30.5.07

Kinderprogramm

Parteiprogramme, so heißt es nicht nur im Sozialkundeunterricht und in der Politikwissenschaft, seien im Grunde genommen nichts weiter als idealtypische Absichtserklärungen, die nicht wörtlich genommen werden dürften. Schließlich gelte es in einem demokratisch verfassten Staatswesen, Kompromisse zu schließen, also von Maximalforderungen abzurücken. Ergo wurde diese Schablone auch nach dem Wahlsieg der Hamas zu Beginn des vergangenen Jahres vielfach angelegt; allein: Sie wollte und will einfach nicht passen. Denn die Gotteskrieger denken selbstverständlich gar nicht daran, von den in ihrer Charta niedergeschriebenen Zielen auch nur ein Jota abzurücken. Und das ist alles, nur keine Überraschung: Alleiniger Sinn und Zweck der Hamas ist die Vernichtung Israels und die Beihilfe zum weltumspannenden Sieg des Islam. Daher sind die Aufforderungen europäischer Politiker an die Terrorbande, den jüdischen Staat doch endlich anzuerkennen, so sinnlos wie weltfremd.

Denn die Hamas demonstriert täglich in Wort und Tat, dass ihr Programm nicht bloß unverbindliche Leitlinien enthält; ihre Protagonisten bekräftigen den Wortlaut der Parteiprogramms ein ums andere Mal. „Die seherische Grundlage ist die Botschaft des Propheten Muhammad, dass der Islam in jedes Haus Eingang finden und auf der ganzen Welt verbreitet sein wird“, unterstrich beispielsweise der Hamas-Führer Mahmud Al-Zahar Ende März neuerlich den islamischen Weltherrschaftsanspruch, und Ahmed Bahar, der Sprecher des palästinensischen Legislativrates, führte aus: „Das ist der Islam, der bezüglich der Behandlung der Gefangenen und der Menschenrechte vor seiner Zeit war, doch unser Volk wurde befallen von einem krebsartigen Geschwür, das sind die Juden, im Herzen der arabischen Nation. Mache uns siegreich über die Ungläubigen. Allah, ergreife die Juden und ihre Verbündeten, Allah, ergreife die Amerikaner und ihre Verbündeten, zähle sie und töte sie bis zum letzten und lass nicht einmal einen einzigen am Leben.“

Ismail Radwan wiederum, ein Sprecher der Hamas, bestätigte, „dass seine Bewegung keine Existenz Israels auf einem Zentimeter palästinensischen Landes anerkennen wird“, und er machte deutlich: „Wir werden Palästina, ganz Palästina befreien. Palästina wird nicht durch Verhandlungen, Komitees und Entscheidungen befreit werden, es wird nur durch das Gewehr und durch ‚Al-Kassam’[-Raketen] befreit werden. Daher bereitet euch vor.“ Sein Kamerad Yussuf Al-Sharafi, Abgeordneter im Legislativrat, beschwor Mitte April in der Hamas-Zeitung Al-Risalah den Djihad, „um die Diebe der Besatzung“ aus der Welt zu schaffen, „die sich danach sehnen, das Blut unseres massakrierten Volkes zu trinken. Weil der jüdische Glaube weder Frieden noch Stabilität will, denn es ist ein Glaube der auf Mord gründet. ‚Ich töte, daher bin ich.’ Israel gründet nur auf Blut und Mord, um zu existieren, und es wird verschwinden, so Allahs Wille, durch Blut und Shahids [Märtyrer]“.

Da gibt es also nichts misszuverstehen, und dieses Vernichtungsprogramm bekommen schon die Kleinsten eingeimpft. Karl Pfeifer hat festgestellt, dass diese Einsicht manchen jedoch nach wie vor abgeht, obwohl die Propaganda der Hamas überall nachzulesen und an Deutlichkeit nicht zu überbieten ist.


Karl Pfeifer

Der Zynismus des Hannes Swoboda und die Realität der Hamas


Man muss entweder sehr naiv oder sehr zynisch sein, um zu der Ansicht zu gelangen, die Hamas lehne Gewalt ab. Da der Europaparlamentarier Hannes Swoboda wohl kaum als naiv eingeschätzt werden kann, muss Zynismus im Spiel gewesen sein, als er dem Kurier kürzlich erklärte: „Neben einer militärischen Antwort muss es aber auch eine Stärkung aller politischen Kräfte geben, die Gewalt ablehnen. Dazu gehört die palästinensische Regierung.“ Der Gipfel ist es schließlich, wenn dieser Kreiskyschüler, der am Staat Israel kein gutes Haar lässt, sich auch noch als Vertreter der Interessen des jüdischen Staates aufspielt, wenn er sagt, der „Zerfall“ der von der Hamas geführten Regierung sei „nicht im Interesse Israels“. Palestinian Media Watch (PMW) veröffentlichte unlängst ein Bulletin, das anschaulich zeigt, was die Hamas auf Arabisch propagiert, während sie europäischen Politikern auf Englisch erklärt, sie lehne Gewalt ab. Hier ist die Übersetzung dessen, was Itamar Marcus und Barbara Crook für PMW berichteten.
Palästinensische Werbekampagnen für den Märtyrertod von Kindern

Am vergangenen Sonntag strahlte das Hamas-Fernsehen ein neues Video aus, das die Erziehung von Kindern zu Selbstmordattentätern propagiert. Hamas-TV setzt die an Kinder gerichtete Werbekampagne für das Märtyrertum (Shahada) damit fort. Der neue Videoclip verfolgt das Heranwachsen eines palästinensischen Jungen, bis er zum Shahid der Hamas, ein Märtyrer für Allah also, wird. Das Video zeigt, wie der Junge in die Moschee geht, dort betet und aus dem Koran liest, um dann ein automatisches Gewehr zusammen mit dem Koran zu halten, so, wie er sich seine Zukunft in der Beteiligung an Gewaltakten vorstellt. [Zum Video]

Das Kind reift dann zu einem Hamas-Kämpfer heran, der im Kampf gegen Israel gezeigt wird, um schließlich als Shahid zu sterben, während ein Chor singt: „Das reine Blut wird Ruhm und Ehre hervorbringen.“ Dieses Video leitet palästinensische Kinder zur Shahada an, indem es einen sieben Jahre alten Musik-Videoclip wiederholt, in dem es heißt, das Märtyrertum werde von Kindern erwartet. „Ruhm und Ehre“ und „Shahada ist süß“, lauten einige dieser Botschaften, die von Hamas-TV und vom Fernsehsender der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA-TV), der von der Fatah kontrolliert wird, speziell auf Kinder zugeschnitten werden.

Doch auch Schulbücher der Autonomiebehörde werben bei den Kleinen für den Shahada-Tod. Ein Beispiel: „Oh Helden... Redet euch nicht die Flucht ein. Eure Feinde begehren das Leben, während ihr den Tod begehrt. Diese Bluttropfen, die aus euren Körpern fließen, werden morgen in flammende rote Meteoren umgewandelt, die auf den Kopf eurer Feinde fallen werden.“ (Lesebuch und Texte Teil II, 8. Klasse, Seite 16, 2002) Es folgt ein Auszug aus dem neuen Clip von Hamas-TV: [Zum Video]

Wir sind gekommen!
Maschinengewehr und Koran in unseren Händen.
[man sieht ein Kind, das eine Maschinenpistole und den Koran hält]
Wir sind gewachsen und damit auch das Recht
in den Augen der unrecht Behandelten.
[man sieht ein Kind, das zum Erwachsenen wird und Israel angreift]
Wir haben geschworen, das Land wiederzuerlangen,
das reine Blut wird produzieren
Ruhm und Ehre.
[man sieht das Kind, das nun erwachsen ist und als Shahid erschossen wird]

Überblick über die Geschichte der Werbekampagnen für die Shahada von Kindern

Shahada für Kinder ist eine wiederkehrende Botschaft sowohl des von der Fatah kontrollierten PA-Fernsehens als auch von Hamas-TV.

1. Hamas-TV strahlte von März bis Mai 2007 regelmäßig die Geschichte der vierjährigen Tochter der Selbstmordattentäterin Reem Riyashi aus, die ihre tote Mutter besingt und gelobt, in ihre Fußstapfen zu treten. Das Video endet mit dem Bild, wie das kleine Mädchen Sprengstoff aus der Schublade seiner Mutter nimmt. [Zum Video]

2. Ein anderes Video der Hamas, das für die Teilnahme von Kindern am Terror wirbt, stellt Ahmed Yassin in den Mittelpunkt, den Begründer der Hamas und religiösen Führer, der von Israel getötet wurde. Das Video porträtiert junge Kinder als die Fortsetzung von Yassins Vermächtnis. Diese Kinder werden in Uniform gezeigt; sie halten Gewehre und nehmen an militärischem Training teil. Das Video betont die Verbindung zu Yassin: „Obwohl sie unseren [Ahmed] Yassin getötet haben, werden im Land Tausende Ahmeds wachsen.“ [Zum Video]

3. In einem anderen Video, das im PA-Fernsehen in den Jahren 2001 bis 2004 mehrere hundert Male ausgestrahlt wurde, hinterlässt ein Junge einen Abschiedsbrief an seine Eltern und macht sich zur Shahada auf, den Tod als etwas „Süßes“ beschreibend. Dieser PA-Clip soll die natürliche Angst eines Kindes vor dem Tod kompensieren, indem es die Shahada als heroisch und ruhig ausmalt. [Zum Video]

4. Zwischen 2000 und 2003 strahlte PA-TV Musikvideos aus, die das herrliche Shahid-Paradies von Mohammed Al-Dura bebildern, der im Kreuzfeuer starb. Es wird gezeigt, wie der Kinderschauspieler einen Drachen fliegen lässt, sich am Meeresstrand tummelt und sogar in einem Vergnügungspark. Das Video beginnt mit einer Einladung von Al-Dura an andere Kinder, nach der Shahada zu streben: „Ich winke euch nicht zum Abschied, sondern um euch zu sagen: ‚Folgt mir’.“ Dieses Video, das Kinder anweist, Al-Dura als Märtyrer ins Paradies zu folgen, wurde im Juni 2006 gesendet, als israelische Truppen sich nach der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit an der Grenze zum Gazastreifen versammelten. [Zum Video]

5. Das Ergebnis einer solchen virulenten Propaganda ist offensichtlich, wenn man ein Interview des PA-Fernsehens mit zwei elfjährigen Mädchen hört, die über die Shahada sprechen und sie als vorrangiges Ideal und persönliches Ziel beschreiben. Sie erklären, dass „alle palästinensische Kinder“ die Shahada für lohnender als das Leben halten, wegen des versprochenen großartigen Lebens nach dem Tod. [Zum Video]

Mythenspirale

Diese Meldung sucht man in den deutschen Medien bislang vergeblich: „Trotz der Kassam-Raketen hält in [der israelischen Stadt] Sderot das Leben allmählich wieder Einzug. Ein stetiger Strom von Bewohnern kehrte aus dem Wochenende zurück, das viele außerhalb der Kassam-Zone verbracht hatten. Zum ersten Mal seit einer Woche war die Innenstadt wieder mit Verkehr und Fußgängern gefüllt. Aber nur 161 von 900 in Kindergärten und Krippen registrierte Kinder gingen in ihre Klassen. Sie versammelten sich in Sicherheits- und Bombenschutzräumen, weil 15 bis 20 Sekunden nicht ausreichen, um sie an einen sicheren Ort zu bringen, wenn die Alarmsirenen heulen.“ Seit Jahren schon steht der westliche Negev unter ständigem Beschuss aus dem Gazastreifen; vor allem für die Bewohner von Sderot ist die ständige Gefahr, von palästinensischen Raketen getroffen zu werden, Alltag. Alleine 250 dieser Geschosse wurden in den letzten zwei Wochen gezählt. Am Montag letzter Woche traf eine Kassam die 32-jährige Shirel Friedman tödlich; am vergangenen Sonntag starb Oshri Oz (35), als eine Rakete direkt neben seinem Auto einschlug.

