepage kominform, die an die schlechten alten Zeiten erinnert, als der Staatsanwalt im Prager Slansky-Prozess den Hauptangeklagten „kosmopolitische Gesichtszüge“ bescheinigte. Allerdings gibt es da einen Unterschied: Slansky war – nach den Nürnberger Rassegesetzen – tatsächlich ein Jude und nach stalinistischer Lesart ein „Kosmopolit“, während sich unter den Zuhörern in der Penzinger Bibliothek nur wenige Juden befanden. Doch auch diese werden pauschal wie alle anderen Zuhörer vom nationalbolschewistischen Drexler zum „Kreis der Zionisten“ gezählt.

Und was macht diese ewig beleidigten Islamfunktionäre so populär im Rathaus? Wahrscheinlich nicht zuletzt ihre Vorspiegelung, für einen wirklichen Dialog zu stehen, und ihre Behauptung, gemäßigt zu sein. In Wirklichkeit ähnelt dieser „Dialog“ jedoch eher einer Einbahn und ermöglicht es den Islamfunktionären, für eine mehr oder weniger verkappte fundamentalistische Version des Islams zu werben. Ein wirklicher Meinungsaustausch wird jedoch sehr schwierig, wenn die eine Seite beansprucht, die alleinige Wahrheit zu besitzen, und die Gelegenheit wahrnimmt, für eben diese zu werben, die andere Seite aber nicht absolute Gegenseitigkeit verlangt und auf diese Bedingungen eingeht. „Toleranz“ verstehen diese islamischen Funktionäre als Toleranz gegenüber ihrer Organisation, die nicht demokratisch legitimiert ist. Die Frage hingegen nach der Toleranz gegenüber Aussteigern oder Frauen, die einen nichtmuslimischen Partner heiraten wollen, wird schlicht und ergreifend nicht gestellt. Die Islamfunktionäre und die Islamisten sind schon derartig chronisch beleidigt, dass man sie mit solchen Fragen nicht noch mehr beleidigen will. Und man will ja Toleranz und Verständnis zeigen.

Goethes Diktum „Was wir verstehen, das können wir nicht tadeln“ scheint wiederum das Motto der Wiener Sozialdemokraten zu sein. Pierre Corneille, der noch vor der Aufklärung wirkte, sah das anders: „Qui pardonne aisément invite à l’offenser.“ In freier Übersetzung: „Wer (allzu) leicht verzeiht, lädt dazu ein, ihn anzugreifen.“ Und genau das ist die Gefahr, die vom vorauseilenden Gehorsam einer Wiener Behörde gegenüber sich geschickt tarnenden Islamisten ausgeht. Weit sind wir gekommen in Wien, dessen Politiker nicht müde werden zu betonen, dass wir hier in einer Weltstadt leben.

16.3.07

Akademische Präventivkriecher

Es gab Zeiten, da musste man schon halbwegs kreativ sein, um unliebsame Veranstaltungen an Universitäten zu verhindern oder wenigstens massiv zu stören: Die Achtundsechziger versuchten es noch mit Teach-ins, nachfolgende Studentengenerationen gegebenenfalls mit Blockaden oder Sitzstreiks. Heute ist es bisweilen deutlich einfacher, eine Vorlesung oder ein Seminar platzen zu lassen, und dabei muss man noch nicht einmal befürchten, Sabotage an der akademischen Freiheit vorgeworfen zu bekommen. Ein, zwei simple E-Mails können genügen, um Hochschulverantwortliche dazu zu bewegen, per vorauseilendem Gehorsam eine ganze Vortragsreihe abzublasen. So geschehen am vorgestrigen Mittwoch im englischen Leeds, wo der deutsche Publizist und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel an der dortigen Universität eigentlich eine Vorlesung inklusive Diskussion und einen mehrtägigen Workshop zum Thema „Hitlers Vermächtnis: Islamischer Antisemitismus im Nahen Osten“ gestalten sollte. Doch die Lehranstalt cancelte die gesamte Veranstaltung wenige Stunden, bevor sie beginnen sollte – aus „Sicherheitsgründen“.

