28.12.07

Vergewaltigungssoziologie

Bis vor wenigen Tagen konnte man davon ausgehen, dass es kein Verbrechen gibt, dessen sich die israelische Armee noch nicht schuldig gemacht hat: Sie hat fremdes Land besetzt, dessen durchweg friedliebende Autochthone gedemütigt, eingesperrt oder gleich dahingemetzelt, eine Hungersnot nach der anderen ins Werk gesetzt, Menschen zu verzweifelten Selbstmordanschlägen getrieben und zuletzt sogar vor Bethlehem den Weihnachtsmann verprügelt. Doch dank einer aufmerksamen und engagierten israelischen Soziologin namens Tal Nitzan weiß man jetzt, dass die IDF sich noch weit ärgerer Unterdrückungsstrategien befleißigt als bisher angenommen: Ihre Soldaten vergehen sich nämlich nicht an palästinensischen Frauen – und demonstrieren damit erst recht ihren abgrundtiefen Rassismus. Denn durch diese Unterlassung zeigen die uniformierten Männer, wie Nitzan herausfand, dass ihnen diese Frauen noch nicht einmal eine Vergewaltigung wert sind. Außerdem wollen sie so eine Erhöhung der Geburtenrate in den palästinensischen Gebieten vermeiden. Das Shaine Center der Hebräischen Universität Jerusalem war von den Erkenntnissen der Doktorandin dermaßen begeistert, dass es ihr sogleich einen Preis verlieh.

Nein, das alles ist kein Scherz. Nach einer Befragung von 25 israelischen Soldaten kam Tal Nitzan allen Ernstes zu dem Ergebnis: „Das Fehlen organisierter Vergewaltigungen durch das Militär ist eine andere Art und Weise, politische Ziele zu verwirklichen. Im israelisch-palästinensischen Konflikt verstärkt dieses Ausbleiben von Vergewaltigungen die ethnischen Grenzen noch und verdeutlicht die interethnischen Differenzen – genau so, wie es organisierte Vergewaltigungen durch das Militär getan hätten.“ Mit anderen Worten: Egal, ob die IDF nun über palästinensische Frauen herfällt oder nicht – das eine wie das andere ist ein Zeichen von rassistischer Erniedrigung. Denn: „Vergewaltigung und Nicht-Vergewaltigung sind zwei Seiten derselben Medaille, weshalb der Einsatz von jeweils einer der beiden Möglichkeiten in verschiedenen Situationen zu den gleichen Ergebnissen führen kann.“ Damned if you do and damned if you don’t.

Den Angehörigen der israelischen Streitkräfte, glaubt die Akademikerin, werde beigebracht, die Palästinenserinnen nicht als menschliche Wesen zu begreifen. Die Soldaten hielten sich aber auch „aus demografischen Gründen“ zurück – schließlich wollten sie nicht dazu beitragen, dass die arabische Bevölkerung noch weiter wächst. Steven Plaut, Universitätsprofessor in Haifa und politischer Kommentator, spitzte diesen haarsträubenden Unfug pointiert zu: „Der israelische Rassismus hat demnach eine Unterdrückung des sexuellen Verlangens jüdischer Männer nach palästinensischen Frauen bewirkt – was nur eine weitere Manifestation des zionistischen Rassismus ist. Da das Fehlen von Vergewaltigungen arabischer Frauen durch israelische Soldaten keine historische Parallele zu irgendeiner anderen menschlichen Armee in Kriegszeiten hat, kann das Fazit nur lauten, dass jüdische Soldaten weit rassistischer und intoleranter sind als die anderen.“

Tal Nitzan hätte natürlich auch einfach zu dem Ergebnis kommen können, dass die moralischen Standards in der IDF schlicht höher sind als in anderen Armeen. Aber das widersprach augenscheinlich ihrer Absicht, und deshalb musste das offenbar unerwartete Resultat der Soldatenbefragung interpretatorisch etwas frisiert werden. Für derlei Gehirnakrobatik bekam die Doktorandin dann auch noch einen Preis verliehen, was Zali Gurevitch, linker Anthropologe und Vorsitzender der zuständigen Professorenkommission, auf Nachfrage entschlossen verteidigte: „Es handelt sich um eine seriöse Arbeit, in der zwei wichtige Fragen gestellt wurden: Ist das relative Fehlen von Vergewaltigungen durch die IDF ein erwähnenswertes Phänomen? Und falls ja: Warum gibt es nur so wenige Vergewaltigungen durch die IDF, während sie weltweit in vergleichbaren Situationen wesentlich alltäglicher sind?“, sagte er dem Internetsender Arutz Sheva (Kanal 7).

Wie absurd Nitzans Befund ist, israelische Soldaten seien besonders brutale Besatzer, gerade weil sie palästinensische Frauen nicht sexuell misshandelten, machte Steven Plaut anhand eines Umkehrschlusses noch einmal deutlich: „Würde die kleine Tal von Terroristen der Hamas vergewaltigt, dann zeigte das ihrer eigenen Logik zufolge nur, dass diese Terroristen egalitäre und fortschrittliche Freunde von Frieden und Gerechtigkeit sind.“ Als solche werden sie vor allem in Europa allerdings schon länger gehandelt, und das nicht nur im Konjunktiv. Übrigens wäre es nach dieser Studie wahrscheinlich ausgesprochen sinnvoll, wenn Israel dauerhaft im Westjordanland und Ostjerusalem bliebe. Sonst wird am Ende noch eine akademische Untersuchung prämiert, die den Abzug als „rassistisch“ qualifiziert – weil die Palästinenser den Israelis nicht einmal mehr eine Besatzung wert seien. Und das kann ja wirklich niemand wollen.

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: barbarashm, Blütenlese, Daniel Fallenstein, tw_24

Update 18. März 2009: Eine niederländische Fassung dieses Beitrags findet sich auf der Website Het Vrije Volk: „Linkse Israëlische sociologe ontmaskert het Israëlische leger.“

26.12.07

Stoppt Maradona!

Auf dem Fußballplatz war er die „Hand Gottes“, doch seine Qualitäten jenseits des Rasens sind zuweilen unterirdisch. Er hasst George W. Bush und verehrt Fidel Castro und Hugo Chávez. Jetzt will er auch Mahmud Ahmadinedjad persönlich kennen lernen. Und das ist keine Folge eines etwaigen Rückfalls in seine Zeit der Drogenexzesse – Diego Armando Maradona ist vielmehr ein politischer Überzeugungstäter.

Die Aktion war sorgfältig vorbereitet: Nach einem Showball-Einlagespiel am vergangenen Samstag übergab Maradona (Foto) dem iranischen Botschafter in Buenos Aires, Mohsen Baharavand, ein T-Shirt, das er eigenhändig signiert und mit dem Zusatz „Für das iranische Volk, von ganzem Herzen“ versehen hatte. Anschließend erklärte er dem Diplomaten vor laufender Kamera: „Ich habe bereits Chávez und Fidel getroffen. Nun muss ich nur noch Ihren Präsidenten treffen. Ich möchte Ahmadinedjad sehen.“ Er sei „aus tiefstem Herzen mit dem iranischen Volk, das ich unterstütze“, ergänzte der Weltmeister von 1986, „und ich sage das, weil ich es fühle und meine.“

An der Ernsthaftigkeit dieser Sentenzen kann kein Zweifel bestehen. Denn Diego Maradona ist ein politischer Überzeugungstäter, der die Feinde der USA schon lange verehrt und nach Kräften unterstützt: Während seiner Entziehungskur auf Kuba etwa, die 2000 infolge eines exzessiven Kokainkonsums notwendig geworden war, schloss er Freundschaft mit Fidel Castro, dessen Konterfei er sich später auf sein linkes Bein tätowieren ließ. Zuvor hatte Maradona bereits Che Guevara auf seiner rechten Schulter verewigt. In Bälde soll nun auch ein Bild des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez (Foto unten, rechts) den Körper des vierfachen argentinischen Fußballers des Jahres schmücken.

Und Maradona demonstriert nicht nur auf diese Weise seine Abneigung gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und insbesondere gegen deren Präsidenten: Im Oktober 2005 beispielsweise trat er gemeinsam mit Fidel Castro im kubanischen Fernsehen auf und versprach dem massimo lider seine Teilnahme an einer Anti-Bush-Kundgebung im argentinischen Mar del Plata. Dort war Maradona dann tatsächlich zugegen; dabei trug er T-Shirts mit Aufschriften wie „Mörder“ und „Stop Bush“, wobei das „s“ im Namen des US-Präsidenten durch ein Hakenkreuz ersetzt war (Foto oben). Zuvor hatte der Ex-Kicker in einem Interview bekundet, er sei „stolz, ein Argentinier zu sein“ und „gegen den menschlichen Müll zu protestieren, der Bush ist“.

Der nun geäußerte Wunsch des 47jährigen nach einem Treffen mit Mahmud Ahmadinedjad ist insofern nur konsequent – und dennoch bemerkenswert. Denn das frühere Idol drängt auf ein Tête-à-tête mit dem Präsidenten just jenes Staates, dessen vor 13 Jahren amtierende Führung wahrscheinlich für den schwersten Terroranschlag in der Geschichte Argentiniens verantwortlich war: Durch einen Bombenangriff auf ein jüdisches Zentrum in der Hauptstadt Buenos Aires im Juli 1994 wurden 85 Menschen ermordet und rund 300 zum Teil schwer verletzt. Die argentinische Justiz kam im Oktober 2006 zu der Erkenntnis, dass diese Attacke von den höchsten Stellen der damaligen iranischen Regierung geplant und von der Hizbollah ausgeführt worden war. Die Staatsanwaltschaft beantragte daher mehrere Haftbefehle, unter anderem gegen den seinerzeitigen iranischen Präsidenten Hashemi Rafsandjani.

Darüber wird Maradona mit Ahmadinedjad allerdings kaum sprechen wollen – und vermutlich auch nicht über die Vernichtungsdrohungen des iranischen Staatschefs gegen Israel oder über dessen antisemitischen Tiraden, deretwegen in diesem Jahr rund 200 iranische Juden nach Israel ausgewandert sind. Schließlich hat es den einstigen Weltklassefußballer auch nicht gestört, dass Hugo Chávez ein ausgewiesener Antisemit ist, der zuletzt kurz vor dem Referendum über seine Verfassungsreformen noch schnell unter einem fadenscheinigen Vorwand ein jüdisches Zentrum durchsuchen ließ. So göttlich Diego Maradona zu seinen besten Zeiten über den Rasen schwebte, so unterirdisch agiert er, seit er seine Karriere als Kicker beendet hat. Und das ist dann doch irgendwo tragisch.

Hattip: Martin Krauß

24.12.07

Schöne Bescherung

Gibt es eine noch nie da gewesene Schlagzeile, mit der die schier unermessliche Brutalität und Unmenschlichkeit des jüdischen Staates in besonders herzzerreißender Weise angeprangert werden kann? Es gibt sie: „Israelische Grenzer verprügeln Weihnachtsmann“, lautete die markerschütternde Überschrift einer Meldung der Agence France Press (AFP), die kurz vor dem Fest der Liebe unter anderem vom Tagesspiegel und der Zeit übernommen wurde. „Geschenke hatte er nicht dabei, nur die Idee des Friedens zwischen den Völkern: Bei einer Demo gegen die Sperranlagen im Westjordanland wurde ein Weihnachtsmann unschön empfangen“, hob die Nachricht in ergreifendem Ton an, um dann zu präzisieren: „Etwa 50 Palästinenser unterstützt von Friedensaktivisten aus Israel und anderen Ländern haben in der Ortschaft Um Saloma nahe Bethlehem gegen den Sperrzaun demonstriert. Mit Schlagstöcken bewaffnete israelische Grenzer hätten auf fünf Demonstranten – unter ihnen der ‚Weihnachtsmann’ – eingeschlagen und einen Teilnehmer festgenommen, teilten die Organisatoren der Protestaktion mit.“

Nichts ist den Israelis heilig, lautet also die Botschaft, nicht mal ein leibhaftiger Santa Claus in der Nähe des unbarmherzig von einem Trennzaun umgebenen Geburtsorts Jesu Christi. Grundlos geschlagen haben die Schergen des Judenstaates ihn – der doch nur „die Idee des Friedens zwischen den Völkern“ popularisieren wollte (symbolisiert, na logisch, durch die palästinensische Fahne, die er fest in der Hand hielt) – und vier weitere, selbstverständlich ebenfalls vollkommen harmlose „Friedensaktivisten aus Israel und anderen Ländern“. Zumindest behaupteten das die „Organisatoren der Protestaktion“; die israelische Armee hingegen betonte, sie habe einige Demonstranten nach Ausschreitungen zunächst festgenommen, nach kurzer Zeit jedoch wieder freigelassen. Es gab also offenbar unterschiedliche Angaben darüber, was sich da nahe Bethlehem zugetragen hatte – doch die AFP stellte sich schließlich ohne weitere Prüfung des Sachverhalts auf die Seite der antiisraelischen Demonstranten.