Doch hierzulande liest man vor allem Desinformationen wie diese: Israel und die radikal-islamische Hamas haben über die Pfingsttage ihren militärischen Schlagabtausch mit gegenseitigen Luft- und Raketenangriffen fortgesetzt.“ Es sind Vokabeln wie „Schlagabtausch“ und „gegenseitige Angriffe“, mit denen einmal mehr die Mär von der Gewaltspirale erzählt wird, an der Israelis wie Palästinenser gleichermaßen schuld seien. Dass letztere zum ungezählten Male einen Waffenstillstand brachen, findet keine Erwähnung. Bisweilen wird zwar eingeräumt, dass Israel auf den Beschuss durch Kassam-Raketen reagiere. Doch diese Reaktion unmissverständlich als das zu bezeichnen, was sie ist – eine legitime und notwendige Verteidigungsmaßnahme gegen eine antisemitische Mordbande nämlich –, steht selbstverständlich nicht zur Debatte. Die vermeintliche Äquidistanz kaschiert ohnehin bestenfalls notdürftig die Parteinahme gegen den jüdischen Staat, und oft genug wird gleich offen Front gemacht.

Philipp Heimberger, Autor des österreichischen Weblogs Zur Politik, resümiert daher im folgenden Gastkommentar für Lizas Welt: „Mit welcher Nonchalance man in unseren Breitengraden nicht nur über die mörderische Ankündigung der unwiderruflichen Zerstörung des Staates Israel hinwegsieht, sondern es sogar versteht, die Vernichtungspropaganda mithilfe einer ausgeklügelten Methodik zur Vertauschung von Tätern und Opfern zu rechtfertigen, ist angesichts der damit einhergehenden Inexistenz jeglicher der Realität verpflichteter moralischer Standards nachgerade beeindruckend.“ Die Hamas müsse sich noch nicht einmal bemühen, ihren Terror zu rechtfertigen; dieses Geschäft besorge schon der europäische Antizionismus. Die Gotteskrieger könnten sich daher sicher sein, „dass man ihnen auch zukünftige Aufkündigungen etwaiger Waffenruhen freundlich nachsehen wird“. Denn: „Wen interessiert es schon, dass die ‚Gewaltspirale’ im Nahen Osten stets durch den innerpalästinensischen Krieg befeuert und durch den heimtückischen Terror gegen Israel perpetuiert wird, also gar keine Spirale ist?“


Philipp Heimberger

Achtung, Rückendeckung!


Es ist ein offenes Geheimnis, dass der gesellschaftliche Mainstream hierzulande vielfach keine Mühen und Anstrengungen scheut, um die Realität zu verdrehen. Dass der Staat Israel seit seiner Gründung in seiner Existenz bedroht wird, ist so eine verpönte Wahrheit. Wer sie ausspricht, muss sich auf hasserfüllten Protest gefasst machen und damit rechnen, mit Totschlagargumenten traktiert zu werden, die insinuieren, die Behauptung einer existenzgefährdenden Bedrohung Israels sei schlicht eine dreiste Lüge. Antisemitische Ressentiments, verschwörungstheoretische antijüdische Klischees, antizionistische Demagogie, medialer Antiisraelismus: Der Hass gegen Israel und seine jüdischen Einwohner hat viele Gesichter, der Hintergrund aber ist stets der gleiche. Denn mag sich auch das Ressentiment gegen „die Juden“ im Laufe der Zeit auf einen Kampf gegen „den Zionismus“ konzentriert haben: Den neuen Methoden der Abneigung gegenüber allem Jüdischen liegen noch immer die alten antisemitischen Denkweisen und Verhaltensmuster zugrunde. Das bedeutet jedoch: Wer sich bereitwillig der antizionistischen Bewegung anschließt oder ihr sein Einverständnis signalisiert, muss sich selbstverständlich den Vorwurf gefallen lassen, ein Antisemit zu sein, der nichts aus der Geschichte gelernt hat. Und er sollte der Tatsache ins Auge sehen, dass er damit der mörderischen Judenfeindlichkeit im Einflussbereich des Islam sowie der gefährlichen (Re-)Organisation des Neonazismus im Allgemeinen und dem Terror der Islamisten gegen Israel sowie der Untergrabung jeglicher Bemühungen zur Bekämpfung des zerstörerischen antizionistischen Hasses des Iran im Besonderen seine Unterstützung angedeihen lässt.

Mit welcher Nonchalance man in unseren Breitengraden nicht nur über die mörderische Ankündigung der unwiderruflichen Zerstörung des Staates Israel hinwegsieht, sondern es sogar versteht, die Vernichtungspropaganda mithilfe einer ausgeklügelten Methodik zur Vertauschung von Tätern und Opfern zu rechtfertigen, ist angesichts der damit einhergehenden Inexistenz jeglicher der Realität verpflichteter moralischer Standards nachgerade beeindruckend. Die hartnäckige Unnachgiebigkeit, mit der sich die Israelhasser daran machen, die mörderischen Angriffe auf den jüdischen Staat mit schierer Überzeugung schönzureden, übt auf den Mainstream augenscheinlich ebenso eine überwältigende Faszination aus wie auf jene (selbst ernannten) Intellektuellen, die nicht davor zurückschrecken, Hass und Ressentiments zu schüren, um der eigenen Popularität auf die Sprünge zu helfen. Angesichts des unschwer erkennbaren Hintergrunds der Absicht, den unaufhörlichen Terror gegen Israel als gerechtfertigten Schutzmechanismus zur Selbstverteidigung vor dem jüdischen Unterdrückerstaat darzustellen, bedarf es zwar einer gehörigen Portion unverbesserlicher Unaufgeschlossenheit, um derartig offenkundiger Vernichtungspropaganda auf den Leim zu gehen. Die Ubiquität des antizionistischen Wahnsinns, die nicht zuletzt tagtäglich in den westlichen Medien festgestellt werden muss, zeigt jedoch, dass eine Vielzahl an Menschen kein Problem damit zu haben scheint, die dafür notwendige Verblendung aufzubringen. Nicht umsonst reichen die Sympathiewerte für terroristische Aktivitäten gegen Israel in Europa sogar an Verbreitungsquoten des grassierenden Antiamerikanismus heran.

Während weite Teile der deutschsprachigen Medienlandschaft also als Propagandisten der Verurteilung und Delegitimierung Israels ihr Unwesen treiben, nimmt die Gewalt palästinensischer Terroristen kein Ende: Der westliche Negev – seit Jahren schon das Ziel von Bombardements aus dem Gazastreifen – sieht sich seit zwei Wochen erneut stetigem Raketenbeschuss ausgesetzt; die israelische Stadt Sderot steht unter Dauerfeuer. Dass die israelische Luftoffensive gegen die Terrorbande der Regierungspartei Hamas eine unerlässliche und erzwungene Reaktion auf die unverhohlene palästinensische Provokation war, scheint in Europa jedoch kaum jemanden zu kümmern. Ganz im Gegenteil: Dass der jüdische Staat zu militärischer Gewalt greifen muss, um dem Beschuss entgegenzuwirken, ist der ersehnte Anlass, um endlich wieder in Sachen Israel-Bashing tätig zu werden. Die bewusste Rechtfertigung der Aufkündigung der Waffenruhe durch palästinensische Terroristen inklusive der altbewährten Verdrehung von Tätern und Opfern kann endlich wieder Anwendung finden.

Die Hamas muss sich gar nicht erst bemühen, ihre terroristischen Aktivitäten zu rechtfertigen. Stolze Bekenntnisse reichen völlig aus; die Legitimation übernimmt dann der westliche Antizionismus. Auch braucht die Hamas nicht davor zurückzuschrecken, öffentlich die Tilgung des Staates Israel zu fordern, wie sie immer schon durch die hauseigene Charta propagiert wird, die sich die typisch genozidale Sprache des Islamismus zu Eigen macht. Denn die Vernichtung Israels bleibt weiterhin das vornehmste Ziel, da sie den Traum von der Errichtung eines großpalästinensischen Staates und die damit einhergehende Auslöschung der jüdischen Bevölkerung endlich in Erfüllung gehen ließe. Die „Ankopplung an eine wahnwitzige Reinheits- und Erlösungsmission, die den Antisemitismus der Islamisten zum eliminatorischen macht, die den Hass auf Juden größer werden lässt als die Furcht vor dem eigenen Tod und die den suizidalen Massenmorden der Hamas ihr Motiv verleiht“, wie es Matthias Küntzel formulierte, sie ist es, die die Gotteskrieger zur religiös begründeten Ermordung der Juden anspornt; die Sprache der Vernichtung dient zur Beschreibung einer Zukunftsvision ohne den verhassten Feind Israel. Und aus dem antizionistischen Westen tönt es: Gut so! Denn ihm kann schließlich die Antwort, die die Hamas auf die Frage nach den Grenzen parat hat, nur Recht sein: „Wo ist Palästina? Es grenzt an den Libanon im Norden, Syrien und Jordanien im Osten, berührt Saudi-Arabien und Ägypten im Süden und das Mittelmeer im Westen.“

Nicht zuletzt wegen der loyalen Rückendeckung aus Europa kann der islamistische Terror frohen Mutes die anstehenden Etappen auf dem Weg der mörderischen Bekämpfung Israels in Angriff nehmen. Die Terroristen können sich sicher sein, dass man ihnen auch zukünftige Aufkündigungen etwaiger Waffenruhen freundlich nachsehen wird. Der Staat Israel ist nämlich – der antizionistischen Logik folgend – sowohl für die derzeitige als auch für in Zukunft vom Zaun brechende Gewalteskalationen zur Verantwortung zu ziehen. Wie kann er auch die unerhörte Frechheit besitzen, sich gegen feindlichen Raketenbeschuss und terroristische Selbstmordanschläge zur Wehr zu setzen – und das auch noch mit völlig unverhältnismäßiger Härte? Wen interessiert es schon, dass die „Gewaltspirale“ im Nahen Osten stets durch den innerpalästinensischen Krieg befeuert und durch den heimtückischen Terror gegen Israel perpetuiert wird, also gar keine Spirale ist?