Küntzel war vom deutschen Fachbereich der Bildungseinrichtung eingeladen worden; unterstützt wurden Vortrag und Workshop von der School of Modern Languages. Seit mehreren Wochen schon kündigten Plakate und Handzettel das Ereignis an, und die Veranstalter rechneten mit großem Andrang. Die Hochschulleitung will allerdings erst kurz zuvor auf all dies aufmerksam geworden sein, insbesondere durch zwei Protestmails. Die eine stammte von einem Studenten mit, wie er selbst schrieb, „nahöstlichem und islamischem Hintergrund“. Er beklagte sich, die Veranstaltung sei „hochgradig verletzend“: „Zu unterstellen, dass es eine direkte Verbindung zwischen dem Islam und dem Antisemitismus gibt, ist nicht nur eine Pauschalisierung, sondern auch eine irrige Annahme, die kein Quäntchen Wahrheit enthält.“ In der anderen E-Mail hieß es: „Als Muslim und Araber bin ich schockiert. Die einzige Absicht, die Sie verfolgen, ist es, Hass hervorzurufen, denn ich halte das für einen offen rassistischen Angriff.“ Die Organisatoren wurden daraufhin am Dienstag – einen Tag vor dem Beginn des Meetings also – von den Universitätsverantwortlichen um eine Änderung des Titels gebeten und benannten ihn schließlich um in „Das Vermächtnis der Nazis: Der Export des Antisemitismus in den Nahen Osten“. Doch auch das half nichts: Am Mittwochmorgen wurde der Leiter des deutschen Fachbereichs, Stuart Taberner, zu einem Gespräch mit dem Vizekanzler der Bildungseinrichtung und dessen Mitarbeitern sowie dem Sicherheitsbeauftragten einbestellt. Dabei teilte man ihm mit, die Vorlesung und der Workshop seien abgesagt.

Ahmed Sawalem, der Präsident der studentischen Islamic Society an der Universität Leeds, bestätigte zwar, beim Vizekanzler Michael Arthur offiziell Protest eingelegt zu haben: „Der Titel des Vortrags ist provokativ. Ich habe im Internet Küntzels Schriften gelesen, und sie sind nicht sehr erfreulich.“ Doch er bekräftigte auch: „Wir sind nicht gegen die Meinungsfreiheit. Wir haben uns nur beschwert, aber nicht die Absage der Veranstaltung gefordert.“ Gleichwohl beharrte die Hochschule darauf, es sei Gefahr im Verzug, und gab auch noch den Ausrichtern die Schuld: „Die Versammlung wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt und weil die Organisatoren – entgegen unseren Regeln – keine Einschätzung der Risiken vorgenommen, nicht für begleitende Maßnahmen gesorgt und uns nicht darum gebeten haben, die Sicherheit und öffentliche Ordnung zu gewährleisten.“ Das brachte Annette Seidel-Arpaci vom deutschen Fachbereich auf die Palme: „Das hier ist eine akademische Vorlesung von einem Wissenschaftler und keine politische Kundgebung. Die plötzliche Absage ist ein Ausverkauf der akademischen Freiheit, insbesondere der Redefreiheit, an der Universität Leeds.“ Universitätssekretär Richard Gair widersprach: „Die Absage hat nichts mit akademischer Freiheit, der Redefreiheit, Antisemitismus oder Islamophobie zu tun, und wer das Gegenteil behauptet, sorgt nur für böses Blut.“

Küntzel (Foto) war bereits vor Ort, als er von der Absage erfuhr, und zeigte sich fassungslos: „Ich habe zu diesem Thema in zahlreichen Ländern gesprochen, und es ist das erste Mal, dass ich dafür nach Großbritannien eingeladen wurde. Aber so etwas wie hier ist mir noch nie passiert – das ist Zensur. Das Thema ist zwar kontrovers, aber ich bin an Diskussionen gewöhnt. Ich schätze die Freiheit akademischer Debatten sehr, und ich habe den Eindruck, dass sie hier wirklich gefährdet ist. Die Thematik ist sehr wichtig, und wenn man sie an einer Universität nicht angemessen besprechen kann, wofür gibt es eine Universität dann?“ Die Begründung der Hochschule konnte Küntzel nicht nachvollziehen: „Mir wurde gesagt, es gebe Sicherheitsbedenken – sie könnten mich nicht schützen, hieß es. Aber ich fühle mich in keiner Weise bedroht. Ich glaube vielmehr, dass sie das Thema hier vermeiden wollen, um die Lage ruhig zu halten. Dabei ist das schon deshalb Unsinn, weil ich auch über christlichen Antisemitismus spreche.“

