29.7.07

Der freundliche Skinhead

Einen „Popstar wider Willen“ nannte ihn die Zeit, den „Popstar unter den Geistlichen“ der Focus, und die Nachrichtenagentur Associated Press verbreitete einen Beitrag über den derzeitigen Deutschlandbesuch des Dalai Lama unter der Überschrift „Spiritueller Popstar“. Kaum eine große deutsche Zeitung, die den offenbar so begehrten wie beliebten Obertibeter nicht zum Interview gebeten hätte, und gäbe es Christiansen noch, er wäre ganz gewiss auch bei ihr gelandet. Denn „er lebt, was er predigt, und das macht ihn zum wirkungsvollen Exilvertreter Tibets“, räsonierte Uwe Jean Heuser in der Zeit über die Gründe für den Hype um den drahtigen und asketischen Mann mit der dicken Brille: „Er macht schlichte Scherze wie den, der nächste Dalai Lama könne eine Frau sein, aber bitte ein hübsche, wegen der Aufmerksamkeit. Aber er verlässt nie seine Linie der Gewaltfreiheit und des Mitgefühls, die er für das Zentrum des Buddhismus hält. Er zeigt Verständnis und auch Achtung für hungerstreikende Landsleute. Doch dass sie zum Selbstmord bereit sind, lehnt er als Gewalttat ab. Er gibt die Hoffnung nicht auf, dass China zur Einsicht kommt. Und falls er noch einmal in seine Heimat darf, so sagt er, ‚will ich etwas tun, damit die Tibeter und die Chinesen Freundschaften entwickeln’. Manche Tibeter hielten ihn wegen seiner freundlichen Haltung für zu weich, sagt er – und lacht besonders lange.“

Das hört sich alles harmlos und nicht unsympathisch an; das Problem dabei ist nur: Die Dinge liegen doch etwas anders. Der Psychologe und Autor Colin Goldner veröffentlichte bereits 1999 eine kritische Würdigung des Dalai Lama* und präsentierte dabei zahlreiche Tatsachen, die so gar nicht zum Selbstbild des Gottkönigs und zu der nicht nur unter seinen Anhängern verbreiteten Auffassung passen wollen, nach der das bis 1951 existierende „alte Tibet“ eine Oase des Pazifismus und der spirituellen Reife gewesen sei, bis die Chinesen diesem Paradies mit roher Gewalt ein Ende gesetzt hätten. Der tibetische Buddhismus ist jedoch vielmehr die vernunftwidrige, gegen die Aufklärung gerichtete Religion einer autoritären Sekte, die im 15. Jahrhundert den Kult um den Dalai Lama hervorbrachte, sich den Weg an die Spitze mit brutaler Gewalt und Intrigen bahnte und dabei mit Rivalen alles andere als zimperlich umsprang, um es zurückhaltend zu formulieren. Demokratisch legitimiert war die Lama-Dynastie nie; abwählbar ist sie dementsprechend auch nicht. Die Zeit, in der sie in Tibet unumschränkt herrschte, war für die Bevölkerung nicht von Sanftmütigkeit und Toleranz, sondern im Gegenteil von äußerster Armut, rabiater Unterdrückung und barbarischer Ausbeutung bei einer Alphabetisierungsquote von ganzen zwei Prozent geprägt. Das Justizsystem der feudalen Mönchsdiktatur stammte zudem aus grauer Vorzeit, wie Goldner schrieb:
„Das tibetische Strafrecht leitete sich aus einem Gesetzeswerk Dschingis Khans des frühen 13. Jahrhunderts ab und zeichnete sich durch extreme Grausamkeit aus. Zu den bis weit in das 20. Jahrhundert hinein üblichen Strafmaßnahmen zählten öffentliche Auspeitschung, das Abschneiden von Gliedmaßen, Herausreißen der Zungen, Ausstechen der Augen, das Abziehen der Haut bei lebendigem Leibe und dergleichen. Obgleich der 13. Dalai Lama 1913 das Abhacken von Gliedern unter Verbot gestellt hatte, wurden derlei Strafen noch bis in die 1950er Jahre hinein vorgenommen. [...] Selbst die ansonsten gänzlich unkritische Autorin Indra Majupuria weist in ihrem Buch Tibetan Women auf historische Belege dafür hin, dass im ‚alten Tibet’ eine Frau bei Ehebruch völlig legal von ihrem Ehemann getötet werden konnte.“ (S. 24 f.)
Dessen ungeachtet gab es in Deutschland bereits zu Beginn der 1920er Jahre einen regelrechten Tibet-Boom mit zahlreichen Abenteuerfilmen, Büchern und Ausstellungen über das „Dach der Welt“. Auch die Nationalsozialisten zeigten großes Interesse an Tibet; sie gingen dort nicht zuletzt einer angeblichen Ur-Verwandtschaft zwischen der „indo-arischen“ und der „germanischen Menschenrasse“ nach. Heinrich Himmler – ein Verehrer der Theosophin Helena Blavatsky und ihrer „Rassenlehre“ – finanzierte 1938 sogar eine Expedition in das Schneeland und stellte sie unter seine persönliche Schirmherrschaft. Federführend war dabei der Biologe und Tibetforscher Ernst Schäfer; begleitet wurde er unter anderem vom „Rassekundler“ Bruno Beger, der an hunderten Tibetern Schädelvermessungen durchführte (und diese Tätigkeit ab 1943 als Arzt im Konzentrationslager Auschwitz fortsetzte; der Dalai Lama pflegte zu Beger noch in den 1990er Jahren enge Kontakte). Es kam zu einem Treffen mit Vertretern des tibetischen Regimes, dessen Verlauf und Ergebnisse nie öffentlich gemacht wurden. Goldner: „Der Dalai Lama, dessen Regent und persönlicher Tutor Jamphel Yeshe Gyaltsen, bekannt als Reting Rinpoche, im Jahre 1939 eine SS-Delegation offiziell im Potala empfangen hatte, weigert sich bis heute, irgendwelche Auskunft zu den damaligen Unterredungen zu geben; auch aus den Aufzeichnungen des Delegationsleiters Ernst Schäfer, der mehrfach mit dem Regenten sowie hochrangigen Regierungsmitgliedern zusammengetroffen war, geht kaum etwas über deren Inhalt hervor.” (S. 87)

In diesen Kontext passt auch die unverbrüchliche Freundschaft des Dalai Lama mit dem österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer (Foto, links) bis zu dessen Tod im Januar 2006. Harrer war einer der bekanntesten Tibet-Autoren; seine Biografie Sieben Jahre in Tibet wurde 1997 sogar verfilmt. 1950 war er ein halbes Jahr lang der persönliche Lehrer des damals 15 Jahre alten Dalai Lama; er schaffte es in den Rang eines Ministerialbeamten und wurde später in den tibetischen Adelsstand erhoben. 1997 wies ein österreichischer Journalist nach, dass Harrer SA- und NSDAP-Mitglied sowie SS-Oberscharführer war. „Natürlich wusste ich, dass Heinrich Harrer deutscher Abstammung war – und zwar zu einer Zeit, in der die Deutschen wegen des Zweiten Weltkrieges weltweit als Buhmänner dastanden“, sagte der Dalai Lama, mit diesen Erkenntnissen konfrontiert – und verteidigte die intensiven Beziehungen zu Harrer und anderen Nationalsozialisten: „Wir Tibeter haben traditionsgemäß schon immer für die Underdogs Partei ergriffen und meinten auch, dass die Deutschen gegen Ende der vierziger Jahre von den Alliierten genügend bestraft und gedemütigt worden waren. Wir fanden, man sollte sie in Ruhe lassen und ihnen helfen.“ (zitiert nach Goldner, S. 83)

Marcus Hammerschmitt hob in einem lesenswerten Beitrag hervor, dass es beileibe nicht bloß diese groteske Form von Hilfsbereitschaft und auch nicht nur die Suche nach „rassischen“ Gemeinsamkeiten waren, die den tibetischen Buddhismus für die Nationalsozialisten so attraktiv machten. Sie interessierten sich zudem stark für dessen Karma-Lehre, nach der „das gegenwärtige Geschick eines Menschen unmittelbar mit dem Verhalten in einem früheren Leben zusammenhängt und seinerseits wiederum Art und Qualität noch folgender Wiedergeburten bestimmt“. Das bedeutet, „dass jeder Mensch für jede Art von Unglück aufgrund ‚böser’ Handlungen in einem früheren Leben selbst verantwortlich sei“. Die Konsequenz liegt auf der Hand: „Dehnt man diese Interpretation auf ganze Gruppen von Menschen aus, ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, die Diskriminierung und Unterdrückung dieser Gruppe als das Wirken karmischer Gesetze zu lesen: Sie hätten eben früher nicht so böse sein sollen.“

Folgerichtig erscheint die Vernichtung der Juden als Strafe
für schlechte Taten in früheren Epochen – eine Ansicht, die Heinrich Himmler vertrat und später auch der in der Esoterikszene hoch gehandelte „Reinkarnationstherapeut“ Trutz Hardo (bürgerlich Tom Hockemeyer). Die Karma-Ideologie wird darüber hinaus „sehr gezielt als individuelle und soziale Zuchtrute“ eingesetzt, wie Hammerschmitt schrieb: „Mit surreal gesteigerten Bestrafungsfantasien werden die Gläubigen vor dem Abweichen vom Pfad der Tugend gewarnt. In diesen Bestrafungsfantasien wimmelt es nur so von Teufeln, Dämonen und Höllen. Die genau ausgemalten Qualen, denen der karmisch unzuverlässige Buddhist in einer künftigen Wiedergeburt, oder in der Phase zwischen den verschiedenen Inkarnationen [...] ausgesetzt ist, wirken wie die Fieberfantasien von Sadisten.“

Was bleibt, sind die Klagen des Dalai Lama und seiner Anhängerschar über die chinesische Unterdrückung und ihre Folgen. Ungeachtet aller Berechtigung und Notwendigkeit einer deutlichen Kritik an der ausgesprochen repressiven Tibet-Politik Chinas sind auch in dieser Hinsicht Zweifel an der Darstellung des „Ozeans der Weisheit“, wie der Gottkönig von seinen Verehrern genannt wird, angebracht. Inwieweit etwa Tibet zwischen 1913 und 1951 – dem Jahr des Einmarschs der chinesischen Volksbefreiungsarmee – tatsächlich staatlich unabhängig war, ist umstritten und nach wie vor ungeklärt. Im Mai 1951 schlossen die Herrscher in Tibet nach aussichtslosen militärischen Kämpfen schließlich ein 17-Punkte-Abkommen mit China, in dem Tibets Zugehörigkeit zum chinesischen Staatsgebiet geregelt und ein Autonomiestatus vereinbart wurde, der die Funktionen und Machtbefugnisse der Lama-Dynastie unangetastet ließ. Heute werfen sich beide Seiten gegenseitig vor, diese Abmachung gebrochen zu haben.