Zu den Fotos (von oben nach unten): (1) Hamas-Mitglieder mit ihren Mordinstrumenten. (2) Das Auto, in dem Oshri Oz starb, als eine Kassam einschlug. (3) Das Begräbnis von Oshri Oz. – Aktuelle Informationen, Bilder, Videos und vieles mehr zur Situation in Sderot gibt es auf der Website SderotMedia.

28.5.07

Narrative Narretei

Eines der Hätschelkinder der Postmodernen und ihrer ungezählten Adepten ist zweifellos der Diskurs. Alles soll verhandelbar und nur eine Frage des Standpunktes, der Perspektive sein; es geht nicht mehr um Wahrheiten, sondern nur noch um prinzipiell gleichrangige Befindlichkeiten. Zwischen diesen richtet man es sich dann in vermeintlicher Äquidistanz zu allen Beteiligten ein. Und das hat weit reichende Folgen, wie nicht zuletzt allerlei öffentlich und nichtöffentlich geäußerte Statements zum so genannten Nahostkonflikt anschaulich zeigen: Dieser bestehe nämlich schlicht aus verschiedenen Narrativen, die sämtlich ihre Berechtigung hätten. Und das läuft mit notwendiger Konsequenz auf die Schlussfolgerung hinaus: Was den einen der Holocaust, ist den anderen nun mal die Nakba, die angebliche Katastrophe, die Israel mit und nach seiner Staatsgründung über die Palästinenser gebracht habe. Wer will da schon Unterschiede sehen?

Der Staat der Holocaust-Überlebenden wird also faktisch mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleichgesetzt, und nicht zuletzt das ist ein wesentliches Ansinnen auch der palästinensischen Nakba-Rituale. Es ist ein Mittel zum Zweck. Denn ist die Vernichtung der europäischen Juden einmal ihrer Beispiellosigkeit beraubt, können die Opfer leichter zu Tätern deklariert werden, die nun ihrerseits Opfer produzieren. Soll heißen: Die Juden haben aus ihrer Geschichte nichts gelernt, und mehr noch – sie treiben es viel schlimmer als ihre früheren Peiniger. Dass nichts daran wahr ist, ist das eine. Aber die historische Situation stellt sich noch ganz anders dar: „Ohne Ablehnung des UN-Teilungsplans keine Nakba. Ohne Kriegserklärung an Israel keine Nakba. Alle Probleme der Palästinenser heute sind aus ihrem Wunsch, auf Biegen und Brechen den jüdischen Staat zu bekämpfen, zu erklären“, benannte die Betreiberin des Weblogs Letters from Rungholt die entscheidenden Zusammenhänge. Claudio Casula stellte auf Spirit of Entebbe ebenfalls eine „hausgemachte Katastrophe“ fest und befand, es stehe zu vermuten, dass die Palästinenser es „auch diesmal versäumen, die Umstände der ‚Nakba’ wenigstens im Jahr 59 danach einigermaßen nüchtern zu analysieren“ und „darüber nachzudenken, warum es den Palästinensern in Israel deutlich besser geht als denen im Libanon oder denen, die vor mehr als einem Jahrzehnt ihre Selbstverwaltung erlangten und sie gründlich ruinierten“.

Auch Alan Dershowitz bekräftigte: „Die ‚Nakba’ war eine Katastrophe, aber eine selbstverschuldete.“ Der Angriff auf Israel unmittelbar nach dessen Gründung habe die Verteidigung des neuen jüdischen Staates notwendig gemacht; infolgedessen „verließen 700.000 Palästinenser ihre Häuser, einige freiwillig, einige auf Druck der palästinensischen Führer und einige durch den Zwang des israelischen Militärs.“ Doch „keiner dieser Menschen hätte Israel verlassen müssen, wenn die Palästinenser und andere Araber willens gewesen wären, die Zweistaatenlösung zu akzeptieren“, die von den Vereinten Nationen 1947/48 ersonnen und von Israel anerkannt worden war. „Die Deutschen begehen die Katastrophe nicht, die aus ihrer Invasion in Polen resultierte. Die Japaner begehen ihre Katastrophe nicht, die aus der Bombardierung von Pearl Harbour resultierte. Warum begehen die Palästinenser ihre Katastrophe, die aus dem arabischen Angriff auf Israel resultiert?“, fragte Dershowitz schließlich und stellte mit diesem Vergleich darauf ab, dass letztere die einzigen sind, bei denen es noch nicht einmal eine sachte Tendenz zu der Einsicht gibt, einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen zu haben, der Folgen hatte.

Der Nakba-Tag, Anlass für Dershowitz’ Beitrag, trug sich zwar bereits Mitte Mai zu, aber aus vielerlei Gründen und nicht zuletzt angesichts des deutschen Blicks auf den wiederholten Beschuss Israels durch Kassam-Raketen und die darauf folgenden Verteidigungsmaßnahmen des jüdischen Staates behält seine Kritik des palästinensischen Geschichtsverständnisses ihre Aktualität. Lizas Welt hat sie ins Deutsche übersetzt.


Alan Dershowitz

Tag der Katastrophe?


Weblog der Jerusalem Post, 17. Mai 2007

Ich komme gerade von einem Besuch verschiedener Universitäten zurück, an denen ich über den israelisch-palästinensischen Konflikt sprach. An diesen und an anderen Hochschulen gedenken antiisraelische Studenten der palästinensischen Nakba. Sie nennen dies Tag der Katastrophe; an ihm seien die Palästinenser ihrer Heimat beraubt und zu Flüchtlingen aus ihren Geburtsorten gemacht worden. Sie vergleichen ihre Katastrophe mit dem Holocaust. Vielleicht aus Gründen der Rücksichtnahme auf das Leiden der Palästinenser antworten proisraelische Studenten üblicherweise nicht darauf. So entsteht der Eindruck einer allgemeinen Zustimmung zu der Ansicht, dass es tatsächlich eine Katastrophe war, was Israel 1948 über die Palästinenser brachte. Die Zeit ist gekommen, auf diese Ente zu antworten und sie in ihren historischen Kontext einzuordnen.

Die Nakba war eine Katastrophe, aber eine selbstverschuldete. Denn sie war eine direkte Folge der Weigerung palästinensischer und arabischer Führer, die Zweistaatenlösung zu akzeptieren, die von den Vereinten Nationen 1947/48 angeboten wurde. Was von Palästina übrig blieb, nachdem Transjordanien herausgeschnitzt worden war, teilte die Uno in zwei Staaten von annähernd gleicher Größe auf. (Die Israelis bekamen die etwas größere Fläche zugesprochen, die Palästinenser dafür jedoch deutlich mehr Ackerland.) Israel sollte die Gebiete kontrollieren, in denen Juden die Mehrheit bildeten, während die Palästinenser die Territorien überwachen sollten, in denen überwiegend Araber lebten. Israel akzeptierte die Teilung und rief seine Staatsgründung aus. Die Palästinenser jedoch lehnten die Staatlichkeit ab und griffen Israel mit der Hilfe aller umliegenden arabischen Staaten an.

Während der Verteidigung ihres neuen Staates verlor Israel ein Prozent seiner Bevölkerung (das heißt, von einhundert Israelis wurde einer getötet). Im darauf folgenden Krieg – den Israels Feinde zu einem genozidalen erklärten – verließen 700.000 Palästinenser ihre Häuser, einige freiwillig, einige auf Druck der palästinensischen Führer und einige durch den Zwang des israelischen Militärs. Keiner dieser Menschen hätte Israel verlassen müssen, wenn die Palästinenser und andere Araber willens gewesen wären, die Zweistaatenlösung zu akzeptieren. Die Katastrophe war tatsächlich allseitig, aber sie wurde durch die Palästinenser und Araber verursacht.

In der Zeit nach dem Krieg besetzte Jordanien die Westbank und Ägypten den Gazastreifen. Die Uno verurteilte diese Eroberungen nicht, obwohl sie brutal waren und die palästinensische Autonomie und Souveränität außer Kraft setzten. Erst als Israel diese Gebiete im Zuge eines Verteidigungskrieges gegen Ägypten und Jordanien besetzte, wurde das zum Quell internationaler Betroffenheit. Das ist die Realität. Das ist die historische Wahrheit. Und die Welt sollte verstehen, dass diese spezifische Katastrophe, die von anderen dem Holocaust gleichgestellt wird, leicht hätte verhindert werden können, wenn die Palästinenser einen eigenen Staat mehr gewollt hätten als die Zerstörung des jüdischen Staates.

Die Deutschen begehen die Katastrophe nicht, die aus ihrer Invasion in Polen resultierte. Die Japaner begehen ihre Katastrophe nicht, die aus der Bombardierung von Pearl Harbour resultierte. Warum begehen die Palästinenser ihre Katastrophe, die aus dem arabischen Angriff auf Israel resultiert?

Fotos: Lizas Welt – Hattips: Gesine & barbarashm

26.5.07

Unheilbare Mediziner

Eine Gruppe von 130 britischen Ärzten rief kürzlich in einem Brief an die britische Tageszeitung The Guardian dazu auf, die Israel Medical Association (IMA) zu boykottieren und sie aus der Dachorganisation World Medical Association (WMA) auszuschließen. Zur Begründung hieß es unter anderem, die israelische Armee setze sich „systematisch über die Vierte Genfer Konvention hinweg, die der Zivilbevölkerung ungehinderten Zugang zu medizinischer Versorgung und dem medizinischen Personal Immunität garantiert“, und sei damit zu behandeln wie weiland der Apartheidstaat Südafrika. Man sei sich daher mit „achtzehn führenden palästinensischen Gesundheitsorganisationen“ einig, die die Ansicht verträten, Israel habe „sein Recht auf Mitgliedschaft in der internationalen medizinischen Gemeinschaft verwirkt“. Der IMA-Vorsitzende Yoram Blachar wies die Vorwürfe entschieden zurück: Mehrere Dutzend palästinensische Krankenwagen hätten Sprengstoff nach Israel transportiert, und nur wenige seien dabei gestoppt worden. Das mache strengere Kontrollen erforderlich. Auch der American Jewish Congress (AJC) protestierte nun: Die WMA solle den Boykottaufruf unmissverständlich zurückweisen.