In der Tat sind die angeblichen Sicherheitsbedenken ein schlechter Scherz. Die Protestschreiben sind zwar absurd und drastisch formuliert, kündigen aber keine Gewalttätigkeiten an. Drohungen gab es also schlicht und ergreifend nicht. Und selbst wenn es sie gegeben hätte, muss sich die Anstaltsleitung fragen lassen, warum sie es nicht vermochte, entsprechende Vorkehrungen zu treffen – Küntzels Beiträge waren schließlich schon längere Zeit angekündigt –, und ob ihre Maßnahme nicht tatsächlich politisch motiviert war. Matthias Küntzel arbeitet unter anderem für eines der bedeutendsten Institute für Antisemitismusforschung, das Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) an der Hebrew University of Jerusalem, und ist Mitglied des Direktorenrats der Scholars for Peace in the Middle East (SPME), einer akademischen Vereinigung, die weltweit mehr als 6.000 Mitglieder hat und an über 300 Hochschulen tätig ist. Seinen für Leeds geplanten Vortrag hatte er bereits mehrfach gehalten, unter anderem in Wien und – im Rahmen einer Reihe mit dem Titel „Antisemitismus in vergleichender Perspektive“ an der renommierten Yale University. Ein zweitägiges Seminar mit einem solch hochkarätigen Wissenschaftler zu streichen, noch dazu aus völlig abwegigen Gründen, ist ein Affront und ein handfester Skandal – und ein weiteres Beispiel für den höchst freiwilligen Kotau vor dem Islamismus, der in Großbritannien vor allem im akademischen Bereich alles andere als eine Seltenheit ist. Daniel Johnson hat daher Recht, wenn er auf der Website des Commentary Magazine konstatiert:
„Der Fall Küntzel zeigt, dass Muslime noch nicht einmal zu Gewaltdrohungen greifen müssen, um akademische Debatten zu Themen zu verhindern, die ihnen nicht passen. [...] Leeds hat einen Präzedenzfall geschaffen: das präventive Kriechen. Islamisten werden sich überall ein Herz fassen, nachdem eine renommierte Universität mit ihrem Spektakel deutlich gemacht hat, dass sie die akademische Freiheit geringer gewichtet als die Möglichkeit, dass muslimische Studenten beleidigt sein könnten. Es wird interessant sein zu beobachten, ob eine andere britische Universität diese schmachvolle Episode zu tilgen versucht, indem sie Küntzel einlädt, seinen in Leeds abgesagten Vortrag zu halten. Vielleicht folgt Oxford ja dem Beispiel Yales und vieler anderer und bietet Küntzel eine Plattform für seine Erläuterungen, wie die Nazis die Muslimbruderschaft in Ägypten und den Großmufti von Jerusalem unterstützten. Immerhin ist Oxford stolz darauf, eine solche Plattform einem Sprössling dieser Muslimbruderschaft zu geben: Tariq Ramadan.“
Zum Weiterlesen:
Matthias Küntzel: Hitler’s Legacy: Islamic Antisemitism in the Middle East
Matthias Küntzel: Islam, Faschismus und Nationalsozialismus
Matthias Küntzel: Islamischer Antisemitismus

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Olaf Kistenmacher, Niko Klaric, Sonja Wanner, Rowlf_the_Dog