Das zu der Meldung gehörende Foto von Musa al-Shaer – dessen Nachname übrigens so viel bedeutet wie „der Dichter“ – war denn auch entsprechend untertitelt: „Ein israelischer Soldat greift einen als Weihnachtsmann verkleideten Palästinenser an.“ Doch weder auf diesem noch auf den anderen Bildern, die von verschiedenen Agenturen veröffentlicht wurden, ist ein solcher Angriff zu sehen – und dass Santa Claus gar verprügelt wird, ist erst recht nicht zu erkennen. Die Fotos lassen vielmehr umgekehrt vermuten, dass es der „Weihnachtsmann“ war, von dem die Aggression ausging. Denn er war ganz offensichtlich nach Kräften bemüht, einen Mitstreiter aus dem Griff eines IDF-Soldaten zu befreien (siehe Bild oben). Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) schrieb denn auch ganz im Gegensatz zu ihren Kollegen von der AFP: „Ein als Weihnachtsmann verkleideter palästinensischer Demonstrant versucht, einen israelischen Soldaten daran zu hindern, einen anderen Demonstranten festzunehmen.“

Ganz so friedfertig hat sich die Manifestation gegen den Sicherheitszaun also möglicherweise doch nicht zugetragen. Und der Rotgewandete, der da angeblich verdroschen wurde, sprang später immer wieder aufgedreht und putzmunter mit seiner großen Palästinafahne durch diverse Bilder, stets darauf bedacht, die israelischen Soldaten mit Provokationen herauszufordern. Die Fotos dokumentieren also keineswegs einen unbegründeten Prügeleinsatz der IDF, sondern legen vielmehr eine Inszenierung der Demonstranten nahe, die offenbar darauf gesetzt haben, just die Meldung herbeizuführen, die AFP schließlich auch verfasste – und die von deutschen Medien unbesehen gekauft wurde. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch der Schlussabsatz der Nachricht, der den Eindruck vermittelt, bei dem Zaun handle es sich um eine reine Willkürmaßnahme Israels. Dass nach dessen Bau die Zahl der Selbstmordattentate drastisch zurückging, also die Sicherheit der Bürger Israels verbessert wurde, wird nicht einmal erwähnt. Aber das hätte den antiisraelischen Tenor der Weihnachtsbotschaft ja auch konterkariert.

Hattips: Gudrun Eussner, Spirit of Entebbe

22.12.07

Multi-Milliarden für die Mullahs?

Für Ende dieses Jahres plant die Österreichische Mineralölverwaltung (OMV) ein 22-Milliarden-Euro-Geschäft mit dem Iran; entsprechende Vorverträge wurden bereits im April geschlossen. Kommt der Deal tatsächlich zustande, würde er nicht nur einen massiven Ausbau bereits bestehender wirtschaftlicher Beziehungen zwischen der Alpenrepublik und den Mullahs bedeuten, sondern Österreich und Europa endgültig zu strategischen Partnern und Komplizen des Regimes in Teheran machen. Doch gegen diese Allianz regt sich Protest: Die Wiener Initiative Stop the Bomb unternimmt Aktivitäten, die auch international für Aufmerksamkeit sorgen.

Seit die 16 US-Geheimdienste kürzlich in ihrem National Intelligence Estimate (NIE) genannten Bericht zu verstehen gegeben haben, der Iran arbeite wahrscheinlich schon seit vier Jahren nicht mehr an seinem Atomwaffen-, sondern „nur“ noch an seinem Atomprogramm, klopft man sich in Europa gegenseitig anerkennend auf die Schultern: Hatte man’s nicht schon immer gewusst? Alles halb so wild, Bush übertreibt es mal wieder mit seiner Weltkriegsrhetorik, keine Gefahr im Verzug – und deshalb auch kein Grund, die wirtschaftliche Kooperation mit Teheran einzuschränken oder gar einzustellen. Zwar glauben nur Narren, dass die Mullahs die Nutzung der Kernenergie bloß zu friedlichen Zwecken ausbauen wollen und nicht, um schließlich Israel auslöschen zu können – aber der Glaube kann ja bekanntlich Berge versetzen, wenn auch keine Urananreicherungsanlagen.

Vermutlich hat sich auch die Österreichische Mineralölverwaltung (OMV) selbst gratuliert, als sie von dem NIE-Papier erfuhr. Denn ihr für Ende dieses Jahres vorgesehenes, milliardenschweres Geschäft mit dem iranischen Regime erhielt so unverhofft moralische Schützenhilfe. Bereits am 21. April dieses Jahres hatten die Vertreter der OMV und der Mullahs drei Absichtserklärungen über den größten Erdgas-Deal unterzeichnet, den je ein europäisches Unternehmen mit dem Iran abschlossen hat. Matthias Küntzel fasste die Eckdaten des Abkommens zusammen: „Der Energiekonzern will sich erstens mit einem Anteil von 20 Prozent an der Erschließung eines Erdgasfeldes beteiligen. Er will zweitens mit 10 Prozent in eine iranische Großanlage für die Produktion von Flüssiggas einsteigen und dieses Produkt en masse (2,2 Mio. to/a) nach Europa verschiffen. Er will drittens dem Mullah-Regime die Teilnahme an dem Pipeline-Projekt Nabucco ermöglichen und hierüber riesige Erdgasmengen (5 Mrd. m³/a) nach Österreich pumpen. Das Geschäftsvolumen liegt bei 30 Mrd. Dollar oder 22 Mrd. Euro.“

Die amerikanische Regierung hatte die Pläne im Frühjahr scharf kritisiert und angekündigt, im Falle eines Vertragsabschlusses Ende 2007 Sanktionen gegen die OMV zu verhängen. Das löste in Österreich die erwartbaren Reaktionen aus: „Breite Front gegen US-Einmischung“, titelte beispielsweise die Tageszeitung Der Standard, und Politiker wie Wirtschaftsfunktionäre mahnten die Regierung der Vereinigten Staaten zu „Nüchternheit und Sachlichkeit“ oder gaben Sätze wie „Grundsätzlich haben funktionierende Handelsbeziehungen einen völkerverbindenden Charakter und können zu einer Beruhigung politischer Spannungen beitragen“ zum Besten. Die grüne Außenpolitikerin Ulrike Lunacek meinte allen Ernstes, die OMV möge doch bitte einen „zivilgesellschaftlichen Beitrag“ leisten, und auch der SPÖ-Abgeordnete Caspar Einem machte ganz auf Appeasement: „Wir denken, dass eine Strategie, die das Gespräch aufrecht erhält, letztlich mehr Aussichten auf Erfolg hat als eine Sanktionspolitik. Insgesamt würden wir uns freuen, wenn es der OMV gelingt, dieses Geschäft zum Abschluss zu bringen.“

Der Wiener Politikwissenschaftler Stephan Grigat kommentierte diesen Unfug treffend: „Jeder weiß, dass der Abschluss eines Geschäfts von diesem Ausmaß sowohl einen propagandistischen als auch einen politischen und ökonomischen Erfolg für die Apokalyptiker im Iran darstellen würde. Umso unverhohlener muss diese Tatsache geleugnet werden. In der Verteidigung des ehemaligen Vorzeigebetriebs der verstaatlichten österreichischen Industrie hält man in der Alpenrepublik die Reihen fest geschlossen.“ Und in der Tageszeitung Die Presse schrieb Christian Ortner: „Auf den tief verwurzelten Antiamerikanismus ist eben Verlass – die Affäre Waldheim lässt grüßen. Im Zweifelsfall genießt eine Liaison zwischen Mullah-Diktatur und Mineralölmulti hierzulande mehr Ansehen als jene, denen wir die Befreiung von den Nazis offenkundig noch immer nicht verziehen haben.“ Solche kritischen Stimmen zum sich anbahnenden Handel zwischen der OMV – dessen größter Anteilseigner mit 31,5 Prozent die Republik Österreich ist – und den Mullahs waren und sind allerdings ausgesprochen selten.

Doch die Wiener Initiative Stop the Bomb organisiert nun den Protest gegen den Vertrag zwischen einem der führenden Erdöl- und Erdgasunternehmen Mitteleuropas und der iranischen Theokratie. Das überparteiliche Bündnis entstand infolge einer im vergangenen September in Wien veranstalteten Konferenz und einer Demonstration gegen wirtschaftliche Beziehungen zum Teheraner Regime; seit Anfang Dezember läuft die Unterschriftensammlung für eine Petition mit dem Titel „Keine Geschäfte mit den iranischen Mullahs!“. Zu den Erstunterzeichnern gehörten unter anderem Beate Klarsfeld, Leon de Winter und Elfriede Jelinek; inzwischen haben rund 2.000 weitere Personen den Appell unterschrieben – darunter eine ganze Reihe von weiteren namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens –, mit dem der Stopp des „kritischen Dialogs“ mit den Mullahs, der Abbruch der Verhandlungen zwischen der OMV und dem Iran, die Einstellung der Kreditstützung durch die österreichische Kontrollbank für Geschäfte mit dem Regime, die Verhängung von wirksamen und umfassenden Uno- und EU-Sanktionen sowie die Unterstützung der säkularen und demokratischen Opposition im Iran gefordert wird.

„Der Iran muss ökonomisch und politisch konsequent unter Druck gesetzt werden, um die Bedrohung der Existenz Israels abzuwehren“, heißt es in der Petition. Das bedeute, „die Gefahr zu bekämpfen, dass sich insbesondere Europa in das Vernichtungsprogramm integriert – als Zielscheibe der atomar bestückten Raketen und Partner des Djihad zugleich“. Die Verfolgungs-, Straf- und Märtyrerfantasien der Mullahs knüpften „in neuen religiösen und politischen Formen an den Vernichtungswahn des NS-Staats an, was auch die Bereitschaft einschließt, die Bevölkerung des eigenen Staates für ihre apokalyptischen Ziele zu opfern“. Deshalb helfe keine Politik der Abschreckung mehr. „Wer mit den Vertretern der Islamischen Republik Iran einen Dialog führen und Geschäfte machen möchte, betreibt ein Appeasement, das vergleichbar ist mit der duldenden und zögerlichen Haltung gegenüber der Nazi-Bedrohung, die in Europa einen Krieg förderte, der zum größten Vernichtungskrieg der Geschichte wurde“, verdeutlicht der in sieben Sprachen verfasste Aufruf die Konsequenzen, die sich aus den politischen und ökonomischen Beziehungen zu den Mullahs ergeben.

