29.9.07

Know your enemy

Man kann nicht sagen, dass Mahmud Ahmadinedjad auf seine Reise nach New York schlecht vorbereitet war. Sein Auftritt bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist für ihn ohnehin schon Routine; zudem lässt sich schwerlich behaupten, dass er die Columbia University als Verlierer verlassen hat, und das nicht nur deshalb, weil die Tickets für seine Rede das Preisniveau eines Konzertes von Bruce Springsteen erreichten oder die versammelten Studenten ihn gleich einundzwanzigmal beklatschten. Ganz zum Schluss seines Trips war der iranische Regimeführer dann allerdings doch noch sprachlos: Karnit Goldwasser, die Ehefrau des von der Hizbollah am 12. Juli letzten Jahres entführten Ehud Goldwasser, hatte Ahmadinedjad bei einer Pressekonferenz im UN-Gebäude eine Frage gestellt. Und die ließ er unbeantwortet.

„Während der Fragerunde hatten wir mehr als einmal Blickkontakt“, sagte Goldwasser der israelischen Tageszeitung Yediot Ahronot. „Sein Gesichtsausdruck veränderte sich ab dem Moment, in dem er realisierte, wer ihn da anguckt und was ich von ihm will.“ Bis dahin hatte er sein obligatorisches gefrorenes Grinsen präsentiert – er wusste, dass er nicht als Diktator, sondern vielmehr als Star behandelt werden würde. Karnit Goldwasser hingegen war überrascht von der freundlichen Behandlung, die die versammelten Journalisten Ahmadinedjad angedeihen ließen: „Er kam herein und lächelte jeden an. Die Reporter zollten ihm großen Respekt. Als er an mir vorüberging, begrüßte er mich, weil er immer noch nicht wusste, wer ich bin. Er dachte, dass ich zu den Journalisten gehöre, die ihn unterstützen, und dass er einen Raum betritt, in dem ihn jeder liebt. Er sah sehr erfreut aus.“

Das änderte sich jedoch, als Goldwasser an der Reihe war und sich direkt an Ahmadinedjad wandte: „Hallo, mein Name ist Karnit. Ich bin die Ehefrau von Ehud Goldwasser, des Soldaten, der seit über einem Jahr gefangen gehalten wird. Ich frage Sie als den Mann, der hinter der Entführung steht, weil Sie die Hizbollah unterstützen: Warum erlauben Sie dem Roten Kreuz nicht, die beiden Soldaten zu besuchen?“ Der Angesprochene ignorierte die Frage einfach und ging zur nächsten über. Karnit Goldwasser wurde schließlich mit der Begründung, sie habe keinen geeigneten Presseausweis, vom Sicherheitspersonal aus dem Raum gebracht; zum Verteilen von Informationen über die drei entführten IDF-Soldaten an die anderen Journalisten kam sie nicht mehr. Dennoch war sie nicht unzufrieden: „Jetzt weiß er, dass auch die Frau eines gekidnappten Soldaten an ihn herankommt. Er weiß, dass er uns nicht einschüchtern kann.“

Hierzulande hat von Goldwassers bemerkenswerter Aktion übrigens kaum jemand Notiz genommen. Und deshalb gab es auch keine Diskussion darüber, was man eigentlich von Journalisten zu halten hat, die es zulassen, dass eine vom islamistischen Terror unmittelbar Betroffene – nach einer nur allzu berechtigten Frage an einen Hauptverantwortlichen für eben diesen Terror – des Saales verwiesen wird. Aber das setzte eine gewisse Empathiefähigkeit voraus. Und an der fehlt es gewohnheitsmäßig immer dann, wenn es um Juden geht.