Die Doktoren um den notorisch antiisraelischen Derek Summerfield, Dozent am Londoner Institut für Psychiatrie, hatten schweres Geschütz aufgefahren: „In mehreren hundert Fällen wurde auf Krankenwagen geschossen und deren Besatzung getötet. Unheilbar Kranke und Säuglinge starben an den Checkpoints, weil Soldaten den Weg zum Krankenhaus versperrten. Die öffentliche Infrastruktur, inklusive Wasser und elektrischer Versorgung, wird willkürlich bombardiert und der Transport lebenswichtiger Medikamente blockiert. In der Westbank hat die Apartheidmauer das Gesundheitssystem zerstört. UN-Berichterstatter beschreiben die Situation in Gaza als humanitäre Katastrophe; 25 Prozent der Kinder sind unterernährt.“ Yoram Blachar mochte diese Ausführungen nicht näher kommentieren: „Das ist ein weiterer Ausschnitt aus der Fantasiewelt, in der Herr Summerfield lebt.“ Die IMA habe die medizinische Versorgung für Zivilisten in den Autonomiegebieten stets sichergestellt und von der WMA unterstützte Richtlinien formuliert; die Palestinian Medical Association sei jedoch zu einer darauf basierenden Zusammenarbeit nicht bereit gewesen und habe darüber hinaus die Annahme von Medikamenten und Dialyselösungen aus Israel verweigert.

Der Präsident des American Jewish Congress, Richard Gordon, forderte die WMA daher in einem Brief an ihren Präsidenten Nachiappan Arumugam auf, den Boykottantrag abzuweisen, da er „auf sachlichen und juristischen Verzerrungen“ basiere. Es bestehe eine Vereinbarung zwischen dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (ICRC), dem israelischen Roten Schild Davids (MDA) und der Palästinensischen Rotkreuzgesellschaft (PRCS), die Krankenwagen an den Checkpoints ungehindert passieren zu lassen, sofern eingetragene Fahrer die Fahrzeuge steuern. Der Boykottaufruf unterschlage zudem, warum PRCS-Ambulanzen an israelischen Grenzsperren kontrolliert würden: Es gebe einen fortgesetzten Missbrauch der Krankenwagen durch palästinensische Terroristen. Das bestätigte auch Christoph Harnisch, der Verantwortliche des ICRC für den Nahen Osten. Nach der Genfer Konvention verlieren medizinische Einheiten ihren geschützten Status bei solchen Verstößen. Richard Gordon befand daher: „Israel hat weder eine rechtliche noch eine moralische Verpflichtung, einen solchen Missbrauch humanitärer Gesetze zu tolerieren, vor allem, wenn dieser Missbrauch die Bevölkerung einem erhöhten Risiko aussetzt.“

Und genau das war in der Vergangenheit häufiger so. Am bekanntesten ist dabei wahrscheinlich der Fall der 28-jährigen Wafa Idris aus Ramallah (im Foto rechts, mit ihrer Mutter), die als erste Selbstmordattentäterin in die Geschichte einging. Idris war Sanitäterin beim palästinensischen Roten Kreuz und schaffte es gemeinsam mit dem Fahrer und einem weiteren Begleiter der Hilfsorganisation, am 27. Januar 2002 den Sprengstoff für einen Mordanschlag im Rettungswagen durch den Checkpoint Kalaniya nördlich von Jerusalem zu schleusen. In der Hauptstadt jagte sie sich schließlich in die Luft, tötete dabei einen 81-jährigen Mann und verletzte einhundert Menschen. Doch sie war bei weitem nicht die einzige, die die medizinische Infrastruktur auf diese Weise nutzte. Nach den ersten mörderischen Zweckentfremdungen verstärkte Israel die Kontrollen der Rotkreuzfahrzeuge. Dass es dabei zu Härten für die Palästinenser kam und kommt, stellt Richard Gordon nicht in Frage. „Aber diese Maßnahmen wären weitgehend unnötig, wenn keine von der Hamas ermutigten Palästinenser, die nicht einmal vor dem Missbrauch medizinischer Einrichtungen zurückschrecken, an Terrorangriffen auf Israelis beteiligt wären“, sagte er. „Indem sie diese Sicherheitsbestimmungen ihres Kontextes entkleiden, zeigen die Befürworter des Boykotts ihr wahres Gesicht und demonstrieren die Haltlosigkeit ihrer Forderungen.“

Martin Sugarman, der Verantwortliche einer Partnerschaft zwischen dem Londoner Homerton Hospital und dem Rambam Hospital im israelischen Haifa, fasste die Situation prägnant zusammen: „Wenn sich die Selbstmordattentäter aus Gaza und der Westbank nicht als Schwangere oder Kranke verkleidet und auf diese Weise versucht hätten, in israelische Krankenhäuser zu gelangen, um diese in die Luft zu sprengen, und wenn palästinensische Krankenwagen nicht Terroristen und Waffen transportiert hätten, dann gäbe es vielleicht nicht die Notwendigkeit eines Sicherheitszauns und von Checkpoints, sondern freien Zugang zu medizinischer Versorgung für friedliche Bürger“, sagte er. Und stellte klar: „Trotzdem werden palästinensische Zivilisten mit schweren Krankheiten in israelischen Krankenhäusern weiterhin versorgt.“

Bei den Boykotteuren wird er damit jedoch taube Ohren predigen. Denn die dürften unbelehrbar sein, wie zuvor schon die organisierten britischen Akademiker und Journalisten. Oder die Ärzte ohne Grenzen.

Übersetzungen: Lizas WeltHattip: barbarashm

25.5.07

Im schönen Alpenvorland

Nachdem der Bundesgerichtshof Mitte März in einem Grundsatzurteil die Straffreiheit von Anti-Nazi-Symbolen – etwa durchgestrichenen Hakenkreuzen – festgestellt und deshalb einen schwäbischen Versandhändler freigesprochen hatte, der entsprechende Devotionalien im Angebot führte, durfte auch der Politikwissenschaftler David Goldner hoffen, dass der gegen ihn gerichtete Vorwurf des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (Paragraf 86 a des Strafgesetzbuches) im Revisionsverfahren fallen gelassen wird. Und genau so kam es jetzt auch: Der 5. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) entschied, die Verurteilung durch das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen vom Januar dieses Jahres aufzuheben.

Der 28-jährige Goldner hatte Ende Mai 2006 an den Protesten gegen das alljährliche Treffen von Wehrmachts- und SS-Veteranen teilgenommen, die sich gemeinsam mit ehemaligen und jetzigen Bundeswehrsoldaten als „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ auf dem Hohen Brendten im bayerischen Mittenwald am „Ehrenmal der Gebirgsjäger“ versammeln, um ihrer „gefallenen Kameraden“ zu gedenken. Dabei hatte der Politologe Handzettel im Gepäck, auf denen ein Foto abgebildet war, das arabische Islamisten beim Hitlergruß zeigt. Verwendet wurde dieses Bild ursprünglich für das im ça ira-Verlag erschienene Buch Feindaufklärung und Reeducation – Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, das von seinem Herausgeber Stephan Grigat kurz nach den Protesten gegen die Gebirgsjäger auf einer Veranstaltung vorgestellt werden sollte. Für diesen Vortrag wollte Goldner mit den Flugblättern werben, auf denen das Buchcover abgebildet war.

Doch die Polizei beschlagnahmte sie mit der Begründung, sie stellten einen Verstoß gegen den Paragrafen 86 a des Strafgesetzbuches dar. Das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen schloss sich dieser Ansicht an und schickte Goldner einen Strafbefehl über 60 Tagessätze à 40 Euro. Als dieser Widerspruch gegen den Bescheid einlegte, kam es zu einem Prozess vor der nämlichen Instanz, die das Urteil bestätigte und lediglich die Höhe der Tagessätze senkte. Auf den Flugblättern sei der Hitlergruß deutlich zu erkennen gewesen, und der Text des Aufrufs habe sich nicht klar genug davon distanziert, befand Amtsrichter Dieter Klarmann. Goldner ging in die Revision vor dem OLG München.

Dieses befand nun, der Tatbestand des Verwendens verfassungswidriger Symbole sei „auf solche Handlungen zu begrenzen, welche nach den Umständen des Einzelfalles geeignet sind, bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation zu erwecken“ (Aktenzeichen: 5St RR 066/07). Aus dem Juristendeutsch übersetzt und auf den konkreten Fall bezogen heißt das: Wenn die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus deutlich genug zum Ausdruck kommt, liegt kein Gesetzesverstoß vor. So wie bei David Goldner, urteilte das OLG: „Der Inhalt der Flyer, die der Angeklagte in Besitz hatte, setzt sich offenkundig kritisch mit gewaltverherrlichenden Ideologien auseinander. Dies wird ohne weiteres bereits deutlich aus dem Untertitel ‚Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus’ des Buches, das in dem Flyer vorgestellt wird.“ Da die Flugblätter ohnehin nur bei den Protesten und Veranstaltungen gegen das Gebirgsjägertreffen hätten verteilt werden sollen, scheide zudem „eine Wirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt des Hitler-Grußes entsprechenden Richtung“ aus.

Goldner sagte Lizas Welt, er sei „sehr erleichtert, das Urteil jetzt schwarz auf weiß vor mir zu haben, und zu wissen, dass dieses Verfahren erst einmal ausgestanden ist, auch wenn ich seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs im März fest von einem Freispruch ausgegangen bin, den zuletzt sogar die Generalstaatsanwaltschaft München gefordert hatte“. Die „große Unterstützung, vor allem aus dem Antifa-Spektrum“, habe ihm „viel Mut gemacht“: „Ich möchte mich deshalb noch einmal bei allen Menschen bedanken, die mir E-Mails geschrieben, Geld gesammelt und dazu beigetragen haben, die Angelegenheit publik zu machen.“ Jetzt hofft Goldner, dass auch ein weiteres Strafverfahren gegen ihn gut ausgeht: Im Februar dieses Jahres hatte ihn das Amtsgericht München zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich bei einer „Mahnwache“ von Neonazis in der bayerischen Landeshauptstadt im April 2006 des „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ schuldig gemacht haben soll: Er habe sich gegen seine Festnahme zur Wehr gesetzt und, auf dem Boden liegend, einen Polizisten gegen das Schienbein getreten. Die Berufungsverhandlung findet im Oktober vor dem Landgericht München statt.