Stop the Bomb hat mit seinen Aktivitäten inzwischen für internationale Aufmerksamkeit gesorgt. So berichtete beispielsweise Benjamin Weinthal in der israelischen Tageszeitung Ha’aretz über die Initiative gegen den OMV-Deal, und auch beim Online-Portal der Jewish Telegraph Agency (JTA) findet sich ein entsprechender Beitrag. Am vergangenen Donnerstag organisierte die Green Party of Iran zudem eine Protestaktion vor dem österreichischen Konsulat in Los Angeles, bei der auch eine Grußbotschaft der Sprecherin von Stop the Bomb, Simone Dinah Hartmann, verlesen wurde.* In ihr hieß es unter anderem: „Sowohl die österreichische Regierung als auch die Opposition unterstützen ein Milliardengeschäft mit einem Regime, das immer wieder damit droht, Israel auszulöschen, während es an einer Bombe arbeitet, mit der die Absichten der Mullahs verwirklicht werden könnten. Der österreichische Kanzler Gusenbauer machte kürzlich sehr deutlich, dass Menschenrechte hinter den wirtschaftlichen Beziehungen zurückstehen müssen. Wenn eine iranische Frau gesteinigt oder ein iranischer Mann erhängt wird, sind Gusenbauer und seine Gefolgschaft für deren Tod mitverantwortlich. Und sie wären im Fall der Fälle auch – einmal mehr – verantwortlich für den Tod von Millionen Juden.“

In Bälde steht nun womöglich der Abschluss des Vertrags zwischen der OMV und dem Iran an. „Es sieht ganz so aus, als wollte Österreich sich geradezu vordrängen, um eine Drehscheibe für Handel, aber leider nicht Wandel, mit diesem antisemitischen und totalitären Regime zu werden“, sagte Elfriede Jelinek. Die Proteste gehen deshalb weiter.

* Nicht online verfügbar, liegt Lizas Welt jedoch vor

19.12.07

Jahresendpreisrätsel

Manche Sätze gehören einfach in Stein gemeißelt: „Der eigentliche Gewinn, auf den der Volksgenosse rechnet, ist die Sanktionierung seiner Wut durchs Kollektiv“, schrieben Horkheimer und Adorno einmal über die maßgeblichen Triebkräfte des Antisemitismus, und: „Je weniger sonst herauskommt, um so verstockter hält man sich wider die bessere Erkenntnis an die Bewegung. Gegen das Argument mangelnder Rentabilität hat sich der Antisemitismus immun gezeigt.“ Es war dies nicht zuletzt eine Kritik des Ökonomismus, wie ihn die Kommunisten betrieben, die in Auschwitz, Treblinka und Majdanek bloß die Kulmination der Verbrechen des Monopolkapitals, die ultimative Konsequenz ungehemmten Profitstrebens also, erkennen wollten. Dass die Vernichtung der europäischen Juden um ihrer selbst willen geschehen und keiner gewöhnlichen Kosten-Nutzen-Rechnung gefolgt sein könnte, war für die Revolutionäre schlicht undenkbar.

Die 1944 erstmals veröffentlichten Ausführungen der beiden Philosophen haben jedoch an Bedeutung, Richtigkeit und Aktualität auch über ihren Bezugsrahmen hinaus nichts eingebüßt und dürfen daher noch heute Gültigkeit beanspruchen. Und das nicht nur als Argumente gegen die Götz Alys dieser Welt, die eine vorgeblich kühle und unideologische Berechnung der Volksgenossen als Hauptgrund für Arisierung und Judenmord ausmachen und den Antisemitismus für vergleichsweise vernachlässigenswert halten. Sondern auch als Erklärung für die Motivation jener völlig verkrachten Existenzen, die mit geradezu manischem Eifer allen nachstellen, die den Lustgewinn der Antisemiten (also die von Horkheimer und Adorno so genannte Sanktionierung der Wut durchs Kollektiv) zu verhindern bemüht sind.

Diese Spezies postnazistischer Judenhasser hält ungezählte Exemplare bereit, allerdings erreichen nicht alle auch einen relativen Bekanntheitsgrad. Die meisten lassen ihrem – manchmal als „Israelkritik“ verbrämten – Antisemitismus im Bekanntenkreis oder am Stammtisch freien Lauf; eine Vielzahl tobt sich außerdem in Internetforen, Kommentarspalten oder Mailinglisten aus. Aber nur wenige betreiben eigene Internetseiten, die ungewollt zum Zeugnis des pathologischen Wahns werden, und noch weniger sind in ihrer Besessenheit dermaßen auf eine Person fixiert, dass jeder Psychiater statt eines Honorars ein Schmerzensgeld berechnen müsste, wäre er mit den Betreffenden zum Zwecke ihrer Kurierung konfrontiert. Um zwei besonders verhaltensauffällige Repräsentanten dieser Gattung, die mit der Realität unversöhnlich auf Kriegsfuß steht, soll es hier gehen.

Beide eint, dass sie den Journalisten Henryk M. Broder als Erzfeind betrachten und darauf gesetzt haben, ihren Hass juristisch veredelt zu bekommen. Der eine ist Frührentner, nennt sich selbst einen „Künstler“ und vermittelt ästhetisch wie inhaltlich auf seiner Website eine ungefähre Idee davon, was den Ausstellungshallen dieser Republik bislang erspart bleibt. Die andere hat sich selbst einen Wikipedia-Eintrag geschrieben, der jedoch binnen kürzester Zeit wieder gelöscht wurde. Und so muss man auf ihre Homepage ausweichen, um zu erfahren, dass sie als Energieanlagenelektronikerin begann, bevor sie Sozialarbeiterin wurde und schließlich den Beruf der „Allrounderin“ ergriff, für den es nur deshalb noch kein Diplom gibt, weil niemand den Windungen einer Größenwahnsinnigen folgen will, die sich allen Ernstes für die Reinkarnation von Karl Kraus hält.

Der „Künstler“ lässt es sich nicht nehmen, den virtuellen Stalker von Broder zu geben, dessen Beiträge er seit Jahren nahezu lückenlos kommentiert. Auf diese Weise sind inzwischen mehrere hundert Artikel entstanden, die ihren Urheber ausnahmslos als hoffungslosen Zwangscharakter ausweisen. Dass der sich dabei auch noch als Teil einer verfolgten Minderheit fühlt, gehört genauso unvermeidlich zum Antisemitismus wie das unablässige Heranziehen von jüdischen Kronzeugen für die eigene Raserei. Hajo Meyer und Abraham Melzer zählen daher zu den bevorzugten Bezugsgrößen des Dortmunders, aber auch Reuven Moskovitz – wobei es einigermaßen erstaunlich ist, dass dessen Titelbetrug bisher nicht Anlass zu einer flammenden Verteidigung durch seinen treuen Freund war.

Weil Broder das penetrante Stalking irgendwann gründlich satt hatte, klagte er gegen den „Künstler“; Gegenstand waren dabei die zahllosen Fotos, Fotomontagen und Ausschnitte, die letzterer auf seine Website gestellt hatte. Anfang November entschied die Urheberrechtskammer des Landgerichts Berlin im Sinne Broders und wies den Beklagten bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 Euro an, die beanstandeten Objekte von seiner Homepage zu löschen. Der Verurteilte glaubte gleichwohl trotzig, ein Unentschieden erreicht zu haben, und jammerte ansonsten über die angebliche Kapitulation des Justiz vor der „Israel-Lobby“. Außerdem traf es ihn merklich, dass sein Prozessgegner nicht persönlich bei der Verhandlung anwesend war. Die Kommentierung von Broders Texten wurde nun noch zwanghafter und ressentimentgeladener als ohnehin schon; inzwischen dürfte der Fachmann für „Gestaltung und Design“ das Delirium erreicht haben, in dem er Sätze schreibt wie: „Der Terror der christlichen Fundamentalisten und der jüdischen Israelis übertrifft millionenfach den der Islamisten.“

Die „Allrounderin“ wiederum fühlte sich von Broder beleidigt und unternahm ihrerseits den Versuch, sich eben dies von einem Gericht bestätigen zu lassen. Dazu kam es bisher allerdings nicht, weil zuletzt ein Befangenheitsantrag Broders gegen die Richterin zu einer Verschiebung des Prozesstermins führte. Unterdessen musste die Augenzeugin von Beatles & Brandt, die eine Zeit lang in Spanien lebte, dennoch bereits eine Schlappe einstecken: Sie hatte Prozesskostenhilfe beantragt, weil sie angeblich bloß über ein geringes Einkommen verfügt. Dumm nur, dass sie auf ihrer Website ihr neues, großzügiges Domizil im Hessischen selbst zur Schau stellte. Broders Anwalt ließ deshalb eine Kostenforderung im Grundbuch eintragen – woraufhin die gelernte Energieanlagenelektronikerin so richtig unter Strom geriet: „Für mich grenzt das an jüdischer [sic!] Vetternwirtschaft – eine andere, sachliche Begründung weiß ich nicht“, schrieb sie an das Landgericht Kassel, das die Eintragung doch, bitteschön, löschen möge.

Das tat es aber nicht, und deshalb greint die Westfälin, die selbst dem Muslim-Markt bereitwillig Rede und Antwort stand, auf ihrem Weblog jetzt vernehmlich über den möglichen Zwang zur Einstellung ihres publizistischen Wirkens, der daraus resultiere, „dass man in diesem Staat beinahe allein auf sich gestellt ist, weil niemand Beleidigungen der Israel-Lobby in Form des ‚deutsch-jüdischen Publizisten’ Henryk M. Broder ahndet“. Ihr neues, immerhin von der Waldeckischen Landeszeitung gewürdigtes Buch scheint also nicht die erhofften Tantiemen abzuwerfen – was ihr jedoch die Möglichkeit gibt, weiterhin den Ruf des verkannten Genies zu pflegen, dessen Schreibstil laut eigener Selbstüberschätzung „aus einer seltenen Mischung von Sprachartistik, Aggressivität und Detailverliebtheit“ besteht.

Wer nun ahnt oder sogar weiß, um welche beiden Besessenen es sich handelt, die da auf die Sanktionierung ihrer Wut durchs Kollektiv hoffen, schicke die beiden Namen bis zum Donnerstag, 20. Dezember, um 16 Uhr per E-Mail an Lizas Welt. Aus den richtigen Einsendungen werden anschließend unter dem handelsüblichen Ausschluss des Rechtsweges drei Gewinner ermittelt, die jeweils ein Exemplar der grandiosen „offiziellen Autobiografie von Osama bin Laden“ (Ein Leben für den Terror) bekommen, erschienen im und spendiert vom Macchiato Verlag.

Update 20. Dezember 2007: Einige der insgesamt 83 Teilnehmer beschwerten sich, das Rätsel sei zu leicht gewesen. Die haben vermutlich noch nie die Gewinnspiele bei Pro7 („Wo hat Lukas Podolski früher gespielt? A) 1. FC Köln oder B) Real Madrid?“) oder im DSF („Was ist Luca Toni? A) Italiener oder B) Finne?“) gesehen. Andererseits haben sie auch wieder Recht, denn schlappe 96,4 Prozent wussten die richtige Antwort. Also gut, beim nächsten Mal wird es komplizierter. Was zur Lösung zu sagen ist, steht übrigens im Wesentlichen hier; den Rest verrät Google oder eine andere Suchmaschine. Bei der Ziehung der drei Gewinner ließ der Zufall geografische Gerechtigkeit walten; je ein Exemplar von Ein Leben für den Terror geht nun nach Berlin, Zichron Yaacov und Sydney. Die Empfänger werden natürlich vorher per E-Mail benachrichtigt. Allen anderen ein sehr herzliches Dankeschön für die rege Beteiligung.

18.12.07

Gotteskrieger, Golfstaaten und Geldgaben

Am vergangenen Samstag hat die Hamas ihr zwanzigjähriges Bestehen gefeiert – und zwar nachgerade standesgemäß: Mehrere hunderttausend Demonstranten versammelten sich auf dem zentralen Platz in Gaza, schwenkten grüne Fahnen und riefen Hassparolen gegen Israel; die Redner bekräftigten ihre Absicht, den jüdischen Staat niemals anzuerkennen und ihm im Gegenteil so rasch wie möglich den Garaus zu machen. Selbst die Drohung, man habe „bereits Gräber für die Juden ausgehoben“, fehlte nicht. Und gestern legte die Gotteskriegerpartei nach: Sie bezeichnete die Geberkonferenz, die in Paris stattfand, als „Kriegserklärung“; schließlich hätten die palästinensischen Vertreter in der französischen Hauptstadt versichert, die dort beschlossenen Milliardenzuschüsse nicht der Hamas zukommen zu lassen.