Video: Karnit Goldwassers Frage an Mahmud Ahmadinedjad (Channel 2)
Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: Samuel Laster, Spirit of Entebbe

27.9.07

Rosen auf den Weg gestreut

„Linke Antisemiten gibt es nicht!“, behauptete der Schriftsteller Gerhard Zwerenz vor über dreißig Jahren mit fast schon kindlichem Trotz, nachdem das Gegenteil soeben wieder einmal offensichtlich geworden war, als zwei Mitglieder der Revolutionären Zellen ein Flugzeug entführt und dessen jüdische Passagiere von den nichtjüdischen selektiert hatten, bevor eine israelische Spezialeinheit der Geiselnahme auf dem Flughafen von Entebbe ihr Ende bereitete. Doch Zwerenz war und ist kein Einzelfall; vielmehr bleibt der Großteil der Linken bis heute unerschütterlich bei diesem Credo des chronisch guten Gewissens: Es existiert kein linker Antisemitismus! Und daher darf sich nun der Publizist und Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB), Fritz Edlinger, in der sozialdemokratischen Monatszeitschrift Zukunft über einen „sattsam bekannten zionistischen Publizisten“ auslassen, von einer „absolut bornierten und kritikfeindlichen Haltung der offiziellen Vertreter des Wiener Judentums“ schreiben sowie gegen „Israel und seine Lobbyisten im Ausland“ zu Felde ziehen. Wer das für antisemitisch hält, der bemüht, folgt man Edlinger, bloß ein „Totschlagargument“ und betreibt „Unterstellung, Diffamierung und politische Kriminalisierung“.

Edlinger (Foto) greift in seinem Beitrag dabei namentlich den Publizisten Thomas Schmidinger, die Vorsitzende von Scholars for Peace in the Middle East Austria, Ruth Contreras, und den Journalisten Karl Pfeifer an. Diesen gehe es „wahrlich nicht um eine ernsthafte und faire Auseinandersetzung mit dem Islam“, sondern „um eine klare politische Positionierung, eigentlich um eine Diffamierung“, behauptet er, ohne auch nur einen einzigen Beleg anzubringen. Besonders auf Pfeifer hat es Edlinger abgesehen: Den „sattsam bekannten zionistischen Publizisten“ schreiben zu lassen, dass es sich bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) um eine undemokratische und nicht repräsentative muslimische Organisation handelt, könne „ja wohl nur als geschmacklose Ironie interpretiert werden“. Denn: „Dies wäre in etwa so, wenn man den Chefredakteur des (der Hizbollah nahestehenden) TV-Senders Al-Manar als Experten im Streit zwischen unterschiedlichen israelischen Rabbinern über die Anerkennung des Judenstatus von Immigranten aus Russland zurate ziehen würde.“

Der Österreicher Edlinger selbst möchte jedenfalls keine Stellung zu der Frage beziehen, inwieweit eine gerade einmal 4.000 Mitglieder umfassende, autoritär strukturierte österreichische Vereinigung den Anspruch erheben kann und darf, für die etwa 400.000 in der Alpenrepublik lebenden Muslime zu sprechen, und auf welche Art und Weise sie dies tut: „Es ist nicht meine Angelegenheit, als Nicht-Muslim darauf näher einzugehen, dies hat die Islamische Glaubensgemeinschaft selbst bereits des Öfteren getan.“ Und das hat offenbar zu genügen. Deshalb verbittet er sich auch jegliche Stellungnahme Dritter – besonders, wenn sie Juden sind. Denn nicht anders ist Edlinger zu verstehen, wenn er Pfeifer einen „sattsam bekannten zionistischen Publizisten“ nennt – was nicht nur nach einem Synonym für die antisemitische Figur des „notorischen jüdischen Querulanten“ klingt, sondern auch eines ist –, und ihm den Mund verbieten will, weil sich die allen Ernstes zum Vergleich herangezogene Terrororganisation Hizbollah ja auch nicht in jüdische Angelegenheiten einmische.