Die Justizposse um das Verteilen von Flugblättern in der bayerischen Provinz hat also nach fast einem Jahr ein Ende gefunden, doch Mittenwald wartet bereits mit neuerlichen Absurditäten auf: Während der „Kameradenkreis“ am kommenden Pfingstwochenende bereits zum fünfzigsten Mal unterm Karwendel aufmarschieren darf, untersagte das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen eine Gegenkundgebung, die in unmittelbarer Nähe stattfinden sollte. Angemeldet hatten sie die Arbeitskreise Distomo und Angreifbare Traditionspflege, um der Opfer deutscher Gebirgstruppen im Zweiten Weltkrieg zu gedenken. „Das Versammlungsrecht wird durch Landratsamt und Bundeswehr in undemokratischer Weise aus politischen Gründen beschnitten, die mit dem Grundgesetz nicht in Einklang gebracht werden können“, hieß es zu dem Verbot in einer Mitteilung des AK Distomo. „Dagegen wird die Versammlung des ‚Kameradenkreis der Gebirgstruppe’ trotz Teilnahme der rechtsextremen ‚Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger’ zugelassen und von der Bundeswehr – trotz Kontaktverbot – personell, materiell und politisch unterstützt.“ Arbeitskreis-Mitglied Lars Reissmann ergänzte trocken: „Reaktionärer Mummenschanz mit hoch dekorierten Waffen-SSlern wird also bevorzugt. Ein schönes braunes Alpenvorland.“

Die Anmelder der Gedenkkundgebung für die Opfer der Gebirgstruppe haben gegen das Demonstrationsverbot nun einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht München gestellt. Rechtsanwalt Martin Klingner sagte: „Wer sich wie der Kameradenkreis mit seinem Anliegen in die Öffentlichkeit begibt, muss es ertragen, auch öffentlich kritisiert zu werden.” Und Efraim Zuroff, Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, befand: „Es ist nicht fair, eine Gedenkveranstaltung zugunsten der Opfer zu verbieten, während Angehörige von Nazi-Truppenverbänden, die schwere Verbrechen begangen haben, wie ehrbare Bürger behandelt werden. Das Landratsamt misst mit zweierlei Maß. Die Veteranen von NS-Gebirgstruppen werden über Gebühr geschützt, während das Gedenken an die Opfer am Hohen Brendten verboten wird. Die bayerische Behörde verhält sich gefühllos gegenüber den Opfern.“

Das gilt auch für das Zögern der Stadt Mittenwald, den Angehörigen von Opfern und Überlebenden von Massakern der Wehrmacht einen würdigen Ort bereit zu stellen, an dem diese am Pfingstsamstag über die Kriegsverbrechen der deutschen Truppen berichten können. Nicht einmal die „Sondernutzungserlaubnis“ für ein Bierzelt auf dem Bahnhofsvorplatz ist sicher. Ihr Kommen dennoch zugesagt haben Marcella und Enzo de Negri aus Mailand, die Kinder des auf Kephallonia von Gebirgsjägern ermordeten Hauptmanns Francesco de Negri; der 1922 geborene Richard Wadani aus Wien, der 1944 in Frankreich aus der Wehrmacht desertierte und in die tschechische Armee eintrat; sowie Nikos Fokas aus Kephallonia, Jahrgang 1925 und griechischer Partisan bei der EAM/ELAS. Er half italienischen Soldaten nach den Massakern der Gebirgsjäger im Herbst 1943.

„Unser Ziel ist es, die Servicequalität für Sie als Gast auf hohem Niveau zu halten und kontinuierlich weiter zu verbessern“, wirbt Mittenwald übrigens für sich auf seiner Website. Da gibt es zweifellos noch einiges zu tun.

22.5.07

Mediale Parallelwelt

Seit einer Woche steht in Israel der westliche Negev, vor allem die Stadt Sderot, erneut unter massivem Beschuss durch aus dem Gazastreifen abgefeuerte Kassam-Raketen. Über 130 dieser Geschosse wurden bislang gezählt. Eines davon traf gestern eine 35-jährige Frau tödlich; außerdem gab es mehrere Verletzte. Zahlreiche Häuser und darüber hinaus auch ein Klassenzimmer einer Oberschule wurden beschädigt oder gar zerstört. Nicht wenige Bewohner wollen Sderot verlassen. In den deutschen Medien wurde über die neuerliche Terrorwelle zunächst so gut wie gar nicht berichtet. Als Israel sich zur Wehr setzte, änderte sich das jedoch – und brachte die gewohnten Schlagzeilen.

Denn es standen nicht die Raketenangriffe auf israelische Zivilisten, ihre Wohnungen, Autos und Schulen im Mittelpunkt, sondern die Reaktion darauf: „Israelische Armee tötet acht Menschen“ und „Israelische Kampfflugzeuge beschießen Gazastreifen“ (Die Welt), „Israel droht Hamas-Spitze mit gezielter Tötung“ (Frankfurter Rundschau) oder „Israel droht Hamas mit schwerer Vergeltung“ (Spiegel Online), verkündeten die Überschriften. In den jeweiligen Beiträgen kam man zwar zumeist nicht umhin, den Beschuss von Sderot und anderen Ortschaften wenigstens kurz zu erwähnen, doch erheblich umfangreicher fielen wie stets die Berichte über die israelischen Abwehrmaßnahmen und Pläne aus. Tenor: Israel überzieht mal wieder maßlos und tötet Unschuldige.

Aus der Vielzahl der Beiträge ragen drei heraus (die junge Welt spielt hier nur außer Konkurrenz mit), die sich in der medialen Parallelwelt besonders hervortun und es in bemerkenswerter Weise vermögen, Sachverhalte zu verrenken. Einer davon entstammt der gestrigen Ausgabe der taz. Das Blatt druckte 59 Zeilen einer Meldung der Deutschen Presseagentur (dpa), versehen mit der Überschrift „Israel bombardiert Gaza“. Das klingt nicht nur nach flächendeckendem Beschuss, das ist auch so gemeint: „Nach israelischen Luftangriffen mit vier Toten im Gaza-Streifen hat Ministerpräsident Ehud Olmert der Hamas gestern mit noch härteren Schlägen gedroht. Hamas-Mitglieder würden ‚einen noch höheren persönlichen Preis zahlen’, sollten die Raketenangriffe auf Israel weitergehen, kündigte Olmert während der Kabinettsitzung in Jerusalem an.“

Noch härtere Schläge? Ein noch höherer persönlicher Preis? Hört sich nach einem archaischen Racheritual an statt nach Selbstverteidigung – doch so formuliert eine nicht ganz unbedeutende Nachrichtenagentur eine Nahost-Meldung, die deshalb auch einem Alternativblatt höchst willkommen ist, zumal der im nächsten Satz der Nachricht eingeführte, verniedlichende Terminus „militante Palästinenser“ ein bisschen an die guten alten Zeiten erinnert, als man noch die internationale Solidarität hochleben ließ. Anschließend folgt ein Zitat von „Israels ultrarechtem Vize-Premier Avigdor Lieberman“, dem es gar nicht hart genug zur Sache gehen zu können scheint: „Entweder wird Hamas zerschlagen oder die Regierung.“ Antifa, bitte übernehmen! Keinen Fußbreit dem Faschismus!

Doch was war passiert? „Die israelische Luftwaffe hatte bei neuen Luftangriffen im Gaza-Streifen in der Nacht zum Sonntag vier Palästinenser getötet. Insgesamt seien sechs Ziele bombardiert worden, bestätigte eine Armeesprecherin.“ Um was für Palästinenser und um welche Ziele es sich dabei handelte, erfährt man nicht, dafür aber dies: „Im Norden des Gaza-Streifens wurden drei Palästinenser, die mit einem Auto unterwegs waren, durch einen Raketentreffer getötet. Bei einem anderen Luftschlag wurde in Djabalia ein 15-jähriger Palästinenser getötet, so ein Rettungsdienst.“ Soll heißen: Es wurden Zivilisten getroffen. Alles in allem scheint Israel also wieder einmal ohne Sinn und Verstand herumgeballert zu haben. Und das auch noch, nachdem sich „nach einwöchigen blutigen Kämpfen im Gaza-Streifen mit mehr als 50 Toten die rivalisierenden Palästinensergruppen Hamas und Fatah am Samstag unter ägyptischer Vermittlung erneut auf einen Waffenstillstand geeinigt“ hatten, und zwar mit Erfolg: „Gestern wurden zunächst keine neuen Zwischenfälle gemeldet.“

In der von der taz gedruckten Meldung stellt sich die Situation demzufolge so dar, dass Israel just in dem Moment sein Militär einsetzte, als sich die Palästinenser entschlossen hatten, die Waffen schweigen zu lassen. Dass die Feuerpause zwischen den Parteien der Einheitsregierung vor allem deshalb vereinbart wurde, weil der Krieg gegen den jüdischen Staat alle Kräfte erfordert und die Gewalt nach innen daher vorläufig ruhen soll, war nicht der Rede wert. Auch über die Kassam-Raketen und ihre verheerenden Folgen fand sich in der Zeitung kein Wort. Gleiches gilt für die Drohung der Gotteskrieger, die von der taz aus der dpa-Nachricht herausgekürzt worden war: „Ein Vertreter der Hamas kündigte unterdessen die Fortsetzung der Raketenangriffe auf israelische Siedlungen an.“

Ein weiteres bezeichnendes Stück Nahostberichterstattung geht auf das Konto der Deutschen Welle. Unter der Rubrik „Palästinenser“ und der Überschrift „Israel fliegt Luftangriffe“ finden sich auf der Website des Senders seit dem 17. Mai – also vor dem Agreement zwischen Hamas und Fatah – ein Foto des getroffenen Hauptquartiers der Hamas-Milizen in Gaza, die Bildunterzeile „Keiner hält sich an die Waffenruhe“ sowie diese einleitenden Worte: „Eigentlich hatten Israel und die Palästinenser eine Waffenruhe vereinbart. Doch jetzt fühlt sich Ministerpräsident Olmert provoziert. Die internen Kämpfe zwischen rivalisierender Hamas und Fatah dauern an.“ Bereits die Behauptung, dass sich niemand an die Feuerpause halte, verdreht Ursache und Wirkung; durch das Bild, das die Folgen eines israelischen Militärschlags zeigt, wird das Ganze dann sogar noch zugespitzt. Denn so entsteht der Eindruck, dass es Israel ist, das einen Waffenstillstand gebrochen hat.

Und die Einleitung des Berichts bestätigt das: „Eigentlich“ – eigentlich! – gab es sie ja, die relative Ruhe, aber nun „fühlt (!) sich (!) Ministerpräsident Olmert provoziert“. Mit anderen Worten: Es liegt an sich gar keinen Grund für eine Reaktion auf die Kassam-Attacken vor. Schließlich geht es zuvörderst um „interne Kämpfe“ zwischen „rivalisierenden“ Organisationen – was sich, wie schon bei der taz, eher nach pubertierenden Jugendgangs anhört, die es bei ihren testosteronschwangeren Spielen übertreiben, als nach einem Bürgerkrieg zur Klärung der Frage, welche Mittel zur Beseitigung Israels am effektivsten sind. Dass es im Beitrag dann heißt, Israel sei „in die Kämpfe hineingezogen“ worden, „um die Palästinenser im Kampf gegen den gemeinsamen Feind zu einen“, stellt zwar einen offenkundigen Widerspruch dar, doch das fiel entweder niemandem auf, oder es war gegenüber den Schlagzeilen zu Beginn des Artikels schlicht nebensächlich.