14.3.07

Bayerische Metamorphosen

Der FC Bayern München wittert wieder Morgenluft. Das ging überraschend schnell, denn dass die Nacht am schwärzesten war, liegt erst einen Monat zurück: Damals befand sich das Team in bemitleidenswertem Zustand, weshalb es beim Rekordmeister zum ersten Mal seit elf Jahren wieder einen Trainerrauswurf während der laufenden Saison gab; der neue Coach war zwar der alte, erkannte seine Kicker aber nicht mehr und kündigte darob an, zum Saisonende wieder das Weite zu suchen. Auf dem Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt brachte sich schließlich auch noch der notorische Lothar Matthäus als neuer Übungsleiter selbst ins Gespräch („Ich bin ein Insider der Bundesliga und speziell des FC Bayern, und wer meine bisherige Laufbahn sieht, dem muss klar sein: Mein Ziel muss die Bundesliga sein“). Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Heißt: Wenn man schon nicht gewinnt, kann man sich immer noch die Niederlagen schön reden. Also wurde das 2:3 bei Real Madrid im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League flugs zum Erfolg umgelogen, obwohl die Bayern froh sein durften, nicht ordentlich die Hütte voll gekriegt zu haben.

Doch anschließend ging es tatsächlich aufwärts, auch wenn es eher unwahrscheinlich ist, dass am Ende der Saison erneut irgendeine der verbleibenden Trophäen den Weg in die Vitrine der Säbener Straße 51 in München findet. Immerhin aber scheint Ottmar Hitzfeld dem Klub wieder Leben eingehaucht zu haben; zu verlieren hatte er nichts, dafür jedoch die ultimative Chance, allen zu zeigen, dass die schmachvolle Entlassung vor zweieinhalb Jahren ein Fehler war. Daher genießt er nun sichtlich das neue Werben der Vereinsverantwortlichen, die er aus gutem Grund zappeln lässt. Und ein Blick darauf, wer von verschiedener Seite für den Fall, dass Hitzfeld ab Juli doch lieber wieder das Premiere-Mikrofon in die Hand nimmt, so alles als Nachfolger ins Gespräch gebracht wird, lässt den Lörracher noch glänzender aussehen. Neuester Kandidat: Stefan Effenberg, von seinem Bayern-Nachfolger Michael Ballack wärmstens empfohlen („Sachverstand“, „hohe Identifikation mit dem Verein“, „unverbraucht“, „starke Persönlichkeit“).

Zeit also, dass der Klub seinen Erfolgscoach zum Alex Ferguson des FC Bayern macht und ihn mit einem Vertrag auf Lebenszeit ausstattet. Denn irgendwie kann es für die Münchner keinen anderen geben; die Liaison erinnert an ein Pärchen, das trotz Trennung nicht voneinander loskommt, aus Überzeugung, aus Gewohnheit oder einfach, weil die Alternativen fehlen. Auch die Spieler würden es wohl begrüßen, wenn ihr Herr und Meister bliebe; zumindest schienen nicht wenige in den letzten Wochen wie von der sprichwörtlichen Zentnerlast befreit. Hier ein kleiner Rück- und Ausblick auf das Personal und seine Metamorphosen.

Oliver Kahn: Hat zwar noch nicht wie gewünscht wieder eine Kabinentür eingetreten, dafür aber Mitspieler van Buyten in Aachen medienwirksam wachgewürgt. Glänzend im Hinspiel gegen Real, aber schuld am Bremer Gegentor. Begründung: Hexenschuss. Hat als Entschädigung dafür einen Rentenvertrag inklusive Luxus-Krankenversicherung angeboten bekommen. Prognose: Hört trotzdem spätestens 2008 auf, wird danach Motivationstrainer oder Inhaber der Münchner Edeldisse P1.

Michael Rensing: Opfer des Kahnschen Rentenvertrags, wenn es ihn geben sollte. Will dann weg. Verständlich. Prognose: Bleibt, weil Kahn aufhört, und wird Stammkeeper. Hat seinen ersten Hexenschuss aber schon mit 28, weil die Reservebänke in der Bundesliga eine orthopädische Katastrophe sind.

Willy Sagnol: Schlug bis vor kurzem noch eine Christian-Ziege-Gedächtnisflanke nach der anderen, zielt inzwischen aber wieder besser, weil er das nicht mehr mit Medizinbällen üben muss. Prognose: Glänzend. Wird spätestens 2008 wunschgemäß Kapitän, wenn Kahn in Rente geht.