Gewohnheits- und Wiederholungstäter

Während also Edlinger das Tun der Muslime in Österreich „als Nicht-Muslim“ nicht kommentieren möchte, beschäftigt er sich – als Nicht-Jude – dafür schon lange umso intensiver mit der Frage, wie sich Juden in Österreich zu verhalten haben: „Anstatt sich stets durch billige und oberflächliche Appelle an das schlechte Gewissen bzw. die Verpflichtung zur Wiedergutmachung an die österreichische bzw. europäische Bevölkerung zu wenden, sollten Sie besser einmal genauer und kritischer die politische Entwicklung in dem von Ihnen mit unkritischer Verbissenheit verteidigten israelischen Staat ansehen“, fuhr Edlinger bereits 1982 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPÖ-Organisation Junge Generation die Israelitische Kultusgemeinde Wien in einem Brief an.* Und das war noch nicht alles: „Diese Entwicklung ist für einen österreichischen Demokraten und Antifaschisten weitaus bedenklicher und gefährlicher als die von Ihnen immer wieder als Antisemitismus diffamierte Ablehnung der Politik der Herren Begin und Sharon in Israel. Solange Sie dazu nicht bereit sind, spreche ich Ihnen schlichtweg die moralische Berechtigung ab, über öffentliche Erklärungen und Aktivitäten von österreichischen Organisationen ein Urteil abgeben zu können.“

Die österreichische Politikwissenschaftlerin Margit Reiter resümierte: „Ihm [Edlinger] waren nicht nur die ohnehin spärlich fließenden ‚Wiedergutmachungs’-Zahlungen ein Dorn im Auge, sondern er verstand es auch, die österreichischen Juden und Jüdinnen in altbekannter Manier vom österreichischen Wir-Kollektiv abzugrenzen und ihnen subtil die Instrumentalisierung der Shoa für politische Zwecke zu unterstellen. Diese Anspielungen sowie der anmaßende Ton des Briefes und auch seine aggressive und uneinsichtige Reaktion auf die gegen ihn vorgebrachte Kritik verweisen, wenn nicht auf latent antisemitische Ressentiments, so zumindest auf einen erheblichen Mangel an historischer Sensibilität.“

Das war noch zurückhaltend formuliert, doch Edlinger schert sich um derartige Einwände ohnehin immer nur insoweit, als er sie für „hysterische Kampagnen“ hält – betrieben, na logisch, von Leuten, „die mit dem israelischen Gemeindienst und den USA Schulter an Schulter arbeiten“. Zu beobachten war dieses Reaktionsmuster nicht zuletzt, nachdem der von Jöran Jermas alias Israel Shamir verfasste und von Fritz Edlinger 2005 im Wiener Promedia-Verlag herausgegebene sowie mit einem Vorwort versehene Titel Blumen aus Galiläa als das kritisiert wurde, was er ist: die verschwörungstheoretische Hetzschrift eines überzeugten Antisemiten nämlich, der über gute Kontakte zu Rechtsextremisten verfügt und dort für sein Werk den rauschendsten Beifall erhielt. In Frankreich wurde das Buch aus dem Verkehr gezogen; zudem verurteilte ein Gericht den Verleger der französischen Ausgabe zu einer Haft- und einer Geldstrafe.

In Österreich hingegen geschah zunächst nichts, bis im November 2005 eine Gruppe von Intellektuellen erfolgreich gegen einen Auftritt Edlingers an der Universität Graz protestierte. Der ließ, nachdem nun doch noch zwei Zeitungen über die Angelegenheit berichteten, eine wenig glaubwürdige Distanzierung von Shamirs Ansichten folgen und gab ansonsten im Verbund mit seinem Verlag die verfolgte Unschuld („Der Angriff auf das Buch von Israel Shamir zielt unserer Meinung nach deutlich darauf ab, Kritik an Israel mit der Keule des Antisemitismusvorwurf unmöglich zu machen“). Kurz zuvor hatte Edlinger Shamir in einem Interview mit dem Muslim-Markt noch als „scharfzüngigen“ und „kritischen“ Autor verteidigt, seine Kritiker aufgefordert, „vor ihrer eigenen Türe zu kehren“, und vor allem beklagt, „dass es in Teilen der israelischen Gesellschaft nicht nur einen eklatanten Rassismus, sondern auch eine mehr oder minder klare faschistische Ideologie gibt“.