Der dritte bemerkenswerte Beitrag schließlich ist ein Interview, das in der Radiosendung Morgenecho des Westdeutschen Rundfunks geführt wurde. Gesprächspartnerin war Sumaya Farhat-Naser, Autorin von Büchern mit gefühligen Titeln wie „Thymian und Steine – Eine palästinensische Lebensgeschichte“ und „Verwurzelt im Land der Olivenbäume – Eine Palästinenserin im Streit für den Frieden“ sowie Botanik-Professorin an der Bir Zeit-Universität bei Ramallah. Ob sie eine „neue Großoffensive“ Israels im Gazastreifen befürchte, wurde sie von der Moderatorin gefragt, und da sprudelte es aus ihr heraus: „Ja, die Israelis werden immer wieder reinkommen. Und eigentlich war mit dem Abzug keineswegs die Besatzung zu Ende gegangen. Sondern die totale Kontrolle geht weiter von [den] Israelis. Und die sind immer wieder reingegangen und haben Menschen getötet oder Häuser bombardiert und so weiter.“

Alles völlig grundlos, versteht sich – der Gazastreifen muss fürwahr eine einzige große Friedensbewegung sein. Dass Israel für den Rückzug aus ihm, also die Aufgabe der Kontrolle, mit Raketen und Selbstmordattentaten bedacht wurde, will Farhat-Naser zwar nicht völlig leugnen, aber darauf reduzieren, „politisch unklug“ zu sein, denn: „Israel macht seinen Plan weiter [und schafft] Fakten am Boden, [es] nutzt diese Situation.“ Wie man’s also dreht und wendet: Die Palästinenser bleiben die Opfer. Und was ist mit dem Gemetzel untereinander? Logisch, auch dafür können sie eigentlich gar nichts: „Ich glaube, die Tatsache, dass diese Einheitsregierung nicht von der Welt anerkannt ist, vor allem vom Westen, hat dazu geführt, dass diese Regierung gelähmt blieb und keine Handlungsmöglichkeiten hat. [...] Das trägt dazu bei, dass die Leute am Verzweifeln sind. Und auch durch die Lähmung dieser neuen Regierung, und die Blockade ist da, konnte auch nichts Effektives entstehen, sei es mit den Geldern, die die Beamten zahlen oder irgendwelche Entwicklungsprojekte.“ Kurzum: „Was nutzt es, wenn die Menschen dort eine neue Regierung haben, und immer noch will die Welt sie nicht anerkennen?“ Wäre ja auch zu viel verlangt, einfach mit dem Judenmorden aufzuhören – Wählerwille ist Wählerwille.

Jedenfalls, so Farhat-Naser, dürften die „Sicherheitskräfte“ nicht darauf ausgerichtet sein, „die Hamas zu zerschlagen“; man müsse vielmehr die Sicherheit als eine Sicherheit haben“, und zwar „nicht gegeneinander, sondern miteinander“. Zwar gebe es zwischen der Hamas und der Fatah „grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten (!), wie der Weg zur Befreiung (!) geht und auch hinsichtlich der Friedensgespräche (!)“. Doch das sei „ein Teil des Demokratisierungsprozesses (!), der durchgemacht werden muss (!)“. Eines muss man der Schriftstellerin lassen: Das Stilmittel des Euphemismus beherrscht sie meisterlich. Wohl nicht zuletzt deshalb durfte sie auch das öffentlich-rechtliche Morgenecho geben, denn solche Töne hört man hierzulande ausgesprochen gerne.

„Die Hamas kennt keine roten Linien mehr“, verkündete gestern ein Sprecher der Islamistenpartei die Ausweitung der Angriffe auf Israel, die künftig auch von der Westbank aus geführt würden. Der jüdische Staat müsse von der Landkarte getilgt und durch einen palästinensischen ersetzt werden. Das sei Sinn und Zweck der Angriffe mit den Kassam-Raketen. In die deutschen Schlagzeilen schaffte es diese neuerliche unmissverständliche Vernichtungsdrohung übrigens nicht – das wäre ja auch noch schöner.

Hintergründe zu Sderot bei Planet Hop: Krieg gegen Israel. Ein vortrefflicher Kommentar zu den neuesten Auslassungen des Nahostkorrespondenten der Süddeutschen Zeitung findet sich bei Spirit of Entebbe.

21.5.07

Scholls perfektes Finale

Es war ein wirklich genialer Abschied, den Mehmet Scholl da am Samstag bei seinem letzten Spiel als Fußballer hatte: Weil sich Oliver Kahn beim Aufwärmen verletzte, durfte Scholl seine Bayern als Kapitän aufs Feld führen, die obligatorische Übergabe des Blumenstraußes nahm Manager Uli Hoeneß sichtlich mit, nach einer halben Stunde schoss Scholl ein zauberhaftes Tor – das letzte seiner Laufbahn –, und als er nach 57 Minuten absprachegemäß ausgewechselt wurde, gab es wohl nur wenige unter den 69.000 Zuschauern im Münchner Stadion, die nicht zumindest schlucken mussten. Selbst in der Radiokonferenz war die Frage nach dem kommenden deutschen Meister einen Moment lang Nebensache. „Ich gehe, und ich gehe gerne“, hatte der 36-jährige in einer Pressekonferenz einen Tag vor dem finalen Kick gesagt, und tatsächlich schien ihm der Abschied leichter zu fallen als seinen Anhängern und Bewunderern: Er genoss ihn einfach.

Dieser Abgang passte zu Mehmet Scholl, der es nach zahllosen Verletzungen und privaten Achterbahnfahrten zunehmend satt hatte, ununterbrochen durch die Medien gezogen zu werden: „Ich wollte mich eben nur dann äußern, wenn ich auch etwas zu sagen habe“, bemerkte er in der Süddeutschen Zeitung in einem seiner selten gewordenen Interviews. „Viele Leute geben Interviews nicht, weil sie was zu sagen haben, sondern weil sie wo erscheinen möchten. Sie beziehen ihren Marktwert daher und werden mit Werbeverträgen belohnt. Das ist in Ordnung. Aber nichts für mich. Die 90 Minuten sind immer noch pure Freude. Aber das Drumherum hat halt immer weniger Spaß gemacht.“ Koketterie war das nicht; die hatte er schon lange nicht mehr nötig.

Denn der als Mehmet Yüksel geborene Scholl – seinen jetzigen Nachnamen übernahm er von dem zweiten Ehemann seiner Mutter – lernte den Medienzirkus im Laufe seiner Karriere gründlich und von allen Seiten kennen; jahrelang war er einer seiner besten Lieferanten und gleichzeitig prominentes Opfer. 1992 wechselte er im Alter von 21 Jahren – ausgestattet mit dem Ruf, ein Jahrhunderttalent zu sein – vom Karlsruher SC zum FC Bayern. Zu jener Zeit machte die Bundesliga, vor allem der Rekordmeister aus München, hinsichtlich der Markt- und Gesellschaftsfähigkeit gerade einen deutlichen Sprung; aus Fußballern wurden allmählich Popstars, die möglichst auch abseits des Spielfeldes die Schlagzeilen bestimmen sollten. Einer wie Mehmet Scholl kam da wie gerufen und wurde auch gleich zum Teenie-Star der Bravo-Sport; darüber hinaus blieb er mit privaten Kapriolen und vorlauten Zoten im Gespräch.

Auf dem Platz lief es zunächst jedoch höchst wechselhaft; grandiosen Spielen folgten regelmäßig durchwachsene Auftritte und umgekehrt. Scholl blies der mediale Wind eiskalt ins Gesicht: Dem Klischee vom Künstler, der empfindsam ist und seine Launen hat, schien er geradezu prototypisch zu entsprechen. Hinzu kamen recht bald immer wieder kleinere und größere Verletzungspausen, die letztlich die ganz große internationale Laufbahn verhinderten: „Scholl gilt als einer der besten deutschen Fußballspieler, die nie an einer Weltmeisterschaftsendrunde teilnahmen“, erfand das Online-Lexikon Wikipedia gar eine statistische Einordnung, die es bis dato noch nicht gab. Auf nationaler Ebene ist der Mittelfeldmann mit acht deutschen Meisterschaften und fünf Pokalsiegen dagegen ungeschlagen. Scholl selbst nimmt die diversen Aufs und Abs gelassen:
„Das alles ist doch meine Vita! Dass diverse Anekdoten in einer Häufigkeit passiert sind, spricht für sich. Ein Beispiel: Ich werde im EM-Finale 1996 ausgewechselt, obwohl ich für meinen Geschmack recht gut war – und der Mann, der für mich reinkommt [Oliver Bierhoff], schießt zwei Tore! Oder 2001: Ich verschieße den Elfmeter – wir werden trotzdem Champions-League-Sieger! Oder: Ich soll mit zur WM ’98, reiß’ mir aber die Bänder – und der Typ, der mir die Bänder gerissen hat, Jens Jeremies, fährt plötzlich mit zur WM. Oder 2000: Da werd’ ich von den Bundesligaprofis zum Spieler der Saison gewählt – und beim Spiel, bei dem ich meine Urkunde krieg’, sitz’ ich natürlich nur auf der Bank. Am Tag der Ehrung! Solche Sachen ziehen sich durch meine Karriere. [...] Das Schicksal sagt eben zur mir: ,Schau’ mal, wie du damit zurechtkommst – als Helden haben wir dich schon probiert, da taugst du nicht, nun versuch’ das mal.‘ Es ist ja nicht so, dass ich diese Rolle gesucht habe. Ich habe meine Rückschläge angenommen, und im Nachhinein war klar, dass diese Dinge kommen mussten. Wenn ich früher einen Witz über den Trainer gemacht habe – dann stand der halt hinter mir. Das war einfach so.“
Ein Mehmet Scholl in guter Form – auf dem Feld und außerhalb – gehörte gleichwohl zweifelsfrei zum Besten, was die Bundesliga in ihrer Geschichte zu bieten hatte. Dies bekundeten auf seiner Abschiedstournee oft sogar die Fans der gegnerischen Teams, die den Bayern ansonsten die Pest an den Hals wünschen. Die Bayern-Supporter wiederum wussten es ohnehin: Wenn Stadionsprecher Stephan Lehmann beim Verlesen der Aufstellung oder nach einem Tor den Vornamen rief, war die Antwort der Fans bei keinem Spieler so laut wie bei Scholl. Denn der war die perfekte Unterhaltung, weil er die seltene Gabe besaß, Unerwartetes und Überraschendes zu tun. Vor allem deshalb wurde er auch in den letzten Jahren immer wieder ins Getümmel geworfen – wenn auch selten länger als eine halbe Stunde –, falls es bei den Bayern nicht lief. Und vor der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Sommer überreichte gar eine private Initiative dem Deutschen Fußball-Bund eine Liste, auf der sich 175.000 Unterzeichner – allerdings vergeblich – dafür aussprachen, Scholl in den WM-Kader zu berufen.