Der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad legte in Paris unterdessen eine Berechnung vor, nach der seine Regierung in den kommenden drei Jahren 5,6 Milliarden Dollar (rund 3,8 Milliarden Euro) benötigt. Die Teilnehmer an der Konferenz mühten sich eifrig, diesen Batzen Geld zusammenzubekommen. Das deutsche Entwicklungsministerium etwa sagte 200 Millionen Euro zu. Im Gegenzug ließ es sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht nehmen, Forderungen zu stellen – allerdings nicht an die palästinensische Seite, sondern an den jüdischen Staat: „Israel muss dafür sorgen, dass in den palästinensischen Gebieten hergestellte Waren auch das Land verlassen können“, sagte er beispielsweise – als ob es einen generellen israelischen Ausfuhrboykott gäbe und nicht nur gründliche Kontrollen, die angesichts der „Waren“, die täglich auf Sderot niedergehen, existenziell sind.

Während also die Pariser Geberkonferenz die Palästinenser neuerlich reich beschenkte – und man gespannt sein darf, ob die Finanzspritzen diesmal ihrem vorgesehenen Ziel zugeführt werden –, fragt Karl Pfeifer in seinem Gastbeitrag, wo eigentlich die finanziellen Zuwendungen der so genannten arabischen Bruderstaaten bleiben. Schon mit einem Bruchteil der Einnahmen aus dem Erdölverkauf dieser Länder ließen sich die geforderten 5,6 Millarden Dollar rasch erreichen, rechnet Pfeifer vor, und er kommt zu dem Schluss: „Wenn das Schicksal der Palästinenser den Politikern und der Bevölkerung dieser Staaten wirklich eine Herzensangelegenheit sei sollte, dann ist es nicht zu verstehen, weshalb sie nicht tiefer in ihre Taschen greifen.“


Karl Pfeifer

Die Hamas setzt weiterhin auf Gewalt


Erinnern Sie sich noch an die vollmundigen Erklärungen von Hannes Swoboda und Johannes Voggenhuber, die am 3. Mai dieses Jahres in der Tageszeitung Der Standard zu lesen waren?
„Die beiden österreichischen Europaabgeordneten Johannes Voggenhuber (Grüne) und Hannes Swoboda (SP) haben einen Besuch beim palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Hanija und anderen Hamas-Regierungsvertretern im Rahmen einer EU-Parlamentarierdelegation verteidigt. Beide Abgeordneten forderten am Mittwoch die volle Anerkennung der palästinensischen Einheitsregierung, der neben Hamas auch Fatah und Unabhängige angehören. ‚Wir haben den internationalen Boykott durchbrochen und mit Hamas-Mitgliedern gesprochen’, sagte Voggenhuber. Dies sei ‚ein kühner Schritt’ gewesen, vor dem er selbst Bedenken gehabt habe. Die Delegation sei jedoch zu der Auffassung gelangt, dass die palästinensische Einheitsregierung ‚einen gewaltigen Schritt vorwärts’ darstelle, dass sie die von der internationalen Gemeinschaft gestellten Bedingungen erfülle und dass es keinen Grund mehr für eine Blockade gebe.“
Nun haben sich am Samstag rund 300.000 Einwohner von Gaza versammelt, um den 20. Jahrestag der Hamas-Gründung zu feiern. Dabei jubelten sie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Ismail Hanija zu, der sagte, wer immer erkläre, er werde Israel nie anerkennen, verdiene „die Liebe des Volkes“. Die Masse skandierte daraufhin: „Wir werden Israel niemals anerkennen.“ In einer Fernsehansprache drohte Hamas-Chef Khaled Mashaal aus Damaskus: „Unser Volk ist fähig, eine dritte oder vierte Intifada zu starten.“ Außerdem erklärte er: „Wer glaubt, dass die Hamas sich in einer Sackgasse befindet, irrt.“

Auch der Hamas-Parlamentsangehörige Mushir al-Masri sprach während dieser Versammlung. Er warnte vor einem möglichen Eindringen israelischer Truppen und sagte, die Hamas habe „bereits Gräber für die Juden ausgehoben“. Hamas-Funktionär Osama al-Mzeini, der für den Fall des israelischen Gefangenen Gilad Shalit zuständig ist, erklärte, der israelische Soldat werde so lange nicht das Licht des Tages erblicken, wie es palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen gebe. Dass die Hamas entgegen den Uno-Beschlüssen und jeder Humanität Shalit nicht vom Internationalen Roten Kreuz besuchen lässt, berührte schon im Mai die österreichischen Politiker nicht.

Das sind die Herrschaften, für deren Anerkennung die Abgeordneten Swoboda und Voggenhuber eingetreten sind. Ob sie bei ihrer Haltung geblieben sind, weiß man nicht. Im Fall von Johannes Voggenhuber haben Nachfragen auch keinen Sinn, da er bereits im Frühjahr nicht auf sie geantwortet hat. Und nun erklärte die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner dem Standard:
„650 Millionen Dollar (447 Millionen Euro) wird die Kommission für die Palästinenser im Jahr 2008 bereitstellen. Etwa gleich viel wird vermutlich von den EU-Mitgliedstaaten dazukommen, womit die Hilfe unter der von heuer liegen würde. 2007 haben Kommission und Mitgliedstaaten zusammen rund eine Milliarde Euro in die diversen Hilfsprojekte investiert – die höchste Summe, die jemals den Palästinensern gewidmet wurde.“
Die EU sei damit in diesem wie auch im kommenden Jahr der größte Geber für die Palästinenser, sagte Ferrero-Waldner. Sie betonte, auch andere Geber müssten nun „substanziell in die Projekte einsteigen, vor allem die arabischen Staaten“. Diese lägen auch nach Zahlen der Uno deutlich hinter ihren finanziellen Zusagen zurück und erreichten im Schnitt nicht einmal ein Zehntel der Hilfe aus der Europäischen Union.

Nach Angaben des palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fayyad benötigt seine Regierung für die kommenden drei Jahre 5,6 Milliarden Dollar. Bei einem Preis von fast 100 Dollar pro Fass Erdöl könnte diese Summe mit Hilfe der Erdöl produzierenden arabischen Staaten leicht erreicht werden. Wenn das Schicksal der Palästinenser den Politikern und der Bevölkerung dieser Staaten wirklich eine Herzensangelegenheit sei sollte, dann ist es nicht zu verstehen, weshalb sie nicht tiefer in ihre Taschen greifen.

Laut Weltbank beträgt die jährliche Unterstützung, die Saudi-Arabien den Palästinensischen Autoritäten gewährt, rund 84 Millionen Dollar jährlich, während andere Golfstaaten weniger oder gar nichts aufwenden. Trotz der während einer Notsitzung des Gipfels der Arabischen Liga im Jahre 2002 getroffenen gemeinsamen Verpflichtung, pro Jahr 660 Millionen Dollar zu geben, ist fast nichts geschehen. Auch ein Versprechen Saudi-Arabiens im letzten Jahr, 300 bis 500 Millionen Dollar zu spenden, wurde bis heute nicht erfüllt.

Seit 2002 sind die Ölpreise auf das Vierfache gestiegen. Die Einnahmen aus dem Erdöl der sechs Golfstaaten (Saudi-Arabien, Kuwait, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Oman und Bahrain) werden dieses Jahr etwa 400 Milliarden Dollar erreichen; die Hälfte davon gehört Saudi-Arabien. Das würde bedeuten, dass ihre gemeinsamen Zuwendungen an die Palästinenser nur 0,04 Prozent ihrer jährlichen Erdöleinnahmen ausmacht. Zu diesem Reichtum muss man ihren kumulativen Überschuss seit 2003 in Betracht ziehen, der in diesem Jahr 700 Milliarden Dollar erreichen wird.*

Es ist zu hoffen, dass die EU und die USA bei der Geberkonferenz darauf bestanden haben, dass diese superreichen arabischen Staaten ihre Politik ändern und nicht mehr Wohltätigkeit üben, sondern den Palästinensern ernsthaft helfen, indem sie ökonomisch investieren, damit Arbeitsplätze geschaffen werden und ein besseres Leben möglich wird. Der Wohlstand ist zwar noch keine Garantie für einen Frieden, aber mit wachsenden Wohlstand besteht immerhin die Möglichkeit, dass die Extremisten zurückgedrängt werden können.

* Aid to the Palestinians: The Role of Oil-Rich Arab States

14.12.07

Das Kreuz mit dem Kreuz

Ein türkischer Rechtsanwalt bereichert den internationalen Fußball um eine weitere Groteske: Weil er der Überzeugung ist, dass der italienische Erstligaklub Inter Mailand beim Champions League-Rückspiel gegen Fenerbahce Istanbul mit seinen neuen Trikots an die Kreuzritter erinnern, also den Islam beleidigen wollte, hat Baris Kaska eine Klage eingereicht und einen Punktabzug für Inter gefordert. Das zuständige Gericht leitete die Eingabe an den Weltfußballverband FIFA und den europäischen Verband UEFA weiter, die sich nun mit ihr befassen müssen.

Dass Fußballtrikots Anstoß erregen, ist in der Vergangenheit schon häufiger passiert – auch in Deutschland: Als beispielsweise 1973 der damalige Bundesligist Eintracht Braunschweig als erster deutscher Klub die Leibchen seiner Spieler mit einem Reklameschriftzug versah – für den Kräuterlikör Jägermeister nämlich –, stieß er auf den entschiedenen Widerstand des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Denn der fand es überhaupt nicht in Ordnung, dass Kicker etwas anderes auf der Brust tragen als das Wappen ihres Vereins. Doch die Trikotwerbung setzte sich durch und wurde bald zum Standard; allerdings wollte der DFB stets ganz genau wissen, welche Produkte da angepriesen wurden. Und als es der FC 08 Homburg in der Saison 1987/88 wagte, für die Kondommarke London Reklame zu laufen, erkannten die Granden des Fußballverbands glatt einen Anschlag auf die guten Sitten und untersagten dem saarländischen Erstligisten die Werbung für den Gummihersteller. Die Homburger überklebten das Firmenlogo daraufhin mit einem schwarzen Zensurbalken, bevor das Frankfurter Landgericht schließlich in ihrem Sinne entschied.

Und nun hat die Fußballwelt ihren nächsten Aufreger, der durch die Gestaltung der Jerseys eines Klubs ausgelöst wurde. Denn Inter Mailand spielt derzeit zumeist nicht im gewohnten blau-schwarz gestreiften Outfit, sondern in blütenweißen Hemden, deren Vorderseite über die volle Länge und Breite ein rotes Kreuz ziert. Damit traten sie kürzlich auch im Champions League-Heimspiel gegen Fenerbahce Istanbul an – und erregten so den heiligen Zorn von Muslimen in der Türkei: „Wie konnte die UEFA dies zulassen?“, fragte etwa die Zeitung Radikal. Andere Medien des Landes kritisierten das Motiv des Inter-Trikots ebenfalls scharf und veröffentlichten neben ihm das Bild eines Kreuzritters, der Ende des elften Jahrhunderts nach Jerusalem aufbrach, um das Heilige Land aus den Händen der Muslime zu befreien.

Schwerstens verstimmt war auch der türkische Rechtsanwalt Baris Kaska: „Dieses Kreuz erinnert an die blutigen Tage der Vergangenheit“, sagte er der spanischen Zeitung La Vanguardia. Er habe beim Verfolgen des Spiels im Fernsehen „einen schrecklichen Schmerz in der Seele verspürt“. Inter sei es mit dem angeblichen Kreuzritter-Dress darum zu tun gewesen, „die rassistische Überlegenheit einer Religion“ zu zeigen, also den Islam zu beleidigen. Daher müssten sich nun die FIFA und die UEFA verantworten; sie sollten, findet Kaska, den lombardischen Klub nicht nur mit einem Bußgeld belegen, sondern ihm auch die Punkte aus dem mit 3:0 gewonnen Match gegen Fenerbahce aberkennen. Um seinem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, erstattete der Jurist Anzeige bei einem örtlichen Gericht, das die Eingabe an die beiden internationalen Fußballverbände weiterleitete.