Die Zukunft der Zukunft

Doch all dies konnte ihn offenbar nicht nachhaltig diskreditieren, genauso wenig wie seine Tätigkeit als einer der wichtigsten österreichischen Lobbyisten in der arabischen Welt: Edlinger ist Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen (GÖAB) – die laut der irakischen Tageszeitung al-Mada zu den Empfängern von Saddam Husseins Ölgutscheinen gehörte – und reiste unter anderem im Juni 2001 mit einer Delegation seiner Organisation sogar in den Sudan, um „an den Feierlichkeiten anlässlich des zwölften Jahrestags des Amtsantrittes von Präsident Omar Hasan al-Bashirs“ – also an dessen Militärputsch-Jubiläum – teilzunehmen, wie er im GÖAB-Bulletin schrieb. Außerdem war er mehrere Jahre lang der Vertreter der SPÖ beim Nahostkomitee der Sozialistischen Internationale.

Und nun durfte Edlinger für die sozialdemokratische Zeitschrift Zukunftderen Absicht es nach eigener Auskunft ist, „linke Alternativen für die Zukunft sichtbar zu machen und zu diskutieren“ – in die Tasten greifen und sich über „Israel, den Islam und die Linke“ spreizen. Neben den Invektiven vor allem gegen Karl Pfeifer finden sich in dem Beitrag die gewohnten Klagen über die „völkerrechtswidrige Unterdrückungs- und Vertreibungspolitik des ‚Staates der Juden’“ – dessen Existenzberechtigung bereits durch die Anführungszeichen verneint wird –, sowie die nicht minder obligatorischen, langatmigen und von jüdischen „Kronzeugen“ gestützten Rechtfertigungen für den linken Antisemitismus, der natürlich kein solcher sein soll, sondern bloß „Israelkritik“, die jedoch von interessierten Kreisen („Israel und seinen Lobbyisten im Ausland“ etwa oder „absolut bornierten und kritikfeindlichen offiziellen Vertretern des Wiener Judentums“) per „Unterstellung, Diffamierung und politischer Kriminalisierung“ hintertrieben werde. Er selbst, schreibt Edlinger, sei selbstverständlich über jeden Verdacht erhaben, ein Antisemit zu sein: „Ich bin Jahrgang 1948, 1964 der SPÖ beigetreten, peripherer Anhänger der 68er Bewegung und habe – wie die meisten Jungsozialist(inn)en meiner Generation – mit der politischen Grundschulung auch die vehemente Ablehnung des Faschismus und jeglicher Art von Rassismus eingeimpft bekommen.“ Vor allem, scheint’s, des jüdischen „Faschismus“ und „Rassismus“.

Edlingers antizionistische Propaganda ist aber nur das eine. Das andere ist es, dass die Zukunft ihr Raum gewährt und dabei auch noch zulässt, dass ein langjähriger freier Mitarbeiter der Zeitschrift antisemitisch angegangen wird – Karl Pfeifer selbst hat in einem guten Dutzend Jahren zahllose Artikel für das Blatt verfasst. Man bekommt eine Idee davon, wie die Zukunft ihren Namen inzwischen versteht und was sie sich unter „linken Alternativen“ vorstellt. Aber das ist für die österreichische Sozialdemokratie ja nichts Ungewöhnliches.

* Nicht online verfügbar; das Schreiben liegt Lizas Welt jedoch als Scan vor.