Nicht zuverlässig belegbar sind darüber hinaus die von tibetischer Seite immer wieder kolportierten Opferzahlen. Als fragwürdig darf beispielsweise die Darstellung der Niederschlagung des antichinesischen Aufstands in Lhasa 1959 gelten: 87.000 Tote habe es damals gegeben, behauptet der Dalai Lama; „eine Differenzierung nach Kampfparteien unterlässt er wohlweislich, was die Suggestion nährt, es habe sich ausschließlich um tibetische Opfer gehandelt: Laut Report des US Joint Publications Research Service in Washington waren indes drei von vier der insgesamt 65.000 Toten Chinesen” (Goldner, S. 142 f.). Und last but not least ist auch die beständig wiederholte These eines „kulturellen Genozids“ durch „Sinisierung“ nicht haltbar, wie Goldner nachwies:
„Die Argumentation des Dalai Lama [bezieht sich] stets auf das ‚ethnografische’ Tibet, das heißt auf den gesamten großtibetischen Siedlungsraum. Er unterschlägt, dass das zwischen 1913 und 1951, dem Zeitraum tibetischer ‚de-facto-Unabhängigkeit’, von Lhasa kontrollierte ‚politische’ Tibet im wesentlichen der nur etwa halb so großen heutigen Autonomen Region Tibet entspricht. Die darüber hinaus reichenden östlichen Territorien (mithin Amdo und Kham) unterstehen bereits seit 1720 (!) mandschurischer (ab 1912 nationalchinesischer) Kontrolle, sie waren nicht Teil des ‚politischen’ Tibet, für das 1913 die ‚Unabhängigkeit’ erklärt wurde. [...] Der han-chinesische Bevölkerungsanteil in der Autonomen Region Tibet [ART] liegt einschließlich militärischen Personals bei maximal 14 Prozent; rechnet man die rund 100.000 chinesischen Siedler allein, liegt er bei unter fünf Prozent. Seit Beginn der 1990er ist die zivile Migrationsbilanz (aller ethnischen Gruppen) in die ART sogar negativ. [...] Die Behauptung der tibetischen Exilregierung, es habe sich seit Ende der 1980er ‚eine Million Chinesen, nicht einbezogen militärisches Personal’ in der ART ansässig gemacht, ‚davon einige hunderttausend Händler und Siedler allein in Lhasa’, ist barer Unsinn.“ (S. 196)
Das alles ficht die Tibet-Fans jedoch nicht an; sie feiern weiter ihren Guru und träumen von einem „wundersamen Shangrila über den Wolken, bewohnt von lauter lächelnden, friedfertigen Buddhisten“ (Marcus Hammerschmitt). Die Autorin Claudia Barth bemerkte zu den Gründen für diesen unerschütterlichen Romantizismus in ihrem Buch Esoterik und Leitkultur:** „Die Idee des alten Gottesstaates [ist] das faszinierende Moment für zahlreiche westliche Unterstützer. Sehnsüchte nach einem einigen, widerspruchsfreien Gemeinschaftsleben in vor-industrialisiertem Zustand kristallisieren sich im hierzulande herrschenden tibetischen Wunschbild. Die Sicherung des Friedens auf der Welt wird in der Rückkehr zur Religion, in der Ablehnung moderner Technik und Medizin, in der Unberührtheit der ‚ursprünglichen’ Kulturen von westlicher Zivilisation erblickt.“ (S. 144) Die Initiative Aktion 3. Welt Saar hieb in die gleiche Kerbe: „Der Dalai Lama bedient mit seinen mediengerecht inszenierten Botschaften von Frieden, Liebe und Toleranz eine verbreitete Zivilisationsmüdigkeit. Für viele seiner Zuhörer/innen verkörpert sein marketingmäßig aufgebautes Image die romantische Sehnsucht nach einem einfachen Leben, das von der Unbill der Moderne unberührt ist.“

Hinter der Botschaft des Dalai Lama verberge sich bei näherer Betrachtung „eine durch und durch unfriedliche und undemokratische Praxis“: „Einerseits ist das so genannte geistige und politische Oberhaupt der Tibeter nie demokratisch gewählt worden. Als kleiner Junge wurde er auf Grund eines okkultistischen Rituals zum Staatsoberhaupt erkoren. Zum anderen billigte der ‚gewaltfreie’ Dalai Lama den von 1958 bis 1973 gegen die Chinesen geführten bewaffneten tibetischen Untergrundkampf und begrüßte die indische Atombewaffnung.“ Weiterhin schlössen „die ‚sexualmagischen, spirituellen’ Praktiken des tibetischen Tantra die Vergewaltigung junger Frauen und sexuellen Kindesmissbrauch ein“, und die „freundschaftlichen Beziehungen der buddhistischen Herrscher Tibets zu den Nationalsozialisten“ fänden ihre Fortsetzung in den guten Beziehungen des Dalai Lama zu Vertretern rassistischer und antisemitischer Esoteriksekten: „So war Shoko Asahara, Gründer der japanischen AUM-Sekte und Hauptverantwortlicher für den tödlichen Giftgasanschlag auf die U-Bahn von Tokio im März 1995, ein Schützling des Dalai Lama.“

Möglicherweise wissen die Lama-Anhänger und Esoterik-Freaks davon nichts, möglicherweise billigen sie all dies aber auch oder nehmen es zumindest in Kauf. Das Ergebnis bleibt jedoch das gleiche; Claudia Barth brachte es auf den Punkt: „Der Tibet-Boom ist ein eindrucksvolles Beispiel, wozu die grundsätzliche Ablehnung der erkennenden Ratio, also der Wissenschaft, führen kann. Wer das wissenschaftliche, vernünftige Denken verwirft, wendet sich gegen die Grundwerte der Aufklärung und damit gegen die Grundidee der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Die Anhängerschaft des Dalai Lama landet im Ergebnis ihrer linear-historischen Rückwärtsgewandtheit wieder in der vor-demokratischen Gedankenwelt des Feudalismus.“ (S. 149) Und in der haben durchaus auch Popstars ihren Platz.

* Colin Goldner: Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg (Alibri Verlag) 1999
** Claudia Barth: Über alles in der Welt – Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen, Aschaffenburg (Alibri Verlag) 2003

Hattip: Gesine

26.7.07

Eisbrecher mit Initial-Irritation

Max Horkheimer wusste es schon im Mai 1967: „Amerika hat, aus welchen Motiven auch immer, Europa von völliger Versklavung gerettet. Die Antwort ist heute überall, nicht bloß in Deutschland, eine weitverbreitete und tiefgehende Amerika-Feindlichkeit.“ Überraschend sei dabei „der Umstand, dass überall dort, wo der Anti-Amerikanismus sich findet, auch der Antisemitismus sich breit macht“, und sogar grotesk „die Verwirrung unter den linken Studenten“. Denn: „Die Einheit von Theorie und Praxis, die sie früher gefordert haben, wird zu einer kruden anti-amerikanischen Praxis, ohne dass eine echte Theorie dahinter stände.“ Vierzig Jahre später ist der Hass auf die USA mit oder ohne Theorie längst keine Domäne der Linken mehr, sondern zu einer Art deutsch-europäischem Sozialcharakter geronnen, zu einer conditio sine qua non geworden. Und die geradezu symbiotische Verbindung mit dem als „Israelkritik“ bauernschlau verbrämten Antisemitismus muss deshalb niemanden mehr wundern. „Es ist die Figur des harten, aggressiven, skrupellosen und rücksichtslosen Juden in Gestalt des machtvollen und brutalen Israeli, die dem europäischen Antisemitismus von heute eine neue Dimension gibt“, schrieb der Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits in seinem Buch Amerika, dich hasst sich’s besser. (1) „Und es sind wiederum die Stärke und (militärische) Macht, die dem Antiamerikanismus eine zusätzliche und unersetzliche Rolle in dieser neuen Form des Antisemitismus als Israelfeindschaft zuweisen und diese zwei Phänomene zu politisch potenten Zwillingen in ganz Europa machen.“

Thomas von der Osten-Sacken wies nach, dass es die „Identifizierung Amerikas mit Israel, des Juden mit dem Finanzkapital der US-Ostküste, die inzwischen in arabischen Medien ebenso selbstverständlich verbreitet wird wie auf den Treffen der Globalisierungsgegner“, bereits 1906 gab. (2) Der völkische Autor Otto Ladensdorf hatte seinerzeit kund getan: „Heute kann man schon in gewissem Sinne den Juden als den Vertreter des Amerikanismus bei uns bezeichnen. Verjudung heißt eigentlich Amerikanisierung.“ Auch die Niederschlagung des Nationalsozialismus konnte diesen Ressentiments nichts anhaben; im Gegenteil. Die oft bloß taktisch motivierte demonstrativ proamerikanische Haltung deutscher Bundesregierungen erfuhr bald nach dem Beitritt der DDR einen Revisionsprozess; ultimativ mit ihr gebrochen wurde schließlich im Zuge des Amtsantritts von Rot-Grün 1998. Seitdem agiert sich der Antiamerikanismus klassenübergreifend nahezu ungehemmt aus, nicht selten in Verbindung mit dem Antizionismus: Keine Party ohne Bush-Witze, kein Stammtischgespräch ohne Zoten über die „zionistische Lobby“, keine Wahl ohne kampagnenartige Tiraden gegen die USA, kein Tag ohne eine mit vor Kühnheit zitternder Stimme vorgetragene Philippika über dieses kulturlose, kriegsgeile und umweltschädliche Volk jenseits des Atlantiks und seinen Bündnispartner Israel – von Hartz IV bis Heidemarie Wieczorek-Zeul weiß man, wo der Feind steht. Und das ist keine Frage mangelnder Bildung. Vielmehr steigen die Chancen auf besondere Penetranz bei Begegnungen mit vermeintlich oder tatsächlich Höherqualifizierten sogar noch.

Diese Erfahrung machen nicht wenige der rund 3.200 Gaststudenten aus den Vereinigten Staaten, die derzeit in Deutschland leben. „Sie sind Botschafter wider Willen, werden von Kommilitonen und Unbekannten stellvertretend für ihre Regierung daheim angegangen – ein Affront, der Akademikern aus China, Russland oder arabischen Ländern meist erspart bleibt“, resümiert Jan Friedmann auf Spiegel-Online die Verwandtschaft des Amerikahasses mit dem Judenhass in Gestalt der „Israelkritik“ liegt auch hier auf der Hand. Die Angriffe tauchen zwar „in keiner Statistik und keinem Polizeibericht auf“. Doch das liegt schlicht daran, dass Antiamerikanismus hierzulande keine Straftat, sondern Ehrensache ist. Friedmann zitiert stellvertretend den Austauschstudenten Edward Janssen und dessen „typische Konversation mit deutschen Kommilitonen“: „Erste Frage: Wie heißt du? Zweite Frage: Woher kommst du? Dritte Frage: Hast du Bush gewählt?“ Und dann sei man „schon mittendrin in der Diskussion über den Irak-Krieg, über Todesstrafe, Waffengesetze und Klimaschutz“. Es gebe nur eine Chance, sagt Janssen: „Wenn ich die ersten 15 Minuten überstehe, kann es ein gutes Gespräch werden.“ Dann dürfe er erzählen, dass er während des Deutschunterrichts in seiner Schule in Jersey City ansehen musste, wie die Türme des World Trade Centers zusammenstürzten und dabei Mitschüler, Angehörige und Freunde starben.