Lúcio: Wollte unbedingt zu den Alten Herren von Real Madrid und spielte lange Zeit auch so. Inzwischen wieder besser beieinander und mit weniger brachialen Vorstößen, dafür mit wichtigen Kopfballtoren. Prognose: Wird erneut Weltklasseform erreichen und auch aufhören, beim Torjubel seine schwangere Frau nachzuäffen, wenn die erst mal nicht mehr schwanger ist.

Daniel van Buyten: Niederlage beim Catchen gegen Kahn in Aachen, überlässt oft höflich dem einen Kopf kleineren Philipp Lahm die entscheidenden Luftduelle. Brachte aber Bayern in der Champions League eine Runde weiter: Hätte er nicht in der 90. Minute seine Hand gehoben, wäre der Schiri nie darauf gekommen, dass der Ausgleich für Real irregulär war. Prognose: Eher Ersatzbank, aber immer gut drauf.

Philipp Lahm: Wortspiele mit seinem Nachnamen füllen nur das Phrasenschwein, obwohl sie nach der WM durchaus gerechtfertigt waren. Hat laut kicker-Statistik aber immer die meisten Ballkontakte und wird von van Buyten außerdem zur Verbesserung seines Kopfballspiels genötigt. Zuletzt wieder rasanter unterwegs. Prognose: Wird mit 35 immer noch aussehen wie 16, aber auch dann noch Stammkraft sein.

Martin Demichelis: Einer der letzten Vertreter der Knochenbrecherfraktion; wollte sich wg. Nichtberufung zur WM schon das Leben nehmen, ließ es dann aber doch bleiben. Derzeit unterbeschäftigt, dafür als Auswechselspieler sehr engagiert beim Torjubel. Prognose: Konkurrenz für van Buyten, außerdem ab der nächsten Saison endlich mit argentinischem Teamkollegen (Sosa). Ansonsten gilt für ihn: „Lebbe geht weider.“ (D. Stepanovic)

Andreas Görlitz: Hat aus lauter Langeweile während seiner Verletzungspausen ein Saiteninstrument studiert; gab nach seiner Rettungsgrätsche gegen Wolfsburg eine Kostprobe davon (Air-Guitar-Solo). Scheint etwas übergewichtig, aber das täuscht. Prognose: Wird auch fürderhin gelegentlich zum Einsatz kommen und ansonsten in der Kabine mit der Klampfe für Stimmung sorgen.

Valérien Ismael: Zeigte zuletzt bei den Bayern-Amateuren, dass der Klub doch einen guten Freistoßschützen hat. Sollte im Training aber wieder mit Schienbeinschützern spielen. Prognose: Ebenfalls ein Anwärter, um van Buyten zu verdrängen; kann ansonsten kurz vor Schluss bei Standardsituationen wirkungsvoll eingewechselt werden.

Christian Lell: Wurde nur aus Köln zurückgeholt, weil es bei den Bayern Tradition ist, kleine Außenverteidiger zu haben. Prognose: Spielt nur, wenn ein anderer kleiner Außenverteidiger ausfällt. Ist für ihn aber immer noch angenehmer als die Zweite Liga.

Bastian Schweinsteiger: Wieder besser, seit er sich erst von seinem Berater und dann von seiner Cousine getrennt hat. Muss sich aber abgewöhnen, jeden Ball mit der Sohle zu stoppen, denn das kostet wertvolle Zeit und bringt nur Stollenabrieb. Prognose: Rückkehr zur Boygroup-Zeit mit Poldi, wenn er solo bleibt.

Mark van Bommel: Wollte mehr Arschlöcher in der Mannschaft und ging mit gutem Beispiel voran. Ohne ihn keine Hitzfeldsche Wortneuschöpfung Aggressiv-Leader. Mit philosophischen Qualitäten (Wir müssen jedes Spiel gewinnen, so einfach ist das jetzt. Es ist nicht so einfach, wie ich das jetzt sage, aber eigentlich schon.“), aber bei Elfmetern gegen das eigene Team bisweilen infantil. Prognose: Unangefochtener Chef, darf sogar Mitspieler schubsen, sollte aber dringend seinen Bewährungshelfer wechseln.