24.9.07

Westfälischer Frieden

Was immer man gegen das Buch der Herren Mearsheimer und Walt über Die Israel-Lobby in den USA einwenden mag: Es ist wirklich praktisch, dass es erschienen ist. Und zwar vornehmlich aus einem Grund: Jetzt wissen die diesem informellen Syndikat zugerechneten Gruppierungen wenigstens, wie viel Arbeit ihnen im Kampf gegen die Antisemiten-Lobby noch bevorsteht und wo dabei die Schwachstellen sind. Dass sie beispielsweise die Veröffentlichung dieser akademisierten Neuauflage der Protokolle der Weisen von Zion und ihre Übersetzung in verschiedene Sprachen nicht verhindern konnten, darf durchaus als Enttäuschung gelten. Etwas besser lief es da zunächst in Bezug auf die antiisraelische Propagandaschrift Overcoming Zionism („Den Zionismus überwinden“), die der amerikanische Politologe Joel Kovel zu Papier gebracht hatte. Dass das Pamphlet im notorisch antiamerikanischen und antiisraelischen britischen Verlag Pluto Books unterkam, war zwar unvermeidlich – doch die Auslieferung der Publikation in den Vereinigten Staaten wurde zumindest vorübergehend gestoppt.

Verantwortlich für diesen dankenswerten Schritt war die Bildungsorganisation Stand With Us, die 2001 als Reaktion auf die zweite Intifada gegründet wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, „den israelischen Standpunkt in den Gemeinden, Hochschulen, Bibliotheken, Medien sowie Kirchen“ deutlich zu machen – also auch der University of Michigan Press (UMP) gegenüber, die für den Vertrieb der Erzeugnisse von Pluto Books in den USA zuständig ist. Mitte August entschloss man sich dort – nachdem nicht nur Stand With Us, sondern auch Studenten und Universitätsmitarbeiter protestiert hatten –, das Buch vom Markt zu nehmen. Vier Wochen später wurde der Vertrieb jedoch wieder aufgenommen: Zwar gebe es weiterhin schwer wiegende Bedenken gegen Kovels Werk, hieß es in einer Erklärung der amerikanischen Hochschule. Doch man wolle keine Zensur ausüben, und zudem gebe es einen Vertrag zwischen der UMP und Pluto Books. Dieser Kontrakt soll im Oktober allerdings einer Prüfung unterzogen werden, teilte der Verlag nun mit.

Das Ganze hätte hierzulande wohl niemand bemerkt, gäbe es da nicht einen wackeren Westfalen*, der Künstler geworden wäre, wenn Kunst nicht etwas mit Können zu tun hätte. So aber entschied er sich wie so viele gescheiterte Existenzen, den Nahostkonflikt zu lösen. Und zu diesem Behufe betreibt er – von der Israel-Lobby leider gänzlich ungehindert – eine Website, die ästhetisch wie inhaltlich eine ungefähre Idee davon vermittelt, was den Ausstellungshallen dieser Republik erspart bleibt. Das manische Treiben dieses aufrechten Kämpfers für Peace & Palestine wird von Zeit zu Zeit von diversen Zuträgern befeuert, und zum Dank dafür landen deren Fundstücke dann bevorzugt in der Rubrik „Aktuelle Link- + Denktipps“. So auch im Falle der Story rund um die zeitweilig unterbundene Auslieferung von Overcoming Zionism in den USA.

„Ich war geschockt als ich diesen Aufruf laß“, war dem Gastgünstling des Kunstkadetten die Angst bis in seine Orthografie und Interpunktion gefahren. „Galt Großbritannien immer noch als ein Hort der Demokratie.“ Aber, ach: „Jetzt hat die ‚Israel Lobby’ sich diesen Verlag vorgenommen und den amerikanischen Kopartner so unter Druck gesetzt, das dieser die Zusammenarbeit einstellt.“ Da verfügt jemand augenscheinlich nicht nur über innovative Fähigkeiten bei der Kreation von Tautologien, sondern auch über nicht unbeträchtliche Kapazitäten auf dem Gebiet der Hellseherei – schließlich hat besagter „Kopartner“ bloß geraunt, die Beziehung zu seiner amerikanischen Auslieferung werde in Bälde Gegenstand einer Besprechung sein. Doch im Grunde genommen geht es um etwas ganz anderes: „Dieser Lobby, die immer erzählt sie sei keinen muss endlich das Handwerk gelegt werden.“