Nach einer Studie des Pew Research Centers in Washington äußern sich zwei Drittel der Deutschen negativ über die USA. In einer anderen Umfrage erklärten im Frühjahr 57 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen, sie hielten die USA für gefährlicher als den Iran. Unbeliebter ist das Land nur in muslimischen Staaten. Jetzt soll allen Ernstes ein Programm namens „Rent an American“ („Miete einen Amerikaner“) Abhilfe schaffen, schildert Jan Friedmann: In dem gleichnamigen, bundesweit einzigartigen Pilotprojekt vermittelt das Deutsch-Amerikanische Institut Tübingen seit einigen Wochen amerikanische Gaststudenten für Unterrichtsbesuche an Schulen der Region.“ Jeder vierte der etwa einhundert US-Gaststudenten in dem beschaulichen Universitätsstädtchen habe sich „im laufenden Semester für die Eisbrecher-Initiative gemeldet“. Im Erfolgsfall werde daran gedacht, das vom Land Baden-Württemberg mitgetragene und von der Robert Bosch Stiftung unterstützte Projekt auf das ganze Bundesland auszudehnen. Antiamerikanismus will Bernd Engler, Amerikanist und Rektor der Universität Tübingen, es allerdings nicht nennen, was den Bürgern der Vereinigten Staaten hierzulande entgegenschlägt und Anlass für die Idee seiner Einrichtung war, die Eis- den Tabubrechern auszusetzen; er spricht lieber von „Ressentiments, die je nach außenpolitischer Lage Konjunktur haben“ und sich „mit wachsender Kenntnis über die USA auflösen“ (was nachweislich Unfug ist). Wie auch immer: Deutsche Hochschulen seien „uneingeschränkt gastfreundlich“; außerdem handle es sich bei den Erfahrungen vieler US-Gaststudenten um eine lehrreiche „Initial-Irritation“. Das muss so eine Art Burschenschafterritual sein, nur ohne Schmiss und Bierverschiss.

Audrey Bashore hatte ihre Initial-Irritation jedenfalls gegenüber der Klasse 8 b des Katholischen Freien Gymnasiums St. Meinrad in Rottenburg am Neckar, wie Friedmann berichtet. Die 13- bis 14-jährigen Schüler müssen die 22-jährige Studentin der University of Michigan einem regelrechten Verhör unterzogen haben: „Glaubst du, dass ein anderer Präsident das Image deines Landes ändern könnte?“, „Findest du gut, wie die Amerikaner mit Rohstoffen umgehen?“, „Billigst du die Todesstrafe?“, „Unterstützen die Amerikaner den Irak-Krieg?“, „Warum essen Amerikaner so viel Fast Food?“, „Können sie auch Bio-Lebensmittel kaufen?“. Eine Stunde später, vor einer elften Klasse, wiederholten sich die Themen offenbar: „Was denkst du über Bush und die Politik seiner Regierung?“, gefolgt vom Klimawandel, der Todesstrafe, dem Waffenbesitz, Michael Moore und dem Ku-Klux-Klan. Die Schüler dürften genau wie ihre Lehrer mit Audrey Bashore und ihren Antworten zufrieden gewesen sein: Sie sei auch gegen Bush, den Irak-Krieg, die Todesstrafe sowie Rohstoffmissbrauch und zeige das auf Demonstrationen. Derlei hört man in Deutschland und Europa natürlich gerne, und auch hier zeigt sich eine auffällige Parallele zum Antisemitismus: Amerikaner, die Bush nicht wählen und außerdem ihren Müll trennen, erfreuen sich fast so großer Beliebtheit wie antizionistische Juden, die Israel an den Pranger stellen.

Marc Chmielewski und Johannes Kaufmann haben in ihrem Verschwörungs-ABC – Alles für den Verschwörungstheoretiker unter dem Stichwort „USA“ treffend die Methode umrissen, derer sich Antiamerikaner bedienen:
„Wenn die USA etwas tun oder lassen, hat dies in der Regel größere Auswirkungen auf das Weltgeschehen, als wenn Deine Anhänger die Redaktionen der Republik mit empörten Leserbriefen traktieren. Das erzeugt Neid und Missgunst, und da setzt Du an. Wenn es um die USA geht, kannst Du alle Hemmungen über Bord werfen [...]. Normalerweise sind Vorurteile, Stereotype und Pauschalisierungen verpönt – beim ‚großen Bruder’ jenseits des Atlantiks aber darfst und solltest Du in die Vollen gehen: Verurteile die Amerikaner wahlweise kollektiv als zu prüde oder zu exhibitionistisch. Vergiss PISA und mach Dich lieber über die ungebildeten Trottel im Mittleren Westen lustig, von denen es in Deinen Michael-Moore-Büchern wimmelt. Interpretiere die Tatsache, dass Bill Gates reicher ist als beide Aldi-Brüder zusammen, als Ausdruck des raffgierigen Volkscharakters. [...] Schreie ‚Kein Blut für Öl!’, sobald ein US-Soldat einen Fuß außer Landes setzt. Rufe den kulturellen Notstand aus, wenn McDonald’s eine Filiale in der Dönerwüste Deines Kiezes eröffnen will. Wirf den USA vor, sich in den Nahostkonflikt einzumischen. Wirf ihnen gleichzeitig vor, ihr weltpolitisches Gewicht nicht angemessen für eine Lösung des Nahostkonflikts einzusetzen. Wenn in den USA ein Hurrikan ganze Städte verwüstet und Hunderttausende obdachlos macht, dann mach den Trittin und wedele linkerhand mit dem Kyoto-Protokoll herum, während Du in der Rechten das Megaphon hältst, in das du brüllst: ‚So was kommt von so was!’ Vergleiche Bush mit Hitler. Sei misstrauisch, sei maßlos, sei gnadenlos. Und vergiss nicht, was sie mit den Indianern gemacht haben – hat nicht auch Hitler seinerzeit...?“
Die „Einheit von Theorie und Praxis“, von der Horkheimer sprach, übersetzt sich tatsächlich in eine „krude anti-amerikanische Praxis“, „ohne dass eine echte Theorie dahinter stände“. Einer solchen bedarf es aber auch gar nicht, denn der Antiamerikanismus ist sich selbst genug. Da nützt es auch nichts, leibhaftige Amerikaner zu mieten.

Anmerkungen:
(1) Andrei S. Markovits: Amerika, dich hasst sich’s besser. Antiamerikanismus und Antisemitismus in Europa, Hamburg 2004, S. 187.
(2) Thomas von der Osten-Sacken: Antiamerikanismus, Antisemitismus und antiimperialistische Friedenssehnsucht, in: Thomas Uwer/Thomas von der Osten-Sacken/Andrea Woeldike (Hg.): Amerika. Der „War on Terror“ und der Aufstand der Alten Welt, Freiburg 2003, S. 171.

25.7.07

Methadonticker

Live-Blogging ist eine prima Sache. Fast ist man geneigt, von einem Trend zu sprechen. Denn das Ganze gibt es nicht nur zu Sportereignissen, sondern auch im Rahmen altgedienter Samstagabendshows, bei Naturkatastrophen oder anlässlich der Lektüre von Bestsellern. Einem solchen Hype kann und will sich natürlich auch dieses Weblog auf Dauer nicht verschließen. Und deshalb gibt es heute Abend eine Direktübertragung des zweiten Semifinalspiels im Methadonpokal zwischen dem amtierenden Deutschen Meister VfB Stuttgart und seinem Nachfolger FC Bayern München. Anstoß im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion ist um 20.30 Uhr; Lizas Welt geht bereits eine halbe Stunde vorher online. Man liest sich.

Live-Blog: VfB Stuttgart – FC Bayern München

[20.00] Live-Blogging kann zum Verlust des Presseausweises führen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Man besitzt einen solchen Presseausweis. 2. Man bloggt während eines Baseballspiels im Stadion von Louisville. Ohne Ausweis und im eigenen Wohnzimmer dürfte die Gefahr ungleich geringer sein.

[20.02] Der VfB Stuttgart ist es selbst schuld, dass ihm die Bayern am Ende der kommenden Saison die Meisterschale wieder abnehmen werden: Ohne sein 2:0 Ende April hätten sich die Münchner nämlich nachweislich nicht in solche Unkosten gestürzt. Aber VfB-Trainer Armin Veh betreibt Understatement: „Einen Franck Ribéry sehe ich sehr gerne spielen, auch wenn ich ihn natürlich lieber hier hätte.“ Hat er jetzt ja. Nur nicht im eigenen Team.

[20.07] Aus der Abteilung „Statistiken, die niemand braucht“: „Nur der FC Bayern wurde als Ligapokal-Sieger auch Meister“, schrieb der kicker vergangene Woche. Fünfmal haben die Bayern diesen Wettbewerb gewonnen, nur einmal (nämlich 1997) reichte es anschließend nicht für die Meisterschaft. Dafür wurden sie zweimal Erster, ohne vorher den Ligapokal geholt zu haben.

[20.09] Den VfB haben die Bayern bei ihrer Einkaufstour in Ruhe gelassen. Gomez ist immer noch da. Deshalb ist eine Pausenunterhaltung wie beim Viertelfinalspiel der Münchner gegen Bremen wohl nicht zu erwarten. Es sei denn, Meira tritt Ribéry so aus dem Spiel, wie er das im DFB-Pokalendspiel mit Mintal gemacht hat.

[20.15] „Kahn zieht Training vor“, begründet der kicker das heutige Fehlen des Bayern-Torwarts. So weit ist es schon, dass Sepp Maier und Walter Junghans bessere Sparringspartner sind als der Deutsche Meister. Dafür steht Michael Rensing im Kasten. Er soll „Spielpraxis sammeln“. Statt Briefmarken, vermutlich.

[20.19] Hitzfeld im Interview bei SAT.1. Keiner sagt so schön „Läwwerkusen“ und „Fitzemeister“. Schade, dass er dazu gerade keine Gelegenheit hat.

[20.28] „Wie man sich gerne erinnert, wurden die Bayern hier noch vor geringer Zeit geradezu gedemütigt“, holpert es aus dem Liveticker des VfB Stuttgart. Immerhin: Eine schöne Alliteration.

[20.30] Bayern nun doch ohne Klose, dafür mit Amateur Sandro Wagner (19). So schnell gehen einem die Stürmer aus.

[20.32] Anpfiff. Schiri ist Babak Rafati aus Hannover.

[20.38] Marcel Reif kommentiert bei SAT.1. Das verspricht zumindest keine größeren Nervereien.

[20.40] Tor für den FC Bayern. 0:1 durch Ribéry (8. Minute).

[20.42] Und so fiel der Führungstreffer für die Gäste: Absatzkick von Wagner (wer sagt’s denn?), trockener Linksschuss von Ribéry. „Der hat Spaß am Fußball“, meint Marcel Reif. Kann man wohl sagen.

[20.52] Die Nerven von Raphael Schäfer im VfB-Tor flattern ungefähr so heftig wie der Ball. Bei Ribérys Tor sah er dumm aus, bei Altintops 30-Meter-Schuss ebenfalls, und soeben hätte fast Sandro Wagner treffen dürfen. Bayern deutlich überlegen.

[20.58] Altintop an den Pfosten. Das kann nicht der sein, der letzte Saison noch bei Schalke gespielt hat. Wahrscheinlich ist es ein Klon oder ein Drillingsbruder.

[21.02] Wagner macht sich im Bayern-Angriff gar nicht mal übel. Ist zwar ein bisschen hektisch vor der Kiste und guckt immer ganz traurig, aber das treibt ihm Hermann Gerland auch noch aus.