Der Istanbuler Verein selbst hatte mit den neuen Oberteilen der Mailänder nach Angaben der UEFA übrigens kein Problem. Zwar hatten die Inter-Fußballer beim Hinspiel in der Türkei Mitte September in Absprache mit Fenerbahce noch ihre traditionellen blau-schwarzen Trikots getragen; vor dem Rückspiel stimmte Fener dann aber ausdrücklich dem Wunsch der Interisti zu, im neuen Shirt auflaufen zu können. Doch ganz abgesehen davon symbolisiert das Textil ohnehin nicht das, was entrüstete Muslime in ihm zu erkennen glauben. Vielmehr feiert der FC Internazionale Milano in Kürze sein hundertjähriges Bestehen und erweist seiner Stadt mit dem Trikot seine Reverenz: Das rote Kreuz auf weißem Grund ist seit dem 12. Jahrhundert das Mailänder Stadtwappen; die Farben stehen für die Bauern (weiß) und die Bürger (rot).

Nebenbei bemerkt: Der empörte Anwalt Kaska und manche der türkischen Medien hätten im Grunde genommen einen Anlass gehabt, sich noch weit mehr zu echauffieren: Denn wenn man genau hinsieht, entdeckt man auch auf dem Trikot von Fenerbahce – Schockschwerenot! – ein Kreuz (im oberen linken Foto hellgrün hervorgehoben). Und jetzt haben Verschwörungstheoretiker viel Arbeit vor sich: Ist der Sponsor avea, immerhin der drittgrößte türkische Mobilfunkbetreiber, schuld an dieser hinterhältigen Attacke auf die Religion des Friedens? Der Ausrüster Adidas? Oder gar, Allah bewahre, ein heimlicher Kreuzritter im Vorstand des Klubs?

11.12.07

Renaissance eines Gesinnungstextils

Bis vor kurzem konnte man berechtigte Hoffnungen hegen, das schwarz-weiße Elend hierzulande endlich los zu sein. Doch dann entdeckten plötzlich die Modeschöpfer die Kafiya – das so genannte Palästinensertuch also –, und seitdem ist man für den Erwerb dieses Textils nicht mehr auf fliegende Händler, palästinensische Gemeinden oder stickige Infoläden angewiesen, sondern kann es problemlos in allen großen Kaufhäusern von der Stange nehmen oder bei amazon bestellen (wo es sowohl in der Rubrik „Küche und Haushalt“ als auch in der Sparte „Garten und Freizeit“ geführt wird). Ganze Heerscharen von pubertierenden Jugendlichen wickeln sich nun die Kopfwindel um ihren Hals, weshalb zahlreiche deutsche Innenstädte derzeit das morbide Flair einer Palästina-Solidaritätsdemo verströmen. Dass viele Träger dieses so sperrigen wie speihässlichen Kleidungsstücks angeblich oder tatsächlich nicht wissen, was für ein Accessoire sie da spazieren führen, macht die Sache nur noch schlimmer.

Dabei muss man gar keine Bücher wälzen, um etwas über die Geschichte und Gegenwart der Kafiya zu erfahren; eine simple Google-Suche genügt bereits. Schon die erste Seite liefert bei der Eingabe des Begriffs „Palästinensertuch“ (wahlweise auch „Palituch“) ausreichend Treffer, um wenigstens den Anflug einer Ahnung davon zu bekommen, welche historische und aktuelle Bedeutung dieser Stofffetzen hat. Bei den virtuellen Fundstücken stößt man rasch auch auf die beiden Flugblatt-Klassiker „Coole Kids tragen kein Pali-Tuch“ und „Ist dir kalt oder hast du was gegen Juden?“, die zwar teilweise etwas arg pädagogisch aufgezogen sind, aber trotzdem wesentliche Informationen bereithalten: Der tischdeckengroße Wickel war zu allen Zeiten ein Symbol für den Kampf gegen „die Juden“ und „den Westen“; zwischen 1936 und 1939 wurde er außerdem vom Mufti von Jerusalem, einem Verbündeten der Nationalsozialisten, mit unmittelbarem Zwang in der Bevölkerung durchgesetzt. Ende der sechziger Jahre schleppte ihn dann der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) nach Deutschland ein, und fortan war er Ausdruck der Solidarisierung der Linken mit den gegen „das zionistische Gebilde“ Israel kämpfenden Palästinensern – und überhaupt ein Zeichen für die Sympathie mit den gegen „den Imperialismus“ Front machenden „unterdrückten Völkern“.

Später mutierte das „Palituch“ zum Ausweis eines allgemeinen Links- und Dagegenseins; auf Anti-Akw-Demonstrationen wurde es genauso zahlreich getragen wie bei Friedensmärschen, an der Startbahn West oder bei Kundgebungen gegen die Schließung eines Hörsaals. Es war ein Gesinnungstextil, das gleichwohl einen Ursprung hatte – ob dieser seinen Trägern nun bewusst war oder nicht – und dadurch in jeglichem Protest (gegen wen oder was auch immer) stets eine zentrale Botschaft transportierte: „Freiheit für Palästina“, also „Juden raus“. Unter den Linken war dieser Antizionismus nahezu unumstrittener Konsens, und erst in den neunziger Jahren büßte das vor allem mit Yassir Arafat assoziierte Stück gemusterter Baumwolle in Deutschland allmählich an Popularität ein – nicht zuletzt infolge der Spaltung der Linken und der damit verbundenen Entstehung nichtjüdischer pro-israelischer Gruppen, die vehement Position gegen den Antisemitismus in den vormals eigenen Reihen bezogen. Im Zuge dessen entstanden auch die bereits erwähnten Flugschriften sowie weitere Aufklärungspapiere zum „Palästinensertuch“, und wer trotzdem noch den Feudel am Hals hatte, durfte jetzt erst recht als unbelehrbar und ausgewiesener Überzeugungstäter gelten.

Die Modedesigner scherte das jedoch einen feuchten Kehricht, und so erlebt die in jeder Hinsicht scheußliche Halskrause (daran ändert sich auch nichts, wenn sie in knalligen Farben daherkommt) derzeit ein fulminantes Comeback. Nur wenige stören sich daran, wie etwa die 23jährige Steffi Gratzke*, die sich im Kölner Stadt-Anzeiger wunderte: „Zuletzt thronte dieser Stoff nur auf dem alternden Haupt des inzwischen verstorbenen Yassir Arafat. Und plötzlich soll das Tuch der letzte Schrei aus Hollywood sein? Das passende Zubehör zu Röhrenjeans und gesteppter Ledertasche?“ Zumindest wird das augenscheinlich nicht als ästhetischer Widerspruch begriffen. Und selbst die Tatsache, dass längst auch die Neonazis den Lappen zur Schau stellen – sehr zu Recht übrigens –, tut dem Trend keinerlei Abbruch. Denn dem „Palituch“ eilt noch immer der Ruf voraus, ein Symbol für Rebellion und Nonkonformismus zu sein. Und dass dieses Image sich über all die Jahre und Jahrzehnte konservieren konnte, statt als Signum des genauen Gegenteils – nämlich einer durch und durch konformistischen Rebellion antisemitischer Mordsgesellen und ihrer fünften Kolonne – auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt zu werden, spricht Bände.

Dies umso mehr, als der Moment der Wiederkehr des gescheckten Stoßdämpfers fürwahr bemerkenswert ist: „Es entbehrt nicht einer grausigen Ironie, dass zu einem Zeitpunkt, da sich der palästinensische Selbst- und Fremdvernichtungswahn besonders sinnfrei austobt, das Bekenntnistextil für diesen Wahn ganz neue Fans in Deutschland gewinnt“, befand Marcus Hammerschmitt zu Recht. Nun mag der Textilfachhandel tatsächlich zuvörderst „dankbar für den schnellen Euro“ sein, „den er mit ahnungslosen Kindern machen kann“, wie Hammerschmitt schrieb. Aber er muss eben auch die einigermaßen gesicherte Erwartung haben, dass ein entsprechender Markt überhaupt vorhanden ist – und dass der nur von Kenntnislosen bedient wird, darf zumindest bezweifelt werden. Immerhin hat das Angebot eines solch explizit politischen Produktes die mutmaßliche Akzeptanz oder wenigstens die stillschweigende Hinnahme von dessen originärer Bedeutung zur Voraussetzung. Schließlich wissen selbst die Zwölfjährigen, dass das Ding irgendetwas mit „den Palästinensern“ zu tun hat und dass diese Palästinenser, so viel ist sicher, allemal für gerechtfertigten Protest und legitimes Aufbegehren stehen.

Dabei schockt hierzulande keinen Erwachsenen mehr, wer sich mit dem ausladenden Lumpen drapiert. Denn in einem Land, in dem 68,3 Prozent der Ansicht sind, dass Israel einen „Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ führt und sogar 81,9 Prozent „wütend werden“, wenn sie „daran denken, wie Israel die Palästinenser behandelt“, ist das „Palituch“ längst ein mehrheitlich vollkommen akzeptiertes Kleidungsstück. Im Zweifelsfall muss dessen Kauf noch nicht einmal vom Taschengeld abgeknapst werden, weil die Eltern derlei Halsschmuck ausdrücklich gutheißen und höchst freiwillig finanzieren – zumal dann, wenn es in Warenhäusern feil geboten wird, in denen sie selbst verkehren. Mit den herkömmlichen Antisemitismustheorien kommt man dem Ganzen übrigens ganz gewiss nicht bei. Aber mit der Frage „Ist dir kalt, oder hast du was gegen Juden?“ erntet man zumindest einen Moment hektischer Verunsicherung.

* Der Nachname ist im Kölner Stadt-Anzeiger falsch geschrieben.

Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist am 17. Dezember in der österreichischen Tageszeitung Die Presse erschienen.

9.12.07

Aachener Fehlprinten

Seit 1988 gibt es den Aachener Friedenspreis inklusive eines gleichnamigen, ordnungsgemäß eingetragenen Vereins, dessen Gründer es sich zum Ziel gesetzt haben, fortan „Menschen zu ehren“, die Frieden gestiftet haben durch Gerechtigkeitssinn, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft (auch Feinden gegenüber); durch Gewaltlosigkeit, Zivilcourage, Tatkraft, Sachlichkeit und Herz“. Die Messlatte für eine solche Würdigung in der Kaiser- und Printenstadt – die alljährlich am 1. September, dem Antikriegstag nämlich, vorgenommen wird – liegt also recht hoch. Doch sie wird regelmäßig vor allem von jenen edlen, hilfreichen und guten Menschen mühelos übersprungen, die all ihre Menschlichkeit, Zivilcourage und Tatkraft darauf verwenden, Israel als Reinkarnation des Nationalsozialismus anzuprangern und die erbitterten Feinde des jüdischen Staates, die ihm nichts als Tod und Vernichtung wünschen, als Friedensengel zu rühmen. So kamen beispielsweise 1991 die Frauen in Schwarz, 1997 Gush Shalom, 1998 die Unterstützer der Kölner Klagemauer sowie 2002 der Siegener Gesamtschullehrer Bernhard Nolz in den Genuss der Aachener Auszeichnung – und 2003 der „Widerständler mit der Mundharmonika“, Reuven Moskovitz (Foto) alias „Dr. Reuven Moskovitz“.