Nun macht zumindest Stand With Us aus seiner begrüßenswert proisraelischen Haltung gar keinen Hehl; außerhalb Deutschlands soll es tatsächlich vorkommen, dass Lobbyarbeit als ganz normale demokratische Interessenpolitik begriffen wird und nicht als Verrat am „Gemeinwohl“. Aber egal: „Sie ist antidemokratisch, pro Bush und rassistisch und betätigt sich immer mehr als Kriegstreiber.“ Was zu beweisen war. Das Sündenregister ist damit gleichwohl noch lange nicht zu Ende: „Sie will jede Kritik an der israelischen Versklavungspolitik der Palästinnser zum Schweigen bringen“ – und hat sich darob sogar gegen die Semantik verschworen. Noch etwas? Ja: „Carter, Finkelstein, Kovel, Judt und zahllose amerikanische Professoren werden von dieser Lobby mundtot gemacht.“ So mundtot, dass sie Bestseller schreiben müssen, um nicht Hungers zu sterben wie die allseits friedlichen „Palästinnser“ im Gazastreifen. Kurze Rede, langer Sinn: „Wann wacht endlich die schweigende Mehrheit in den USA auf und schickt diese Typen ins gelobte Land. Dort fallen sie unter den anderen Rassisten nicht auf.“

Keine Madagaskar-Lösung also plus nachfolgender Wannsee-Konferenz in Westfalen. Sondern bloß ein zackiges Juden raus! im Namen des Friedens. Den Rest erledigt dann die Hamas. Oder Mahmud Ahmadinedjad.

* Google hilft: Einfach die Stichworte „Plastik“ und „Palästina“ eingeben.

21.9.07

Kadima, Chelsea!

Diese Meldung sorgte nicht nur in England, sondern weit über die britische Insel hinaus für ein regelrechtes Erdbeben: José Mourinho ist nicht mehr Trainer des Londoner Premier League-Klubs FC Chelsea. Lange herrschte Rätselraten darüber, ob der Meistercoach nun zurückgetreten ist oder entlassen wurde. Der Verein selbst schrieb in einem offenen Brief, es habe eine einvernehmliche Trennung gegeben, nachdem beiden Seiten das Scheitern der Verbindung deutlich geworden sei. Wie auch immer: Der Portugiese sitzt nicht länger auf der Bank. Zwischen ihm und Klubbesitzer Roman Abramowitsch rumorte es immer wieder einmal, denn Chelsea war zwar auf nationaler Ebene erfolgreich, weniger jedoch auf der europäischen Bühne. Das erklärte Ziel, der Gewinn der Champions League, wurde bisher jedenfalls noch nicht erreicht. Nach dem holprigen Saisonstart nahmen die Spannungen im Klub zu; das enttäuschende 1:1 beim Europapokal-Heimspiel gegen Rosenborg Trondheim dürfte das Fass schließlich zum Überlaufen gebracht haben. Mourinho (Foto, unten) legte einen Abgang mit viel Getöse hin; inzwischen sind jedoch sowohl er als auch sein vormaliger Arbeitgeber bemüht, etwas mehr Stil in die Angelegenheit zu bringen.

Doch die Trennung von Mourinho war nur die eine Seite der Überraschung; die andere dreht sich um dessen Nachfolge. Man hätte vielleicht mit dem derzeitigen russischen Nationaltrainer Guus Hiddink, mit Sevillas Juande Ramos, mit dem seit seinem Rücktritt bei Juventus Turin im Mai vereinslosen Didier Deschamps oder auch mit Jürgen Klinsmann gerechnet – aber nicht mit Avraham Grant (Foto, oben). Der ist seit einigen Monaten zwar Chelseas Sportdirektor und war zuvor technischer Direktor beim englischen Erstligisten FC Portsmouth. Als Trainer schrammte er mit der israelischen Nationalauswahl zudem nur knapp an der Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Deutschland vorbei. Darüber hinaus gewann er mit Maccabi Haifa und Maccabi Tel Aviv zahlreiche nationale Titel. Dennoch gilt er in England als Newcomer, denn einen der ganz großen Vereine hat Grant noch nicht trainiert.