[21.11] Stuttgart erstarrt förmlich in Ehrfurcht und lässt die Bayern spielen. Hitzfeld schaut trotzdem aus der Wäsche, als hätte er Sodbrennen.

[21.16] Beim VfB spielt Peer Augustinski mit. Oder sein Sohn. Jedenfalls trägt er die Nummer 2 und heißt angeblich Andreas Beck.

[21.17] Pause.

[21.25] Die ganz große Nummer ist es (noch) nicht. Die Stuttgarter konzentrieren sich vor allem auf Schadensbegrenzung, während die Bayern das Bällchen vor allem im Mittelfeld munter laufen lassen, ohne sich zu verausgaben. „Des is a Wahnsinn“, kommentiert Bayern-Präsident Franz Beckenbauer. Allerdings nicht das Spiel, sondern den Hauptsponsor des VfB, EnBW. Halbzeitwerbung eben.

[21.33] Nach gefühlten 50 Werbespots geht es weiter. Keine Auswechslungen. Die Statistik notiert 8:2 Torschüsse für die Bayern und 60 Prozent Ballbesitz. Kommt hin.

[21.38] Der VfB ist jetzt mutiger. Rensing darf gegen Cacau zeigen, dass er ein würdiger Nachfolger von Oliver Kahn ist, wenn der in sechs bis acht Jahren aufhört.

[21.42] Gelbe Karte für van Bommel und Meira, die sich herzlich beharken. Irgendwie logisch, dass es gerade diese beiden trifft. Mal sehen, ob van Bommel es in der kommenden Saison schafft, den Rekord an Verwarnungen zu brechen. Der steht bei 16, aufgestellt von Tomasz Hajto. Müsste zu schaffen sein.

[21.52] Van Bommel steht kurz vor dem Platzverweis und wird nun in „Schutzhaft“ genommen, wie Marcel Reif es ausdrücken zu müssen meint. Für ihn spielt jetzt Ottl. Der VfB hat Peer Augustinski ausgewechselt; statt seiner darf Ewerthon ran, dem das weiße Trikot fast genauso gut steht wie früher das schwarz-gelbe. Ist aber noch etwas ungewohnt.

[21.54] Tor für den FC Bayern. 0:2 durch Wagner (66. Minute).

[21.57] Genialer Pass von Ribéry und anschließend von Jansen; Wagner vergisst diesmal, dass er eigentlich hypernervös ist, und zimmert den Ball humorlos an Schäfer vorbei ins Tor. Fünf Euro ins Phrasenschwein, aber das ist es wert: Spaßfußball.

[22.01] „Da hat die 7 wirklich einen großartigen Nachfolger bekommen“, schreibt Waldorf soeben per E-Mail. In der Tat: Die Rückennummer, die der unvergleichliche Mehmet Scholl jahrelang trug, hätte nicht besser angelegt werden können als bei Franck Ribéry. Was für ein grandioser, begnadeter Fußballer.

[22.07] Ebenfalls herausragend bei den Bayern: Zé Roberto. Nichts sagt mehr über Felix Magath aus, als dass dieser Spieler unter ihm keine Lust mehr auf Fußball hatte.

[22.11] Wagner an die Latte. Wer war nochmal Roque Santa Cruz?

[22.16] Der Stuttgarter Arthur Boka sieht ein bisschen aus wie Didier Drogba. Aber das war’s auch schon an Gemeinsamkeiten. Vor ein paar Minuten hätte er flanken können, entschied sich dann aber für einen Diver kurz vor der Außenlinie. Vielleicht war das aber auch eine Verneigung.

[22.18] Feierabend.

[22.21] Im Daimler-Stadion spielen sie den Stern des Südens, die Bayern-Hymne, sehr zum Missvergnügen des Stuttgarter Publikums. Als Pfiffe einsetzen, bricht der DJ ab und legt den Karnevalsschlager Und dann die Hände zum Himmel auf. Strafe muss sein.

[22.29] Ottmar Hitzfeld spricht von „Sommerfußball“ seiner Bayern. Was für eine Demütigung für den Gegner.

[22.35] Im Finale des Methadonpokals trifft Bayern nun auf Schalke. Die Ersatzdroge ist doch gar nicht so schlecht wie gedacht. Stuttgarts Liveticker hingegen steht noch sichtlich unter Schock: „Der VfB ist mit schlechten Vorzeichen in diese Begegnung geangen, die bewiesen hat, dass in den zwei Wochen bis zum Bundesligastart der ein oder andere zurückkommen.“ So ungefähr.

24.7.07

Ein einziger Friedhof

An Zufall mag man da eher nicht glauben: Erst publizierte eine polnische Zeitung einen Beitrag, demzufolge israelische Jugendliche in Polen Hotelzimmer verwüsten, Fluggäste demütigen und die Einheimischen „traumatisieren“. Kurz darauf beschwerte sich die Leitung des Auschwitz-Museums bei der israelischen Botschaft in Polen: Israelis benutzten „selbst in den Gaskammern“ ihre Mobiltelefone und erhöhten durch das Aufstellen von Kerzen die Brandgefahr; darüber hinaus zögen sie „in israelische Fahnen“ gekleidet durch polnische Straßen. „Es ist schwer zu glauben, dass man sich hier nicht abgesprochen hat“, befand denn auch Noah Klieger in Yedioth Ahronoth, und er ergänzte: „Jetzt sind wir bei der Wurzel des Problems angelangt.“ Die sieht so aus:
„Nicht die Anrufe aus den Gaskammern, sollten diese wirklich stattgefunden haben (ich war über 100 Mal in Auschwitz und habe auch kein einziges solches Telefongespräch gesehen), auch nicht die Angst vor einem Feuer in einem der ‚Blocks’ (die Gefahr ist sehr gering, denn die Blocks sind hohe und breite Gebäude, und die Schüler stellen die kleinen Kerzen auf den Fußboden) veranlassten die Leiter des Museums dazu, sich zu beschweren. Was sie so richtig geärgert hat, war der Anblick hunderter junger Menschen, die, in israelische Fahnen gehüllt, stolz und aufrecht durch die Straßen ziehen. Das hat dem Museum und der Zeitung den Rest gegeben.“
Dass der unvermeidliche Moshe Zimmermann erklärte, die Israelis sähen „die Polen als zweitklassige Menschen an“ und behandelten sie „als potenzielle Feinde“, widerspricht dem gerade nicht. Vielmehr scheint es für nicht wenige Polen schlicht und ergreifend unerträglich – wo nicht gleich das besagte Trauma – zu sein, selbstbewusste Israelis gewärtigen zu müssen, zumal wenn letztere im Rahmen ihrer Reise den Eindruck gewinnen, „Polen sei nicht mehr als ‚ein einziger, großer Friedhof“. Dazu müsse, so Noah Klieger,
„zunächst einmal gesagt werden, dass diese Definition durchaus zutrifft. Für das jüdische Volk ist Polen ein einziger, großer Friedhof, wenn das auch nicht Polens Schuld ist. Es waren die Deutschen, die die Vernichtung der Juden Europas auf polnischem Boden geplant und umgesetzt haben. Die Deutschen suchten die Weiten dieses Landes aus, dem ersten, das sie im Krieg erobert haben, um dort ihr Vernichtungsnetz zu spannen.“
So schwer kann diese Erkenntnis eigentlich nicht sein. „In der Regel benehmen sich die über 30.000 Israelis, die Jahr für Jahr nach Polen fahren, völlig normal. Ausnahmefälle sind übrigens kein israelisches Monopol“, stellte Klieger so nüchtern wie zutreffend fest. Dass nun trotzdem so getan wird, als wären die Angehörigen des jüdischen Staates ein beispiellos übler Pöbel, der das Andenken der Ermordeten schändet, folgt zweifellos politischer Motivation. Manchmal ist Geschichtspolitik eine ziemlich durchsichtige Angelegenheit.

Hattip: AFA Kiel

23.7.07

Perlen für die Pause

Ligapokal – schön und gut. UI-Cup – wenn’s denn sein muss. DFB-Pokal – schon besser, aber auch nicht viel mehr als ein Warming-Up. In drei Wochen spricht davon niemand mehr. Dann ist wieder: Bundesliga. Und: Zeit wird’s. Was tun bis dahin, außer eben Ligapokal, UI-Cup und DFB-Pokal zu gucken und sich über Randsportarten zu amüsieren? Richtig: Mal in die Untiefen des World Wide Web abtauchen und nach alten Schätzen forschen. Hier nun zehn ausgewählte Perlen, die glänzen wie am ersten Tag. Und manchmal sogar noch wertvoller geworden sind.
  • Little problems with the language„Ein Lothar Matthäus spricht kein Französisch“, sagte Lothar Matthäus mal über Lothar Matthäus. Englisch spricht er aber auch nicht. Jedenfalls keines, das seinen Namen verdient hätte. „I hope in the next mounts I can learn English for understand all questions.” Die nächsten Berge, sie waren wohl doch zu hoch.
  • Meier & Fire – Wenn Fußballspieler bei einer Schwalbe erwischt werden, gibt’s die gelbe Karte. Das geht bei Trainern nun mal nicht. Prima, denkt sich Norbert Meier, verpasst dem Kölner Albert Streit eine Kopfnuss und demonstriert anschließend, dass er beim Simulieren etwas aus der Übung geraten ist. Das kostet ihn den Job. So geht das schließlich nicht.
  • Don’t touch me! – Mal ’nem ganz großen Fußballer die Hand zu schütteln, davon träumt man schon als Kind. Allerdings sollte dieser Fußballer dann auch beim richtigen Verein spielen.
  • Stakkato al fine – Das erste Bundesligator – eigentlich ein schöner Tag für Lukas Podolski. Oder doch nicht? „Ja, ich glaub, erst hat man den Elfmeter, und dann kriegen wir noch ein Gegentor, das ist natürlich Scheiße, ne.“ Auch wieder wahr.
  • Makelloser Titan – Ob die Mannschaft verunsichert ist? „In so einer Phase ist natürlich kein Selbstvertrauen da, das ist ja logisch“, floskelt Oliver Kahn. – „Sind Sie selbst auch verunsichert?“, wird der Reporter forsch. Und bringt Kahn kurzzeitig aus der Fassung. Aber nur kurzzeitig.
  • Aus der Daum – Die legendäre Sportstudio-Ausgabe mit Christoph Daum (vor allem frisurentechnisch im klassischen Achtziger-Jahre-Style!), Jupp „Osram“ Heynckes und Uli Hoeneß. Selten hatte dieses verstaubte Format mehr zu bieten.
  • Was erlauben...? Willi Konrad, tief in den Bundesligaskandal von 1971 verstrickt, will später nie wieder rückfällig geworden sein, auch nicht als technischer Direktor von Dynamo Dresden. Und weist daher entsprechende Fragen in aller Deutlichkeit zurück. Wirklich in aller.
  • Der goldene Edgar – Allzu viele Sternstunden hat der Karlsruher SC in seiner Geschichte ja nicht erlebt. Aber das hier ist eine: 7:0 gegen den FC Valencia nach einem 1:3 im Hinspiel. Dank an den „Eifelkönig“, den „Mann aus Dudeldorf“ mit dem unspektakulären Namen Edgar Schmitt.
  • Alles Käse, dein Rudi – Ob er nun schon Weißbier intus hat oder nicht: Chefduzer Waldemar Hartmann spürt zumindest, dass er gerade an einem Sensatiönchen teilhat. Ein Teamchef in Hochform.
  • The Kop Choir – Nirgendwo auf der Welt singen Fans so schön wie die des FC Liverpool. Und zwar schon lange und nicht erst seit You’ll never walk alone. Da verschlägt es sogar dem BBC-Reporter die Sprache.