Hasan Salihamidzic: Schläft wieder mit dem Finger in der Steckdose und ist deshalb der heimliche Aggressiv-Leader. Technisch limitiert, aber mit graziler Urgewalt. Daher völlig unverzichtbar. Prognose: Schwerer Fehler des Klubs, „Brazzo“ zu Juve gehen zu lassen. Wird dort aber nicht glücklich und kommt nach einem Jahr wieder.

Owen Hargreaves: In England zum Fußballer des Jahres gewählt, in München ständig mit taktischer Grippe, um seinen Marktwert nicht zu gefährden. Wenn er spielt, dann solide. Prognose: Wechselt nach der Saison für geschätzte 100 Millionen Pfund zu ManU, bleibt dort, bis Alex Ferguson von der Bank kippt, und kehrt anschließend als Konditionstrainer oder Fanbeauftragter nach München zurück.

Andreas Ottl: Shooting Star unter Magath, aber zu schüchtern und daher jetzt wieder auf Normalmaß. Dafür mit echt bayerischem Namen, also regionaler street credibility. Prognose: Ersetzt Hargreaves in jeder Hinsicht: als idealer Schwiegersohn, Laufwunder und Popstar.

Ali Karimi: Technisch versierter als sein Staatspräsident, kommt im und mit dem Westen aber auch nicht besser klar. Prognose: Geht nach Dubai, kickt dort ein bisschen und organisiert den Bayern ansonsten die nächsten Wintertrainingslager.

Mehmet Scholl: Steckte laut kicker der Klubführung, dass Magath öde ist, und war damit hauptverantwortlich für den Trainerwechsel. Muss zum Dank nicht mehr so oft ran. Prognose: Bekommt entweder einen Job als Jugendausbilder bei den Bayern oder verlängert dort so lange seinen Vertrag, bis er gemeinsam mit seinem Sohn in einer Mannschaft spielen kann.

Roy Makaay: Dank Roberto Carlos und Brazzo schnellstes Champions League-Tor aller Zeiten, neuerdings gelegentlich jedoch Rotationsopfer. Beschwert sich aber grundsätzlich nie, nicht mal, wenn ihm ein Mitspieler beim Elfmeter den Ball wegschnappt. Prognose: Spielt weiter, trifft weiter, rotiert weiter. Normaal.

Claudio Pizarro: Konstant unkonstant, zwischen genialen Ideen hier und Anfällen akuter Lustlosigkeit dort. Künstler eben. Mehr Potenzial ist nicht, auch wenn das alle anders sehen wollen. Prognose: Bleibt zum gleichen Gehalt, weil er sich nächste Saison mit Jan Schlaudraff bei den Promillefahrten abwechseln kann.

Roque Santa Cruz: Doch nicht der Ballack-Nachfolger, was abzusehen war. Hat ausgedient, weil er sich nicht mehr mit Verletzungen herausreden kann – die letzte ist nämlich schon eine Weile her. Prognose: Verlässt den Klub und wird ewiges Talent in Spanien. Schafft später aber den internationalen Durchbruch als Koryphäe für Arthroskopismus.

Lukas Podolski: Erfinder des Stakkato-Interviews und Schrecken jedes Platzwartes, weil er nach seinen Toren die nächstgelegene Eckfahne demoliert. Das kommt in letzter Zeit häufiger vor, dank Ottmar Hitzfelds Streichelzoo. Prognose: Bestens. Wird erst absoluter Publikumsliebling, später Torschützenkönig und nach seiner Karriere Platzwart. Heiratet Schweini nur deshalb nicht, weil der nicht kochen kann.

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Update: Das ging dann doch schneller als erwartet und erhofft: Ottmar Hitzfeld bleibt Bayern-Coach – zumindest bis 2008. Ein Lebensvertrag wäre zweifellos angemessener gewesen, aber wie sagte Manager Uli Hoeneß immerhin? Der Kontrakt könne sich „Jahr für Jahr um zwölf Monate verlängern“. Na also.