Nicht wenige bezweifeln deshalb, dass er seiner neuen Aufgabe gewachsen ist. Im Forum der Chelsea-Fans überwiegt die Ablehnung. Viele Anhänger halten ihn für unerfahren; sie hätten lieber einen internationalen Erfolgstrainer gehabt und fürchten nun einen Absturz ihres Lieblingsvereins. Auch andere äußern Bedenken: „Avram Grant wird so willkommen sein wie Camilla bei Dianas ‚Memorial’“, ätzte beispielsweise der frühere Chelsea-Spieler Pat Nevin. Auch beim Guardian kann man sich partout nicht vorstellen, dass der Neue viel bewegen wird: Grant habe immer nur viel Glück gehabt und bevorzuge außerdem beim Fußball eine unattraktive taktische Zurückhaltung, hieß es; erfolgreich und willkommen sei er nur bei Roman Abramowitsch und den Medien. In Deutschland geht man gleich davon aus, dass Grant nur eine Interimslösung ist und nicht auf Dauer Chelsea-Übungsleiter bleiben wird.

Doch es gibt auch andere Stimmen. „Ich glaube nicht, dass es viele Leute gibt, die in José Mourinhos Fußstapfen treten können“, sagte Leicester Citys Vorsitzender Milan Mandaric, der mit Avraham Grant zuvor in Portsmouth zusammengearbeitet hatte. „Aber wenn Avram ausgewählt wurde, verdient er eine Chance.“ So sieht es auch Avi Meller, der in seinem Beitrag für das ambitionierte englische Webportal Sportingo zu dem Ergebnis kommt, dass Grant der richtige Nachfolger für Mourinho ist. „Mein Gefühl ist, dass Chelsea einen intelligenten, anspruchsvollen, smarten, ehrgeizigen und hart arbeitenden Fachmann verpflichtet hat“, schrieb er. Grant sei ein „Fußballverrückter mit großem Wissen und großer Erfahrung, guten Augen und scharfen Instinkten“, der Jahre damit verbringe, „weltweite Trainingsmethoden, Trends, Phänomene und Spieler zu studieren“. Lizas Welt hat Mellers Text ins Deutsche übersetzt.


Avi Meller

Warum Avraham Grant der richtige Nachfolger von Mourinho ist


Sportingo, 20. September 2007

Vor drei Jahren, als Avraham Grant Trainer der israelischen Nationalmannschaft war, wohnte er dem Afrika-Cup bei, der in Tunesien stattfand. Israelis können nicht frei nach Tunesien einreisen – weil es offiziell immer noch ein feindlicher Staat ist –, aber Grant (Foto) erhielt ein spezielles Visum mit Hilfe der guten Kontakte, über die der Pariser Korrespondent der führenden israelischen Tageszeitung Yediot Ahronot verfügte. Der Deal war ein ganz einfacher: Als Gegenleistung für die Unterstützung der Zeitung sollte Grant niemandem etwas von seiner Reise erzählen, bis er in Tunis gelandet ist; anschließend sollte Yediot die Chance auf eine richtige Sensationsnachricht bekommen: Ein israelischer Nationaltrainer wird auf feindlichem Boden willkommen geheißen!

Und genau so lief es. Mehr noch: Grant war so fest entschlossen, das Geheimnis (und Arrangement) zwischen ihm und Yediot zu hüten, dass er nicht einmal seinem Arbeitgeber, dem israelischen Fußballverband Ifa, von seinem anstehenden strittigen Ausflug berichtete. Die Ifa war natürlich alles andere als begeistert davon, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Aber Grant überlebte die Forderungen nach seinem Kopf, die aus dem Inneren des Verbands kamen. Was er hingegen nicht erahnte, war die Reaktion der israelischen Medien: Während Yediot seine Exklusivstory feierte, als ob diese Woodward und Bernstein in Watergate zum Thema gehabt hätte – und Grant als unfehlbaren Heiligen behandelte –, reagierten andere Zeitungen und Journalisten, die zurückgewiesen worden waren, als hätte sie ihr Vater verstoßen. Sie machten Grant fertig, malten ihn in den düstersten Farben, und schworen, bei nächster Gelegenheit Rache zu nehmen. Auch drei Jahre später sind die Auswirkungen dieses Vorfalls immer noch in der israelischen Presse spürbar, wenngleich in moderaterer Form.