20.7.07

Was guckst du?

Sage niemand, das palästinensische Fernsehen hätte nichts zu bieten. Sogar für die lieben Kleinen ist immer was im Programm, und nach dem wirklich tragischen Tod der Hamas-Maus namens Farfour (Foto) – die „Opfer der Mörder unschuldiger Kinder, der Juden“ und damit „zum Märtyrer“ wurde, als sie ihr „Heimatland verteidigte“ – übernimmt jetzt Farfours „Cousin“ Nahoul bienenfleißig die Rache an den „zionistischen Mördern“. Aber auch die volljährigen Gotteskrieger kommen vor der Glotze voll auf ihre Kosten: Vom Kochstudio über die Soap und den Abendspielfilm bis zu erotischen Videoclips ist alles dabei. Claudio Casula hat in einer palästinensischen TV-Zeitschrift geblättert und das Sendeschema des heutigen Tages für Lizas Welt übersetzt.

Al-Aqsa TV-2
Freitag, 20. Juli 2007


6.00 Guten Morgen, Palästina!
Frühstücksfernsehen

8.00 Pioniere der Zukunft
Nahoul erklärt euch, was ihr mit den Feinden des Propheten machen müsst.
Anschließend: Achmeds Bastelstunde: Wir bauen uns einen Sprengstoffgürtel.

10.00 Saebissimo
Kochen mit Saeb Erekat. Aus der Gerüchteküche: Moussaka in Jenin.

11.00 Talk, Talk, Talk
Thema: „Gib es zu, du hast einen jüdischen Bekannten!“

12.00 Freitagspredigt
Zünftige Verwünschungen, motivierende Appelle, Emotionen pur – da bleibt kein Auge trocken. Spätere Krawalle nicht ausgeschlossen. Ein Spaß für Jung und Alt!

13.15 Sieben Tage, sieben Köpfe
Hinrichtungsvideos aus Teheran

15.00 ML – Mona Laila
Frauenmagazin. Themen: Trendige Burkas für die etwas molligere Frau / Hilfe, ich wiege weniger als 110 Kilo – bin ich magersüchtig? / „Du, ich geh nur mal eben zum Checkpoint“ – Wenn er nicht wiederkommt.

15.45 „Ich komme heute nicht zum Essen, Mama“
Märtyrervideoclips

16.00 Lesen!
Literatursendung ohne den Juden Marcel Reich-Ranicki; Buch des Monats: „Die Protokolle der Weisen von Zion“ – der Renner seit Jahrzehnten. Tipp: Vierfarbige Bildbände über den 11. September.

17.00 1001 Art, einen Kollaborateur hinzurichten
TV-Komödie, Palästina 2003
Vorsicht, recht drastische Szenen! Erst für Kinder ab 6 Jahre geeignet.

18.10 Schlechte Zeiten, ganz schlechte Zeiten
Soap. Adnan tötet Fatimah, weil sie die Familienehre beschmutzt hat. Faris kann sich nicht entscheiden, ob er zu Hamas oder zum Islamischen Djihad gehen soll. Nasser schenkt in einer Bar Alkohol aus und wird seiner gerechten Strafe zugeführt.

19.00 Fragen Sie Dr. Machmut
Ratgeber mit dem Psychologen Dr. Machmut. Heute: Wie gerate ich in Wallung über Karikaturen, die ich nie gesehen habe? Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich aus einem Fahrzeug des Roten Halbmonds feuere?

20.00 Schindlers Liste
Groteske, USA 1993. Die skandalöse Geschichte eines deutschen Geschäftsmanns, der Juden vor einem Massenmord bewahrt, den es nie gab.

22.00 „Islam heißt Frieden“
Ein deutscher Orientalist überrascht mit einer Aufsehen erregenden These, die für gesellschaftlichen Zündstoff sorgen dürfte. Imame haben im Vorfeld bereits Protest angemeldet.

22.30 Was nun, Herr Abbas?
Interview mit einem wie immer ratlosen Abu Mazen. Auch für Hörgeschädigte geeignet.

22.45 Feuer und Flamme für Palästina
Reportage. Eine geniale Geschäftsidee machte einen Mann aus Nablus zum Millionär: Er verkauft Flaggen des Großen und des Kleinen Satans aus einem besonders lange brennbaren Material.

23.15 Das philosophische Quartett
Welche Zukunft hat die Geiselnahme als beliebteste Form gesellschaftlichen Umgangs?

0.00 Abu Ammars Weg zum Frieden
Alle Gesten des Guten Willens gegenüber dem zionistischen Gebilde aus den letzten 60 Jahren, umfassend dargestellt und reich bebildert ausgeschmückt.

0.01 Nachrichten
Die Zionisten öffnen das Tor zur Hölle

0.15 Sexy Clips
72 Jungfrauen ziehen blank. Paradiesisch! Ein Muss für jeden Märtyrer in spe.

19.7.07

Jagdsaison der Judenhasser

Als der britische Journalist und Autor Richard Littlejohn – Kommentator und Kolumnist unter anderem für die Tageszeitungen Daily Mail und The Sun (früher auch für den Evening Standard und den Spectator) sowie für Radio- und Fernsehsender – vor einigen Jahren von der BBC gefragt wurde, ob er nicht eine TV-Dokumentation zu einem Thema seiner Wahl erarbeiten möchte, freute er sich zunächst. Er entschied sich dafür, eine Sendung über den immer stärker werdenden Antisemitismus in Großbritannien zu produzieren. Seine These: Die extreme Rechte ist zwar nicht verschwunden, aber der Judenhass geht heute in weit stärkerem Maße von Islamisten und Linken aus. Das wollte man bei der BBC nicht hören; die Anstalt bekam kalte Füße und erhielt ihr Angebot nicht aufrecht. Littlejohn landete schließlich bei Channel 4 und begann mit der Arbeit. Bekannten erzählte er von seinem Projekt, und die Resonanz machte ihn fassungslos: „Ich wusste gar nicht, dass du Jude bist“, sei eine häufig gehörte Reaktion gewesen. „Sie konnten einfach nicht begreifen, warum ein Nichtjude auch nur im Entferntesten an der Erforschung des Antisemitismus interessiert ist. Wenn ich einen Film über Islamophobie gedreht hätte, wäre ich von niemandem gefragt worden, ob ich Muslim sei.“

Littlejohn recherchierte weiter. Er traf sich mit einem Labour-Abgeordneten, der eine parlamentarische Anfrage zum gestiegenen Antisemitismus eingereicht hatte und mit ähnlichen Bemerkungen konfrontiert wurde. Er folgte einer Einladung zu einem Wohltätigkeitsessen in einer Synagoge und nahm entsetzt zur Kenntnis, welche Sicherheitsvorkehrungen dort getroffen werden mussten. Er nahm an einer Patrouille teil, die notwendig wurde, nachdem Juden mehrmals auf dem Weg zur Synagoge angegriffen worden waren. Und er stieß auf noch weit mehr antisemitische Vorfälle. Seine These stimmte: Ein Bündnis aus linken und muslimischen Judenhassern folgt krudesten Verschwörungstheorien, agitiert unverhohlen für die Hizbollah und attackiert, was es für jüdisch hält, auch physisch. Dazu gibt es in Großbritannien einen Boykottaufruf gegen Israel nach dem anderen, mal von Gewerkschaftern, mal von Akademikern. Die Zeiten, in denen britische Juden und Linke gemeinsam die Faschisten in die Flucht schlugen, sind vorbei. Littlejohns Dokumentation Der Krieg gegen die britischen Juden wurde am 9. Juli ausgestrahlt; ergänzend dazu erschien in der Daily Mail ein Beitrag. Letzteren hat Bernd Dahlenburg von Honest Reporting (deutsch) für Lizas Welt übersetzt.


Richard Littlejohn

Der neue Antisemitismus:

Wie die Linke die Geschichte verdreht, um Juden anzugreifen


Daily Mail, 6. Juli 2007


An einer Seite des Rathaus St. George im Londoner East End befindet sich ein Wandgemälde (Foto rechts), das an die Schlacht in der Cable Street von 1936 erinnert, in der zehntausende Juden und örtliche Gewerkschaftsmitglieder Seite an Seite kämpften, um einen Demonstrationsmarsch der Britischen Faschistenvereinigung von Sir Oswald Mosley zu stoppen. Sie strömten aus den Docks, Fabriken und Kleinbetrieben, um die Blackshirts zurückzuschlagen, denen eine amtliche Polizeieskorte gewährt worden war. Auf ihren Transparenten stand: Sie werden nicht durchkommen.

Am Ende des Tages waren die Polizisten zum Rückzug gezwungen und Mosleys Schurken zerstreut worden. Es war eine vernichtende Niederlage für die Rechtsextremisten, von der sie sich niemals wirklich erholten, und sie war ausschlaggebend dafür, dass das damals in Mitteleuropa wachsende Krebsgeschwür des Faschismus und Antisemitismus sich in England nicht ernsthaft ausbreiten konnte.

In meinem früheren Leben als Arbeits- und Wirtschaftskorrespondent traf ich mich im Britannia Pub in der Cable Street mit Brian Nicholson, einem alten Freund und ehemaligen Vorsitzenden der Transportarbeitergewerkschaft, der ein paar Hausnummern weiter wohnte, regelmäßig auf ein Bier. Von der Kneipe aus, die gegenüber dem alten Rathausplatz lag, sah ich fasziniert zu, wie das Wandbild entstand. Von der Idee bis zur Fertigstellung 1993 dauerte es 17 Jahre, und mehr als einmal wurde das Gemälde Opfer des Vandalismus debiler Mosley-Anhänger der National Front und der BNP (British National Party).

Vor ein paar Jahren, als die BBC mir anbot, einen, wie sie es nannten, Autoren-Dokumentarfilm zu einem Thema meiner Wahl zu drehen, schlug ich eine Recherche zum modernen Antisemitismus vor und regte an, der Film möge mit dem 70. Jahrestag der Ereignisse in der Cable Street zusammenfallen, der letzten Oktober stattfand. Meine These war, dass die treibenden Kräfte hinter dem jüngsten Anwachsen antijüdischer Aktivitäten die faschistische Linke und die Islamonazis sind, auch wenn die extreme Rechte nicht verschwunden ist.

Es war eine Idee, die in den Gedärmen des Organisationsprozesses auf Nimmerwiedersehen verschwand. Irgendwann gab mir die BBC zu verstehen, sie mache keine „Autoren-Dokumentarfilme“ mehr. Ich habe mich gefragt, was wohl passiert wäre, wenn ich eine Sendung über „Islamophobie“ vorgeschlagen hätte. Es wäre wahrscheinlich eine sechsteilige Serie zur Primetime geworden, und man hätte mich für einen den Preis der BAFTA (British Academy of Film and Television Arts) nominiert. Aber ich hielt durch, und Channel 4 nahm sich schließlich des Themas an.