Doch auch jenseits des Rasenvierecks überließ der ungewöhnliche Fußballer Langeweile und Gleichförmigkeit stets anderen. „Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich 67 Kilo geballte Erotik“, ließ er 1993 ein Publikum wissen, das sich an solche Frivolitäten erst noch gewöhnen musste; ein Jahr später antwortete er auf die Frage nach seinem Lebensmotto: „Hängt die Grünen, so lange es noch Bäume gibt!“ Diese Parole sei „eigentlich als Plädoyer für vernünftigen Umweltschutz gedacht“ gewesen, bemerkte Scholl, doch ein Politiker der nämlichen Partei zeigte ihn wegen Anstiftung zum Mord an. Gegen eine Zahlung von 15.000 Mark für einen wohltätigen Zweck wurde das Verfahren eingestellt. Die Grünen habe er trotzdem gewählt: „Ich kann sie ja nicht hängen lassen.“ Welche Schlagzeile der schmächtige Scholl über sich gerne lesen würde, wurde er 1996 gefragt. „Scholl holt Gold im Gewichtheben“, war die Antwort. Warum er die Rückennummer 7 trage? „Weil ich in diesem Alter mit dem Rauchen aufgehört habe.“ Sein Traumberuf? „Spielerfrau.“ Was er im nächsten Leben werden wolle? „Hund bei Uli Hoeneß.“ Wovor er Angst habe? „Vor Krieg und Oliver Kahn.“ Was nach dem Fußball komme?
Ich werde nie Golf spielen. Erstens ist das für mich kein Sport, und zweitens habe ich noch regelmäßig Sex.“

Dem FC Bayern wird Mehmet Scholl auf jeden Fall erhalten bleiben: Die Kegelabteilung des Klubs, der er schon seit einigen Jahren angehört, kann künftig verstärkt auf seine Dienste zurückgreifen. Das ist keine wirkliche Überraschung: Schon mit dem KV Karlsruhe gewann er bei den Deutschen Jugendmeisterschaften 1983 in Aschaffenburg die Bronzemedaille. Ob er noch einmal im Bereich des Fußballs arbeiten will, ließ Scholl hingegen offen: „Darüber wurde bisher nur in den Medien gesprochen, nicht mit mir. Aber ich brauche das auch nicht“, sagte er. Zunächst einmal wolle er sich eine Pause gönnen und die Freiheit genießen, „mal an einem Freitagabend in Berlin oder Köln auf ein Konzert zu gehen“. A propos Musik: Vielleicht lässt er seinen beiden CD-Kompilationen ja noch eine dritte folgen – der Mann hat jedenfalls auch noch einen passablen Musikgeschmack.

Bei YouTube: Ausschnitte aus Mehmet Scholls letztem Spiel
Hattip: Sid Vicious

20.5.07

Grüne Doppelzunge

Als zu Beginn des vergangenen Jahres die Hamas bei den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten einen deutlichen Sieg einfuhr, erschrak zwar so mancher; gleichwohl wurde allenthalben auch von den „Chancen“ gesprochen, die damit verbunden seien, dass die Gotteskrieger jetzt Regierungsverantwortung zu tragen hätten. Schließlich würden sie dadurch zu Abstrichen von ihren Maximalforderungen genötigt, wie das in einer Demokratie nun einmal üblich sei. Einer, der auch so dachte, war der EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber von den österreichischen Grünen, der im Februar 2006 in der Zeitschrift profil schrieb:
„Die Hamas ist dabei, sich in eine politische Partei zu verwandeln. Sie will regieren. Dies hat eine Dynamik zur Folge, deren Logik sie sich nicht entziehen kann. Die Wahlen waren ein Durchbruch zur ersten autonomen Demokratie im arabischen Raum. Die Hamas braucht Geld. Das wird sie zu Kompromissen nötigen. Und die Hamas braucht Israel, wenn sie das Land aus dem wirtschaftlichen Elend führen will. Sie muss auch bei schmerzhaften Zugeständnissen keine Radikalisierung fürchten, weil sie selbst als die radikalste Kraft gilt. Das gibt ihr jene paradoxe Friedenschance, jene Unverdächtigkeit im eigenen Volk, von der ja auch israelische Hardliner wie Ariel Sharon profitierten. Das alles sind Elemente eines Entwicklungsszenarios, auf die sich Hoffnungen gründen lassen.“
Vielleicht hat Voggenhuber seinem, vorsichtig formuliert, reichlich gewagten Szenario selbst nicht so ganz geglaubt; zumindest äußerte er Zweifel an ihm:
„Die Hamas steht für eine theokratische Staatsidee. [...] Sie könnte sich, nach der Aneignung des Staates, schnell gegen die palästinensische Demokratie richten, deren Entstehung sie ihre Macht verdankt. Sie ist eine bekennende islamistische Partei. Ihre Sache ist nicht nur ein freier Staat Palästina, sondern die Sache des Islamismus. In diesem aber kann es per definitionem keine friedliche Lösung des Konfliktes mit Israel geben. [...] Die Hamas will den jahrzehntelangen Friedensprozess annullieren, den Konflikt um die Existenz Israels neu aufrollen. Noch mag sie glauben, Verhandlungen nach der Formel ‚Land gegen – vorläufigen – Frieden’ führen zu können. Aber wenn nicht gelingt, was nicht gelingen kann, wird sie sich ihrer politischen Natur nach für die Gewalt entscheiden. [...] Natürlich weiß Hamas, dass sie Israel nicht besiegen kann. Sie weiß aber auch, dass der wachsende Islamismus eine Klammer werden könnte für eine neue arabische, gar gesamtislamische Einheit, und hofft, dass sich damit das Blatt gegen Israel wenden könnte.“
Und daher dürfe „keine Regierung anerkannt werden, die sich die Vernichtung des Staates Israel zum Ziel gesetzt hat“. Genau dies jedoch sei das Ziel der Hamas; deren weiterhin gültige Charta strotze „vor antisemitischem Hass, der Nazi-Propaganda in nichts nachstehend“. Als Voggenhuber kürzlich mit einer EU-Delegation nach Israel fuhr, wollte er dennoch „die andere Seite“ kennen lernen und nahm also an dem Treffen der Delegation mit dem Hamas-Regierungschef Ismail Hanija teil. Hinterher sprach er mit der Presse – und dabei trug sich Erstaunliches zu, wie Karl Pfeifer zu berichten weiß.


Karl Pfeifer

Widersprüchliches aus dem Munde eines Grünen


Anfang dieses Monats besuchte eine EU-Delegation Israel; auch zwei Österreicher waren dabei. Hannes Swoboda (SPÖ), Mitglied des EU-Parlaments, ist eindeutig und konsequent: Er findet kein gutes Wort zum jüdischen Staat, und dabei bleibt er. Anders verhält es sich beim Europaparlamentarier Johannes Voggenhuber (Foto) von den Grünen. Er gab in Israel eine Erklärung ab, die von Ulrich Sahm bei n-tv publiziert wurde; dem Standard respektive der Nachrichtenagentur APA gegenüber äußerte sich Voggenhuber dann jedoch etwas anders. Zunächst Auszüge aus dem n-tv-Beitrag:
„Zu Premierminister Hanija sagte Voggenhuber: ‚Es gab nur einen einzigen, bei dem ich aufgestanden bin und meinen Nachbarn gesagt habe: Diesem Mann glaube ich nicht ein einziges Wort. Das war Hanija.’ [...] Voggenhuber wandte sich an Hanija: ‚Eines will ich von Ihnen wissen. Und das sage ich Ihnen jetzt persönlich. Ich habe Ihre (Hamas-) Verfassung gelesen und war zutiefst schockiert. Ich habe einen solchen abscheulichen Text, strotzend von Antisemitismus, Rassismus und Gewalt, noch nicht gelesen. Und ich möchte jetzt von Ihnen wissen, wie Sie das unterschreiben können und das Programm der Einheitsregierung, wenn Sie doch darauf verpflichtet sind.’ Doch Hanija antwortete nicht. [...] Beim Treffen mit Nichtregierungsorganisationen erlaubte sich Voggenhuber einen weiteren Tabubruch: ‚Ich wollte über Ihren Beitrag zum Frieden reden. Da hätte ich ein Problem, nämlich die Anerkennung Israels.’ Nachdem die Delegation erfror und unter den Palästinensern Geschrei ausbrach, habe einer lediglich gesagt: ‚There is no need for this’ – das sei doch unnötig.“
Der Standard hingegen druckte am 3. Mai diese APA-Meldung:
„Die beiden österreichischen Europaabgeordneten Johannes Voggenhuber (Grüne) und Hannes Swoboda (SP) haben einen Besuch beim palästinensischen Ministerpräsidenten Ismail Hanija und anderen Hamas-Regierungsvertretern im Rahmen einer EU-Parlamentarierdelegation verteidigt. Beide Abgeordneten forderten am Mittwoch die volle Anerkennung der palästinensischen Einheitsregierung, der neben Hamas auch Fatah und Unabhängige angehören. ‚Wir haben den internationalen Boykott durchbrochen und mit Hamas-Mitgliedern gesprochen’, sagte Voggenhuber. Dies sei ‚ein kühner Schritt’ gewesen, vor dem er selbst Bedenken gehabt habe. Die Delegation sei jedoch zu der Auffassung gelangt, dass die palästinensische Einheitsregierung ‚einen gewaltigen Schritt vorwärts’ darstelle, dass sie die von der internationalen Gemeinschaft gestellten Bedingungen erfülle und dass es keinen Grund mehr für eine Blockade gebe.“
Da ich zwischen diesen beiden fast gleichzeitigen Erklärungen einen gewissen Widerspruch entdeckte, bat ich Voggenhuber sofort um eine Erklärung. Am 8. Mai um 12.49 Uhr erhielt ich folgende E-Mail:
„Lieber Herr Pfeifer,
ich habe Johannes Voggenhuber telefonisch über den Inhalt unseres Gesprächs benachrichtigt und er hat mir mitgeteilt, dass er Ihnen nach seiner Berlin-Reise (Rückkehr in zwei Tagen) gerne antworten wird.
Somit verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Jakob Redl, EU-Büro
Grüner Klub im Parlament“

Zwölf Tage später ist die Antwort noch immer nicht eingetroffen.