Dessen Laudatio übernahm seinerzeit Andreas Zumach, Korrespondent der taz bei den Vereinten Nationen in Genf. Und der behauptete im Brustton der Überzeugung: „1974 verbrachte er [Moskovitz] ein Forschungsjahr in Berlin, um seine Promotion zum Thema ‚Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt’ zu schreiben – ein Thema, das knapp 30 Jahre später mindestens so aktuell ist wie damals.“ Ob Zumach Moskovitz’ Arbeit je gelesen hat, ist nicht überliefert. Besonders wahrscheinlich ist es allerdings nicht, denn seit etwas mehr als einer Woche weiß man: Es gibt sie gar nicht, weshalb Reuven Moskovitz auch keinen Doktortitel haben kann. Das veranlasste Henryk M. Broder, einmal den damaligen Laudator anzuschreiben:
Sehr geehrter Herr Zumach,

ich nehme an, dass Sie noch immer die Dissertation von Reuven Moskovitz suchen, die Sie in ihrer Aachener Laudatio so hervorgehoben haben. Fällt es Ihnen wirklich so schwer, zuzugeben, dass ein so großer Journalist wie Sie von einem so kleinen Gauner reingelegt wurde?

Viele Grüße aus Sderot
Henryk M. Broder
Eine Antwort steht bis heute aus. Am 3. Dezember schrieb Broder zudem eine E-Mail an den Vorsitzenden des Aachener Friedenspreises e.V., Otmar Steinbicker (Foto unten):
Sehr geehrter Herr Steinbicker,

Sie haben im Jahre 2003 „Dr. Reuven Moskowitz“ mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Vermutlich haben Sie zu dieser Zeit nicht gewusst, dass „Dr. Moskowitz“ keine Dissertation geschrieben hat und niemals zu einem Dr. promoviert wurde, nicht einmal zu einem h.c. Seine nicht vorhandene Doktorarbeit wurde sogar in der Laudatio von Andreas Zumach gewürdigt. Die Details dieser Affäre finden Sie hier. Es wäre sehr nett, wenn Sie mir mitteilen würden, welche Konsequenzen Sie aus dem Umstand zu ziehen gedenken, dass Reuven Moskowitz einen Doktortitel führt, den er nicht erworben hat. Mein Anwalt wird in den nächsten Tagen Strafantrag gegen Moskovitz stellen, wg. Verstoßes gegen den § 132a des StGB.

Mit vielen Grüßen aus Tel Aviv
Henryk M. Broder
Als er nach drei Tagen noch immer keine Reaktion erhalten hatte, hakte Broder nach:
Sehr geehrter Herr Steinbücker,

ich habe Sie bereits vor einigen Tagen angemailt und Sie gefragt, wie Sie sich zu verhalten gedenken, nachdem einer Ihrer Preisträger als Titelbetrüger entlarvt wurde: „Dr. Reuven Moskovitz“. Vermutlich sind Sie noch damit beschäftigt, den Doktortitel aus der Urkunde zu kratzen. Sobald Sie damit fertig sind, würde ich gerne von Ihnen hören. Falls Sie freilich glauben, diese Peinlichkeit aussitzen zu können, würde ich Ihnen davon abraten.

Mit vielen Grüßen aus Sderot
Henryk M. Broder
Einen Tag später war es dann schließlich doch noch so weit:
Sehr geehrter Herr Broder,

entschuldigen Sie, dass meine Antwort ein wenig gedauert hat, aber es war notwendig, den Vorgang sauber zu recherchieren. Da ich erst seit November 2003 das Amt des Vorsitzenden ausübe und vorher auch nicht dem Vorstand des Aachener Friedenspreis e.V. angehörte, war ich über Details der damaligen Preisvergabe nicht informiert.

Richtig ist, dass Reuven Moskovitz nicht promoviert hat. Er hat solches auch zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Aachener Friedenspreis e.V. behauptet. Die Titulierung als Dr. Reuven Moskovitz geschah durch den Aachener Friedenspreis e.V. irrtümlich und ohne Wissen oder Zutun von Reuven Moskovitz. Diejenige Person, die damals Reuven Moskovitz für den Preis nominiert hatte, hatte irrtümlich den Doktortitel auf den Nominierungsvorschlag gesetzt. Diese Angabe wurde damals vom Vorstand des Aachener Friedenspreis e.V. nicht überprüft, da ein solcher Titel keinerlei Auswirkungen auf die Preisvergabe hatte.

Reuven Moskovitz bekam den Aachener Friedenspreis für seine Friedensarbeit in Israel (v.a. für seine Mitwirkung bei der Gründung des Friedensdorfes Neve Shalom), nicht für eine wissenschaftliche Arbeit. Selbstverständlich haben wir die falsche Titelangabe aus unseren Veröffentlichungen im Internet gelöscht. Für Ihre Behauptung, bei Reuven Moskovitz handele es sich um einen Titelbetrüger, gibt es aus Sicht des Aachener Friedenspreis e.V. keinerlei Hinweise. Sie ist vermutlich genauso falsch wie Ihre Wiedergabe der Laudatio von Andreas Zumach oder Ihre Schreibweise meines Namens.

Mit freundlichen Grüßen
Otmar Steinbicker
Vorsitzender des Aachener Friedenspreis e.V.
Saubere Recherche? Alles nur ein Irrtum? Keine Hinweise? Wohl kaum:
Sehr geehrter Herr Steinbicker,

ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich die Zeit und die Muße genommen haben, den Vorgang „Dr. Moskovitz“ sauber zu recherchieren. Noch schöner wäre es freilich gewesen, wenn Ihr Vorgänger das gemacht hätte, bevor der „Aachener Friedenspreis“ an einen Hochstapler verliehen wird, der sich sogar für eine „Studienreise nach Rumänien“ mit einem selbst verliehenen Doktortitel anmeldet. Haben Sie bei Ihrer Recherche auch herausgefunden, wie heftig und ausdauernd „Dr. Moskovitz“ gegen seine Ernennung zum Dr. phil. protestiert hat? Oder vollzog sich die Preisverleihung in einer solchen Eile, dass er gar nicht dazu gekommen ist? Hat Sie dieser Aufschneider wenigstens hinterher gebeten, das Missverständnis auszuräumen?

Sie sollten auf Ihrer Website vermerken, dass Sie die Löschung des falschen Doktortitels erst nach einem Hinweis von mir und nicht aufgrund einer „sauberen“ Recherche Ihrerseits vorgenommen haben. Und das nach nur vier Jahren. Es ist auch sehr tröstlich, dass „Dr. Moskovitz“ von Ihnen für seine „Friedensarbeit in Israel“ und „nicht für eine wissenschaftliche Arbeit“ ausgezeichnet wurde. Sie hätten sehr lange, sehr tief und sehr vergeblich graben müssen, um auch nur einen Dreizeiler von „Dr. Moskovitz“ zu finden, der die Bezeichnung „wissenschaftlich“ verdienen würde.

Ihre Feststellung, ich hätte die Laudatio von Andreas Zumach falsch zitiert, kann ich mir nur mit derselben Wahrnehmungsstörung erklären, die Sie dazu veranlasst, einem Titelbetrüger ein Alibi zu geben. Dafür, dass ich Ihren Namen lautmalerisch verbessert habe, bitte ich um Nachsicht. Immerhin habe ich es mir verkniffen, Sie zum „Dr.“ des Aachener Genitivs zu ernennen. Als „Vorsitzender des Aachener Friedenspreis“ hätten Sie es verdient.

Henryk M. Broder, Jaffo
Vorsitzender des Vereins „Rettet dem Dativ“
Möglicherweise haben die Aachener Friedensbepreiser aber einfach nur ihre eigenen Grundsätze besonders wörtlich genommen. Denn sie unterstützen die Geehrten moralisch, solidarisch und auch finanziell“, machen „ihr Werk bekannt“ (offenbar erst recht, wenn es gar nicht existiert) und haben „auch überregional, ja international, Aufmerksamkeit für sie wecken können“. Schließlich gehen die Preisträger „mit Mut und hohem Risiko engagiert gegen schreiende Ungerechtigkeit an“ und treten „von ‚unten her’ für Frieden ein“. Daher sind „3 Euro im Monat“ für Vereinsmitglieder ganz gewiss „nicht zu viel“. Davon kann sich Reuven Moskovitz zwar keinen Doktortitel kaufen. Aber das Preisgeld stellt immerhin eine Art Ausfallbürgschaft dar. Oder ein Risikokapital, von unten her sozusagen, für den Fall des Auffliegens.

5.12.07

Sag niemals NIE

Einmal angenommen, Sie haben einen Nachbarn, der Ihnen aus absoluter Besessenheit und reinstem Hass nichts als Tod und Verderben wünscht. Keine Gelegenheit lässt er aus, um Ihnen genau das in unschöner Regelmäßigkeit mitzuteilen, gerne auch in aller Öffentlichkeit. An der Ernsthaftigkeit seiner Äußerungen lässt er keinen Zweifel, und Gesprächsversuche sind ihm bloß ein Zeichen von Schwäche, denn er ist unnachgiebig und hat es auf nichts weniger als Ihre schiere Existenz abgesehen. Er ist überzeugter Choleriker, der seine Frau und seine Kinder peinigt und darüber hinaus die halbe Nachbarschaft terrorisiert. Regelmäßig besorgt er sich Nitroglycerin, wie Sie von anderen Nachbarn wissen. Natürlich nur wegen seiner angeblichen Angina Pectoris, versteht sich, zum Überleben also. Denn seine Drohungen meint er nach Ansicht Dritter eigentlich gar nicht ernst, obwohl er trotz aller Beschwichtigungsversuche täglich das Gegenteil verkündet und Sie deshalb den begründeten Verdacht hegen, dass er das Zeug nicht aus medizinischen Gründen herbeischafft, sondern um Sie damit eines nicht allzu fernen Tages inklusive Haus, Hof und Familie rückstandslos in die Luft jagen zu können.

So ähnlich verhält es sich mit dem Iran, der Israel bekanntlich gerne dem Erdboden gleichmachen würde, gleichwohl jedoch bestreitet, dass sein Atomprogramm in Wirklichkeit ein Atomwaffenprogramm ist. In Europa glaubt man ihm das auch nur zu gerne, doch in Israel und den USA hat man begründete Zweifel, dass die Mullahs die Kernenergie lediglich zu friedlichen Zwecken nutzen wollen. Und daran ändert auch der schlagzeilenträchtige Bericht der 16 US-Geheimdienste mit dem Titel National Intelligence Estimate: Iran – Nuclear Intentions and Capabilities (NIE) letztlich nichts, selbst wenn deutsche Medien nun feixen, dass „Bushs Kriegsrhetorik ins Zwielicht“ gerückt werde, die „Apokalypse abgesagt“ sei, es den „Abschied von Irans Bombe“ festzustellen gelte und summa summarum die Europäer mit ihrer Appeasement-Politik einen weltpolitischen Volltreffer gelandet hätten. Das Dossier kommt zwar „mit hoher Zuversicht“ zu der Einschätzung, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm 2003 ausgesetzt hat, und es nimmt „mit mäßiger (!) Zuversicht“ an, dass er es bis Mitte dieses Jahres nicht wieder aufgenommen hat. Aber die Expertise konstatiert auch ausdrücklich, dass die Mullahs weiter fleißig an ihrem Nuklearprogramm werkeln und es alles andere als ausgeschlossen ist, dass daraus die Atombombe resultiert, selbst wenn es bis dahin noch einige Jahre – die Rede ist von einem Zeitraum zwischen 2010 und 2015 – dauern kann.