Als manche Leute hörten, dass ich diese Sendung machen werde, war ihre erste Reaktion: „Ich wusste gar nicht, dass du Jude bist.“ Ich bin’s nicht, aber was hat das alles mit dem Preis von gefilte Fisch zu tun? Sie konnten einfach nicht begreifen, warum ein Nichtjude auch nur im Entferntesten an der Erforschung des Antisemitismus interessiert ist. Wenn ich einen Film über Islamophobie gedreht hätte, wäre ich von niemandem gefragt worden, ob ich Muslim sei.

Der Labour-Abgeordnete John Mann sagte mir, er habe exakt die gleiche Erfahrung gemacht, als er eine parlamentarische Anfrage zum Antisemitismus einreichte: „Sobald ich mit den Vorbereitungen fertig war, sagte der erste Parlamentsabgeordnete, der sich mir gegenüber äußerte: ‚Oh, ich wusste überhaupt nicht, dass Sie Jude sind, John.’“ Er ist es auch nicht. Aber die Schlussfolgerung war schlicht und ergreifend, dass schon der Gedanke an Antisemitismus die Erfindung irgendeiner gewaltigen jüdischen Verschwörung ist.

Die parlamentarische Anfrage Manns lautete: „Es ist offensichtlich, dass Gewalt, Schändung und Einschüchterung, die sich gegen Juden richtet, zunimmt. Die Juden sind ängstlicher geworden und mehr Gefahren durch Anschläge ausgesetzt als zu irgendeiner anderen Zeit mindestens während der letzten Generation.“ Das deckt sich mit meinen eigenen Erkenntnissen. Nach den dreimonatigen Dreharbeiten in ganz Großbritannien gelangte ich zu dem Schluss: Die Jagdsaison auf die Juden ist eröffnet. Seit 9/11 habe ich unter jüdischen Freunden und Nachbarn in meinem Stadtteil von Nordlondon eine wachsende Angst festgestellt. Wie ich schon immer argumentiert habe: Möglich, dass ich paranoid bin. Sie können trotzdem hinter mir her sein.

Als ich bei einem Wohltätigkeitsessen für Frauen in einer Synagoge in Finchley eine Rede hielt, war ich über den hohen Sicherheitsstandard erstaunt. Man erwartet nicht, Türsteher in schwarzen Bomberjacken vor der Tür eines sakralen Ortes zu sehen. Ich entdeckte bald, dass dies nicht ungewöhnlich war und auch nicht auf London begrenzt ist. Mike Todd, der Polizeipräsident von Greater Manchester, nahm mich mit auf eine Patrouille seiner Beamten und von Mitgliedern des kommunalen Sicherheitsdienstes, die für den Schutz der jüdischen Gemeinde sorgen.

Diese Patrouillen werden nach einer Serie unprovozierter Angriffe auf Juden, die auf dem Weg zu ihrer Synagoge waren, jeden Freitag in der Nacht durchgeführt. Wir kamen an einem Pflegeheim vorbei, das von Stacheldraht umgeben war. Die King David School wird von hohen Zäunen, Scheinwerfern, Videoüberwachungskameras und Wachpersonal rund um die Uhr gesichert. Es war die Art von Sicherheit, die man mit einem Gefängnis verbindet. In vielen bekannten jüdischen Einrichtungen bauen sie sogar bombensichere Fenster ein und halten regelmäßig Evakuierungsübungen ab.

In meinen Ohren klang das nach Panik à la Kalter Krieg. Sicher ist das alles ein wenig übertrieben? Weit gefehlt, sagte Todd. „Wir wissen, dass Leute feindlich motivierte Auskundschaftungen durchführen. Wie Sie wissen, sind Angriffe wahrscheinlich, und wir versuchen deshalb, für die Leute, die antisemitische Anschläge durchführen wollen, eine abschreckende Umgebung zu schaffen.“

In den letzten zwei Jahren verzeichnete die Polizei von Manchester einen mehr als 20-prozentigen Anstieg antisemitisch motivierter Vorfälle. Ich besichtigte einen jüdischen Friedhof im Norden der Stadt, der wiederholt geschändet wurde – Grabsteine und Gräber zertrümmert, Denkmäler mit Hakenkreuzen beschmiert. Es war herzzerreißend. Dieser feige Vandalismus ist mit ziemlicher Sicherheit das Handwerk der rechtsradikalen Skinheads. Aber die viel größere Gefahr droht von den islamistischen Extremisten. Polizei und Sicherheitsdienste sagen, dass sie eine Reihe geplanter Anschläge von Gruppen aufgedeckt hätten, die mit Al-Qaida verbunden seien und jüdische Ziele angreifen wollten.

Wie die Undercover-Dokumentation von Channel 4 über eine Moschee Anfang dieses Jahres deutlich machte, werden in Großbritannien regelmäßig antijüdische Predigten abgehalten. Antisemitischer Hass wird auf Satellitenkanälen und über das Internet verbreitet. In der Londoner Edgware Road – gleich um die Ecke von Tony Blairs neuem Rentendomizil am Connaught Square – konnte ich ein arabisches Exemplar von Hitlers Mein Kampf erstehen. Es lag offen neben der Abendzeitung und den Kitekat-Schokoriegeln zum Verkauf aus.

Man muss nicht unbedingt Jude sein, um Opfer antisemitischen Hasses zu werden. Ich traf in London auf einen Reiseleiter in Jack-the-Ripper-Aufmachung, der von einer Gruppe muslimischer Jugendlicher verprügelt worden war. Sie hatten nur einen Blick auf sein historisches Kostüm geworfen – langer schwarzer Mantel, schwarzer Hut – und angenommen, er sei orthodoxer Jude und hätte deshalb Tritte verdient. Sie wollten keine „dreckigen Juden“ in „ihrer“ Wohngegend.

Während der Parlamentswahlen 2005 griffen Antikriegsaktivisten Labourabgeordnete an, die den Einmarsch in den Irak befürworteten. Na schön, das ist ein legitimes Ziel in einer Demokratie. Aber im Fall von Lorna Fitzsimons, einer Abgeordneten aus Rochdale, nahm die Kampagne, sie abzusetzen, einen bösen Verlauf. Eine Einrichtung, die sich Komitee für öffentliche Angelegenheiten des Muslime (MPAC) nennt – sie besteht im Wesentlichen aus zwei Brüdern über einem Dönerladen –, veröffentlichte Flugblätter, in denen Fitzsimons „beschuldigt“ wurde, Jüdin zu sein, obwohl sie es nicht ist.

„Sie behaupteten, ich sei Teil einer weltweiten neokonservativen zionistischen Verschwörung. Ich finde, es ist zutiefst heimtückisch und Besorgnis erregend, dass sie annahmen, es gebe so viel Antisemitismus in der örtlichen Gemeinschaft, dass es die Stimmabgabe stark beeinflussen würde.“ Bei der Wahl verlor Fitzsimons ihren Parlamentssitz wegen ein paar hundert fehlender Stimmen, und sie ist sich sicher, dass die Schmutzkampagne der MPAC dafür die Ursache ist.

Die Ablehnung des Irakkrieges und der Hass auf Israel hat die selbst ernannte „antirassistische“ Linke dazu gebracht, mit den Islamonazis gemeinsame Sache zu machen. Und der „Antizionismus“ kippt alsbald in strammen Antisemitismus um. Als der Kolumnist Nick Cohen vom Observer – der sich immer als Linken bezeichnete und trotz seines Nachnamens ebenfalls nichtjüdisch ist – einen Beitrag schrieb, in dem er den Sturz Saddams verteidigte, wurde er mit Hass-Mails überschwemmt: „Es war unverblümter Antisemitismus: ‚Sie schreiben das nur, weil Sie Jude sind’“, sagte er. Cohen hat auch die unbeschwert antijüdische Stimmung an den Küchentischen der Linken und in den Salons von Islington registriert. Er ist übrigens entsetzt darüber, wie seine ehemaligen Mitstreiter Terrorgruppen wie die Hizbollah begeistert begrüßt haben, eine der antisemitischsten Organisationen weltweit.

Schauen Sie, wie sich die Nationale Journalistengewerkschaft (NUJ) Israel für einen Boykott herauspickt, obwohl es der einzige Staat im Nahen Osten ist, der eine freie Presse hat. Oder wie der akademische Boykott Israels durch die Universitätsdozenten weit über einen legitimen Protest hinausgeht, wie Rechtsanwalt Anthony Julius und der Juraprofessor Alan Dershowitz einwenden. Die schiere Boshaftigkeit und Heftigkeit der Boykottargumente ist nichts weniger als blanker Antisemitismus. Unter der Tarnung des „Antizionismus“ ist der Antisemitismus an britischen Universitäten weit verbreitet. Aber noch immer lehnt es die Regierung ab, Gruppen wie Hizb ut-Tahir zu verbieten, deren Motto lautet: „Juden werden getötet, wo immer man sie finden kann.“

Und dann gibt es noch den selbsternannten „Antirassisten“ Ken Livingstone, der dem jüdischen Reporter Oliver Finegold vor der County Hall sagte: „Welche Tätigkeit haben Sie vorher ausgeübt? Waren Sie ein deutscher Kriegverbrecher?“ Als Finegold erklärte, dass er Jude sei und ihn diese Bemerkung tief verletze, verglich Livingstone ihn mit dem „Aufseher eines Konzentrationslagers“. Bei seinem Rechtfertigungsversuch setzte Livingstone auf das vom Komiker Kenneth Williams bestens bekannte „Hör’ auf, herumzublödeln“ und protestierte, dass er nicht antijüdisch sei, da er sich allen Menschen gegenüber grob verhalte. Das war seine „Verlassen Sie das Gefängnis“-Karte. Komisch, dass diese Entschuldigung bei Bernard Manning nicht funktionierte.

Aber nach dem Macpherson-Kodex, dem sich Livingstone verpflichtet fühlt, ist ein rassistischer Vorfall etwas, das jeder als Rassismus wahrnimmt – ob ausgesuchtes Opfer oder Zuschauer. Es ist eigenartig, wie im multikulturellen, vielgestaltigen, allumfassenden und antirassistischen Großbritannien die Regeln auf Juden anscheinend nicht ausgedehnt werden. Livingstone hätte nicht im Traum daran gedacht, einem muslimischen oder jamaikanischen Journalisten gegenüber so aggressiv aufzutreten.

Jeder Tory, der ähnliche Bemerkungen gemacht hätte, wäre aus dem Amt gejagt worden – und Livingstone hätte den Lynchmob angeführt. Israel zu beschuldigen ist die letzte Zuflucht des Antisemitismus. Livingstone beharrt darauf, dass er nicht antijüdisch ist, sondern nur die Politik der israelischen Regierung ablehnt. Also kann er vielleicht erklären, was zum Teufel der Konflikt im Nahen Osten damit zu tun hat, dass er einen jüdischen Reporter einen deutschen Kriegsverbrecher und Aufseher eines Konzentrationslagers nennt. Wo genau passt die palästinensische Causa in diese Gleichsetzung?