Früher hat Johannes Voggenhuber österreichische Politiker, die auf Kritik nicht reagieren und alles aussitzen, stets heftig kritisiert. Doch siehe da: Er verhält sich genauso wie die von ihm Kritisierten. Voggenhuber ist ein intelligenter Mann; in Israel hat er aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht und klare Worte zur Hamas gefunden. In Wien aber tritt er dafür ein, die von Hanija angeführte „Regierung“ anzuerkennen. Als ob der Terror, die Anarchie und der von der Hamas gepredigte Vernichtungsantisemitismus abgeschwächt würden oder gar verschwänden, wenn die EU diese Gotteskriegerpartei bedingungslos anerkennte, wie das der grüne Euro-Parlamentarier als „kühnen Schritt“ vorschlägt.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Art von Politik die Billigung der Grünen erfährt. Ein weiteres Schweigen der Partei in dieser Sache kann als Zustimmung interpretiert werden.

19.5.07

El-Masris Grundstressniveau

Bei manchen Schlagzeilen in der Tagespresse schreckt man dann ja doch noch auf. Die Headline „Masri legt Feuer in Großmarkt – in Psychiatrie eingewiesen“ gehört unzweifelhaft dazu. Khaled el-Masri (Foto) also – wer war das noch gleich? Richtig: Ein Deutsch-Libanese sowie CIA-Entführungs- und Folteropfer – möglicherweise mit deutscher Unterstützung –, das nicht mehr abgehört werden darf. Außerdem wahrscheinlich militanter Islamist. Und der setzt jetzt also eine Metro-Filiale in Brand, wird daraufhin festgenommen und in die Klapse gesteckt. Das mit der Kaufhausbrandstiftung war übrigens kein Fanal für die Revolution: El-Masri wollte sich bloß dafür rächen, dass sein kaputter iPod nicht zurückgenommen wurde. Und nachdem es nichts half, dass er einer Verkäuferin ins Gesicht spuckte, griff er halt zu nachhaltigeren Mitteln.

Wahrscheinlich haben ihn hierzulande nicht wenige für seine unkonventionelle Art der Beschwerdeführung sogar klammheimlich bewundert. Kennt man ja selbst: Erst kauft man vom sauer verdienten Geld Schrott, und dann kann man ihn noch nicht mal umtauschen. Da ist Rache süß, und die kann gar nicht umfangreich genug ausfallen. Aber man hat sogar noch mehr davon: „Er musste Straftäter werden, um die Therapie zu bekommen, die ihm als Opfer seit Jahren zustand“, sagte el-Masris Anwalt Manfred Gnjidic, und der meinte das völlig ernst. Das Abfackeln eines Supermarktes als Hilferuf also, der wach rütteln soll – so hat doch alles irgendwie sein Gutes.

Aber damit nicht genug. Denn der Justitiar kam im Verbund mit el-Masris Psychologin Gerlinde Dötsch – einer Expertin für Akut-Traumata am Behandlungszentrum für Folteropfer in Ulm, die es mit der Schweigepflicht offenbar nicht so genau nehmen muss – nun erst richtig in Fahrt. Die Therapie ihres Mandanten sei unzureichend, klagten die beiden, denn dieser befinde sich im „Zwiespalt zwischen Traumatherapie auf der einen Seite und dem öffentlichen Kampf um die Wahrheitsfindung auf der anderen“, berichtete der Spiegel. „Das war immer das Dilemma, das wir (!) das ganze Jahr über hatten“, wusste Dötsch: „Damit er nicht ganz abdriftet“, habe sie mit ihrem Patienten „bisher vor allem Entspannungsübungen“ absolviert und „ihn stabilisieren können“.

Dennoch blieben Zweifel: „Ich hoffe immer, dass er durchhält, bis er wieder hier bei mir ist, dass er nicht zusammenbricht“, sagte die Seelendoktorin angesichts el-Masris „angespannten Gesichtsausdrucks im Fernsehen“. Diese Hoffnung „erhöht aber auch die Spannung“. Logisch und, ja doch, spannend, denn: „Die Traumatisierung spielt da sicherlich eine ganz große Rolle, sie löst massive Erregungszustände aus.“ Woraus folge: „Das Grundstressniveau von Khaled el-Masri ist stets erhöht.“ Dötsch hat wirklich „Grundstressniveau“ gesagt, ein Wort, das es bis dato allenfalls in der Fachliteratur gegeben haben kann – Google liefert exakt einen Treffer, und der führt zu dem Interview mit ihr.

Das Feuer am frühen Morgen jedenfalls – höchstwahrscheinlich ein Ausdruck des „öffentlichen Kampfes um die Wahrheitsfindung“ sei vermutlich darauf zurückzuführen, dass „Traumatisierte in der Regel schlecht schlafen“ und deshalb offenbar zwangsläufig eine Art Hyperaktivismus entfalten. Aber sie sind auch tagsüber unterwegs: Es laufen Ermittlungen gegen el-Masri wegen gefährlicher Körperverletzung, weil er einen Mitarbeiter von Dekra verprügelt haben soll, der ihn abmahnte, weil er zu viele Stunden seiner Ausbildung zum Lkw-Fahrer verpasst hatte. Nicht zuletzt das brachte Anwalt Gnjidic dazu, nun zu bemerken, er habe gespürt, wie sein Mandant „meiner Kontrolle entgleitet“. Deshalb habe er auch einen Brief an Kanzlerin Merkel geschrieben und sich damit „auf den Marktplatz gestellt und um Hilfe gerufen, um unbürokratische Hilfe“. Nonkonformismus pur also – wer wollte sich da verweigern?

El-Masris Verteidiger und seine Seelenklempnerin jedoch beschweren sich über mangelnde Unterstützung, einerseits durch die Bundesregierung und andererseits durch die Krankenkasse, die „keine Finanzierungszusage gegeben“ habe. Denn Behandlungszentren wie das in Ulm, für das Gerlinde Dötsch arbeitet, haben in Deutschland keine Kassenzulassung. „Er ist allein gelassen. Man kann sich zurücklehnen und warten, bis das Fass explodiert“, zeterte Anwalt Gnjidic. Wenn es das dann tut, ist es jedenfalls nicht el-Masri vorzuwerfen: „Hätte er nichts getan, wären denn dann die Ermittlungen vorangegangen?“ Na also. Und dann kam etwas, das den Brandstifter richtig schmerzen dürfte – sein Anwalt glaubte ihn in einem Dilemma und schlussfolgerte daher: „Dieses Kreuz muss er tragen.“

Einer wie el-Masri kann also nur Opfer sein, denn als Täter – so viel ist sicher – kommt er nicht in Frage. Und wenn doch, kann er nichts dafür. Diese Aberkennung des Subjektstatus ist wahrscheinlich die schlimmste Strafe, die ihm widerfahren konnte. Dabei hat er in seinem Leben doch auch mal in vollem Bewusstsein gehandelt – aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist Khaled el-Masri jetzt in der Psychiatrie. Und das ist gut so, folgt man seinem Rechtsbeistand, denn – um es noch einmal zu sagen: „Er musste Straftäter werden, um die Therapie zu bekommen, die ihm als Opfer seit Jahren zustand.“ Wer ähnliche Probleme hat: Der nächste Supermarkt ist nicht weit.

Hattips: barbarashm & Spirit of Entebbe

17.5.07

Feierabendterrorismus

Dass die Ärzte ohne Grenzen notorische Israelhasser sind, ist, zugegeben, nichts Neues. Mögen die Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen auch noch so oft und unzweideutig die Auslöschung des jüdischen Staates propagieren und ihn mit Raketen und suicide bombings angreifen (und sich mit Regelmäßigkeit zudem untereinander metzeln) – stets ist es für die engagierten Mediziner Israel, das die Verantwortung für all dies trägt. „Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 1989 in den Palästinensergebieten“, heißt es mit einigem Stolz auf der Website dieser NGO, und weiter: „Seit 2000 konzentrieren sich die Mitarbeiter neben der medizinischen Hilfe auf psychosoziale Unterstützung für Menschen mit akuten Traumata. Derzeit arbeiten Teams in Nablus, Hebron und Gaza.“ „Akute Traumata“, aha. Da muss man es dann wohl verstehen, wenn einer der Ärzte-Doktoren die Konsequenzen zieht, wie die Jerusalem Post berichtet:
„Ein Palästinenser aus dem Gazastreifen, der für die humanitäre Organisation ‚Ärzte ohne Grenzen’ arbeitet, wurde verhaftet, weil er ein tödliches Attentat auf [den israelischen] Premierminister Ehud Olmert geplant haben soll. [...] Mazab Bashir (25) aus Deir el-Balah nahm seine Arbeit bei den ‚Ärzten ohne Grenzen’ vor fünf Jahren auf.“
Bei einer Befragung durch den israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet habe Bashir (Foto) zugegeben, monatelang Informationen über diverse israelische Politiker gesammelt zu haben. Er habe sich im September 2006 mit der PFLP getroffen, die ihn militärisch unterwiesen habe; das Attentat sei als „Rache für den Tod palästinensischer Zivilisten“ geplant gewesen. Doch es hätten sich unüberwindliche Hürden aufgetan: Olmert sei zu scharf bewacht gewesen, und die ersatzweise in Frage kommenden Knesset-Mitglieder hätten allesamt nicht in Jerusalem gelebt, der einzigen israelischen Stadt, zu der Bashir Zugang gehabt habe. Also sei Plan B in Kraft getreten:
„Im Dezember 2006 beschloss der Doktor, David Be’eri zu töten, den Kopf der Elad-Organisation, einer Gruppe, die in den Erwerb arabischer Häuser in der Altstadt Jerusalems involviert ist. Im gleichen Monat nahm er an einem Nahkampftraining im Gazastreifen teil, um zu lernen, wie man ohne Waffen tötet. Im Januar 2007 reiste Bashir an der Seite der ‚Ärzte ohne Grenzen’ erneut nach Israel ein und begann, Informationen über Be’eri zu sammeln. Weitere Reisen nach Jerusalem unternahm er im Februar und März sowie am 18. April. Am 19. April wurde er verhaftet.”
Bashir sagte laut Shin Bet, er habe eigentlich geplant, neuerlich nach Gaza zu fahren, um sein Nahkampftraining abzuschließen und dabei unter anderem zu lernen, wie man jemandem das Genick bricht. Diese Kenntnisse habe er verwenden wollen, um Be’eri zu töten.

Und was sagt Bashirs Vorgesetzter bei den Ärzten ohne Grenzen zu seinem Mitarbeiter? Dieses: „Wir sind sehr traurig über Bashir, der fast sechs Jahre lang für uns gearbeitet hat. Aber wir möchten klarstellen, dass wir unterscheiden zwischen seiner Arbeit und dem, was er in seiner Freizeit tut.“ Ist schon klar: Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps. Tagsüber Onkel Doktor beim Friedensnobelpreisträger, nach Feierabend Judenmörder; in jedem Fall also ein grenzenloser Arzt. Wer wollte da schon kleinlich sein?

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattip: Spirit of Entebbe