Der Bericht enthält keine Gewissheiten, sondern schränkt seine Erkenntnisse nahezu durchweg mit Vokabeln wie „wahrscheinlich“, „vielleicht“ und „möglicherweise“ ein. Nichts Genaues weiß man also anscheinend nicht, und die Schlussfolgerung liegt mehr als nahe, dass die Geheimdienste nach dem Irak-Krieg vor allem nicht schon wieder für eine folgenreiche Lageeinschätzung verantwortlich gemacht werden wollen. Eine Legitimation für einen Militärschlag gegen den Iran stellt das Dokument daher zweifellos nicht dar, aber dass es eine Entwarnung gibt, wie in den westlichen Medien und der Politik überwiegend erklärt wird, lässt sich nach seiner Lektüre erst recht nicht behaupten. Teheran weigert sich nach wie vor, seine atomaren Ambitionen offen zu legen, und es verfolgt seine Vernichtungspläne gegenüber dem jüdischen Staat trotz aller Sanktionen weiter – eine Tatsache, die auch der NIE-Bericht nicht in Abrede stellt. In Israel fielen die Reaktionen auf ihn denn auch völlig anders aus als hierzulande: „Es gibt vieles, was man in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm tun kann, aber es ist wichtig zu erwähnen, dass Worte keine Raketen stoppen“, sagte beispielsweise Verteidigungsminister Ehud Barak. „Es muss Aktivitäten geben, in Form von Sanktionen und auf diplomatischer Ebene, aber genauso auf anderen Ebenen.“ Die Möglichkeit einer bewaffneten Intervention ist darin eingeschlossen, auch wenn es höchst unwahrscheinlich ist, dass es sie in nächster Zeit geben wird.

Das Weblog Wind in the Wires brachte die Konsequenzen aus dem NIE-Papier in einem lesenswerten Kommentar auf den Punkt: „Beängstigend ist die Situation allemal: Wenn man in den USA offiziell erklärt, dass es im Iran kein Atomwaffenprogramm gibt, nimmt man sich auch die Möglichkeit, militärisch einzugreifen. Deshalb freut man sich auch im Iran und im alten Europa so sehr über den amerikanischen Geheimdienstbericht. Die Hoffnung, dass US-Truppen dem iranischen Nuklearprogramm ein Ende bereiten, dürfte damit in weite Ferne gerückt sein. Offenbar wird dem Staat Israel im Ernstfall nichts anderes übrig bleiben, als diesen Job zu übernehmen.“ Doch der jüdische Staat, er ist in Old Europe eine quantité négligeable. Auch und vor allem das haben die Reaktionen auf NIE einmal mehr in deprimierender Deutlichkeit gezeigt.

Hattips: barbarashm, Urs Schmidlin

2.12.07

Der Doktor und die guten Deutschen

Ein erstaunliches Stück über den Felix Krull der israelischen Friedensbewegung, seine Rolle und Rezeption in Deutschland, den Verbleib seiner Promotionsschrift und das Zustandekommen akademischer Würden.


Henryk M. Broder

Doktorspiele eines rumänischen Patienten

Wer in Israel einen Doktortitel haben will, der muss sein Studium mit einer Dissertation abgeschlossen haben. Es gibt aber auch einige Ausnahmen, die nicht unter die Promotionsordnung fallen: „Doktor Foto“ und „Doktor Radio“ waren zwei Bastler, die jede Kamera und jedes Rundfunkgerät reparieren konnten, als solche Geräte noch zu den Luxusgütern zählten. „Doktor Schakschuka“ heißt ein nordafrikanisches Lokal in Jaffo, „Doktor Lek“ ist ein Eishersteller, der ein Dutzend Eisdielen im ganzen Land betreibt. Es gibt noch einen dritten Weg zum Doktortitel: nach Deutschland fahren, um dort den Nahostkonflikt an vorderster Front zu lösen. In einem solchen Fall entfallen alle Prüfungen; alles, was der Kandidat leisten muss, ist, dem deutschen Publikum das zu erzählen, was es von ihm hören möchte. Handelt es sich dazu noch um einen Holocaustüberlebenden, der für die Palästinenser Partei ergreift, ist seine politische und moralische Autorität von Anfang an garantiert.

Reuven Moskowitz, so steht es bei Wikipedia, „wurde 1928 im nordrumänischen Frumsiaca geboren“ und „mit elf Jahren ins Ghetto vertrieben“. 1947 wanderte er nach Palästina ein, wo er das „Friedensdorf Neve Shalom/Wahat al-Salam“ mitgründete. Etwas ausführlicher ist die Biografie, die man auf der Website SK Tours in Nature findet. Da heißt es u.a.: „After studying History and Hebrew Culture at the University at Tel Aviv and the Hebrew University at Jerusalem, he was a history teacher for many years. With his work on the subject ‚Germans and Jews between the power of spirit and the powerlessness of violence’ he received his doctorate in History in Berlin in 1974.” In einem Interview mit der jungen Welt gab er weitere Details aus seiner Studienzeit preis: „Übrigens war ich einer der letzten Schüler des Philosophen Martin Buber, der gar nichts anderes gesagt hat als ich.“

In einem Gespräch mit dem Schweizer Online-Magazin Zeit-Fragen sagte „Dr. Reuven Moskowitz“ den programmatischen Satz „Eine Welt, die duldet, was Israel im Nahen Osten macht, ist keine zivilisierte Welt“ und forderte Europa auf, „Israel in die Schranken“ zu weisen. Bei der Eröffnung der „Nahostwoche“ in Gummersbach im November 2005 hielt „Dr. Reuven Moskowitz“ die Festrede. Am Berufskolleg des Bistums Münster sprach „Dr. Reuven Moskowitz“ über das Thema „Die Gedanken sind frei“; am Studienseminar für Gymnasien des Landes Hessen in Darmstadt referierte „Dr. Reuven Moskowitz“ über „Israel und Palästina – ohne Gerechtigkeit kein Frieden“. In der Ankündigung hieß es: „Hat Israel das Recht, durch Gewalt und Besatzung die Freiheit und das Recht auf Leben und Besitz seiner Nachbarn zu verweigern? Dr. Reuven Moskovitz, Überlebender des Holocaust und Friedensaktivist aus Israel, schildert authentisch und aus nächster Nähe die Situation des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten.“

Er nahm als „Dr. Reuven Moskowitz“ an einer Studienfahrt der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft von Berlin nach Bukarest, Kronstadt und Temesvar teil. Die evangelische Jakobusgemeinde Münster und die Projektgruppe Freundschaft Birzeit-Münster e.V. luden „Dr. Reuven Moskovitz“ zu einem Vortrag ins Gemeindehaus ein. Im Jahre 2003 wurde „Dr. Reuven Moskowitz“ sogar der Aachener Friedenspreis verliehen. Die Laudatio auf ihn hielt der Journalist Andreas Zumach, seinerseits altgedienter Friedensaktivist und Korrespondent der taz bei den Vereinten Nationen in Genf. Moskovitz’ Doktorarbeit zum Thema „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“ , so Zumach, sei auch nach 30 Jahren „mindestens so aktuell“ wie 1974. Zumach tat, was er am besten kann: Er simulierte die Kenntnis des Gegenstands, über den er sprach. Moskovitz bedankte sich mit einer Rede, in der er von „Verzweiflungstaten palästinensischer Jugendlicher und Fanatiker“ sprach, die zwar nicht zu rechtfertigen, aber doch zu verstehen seien, als Folge der „Empörung und Hoffnungslosigkeit“, für die Israel die Schuld trage.

Das Münchner Friedensbündnis bat ihn zu einem Vortrag über „Die Gewalt im Gaza-Streifen. Wege zu einer Lösung“ in den Pfarrsaal von St. Ignatius, und mit den Worten „Er widmet seit mehr als 50 Jahren sein Leben der jüdisch palästinensischen Aussöhnung, aber auch der deutsch-israelischen Versöhnung und dem Frieden“ kündigte Pax Christi einen Auftritt des „Juden und charismatischen Israeli“ in Freiburg an. Missio Aachen holte den „promovierten Historiker“ Reuven Moskowitz („bekannt für seine pointierten, unbequemen Gedanken, die nur manchmal von namhaften Zeitungen zitiert werden“) im Rahmen der „Kampagne zum Monat der Weltmission“ in die Erzdiözese Paderborn und in die Diözese Aachen. Im Deutschlandfunk kommentierte „der israelische Friedensaktivist Reuven Moskovitz“ den letzten Libanonkrieg und zog Parallelen zur Politik der Nazis in Europa: „Weil die Denkstrukturen sind dieselben.“ Das tat „der israelische Historiker und Friedensaktivist Dr. Reuven Moskowitz“ auch im WDR, wobei es sich der „unermüdliche Warner vor der Gefahr des eskalierenden Terrors und Gegenterrors im Nahen Osten“ nicht nehmen ließ, am Ende des Gesprächs auf seiner Mundharmonika ein „jiddisches Ghettolied“ zu spielen.

Am Hoffmann-von-Fallersleben-Gymnasium in Braunschweig äußerte „Dr. Moskovitz“ als „Zeitzeuge der NS-Zeit“ vor Schülern der Klassen 10 bis 12 die Ansicht, „dass er eine friedliche Lösung in jedem Fall bevorzuge“, da er sich dem jüdischen Sprichwort „Ein Held ist, wer seinen Feind zum Freund macht“ verpflichtet fühle. „Die Veranstaltung wurde organisiert und ermöglicht vom Deutschen Gewerkschaftsbund – DGB-Region SüdOstNiedersachsen.“ Zuletzt trat „Dr. Reuven Moskovitz, Friedensaktivist aus Jerusalem“ am 16. November im Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg auf, wo er zusammen mit einer Partnerin („Frieden – einmal anders“) jiddische Texte und Lieder zum Besten gab.

Natürlich ist es denkbar, dass es nicht einen, sondern zwei oder gar drei „Reuven“ gibt, die gleichzeitig durch die Bundesrepublik touren, Schulen, Erwachsenenbildungsstätten, evangelische und katholische Einrichtungen, autonome Jugendzentren und Friedensfeste besuchen, um die täglich wachsende deutsche Obsession mit „Palästina“ zu bedienen. Es handelt sich um eine Wachstumsindustrie, der schon etliche Trittbrettfahrer des Zeitgeistes (zum Beispiel „Die Tochter“) ein paar aufregende Minuten im Fahrtwind der Geschichte verdanken. Es gibt aber keinen „Dr. Reuven Moskowitz“, weder in Israel noch in der Bundesrepublik. An keiner deutschen oder israelischen Universität ist eine Promotion über das Thema „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“ gelistet. Sie existiert nur in der Vorstellungswelt des „Friedensaktivisten aus Jerusalem“, der lange nicht mehr auf einer Friedensdemo in Israel gesehen wurde, weil er inzwischen mehr Zeit in der deutschen Etappe als an der israelisch-palästinensischen Front verbringt. Ruft man bei ihm zu Hause in Jerusalem an, sagt seine Frau: „Mein Mann ist geschäftlich unterwegs“, womit sie zweifellos die Wahrheit sagt.

Der Felix Krull der israelischen Friedensbewegung kann zwar keinen Gedanken in klare Worte fassen und keine zwei Sätze fehlerfrei formulieren, aber er weiß, wie man sich als „Kritiker der israelischen Politik“ vermarktet. In einem Land, in dem „Holocaustüberlebende“ noch mehr als tote Juden geliebt werden (weil es so schlimm nicht gewesen sein kann, wenn doch ein paar davongekommen sind) und jeder bekloppte Rentner, der früher „Juda verrecke!“ gebrüllt hätte, eine Spontanerektion bekommt, wenn von „zionistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geredet wird. „Dr. Reuven Moskovitz“ ist ein Aufschneider, ein Hochstapler und ein Impersonator, der jeden alten Rumänenwitz („Entschuldigen Sie bitte, haben Sie heute schon ein Bad genommen?“ – „Wieso, fehlt eins?“) zu einem subtilen Genuss erhebt.

Unser Kollege und Welt-Korrespondent Norbert Jessen aus Tel Aviv, der zurzeit Material über den Wandel in den deutsch-israelischen Beziehungen sammelt und dazu Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren auswertet, hat „Dr. Reuven Moskovitz“ am Samstag in Berlin angerufen. Hier das Protokoll der Unterhaltung:

„Hannah Arendt und ich“

Ein Telefonat von Norbert Jessen mit Reuven Moskovitz


Norbert Jessen: Schalom, angesichts der neu aufkommenden Debatte um die Entschädigungen versuche ich, mich über die Entwicklung der deutsch-israelischen und deutsch-jüdischen Beziehungen kundig zu machen, und suche daher alle akademischen Arbeiten zum Thema. Vom Internet her kenne ich den Titel „Deutsche und Juden zwischen der Macht des Geistes und der Ohnmacht der Gewalt“, konnte die Dissertation aber nicht in den israelischen Universitätsbibliotheken finden. Könnten Sie mir da vielleicht direkt helfen?