„Wenn Sie es mit Leuten wie dem Bürgermeister von London zu tun haben, die Grenzüberschreitungen begehen, dann eine halbherzige Entschuldigung folgen lassen und sich so durchwursteln, vermittelt das eine Botschaft an den Rest der Gesellschaft. Deshalb nimmt der Antisemitismus wieder so zu – weil er gesellschaftsfähig geworden ist“, sagt John Mann, dessen parlamentarisches Ermittlungsteam vom Ausmaß und dem Charakter dessen, was es zu Tage förderte, entsetzt war. „Jedes einzelne Mitglied unseres Gremiums war fassungslos angesichts mancher Dinge, die sie alle herausfanden. Es war nicht das Großbritannien, das sie kannten. Es ist fast wie ein Atavismus. Wir dachten, dies wären Dinge, die wir nur aus der Vergangenheit kennen und von denen wir hofften, dass sie Geschichte sind.“

Als Parlamentsabgeordneter der Labour Party ist Mann entsetzt darüber, wie zahlreiche Linke fast beiläufig und routinemäßig antisemitisch geworden sind. „Vor 10 oder 15 Jahren hätte es das noch nicht gegeben. Die Vorstellung, dass irgendeine jüdische Verschwörung existiert, die die Welt beherrscht, geht auf die Protokolle der Weisen von Zion im letzten Jahrhundert zurück. (Ein schon seit langem diskreditiertes Buch, obwohl es in der islamischen Welt noch sehr populär ist.) Wir haben dies schon einmal gesehen, und jetzt lebt es wieder auf.“

Siebzig Jahre nach Cable Street hat sich der Kreis geschlossen. Die Linken, die damals Seite an Seite mit den Juden gegen die Blackshirts standen, sind nun die Speerspitze des neuen Antisemitismus. Der Pub Britannia hat seit langem dicht gemacht, und die jüdische Gemeinde ist weggezogen, aber das Wandbild ist geblieben. Die Synagogen wurden durch Moscheen ersetzt.

Wo das East End einmal eine Brutstätte der Rechtsextremen war, ist heute der Tummelplatz von George Galloways Respect Party, einem schmuddeligen Bündnis aus islamischen Extremisten und der alten Socialist Workers Party – im Herzen des neuen „Wir sind jetzt alle Hizbollah“-Aktivismus. Während wir vor dem Wandbild die letzte Sequenz des Films drehten, kam ein verwahrlost aussehender Kerl aus dem, was früher Britannia hieß und sich nun in eine Art glorifizierte Hausbesetzerbude verwandelt hat. Er erkannte mich, gab sich als Mitglied von Respect zu erkennen, protestierte gegen das, was ich in die Kamera sagte, und versuchte, uns zu stören. Zahlenmäßig unterlegen schlurfte er schimpfend wieder davon.

Er kam nicht durch. Die zweite Schlacht in der Cable Street fand nicht statt.

Hattips: barbarashm & Gudrun Eussner. Die Fotos entstammen – bis auf das zweite – einer Londoner Demonstration gegen den Libanonkrieg am 5. August 2006.

17.7.07

Gallowaygate

Einmal angenommen, George Galloway wäre nicht in Großbritannien, sondern in Deutschland als Politiker aktiv: Man fände ihn vermutlich bei der Linkspartei. Dort würde er zweifellos vor allem versuchen, den Schmusekurs von Epigonen wie Oskar Lafontaine und Norman Paech mit der Hizbollah und der Hamas zu einer handfesten Beziehung auszubauen; zudem fände er die Statements der Linken zum jüdischen Staat ohne Frage viel zu lau: Wozu, wie Paech, Israel nur als „verbale Überhöhung“ bezeichnen, wenn man eigentlich „Terroristenstaat“ sagen will? Und auch die Aktivitäten gegen den Irakkrieg wären Galloway (Foto) wohl nicht handfest genug gewesen: Weshalb mit Parteigeldern kleckern, wo es sich mit Saddam Husseins Reichtümern doch ordentlich klotzen lässt? Letzteres beschert Galloway in Großbritannien nun allerdings Ärger, genauer gesagt einen einmonatigen Ausschluss aus dem Parlament, dessen Mitglied er für die Respect-Partei ist. Die Strafe wird voraussichtlich diese Woche verhängt werden. Der Grund für sie sind Galloways Aktivitäten für die 1998 von ihm gegründete Organisation Mariam Appeal (Aufruf für Mariam), deren Gelder zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem Verkauf irakischen Öls unter Saddam Hussein im Rahmen des 1995 begonnenen UN-Programms Oil for Food stammten.

Die ursprüngliche Idee dieses Programms bestand darin, „den Irak kontrolliert Öl verkaufen zu lassen, mit dessen Erlös über ein UN-Treuhandkonto Nahrungsmittel und Medizin für die leidende irakische Bevölkerung importiert werden sollten“, schrieben Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer 2004. „Auf diese Weise sollte den Irakern geholfen und das Regime daran gehindert werden, Waffen und Dual-Use-Güter zu beschaffen. Möglichst große Transparenz bei den irakischen Ankäufen und bei seinem Finanzgebaren sollten ebenfalls gewährleistet werden. [...] Die UN stellten es dem irakischen Diktator allerdings nicht nur frei, selbst die Firmen auszusuchen, die mit dem Einkauf von Gütern beauftragt wurden, sondern sie sorgten auch für Diskretion bei der Abwicklung, indem sie die Namen dieser Firmen geheim hielten.“ Die Korruption blühte zwangsläufig; das „Kofigate“ nutzte nicht zuletzt dem irakischen Baath-Regime, wie von der Osten-Sacken und Uwer schilderten: „Der Trick, den Saddam nutzte, um an die Milliarden zu kommen, bestand in erster Stelle darin, Ölgutscheine weit unter Marktpreis für importierte Güter und andere Dienstleistungen auszugeben, die die Empfänger dann zum bis zu 30% höheren Weltmarktpreis einlösen konnten. Einen Teil des Geldes behielt der Empfänger, der andere wurde auf schwarze Konten rücküberwiesen. Hinzu kommt, dass Saddams Vertragsfirmen fantastische Preise für die von ihnen gelieferten Waren verlangten. Die Hälfte des Surplus’, der zwischen 10 und 100% des Marktpreises betrug, strich ebenfalls der irakische Staat ein. Ölgutscheine wurden auch direkt als Schmiergelder für Saddam wohlgesonnene Personen und Institutionen verwendet.“ Ende 2003 wurde das Oil for Food-Programm eingestellt.

1998 gründete George Galloway den Mariam Appeal, dessen offizielles Ziel es war, „das irakische Volk mit medizinischer Ausstattung und medizinischer Hilfe zu versorgen, die Ursachen und Folgen der Krebsepidemie im Irak zu beleuchten und die medizinische Behandlung irakischer Kinder außerhalb des Iraks zu arrangieren“. Im Mittelpunkt standen dabei die Aktivitäten für die vierjährige, an Leukämie erkrankte Mariam Hamza, die in Großbritannien gepflegt werden sollte. Das Mädchen war von Galloway und den anderen Initiatoren der Vereinigung nicht zuletzt deshalb ausgewählt worden, weil sein Leiden eine Folge der UN-Sanktionen und des Gebrauchs von mit Uran angereicherten Waffen durch die Alliierten im Golfkrieg 1991 gewesen sein soll. Das Kind musste also als Propagandaobjekt herhalten. Galloway ließ seinen Mariam Appeal denn auch nicht offiziell als Wohltätigkeitsorganisation registrieren und versuchte, sich so den behördlichen Bestimmungen zu entziehen, die unter anderem Rechenschaftsberichte und Kontoprüfungen vorsehen und den Wohlfahrtsverbänden politische Werbung untersagen.

Der damals noch der Labour-Partei zugehörige Parlamentarier taxierte die Kosten für die Behandlung Mariam Hamzas auf rund 50.000 Britische Pfund und startete umfangreiche Spendenaufrufe. Im April 2003 berichtete der Daily Telegraph, dass die Vereinigung bereits mehr als 800.000 Pfund für die Organisation ihrer Kampagne ausgegeben habe – darunter 18.000 Pfund für Galloways Frau Amineh Abu-Zayyad –, während die Mariam zugesagten monatlichen 65 Pfund für Nahrungsmittel und Reisekosten seit längerem nicht gezahlt worden seien. Zunehmend kritische Fragen bügelte Galloway mit dem Hinweis ab, seine Unternehmung sei nie eine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern immer schon ein politisches Projekt gewesen. Dennoch gebe es keinen Missbrauch der Spendengelder; außerdem es sei nichts Ungewöhnliches, dass die Mitarbeiter von Vereinigungen wie seiner bezahlt werden. Aus den Zuwendungen finanzierte sich Galloway unter anderem zahlreiche Auslandsreisen, darunter in Länder wie Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, den Libanon und den Irak. Die britische Charity Commission drängte auf eine Registrierung des Mariam Appeal als Wohltätigkeitsorganisation und auf einen Einblick in die Bücher der Vereinigung. Doch Galloway bedauerte: Die Unterlagen seien nicht mehr in seinen Händen, sondern befänden sich seit 2001 in Amman und Bagdad.

Dort war seit jenem Jahr Fawaz Zuriekat maßgeblich für die gesamte Organisation verantwortlich. Zuriekat, ein jordanischer Geschäftsmann, machte insgesamt etwa 450.000 Pfund für sie locker – knapp 380.000 Pfund davon stammten aus dem Verkauf irakischen Öls im Zuge des Oil for Food-Programms, wie die Charity Commission ermittelte. Auch eine Untersuchung des amerikanischen Senats kam zu dem Ergebnis, dass Galloway über den Mariam Appeal vom Saddam-Regime finanziert wurde. Galloway selbst streitet alles ab: „Die Behauptung, dass die humanitären und politischen Aktivitäten des ‚Mariam Appeal’ unsachgemäß finanziert worden seien, ist offensichtlich falsch. Der Mann, der die Quelle ‚unsachgemäßer Spenden’ sein soll – Fawaz Zuriekat –, bestreitet jedes Fehlverhalten. Er wurde nie einer Rechtsverletzung angeklagt, reist als freier Mann in den USA herum und geht seinen Geschäften im Irak unter der Marionettenregierung und seinen angloamerikanischen Herren nach. Ich habe außerdem immer die Sichtweise der Charity Commission bestritten, dass eine Kampagne mit dem Ziel, Veränderungen in der nationalen und internationalen Politik herbeizuführen, etwas mit Wohlfahrt zu tun hat.“ Dass Zuriekats Gelder zu einem Großteil aus dem Verkauf irakischen Öls unter dem Saddam-Regime stammten, will Galloway nicht gewusst haben.

Die Rolle der verfolgten Unschuld spielt er nicht sehr überzeugend. Mit dem einmonatigen Ausschluss aus dem britischen Parlament ist George Galloway noch gut bedient – vor allem, wenn man bedenkt, dass er einer der prominentesten Unterstützer der Baathisten war. Längst ist ihm auch die Hizbollah ans Herz gewachsen. Mal sehen, welche Spendenkampagne ihm als nächste einfällt.

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattip: barbarashm

15.7.07

Schein und Sein

Unlängst sorgte die Idee eines palästinensischen Professors für erhöhte Aufmerksamkeit in den Medien: Ali Jirbawi von der Bir-Zeit-Universität in Ramallah hatte angeregt, die „Farce einer palästinensischen Eigenständigkeit“ zu beenden und die Macht an Israel zurückzugeben. Auf den ersten Blick sah das nach Selbstkritik und Einsicht aus – selten genug. Die Sache hatte allerdings einen veritablen Haken. Denn in Wirklichkeit ging es Jirbawi darum, „Israel zu zwingen, entweder die Verantwortung für die Sicherung und wirtschaftliche Versorgung der besetzten Gebiete zu übernehmen oder einem endgültigen Abkommen zuzustimmen, in dem Israel den Palästinensern volle Eigenständigkeit und territoriale Integrität zusichert“. Unabhängig davon, dass die Palästinenser mit diesem Vorschlag also bloß neuerlich von jeglicher Verantwortung für ihr Tun befreit werden sollten, hat er sich spätestens seit der Zweiteilung der palästinensischen Gebiete infolge des Bürgerkriegs ohnehin erledigt. Auf nennenswerte Gegenliebe bei der politischen Führung der Palästinenser und in der Bevölkerung wäre er allerdings wohl kaum gestoßen.

DI Tarafa Baghajati von der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ) wiederum mochte zwar nicht von einer Farce reden, aber auch er wartete mit in islamischen Kreisen eher selten Gehörtem auf: „War etwa das Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948 nicht ein fataler Fehler?“, fragte er kürzlich und befand, die Klärung dieses Sachverhalts sei „eine unausweichliche Notwendigkeit, um sich überhaupt der Herausforderung einer gerechten und politisch realisierbaren Lösung zu stellen“. Ist es also diesmal Kritik, die ihren Namen verdient? Oder steht Baghajati vielmehr in der Tradition und Praxis der islamischen Takuyya, der „Täuschung durch Verstellung“ (Bassam Tibi) bei der Auseinandersetzung mit „Ungläubigen“? Karl Pfeifer hat genauer hingesehen und festgestellt, dass Baghajati zumindest längst nicht so unpopulär argumentiert, wie es zunächst scheint.


Karl Pfeifer

Zweifelhafte Fortschritte


Der Name des Mitbegründers der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), DI Tarafa Baghajati (Foto), ging unlängst durch die Medien, als die für die Wiener Büchereien zuständige Magistratsabteilung 13 im Februar 2007 versuchte, eine frühzeitig angekündigte Lesung von Henryk M. Broder in eine Podiumsdiskussion mit ihm umzuwandeln. (1) Baghajati machte sich zudem durch seine Denunziationen missliebiger Österreicher bekannt. (2) Einige Male habe ich sein Wirken kritisch beleuchtet. (3) Um so mehr freue ich mich nun, einmal Gutes über ihn berichten zu können. In seinem Beitrag „Im Zeichen der Al-Nakba 1948“ schrieb er: „Auch die arabischen Länder müssen sich den Spiegel vors Gesicht halten und viele virulente Fragen ehrlich behandeln. War etwa das Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948 nicht ein fataler Fehler? Die Behandlung dieser Frage sollte nicht nur erlaubt sein, sondern stellt eine unausweichliche Notwendigkeit dar, um sich überhaupt der Herausforderung einer gerechten und politisch realisierbaren Lösung zu stellen.“ (4)

Es ist sicherlich positiv zu bewerten, dass Baghajati einen solchen „ketzerischen“ Gedanken auf filastin, der Homepage der Palästina-Plattform Österreich, publiziert hat. In einem anderen Artikel mit der gleichen Überschrift, der in der aktuellen Printausgabe der von Fritz Edlinger herausgegebenen Zeitschrift International veröffentlicht wurde, forderte er „eine Portion Mut“, um „über die eigenen Fehler laut nachzudenken“. Doch Baghajati selbst fehlt dieser Mut, und so stellte er in diesem Aufsatz das „Beharren auf der Nichtausrufung des Staates Palästina 1948“ nicht mehr in Frage; vielmehr kehrte er zurück zur unfruchtbaren und unfundierten Polemik sowie zum Rundumschlag gegen Großbritannien, Europa, Deutschland und Österreich und insbesondere natürlich gegen Israel.

Wie die Nadel eines alten Grammofons an einem abgewetzten Teil einer alten Schallplatte hängen bleibt, so tönt es immer wieder „Kolonialismus“ – was seltsam klingt, wenn man bedenkt, wie die arabische Propaganda bis in die 1960er Jahre hinein den Jishuv (die jüdische Gesellschaft im britischen Mandatsgebiet) und später den Staat Israel als Pionier des Bolschewismus im Nahen Osten verleumdete. Wenn Kolonialismus, wie es im Kleinen politischen Wörterbuch heißt, „die Ausbeutung und Unterdrückung eines in Abhängigkeit gebrachten Volkes durch die herrschende Klasse eines anderes anderen Volkes“ bedeutet, dann kann davon in Bezug auf den Jishuv und Israel gerade keine Rede sein: Die Juden exportierten aus Palästina kein Kapital, sondern investierten es in ein unterentwickeltes, an Rohstoffen armes Gebiet. Sie kauften das Land zu überhöhten Preisen von den arabischen Landbesitzern, und in keinem arabischen Land war das Lohnniveau arabischer Arbeiter so hoch wie im Mandatsgebiet, was ja auch zu einer Masseneinwanderung von Arabern aus den Nachbarstaaten führte.

Auch die systematische Ausbeutung von Einheimischen charakterisierte den Kolonialismus. Doch im Jishuv vertrat die damals hegemoniale jüdische Arbeiterbewegung den Standpunkt der Awoda Ivrith, der Hebräischen Arbeit, und so wurden Araber nur von einer Minderheit von Juden beschäftigt. Als Araber aus den 1967 besetzten Gebieten in Israel arbeiten durften, wurde der jüdische Staat neuerlich des „Kolonialismus“ beschuldigt. Nach dem Beginn der Selbstmordattentate gegen Israel wurde die Beschäftigung dieser Araber schließlich radikal eingeschränkt, was zu Vorwürfen führte, man wolle diese Menschen verhungern lassen. Es ist wie im klassischen Antisemitismus: Was immer der jüdische Staat tut, er wird verurteilt.

Es lohnt sich nicht, hier auf alle Geschichtsverdrehungen von DI Tarafa Baghajati einzugehen. Im krampfhaften Bemühen, einmal mehr Israel zu verleumden, behauptete er beispielsweise: „In den israelischen Schulbüchern sind die Schattenseiten in Geschichte und Gegenwart des Staates Israel sorgsam ausgeblendet worden.“ Doch das ist falsch. Bereits 2002 schrieb ich: „Vor ein paar Jahren kam in Israel ein neues Geschichtsbuch für Gymnasiasten heraus, das die Öffentlichkeit schockierte. Der Unabhängigkeitskrieg Israels gegen die arabischen Armeen wurde lediglich mit einer Landkarte illustriert, die Umfang und Richtung der palästinensischen Flüchtlingsströme aus Israel zeigte – ohne dass umgekehrt auch die Invasion der arabischen Armeen nach Israel dokumentiert wurde. Dies ist nur ein Beispiel dafür, was eine Generation ‚neuer Historiker’ – die in den arabischen Ländern, aber auch von links- und rechtsextremen ‚Antizionisten’ bejubelt werden – unter der Zerschlagung der ‚Mythen des Jahres 1948’ versteht.“ (5)

APSA, das Journal der American Political Science Association, publizierte im Juni 2007 einen bemerkenswerten Artikel mit dem Titel „From Taboo to the Negotiable: The Israeli New Historians and the Changing Representation of the Palestinian Refugee Problem“, in dem die Neuen Historiker und ihr Einfluss auf die neuen Schulbücher explizit gelobt werden. (6) Das Center for Monitoring the Impact of Peace überprüft laufend die Schulbücher im Nahen Osten. Es analysierte im Jahr 2005 palästinensische und im Jahr 2002 israelische Schulbücher und befand, dass in den israelischen Schulbüchern die Bemühung sichtbar wird, die Werte des Friedens, die Verbesserung der Sicht der anderen Seite, die Förderung des gegenseitigen Respekts und der friedlichen Beziehungen der Konfliktparteien zu betonen. In den palästinensischen Lehrmitteln hingegen wird Israels Existenz nicht anerkannt, und die enge Verbindung Jerusalems mit der jüdischen Geschichte wird geleugnet. Israel wird systematisch verleumdet, dämonisiert und für die Lage der Palästinenser allein verantwortlich gemacht. Obwohl es in der Geschichte einige Beispiele von muslimischer Toleranz gegenüber Juden gab, wird kein einziges in den palästinensischen Schulbüchern erwähnt. Das Hauptproblem dieser Unterrichtsmaterialien ist, dass die palästinensische Jugend nicht dazu erzogen wird, die andere Konfliktpartei – die Israelis also – zu akzeptieren und mit ihr zu koexistieren. Die Palästinensische Autonomiebehörde bringt der jungen Generation vielmehr bei, dass die Forderung nach Freiheit und Befreiung mit der Ablehnung der Legitimität Israels untrennbar verbunden sei. (7)

In einem Absatz seines Beitrags in International übte DI Tarafa Baghajati Kritik an den arabischen Ländern: „Die Araber wiederum schweigen darüber, dass der jüdischen Minderheit in vielen arabischen Ländern – vor allem Irak, Syrien, Jemen und Marokko – nach der Staatsgründung Israel ein krasses Unrecht widerfuhr, teilweise auch in staatlich organisierter Form.“ Das ist schon ein kleiner Fortschritt. Ich habe mich hier damit begnügt, am Beispiel seiner Auslassungen über israelische Schulbücher die Verlogenheit von Baghajati nachzuweisen. Es ist die Mühe nicht wert, auf seine anderen Beschuldigungen gegen Israel, auf seine ganzen Halb- und Unwahrheiten einzugehen. Wesentlich scheint mir, dass über die Lippen von Baghajati nie ein kritisches Wort zur Verantwortung der Anführer der Palästinenser für die entstandene Lage kommt. Er wäre gut beraten, seine Taktik der Denunziation und den Weg der Propaganda aufzugeben. Ein Dialog ist so kaum möglich.

Anmerkungen:
(1) http://www.doew.at/, http://www.islaminitiative.at/ (1), http://www.islaminitiative.at/ (2)
(2) http://www.doew.at/, http://www.asyl-in-not.org/
(3) http://www.lizaswelt.blogspot.com/, http://linke.cc/
(4) http://www.filastin.at/
(5) http://www.ikg-wien.at/
(6) http://www.apsanet.org/: „The differences between the textbooks of the 1980s and current ones are clear. The new textbooks present a more complex version of the circumstances leading to the displacement of the Palestinians during the 1948 War. The new textbooks continue to reject the thesis that there was a premeditated plan to expel the Arab population. They note that some Arabs left out of fear and as a result of the fighting. At the same time, they present cases of active expulsion by the IDF, and they do not assign sole responsibility to the Arab leadership.“
(7)
Center for the Monitoring of Peace, http://www.edume.org/

Übersetzung des Dry Bones-Cartoons „Schuld“: (1) Am 15. Mai 1948 erkannte die Uno Israel an und rief die Araber auf, ihren Staat zu gründen. (2) Jedes Jahr stellen die Araber den 15. Mai als „Tag der Katastrophe“ dar. (3) Beschuldigen sie ihre Großväter immer noch, 1948 nicht ihren Staat ausgerufen zu haben? (4) Nein, sie beschuldigen unsere Großväter, unseren Staat ausgerufen zu haben.