Reuven Moskovitz: Das ist so eine Sache. Zunächst einmal hat es da einen Einbruch in mein Arbeitszimmer gegeben. Ich möchte Ihnen eines sagen, damit Sie das besser verstehen, und um Missverständnisse zu vermeiden: Ich glaube nicht, dass die Welt ein Interesse daran haben könnte, meine Worte zu veröffentlichen, da ich ja zu dem „so genannten“ linken Flügel der politischen Szene in Israel gehöre.

Jessen: Ich suche das zu meiner eigenen Information und Weiterbildung.

Moskovitz: Öh, ah, sind Sie denn Israeli oder Korrespondent?

Jessen: Korrespondent, ich spreche aber fließend Hebräisch.

Moskovitz: Ich habe da ja etwas auf Deutsch geschrieben, denn in Israel ist meine politische Ausrichtung vielleicht aussichtslos. Ich gehöre zu den Befürwortern der Zweistaatenlösung, und doch halte ich viel von Martin Buber, der ja die Einstaatenlösung vertrat, dabei aber vielleicht doch ein größerer Realist war als viele andere. Ich weiß nicht, wie weit Sie mir da zustimmen. Ich bin ja auch zufrieden damit, dass wir einen eigenen Staat haben, nur dass nach 60 Jahren alles eine Entwicklung genommen hat, in eine faschistische Richtung, gegen die ich vorgehen möchte, darüber könnten Sie mich ja, falls Interesse besteht, mal interviewen.

Jessen: Vielleicht aber erst mal einfach Ihre Arbeit. Ich bin an der Entwicklung des gegenseitigen Spiegelbildes von Deutschen und Israelis im Laufe der Jahrzehnte interessiert, angefangen von den fünfziger Jahren bis heute...

Moskovitz: Also, die fünfziger Jahre, das liegt weiter zurück als meine Arbeiten...

Jessen: Nicht nur die fünfziger Jahre, die Gesamtentwicklung bis heute...

Moskovitz: Also, meine Beziehungen mit Deutschland beginnen in den siebziger Jahren, mit Ende des Sechstagekrieges und vor allem mit dem Jom-Kippur-Krieg. Gehöre ich doch zu denen, die überzeugt sind, dass wir eine große Gelegenheit damals versäumt haben, indem wir den Sieg nicht zu irgendeinen Ziehhebel umfunktionierten in Richtung auf ein Abkommen hin. Mit unseren Nachbarstaaten und auch mit den Palästinensern. Ich rede jetzt nicht von allen möglichen Doktrinen seinerzeit, sondern darüber, dass der Sieg tatsächlich so etwas wie eine Gelegenheit bot. Aber seit dem Jom-Kippur-Krieg bin ich einfach sehr besorgt, weil mir die Problematik aufging zwischen unserer politischen Existenz und den Entwicklungen, wie sie im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg verliefen. Meine Arbeit schrieb ich in den Siebzigern, das war nach dem Jom-Kippur-Krieg, da kam ich 1974 das erste Mal nach Deutschland...

Jessen: Haben Sie das denn in Deutschland geschrieben? Ich habe hier in Israel gesucht...

Moskovitz: ...geschrieben hab ich aber auf Hebräisch, nicht auf Deutsch...

Jessen: Macht nichts, ich lese Hebräisch, deshalb suchte ich ja auch hier Ihre Arbeit. An welcher Universität in Deutschland haben Sie denn Ihre Arbeit geschrieben?

Moskovitz: Ich habe an der Freien Universität gearbeitet und unter der Anleitung von, ich weiß nicht, ob Sie den kennen? Professor Grab...

Jessen: Avraham?

Moskovitz: Grab!

Jessen: Professor Walter Grab? Bei dem habe ich doch auch studiert, aber hier in Tel Aviv, der war doch Historiker an der Uni Tel Aviv.

Moskovitz: Das ist eine sehr verzwickte Sache, und es ist auch so, dass Professor Grab schon nicht mehr unter den Lebenden weilt und der Titel der Arbeit sehr politisch ist. In Israel wurde mir beschieden... (undeutlich: „Vorwarnungen“), und da besteht die Gefahr, dass es in Israel zu sehr faschistischen Entwicklungen kommen kann, da müssen Sie mir ja nicht zustimmen, obwohl ich glaube, dass dies gerade geschieht.

Jessen: Davon ist ja nicht nur heute die Rede, sondern das ist eine Dimension, die seit der Staatsgründung viele sehen...

Moskovitz: Ich sehe, Sie verstehen etwas davon. Der Einfluss deutschen Denkens auf die ersten Zionsten, auch auf Bialik, wenn Sie mich fragen, ist immens. Über diese Periode können Sie mich mal interviewen.

Jessen: Dann muss ich also an der FU suchen, das habe ich ja nicht ahnen können...

Moskovitz: Wie ich schon sagte, das ist nicht so einfach, ich schrieb das doch auf Hebräisch...

Jessen: Okay, ich lese das auch auf Hebräisch...

Moskovitz: ... das Problem aber ist, dass ich nicht so ordentlich bin, und deshalb habe ich keine Kopien angelegt, und ich habe doch bei Dr. Grab gearbeitet.

Jessen: War der denn an der FU?

Moskovitz: Er war, er gab dort Gastvorlesungen und (undeutlich) ich gebe zu, dass ich seinerzeit noch kein Deutsch sprach.

Jessen: Ist doch ganz ohne Belang, ich möchte doch nur wissen, wo ich die Arbeit finden kann...

Moskovitz: Das kann ich Ihnen sagen... Die finden Sie nicht. Das ist es ja, vor ein, zwei Jahren dieser Einbruch, ich will jetzt keine Vermutungen anstellen, aber es ist sehr interessant, da wurde eigentlich nichts gestohlen.

Jessen: Das war bei Ihnen zu Hause, aber es gibt doch Kopien an der Uni...

Moskovitz: Nein, nein, nein, da müssen wir erst gar nicht drüber reden, das war seinerzeit sehr problematisch, schon die These...

Jessen: Das hab ich verstanden, die steht stark unter dem Einfluss Martin Bubers, daher habe ich mir schon überlegt, wer als Doktorvater einen solchen Titel annehmen könnte, aber Dr. Grab, das könnte ja schon sein...

Moskovitz: Ich habe Buber seinerzeit noch gehört, aber das wirklich schon in seinen letzten Tagen...

Jessen: ...aber Grab, das könnte sein...

Moskovitz: ...richtig, schon richtig, aber... Hören Sie, Sie verwickeln sich hier in Probleme, und das verwickelt mich auch. Denn in Israel hätten sie auch dann diesen Titel als zu politisch statt wissenschaftlicher These abgetan. Andererseits habe ich alles, was ich gesammelt habe, also das Material so von verschiedenen Richtungen, angelegt, mit Reden aus dem Dritten Reich, den Tendenzen in den Burschenschaften, Wandervogel, Turnverband usw. Ja, wenn ich das dann verglich mit Reden aus der Zeit des Sechstagekrieges in unserer Knesset zum Beispiel, die Ähnlichkeit war einfach erschreckend, aber das ändert ja alles nichts...

Jessen: ...genau das aber ist doch interessant. Wo finde ich die Arbeit?

Moskovitz: Das ist ja das Problem, da gab es diesen Einbruch in meine Abstellkammer, also eigentlich mein Arbeitszimmer, ich finde sie selbst nicht mehr...

Jessen: ...aber Sie haben die Arbeit doch einer Uni vorgelegt...

Moskovitz: ...eben nicht. Das ist ja das Interessante. Professor Grab kränkelte damals schon, darum bat ich um ein Stipendium auch in Deutschland. Das war damals schon sehr spät, ich weiß nicht, haben sie von Professor Gollwitz [sic!] gehört? Der schaffte es damals, mir etwas zu beschaffen, und nahm sich Zeit für mich, eigentlich, die Arbeit habe ich geschrieben, aber mit der Vorlage, das war so was, Professor Grab wurde krank und weilt nicht mehr unter den Lebenden...

Jessen: ...schon seit einiger Zeit nicht mehr.

Moskovitz: Die Sache ist ja eigentlich die, dass ich an die Sache nicht von einem wissenschaftlichen Ansatz herangehe, sondern mehr aus einer politischen Besorgnis heraus... Die Wahrheit ist ja auch, dass ich Illusionen nachhing (undeutlich)...

Jessen: ...geschrieben haben Sie aber grundsätzlich als Historiker, habe ich das richtig verstanden? Die These geht ja eher in eine philosophische Richtung...

Moskovitz: ...schon wahr, aber dann habe ich eingesehen, dass das keine Aussichten hat. Ich musste auch Arbeit suchen und habe deshalb an einem Gymnasium als Lehrer gearbeitet. In Israel gab es keine andere Möglichkeit, auch nicht in Deutschland... Wie auch Hannah Arendt ja immer irgendwie hoffte, in Israel Erfolg zu haben, sie hat ja schon gesehen, sie schrieb darüber, und als ich mit meiner Idee begann, da war ich mir schon ihrer Sorgen bewusst zu all den politischen Umstürzen und der Lage, in der wir uns heute befinden. Also, wenn Sie meine Dissertation suchen, die ich schrieb, werden Sie sie nicht finden können. Also, öh, es ist wahr, dass Dr. Grab eine Tochter in Deutschland hat, bei ihr war er meistens zu Gast in Deutschland. Was also sein könnte, dass sich bei ihr noch seine Kopie findet, aber wie gesagt, ich schrieb sie ja auf Hebräisch (undeutlich)...

Jessen: Ich war eben deswegen sicher, dass die Dissertation sich in Israel befinden muss, aber wie kommt es dann eigentlich, dass sie sich auf allen möglichen Webseiten als Dr. Reuven Moskovitz wiederfinden? Zum Beispiel beim Aachener Friedenspreis...

Moskovitz: Das ist es ja, die Deutschen, sie können sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch, der denkt und schreibt, kein Professor ist, öh, da habe ich wirklich ein Problem mit ihnen. Da habe ich eine Geschichte für Sie, wenn ich hier so in Universitäten komme, dann sagen die mir: Hören Sie mal, wir stellen Sie als Doktor vor. Und dann sage ich denen: Hören Sie mal, ich bin nicht Doktor und nicht Professor, ich arbeite an meinen Forschungen, und das ist es, aber da kommt man dann einfach nicht mehr raus... Jetzt bin ich ja nicht mal in Israel.

Jessen: Schade, was Sie so über die Arbeit erzählt haben, hört sich ja wirklich interessant an.

Moskovitz: ...tut mir leid... (undeutlich) Ich hätte Sie Ihnen gerne zu lesen gegeben... (undeutlich) Ich bin ja kein Anhänger der Zweistaatentheorie, ich weiß nicht, ob Sie mir da zustimmen. Ich glaube, wir müssen jetzt erst mal die Vorteile der Zweistaatenlösung ausnutzen für die absehbare Zukunft. Aber bis die europäische Einheitsidee auf den Nahen Osten übergreift, wird noch einige Zeit verstreichen. Jetzt gilt es erst mal, das Abrutschen in den Apartheidstaat zu verhindern, darüber müssen wir nachdenken...

Jessen: Das werden wohl wir beide nicht mehr erleben. Was machen Sie jetzt eigentlich in Berlin? Sind Sie wieder an der FU?

Moskovitz: Ich werde eingeladen von verschiedenen Akademien, Volkshochschulen u.ä.

Jessen: Dann mache ich hier mal weiter mit meinem Schabbat...

Moskovitz: Ja, dann: Schabbat Schalom!