Wenn es hier um Grant geht, dann deshalb, um einen Mythos zu brechen und wichtige Aspekte über einen Manager und Trainer bekannt zu machen, der in den letzten Monaten Chelseas Sportdirektor war – und nun Nachfolger von José Mourinho ist. Einerseits ist Grant ein gewandter Mann, der weiß, wo der Bartel den Most holt, und der infolge seines Charmes, seiner Faszination, seiner Überredungskünste und seiner ausgezeichneten rhetorischen Fähigkeiten mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit befreundet ist – seien sie Journalisten, Angestellte, Bosse oder Magnaten. Auf diese Art bahnte er sich den Weg an die Spitze, obwohl er nur ein mittelmäßiger Fachmann ist. Andererseits ist es diese Tunesien-Affäre, die deutlich macht, dass sämtliche „Public Relations und sonst nichts“-Theorien untauglich sind. Denn so trickreich und clever Grant in seinem Umgang mit der Presse sonst war, so sehr fragt man sich, warum er bloß in die Tunesien-Falle getappt ist und sich solch dauerhafte Feinde innerhalb der mächtigsten und einflussreichsten Schwerkraftzentren der israelischen Medien gemacht hat.

Nun, Avraham Grant (Foto, links, mit Mourinho) ist weder ein Heiliger noch ein Betrüger. Der 52-jährige in Israel geborene Trainer ist zuallererst self-made man und Manager. Obwohl er keinerlei Erfahrung als Spieler gemacht hatte, wurde er 1973 Jugendtrainer beim Erstligaklub Hapoel Petah Tikvah – mit 19 Jahren. 1978 gewann sein Team die Jugendmeisterschaft, und Grant wurde zum Coach der ersten Mannschaft ernannt – der jüngste, den es je in Israels höchster Liga gab. Grant ist ein Fußballfreak in Sachen Taktik, System, Entwicklung, Geschichte und Vielseitigkeit. Er verbringt Monate und Jahre damit, weltweite Trainingsmethoden, Trends, Phänomene und Spieler zu studieren. Er ist ein Charmeur und ein Causeur, der Verstand und Esprit mit israelischer (oder jüdischer) Chuzpe kombiniert. Aber er ist kein Scharlatan. Hinter jeder seiner von seinen Gegnern so genannten „Selbstinszenierungen“ steht ein Fußballverrückter mit großem Wissen und großer Erfahrung, guten Augen und scharfen Instinkten.

Das waren einige der Charakterzüge, die Grant dabei halfen, mit Maccabi Haifa (zwei Erstligameisterschaften und ein Pokalsieg) und Maccabi Tel Aviv (zwei Meistertitel) Erfolg zu haben, und die den israelischen Verband überzeugten, ihn mit 46 Jahren zum jüngsten israelischen Nationaltrainer aller Zeiten zu machen. Während seiner Amtszeit missglückten Grant die Ausscheidungsspiele zur Europameisterschaft 2004 kläglich, aber an der Qualifikation für die Weltmeisterschaft scheiterte er nur um Haaresbreite: Unter seiner Führung beendete Israel seine Qualifikationsgruppe ungeschlagen, bei Gegnern wie Frankreich (dem späteren Vizeweltmeister), Irland und der Schweiz – und nur einen Punkt entfernt vom zweiten Platz, der zur Teilnahme an der WM berechtigt hätte.

Doch selbst solche Erfolge mit einer sehr mittelmäßigen israelischen Mannschaft verschafften Grant nicht allzu viele neue Freunde. Die schiere Eifersucht seiner Kollegen – die sich in Hass verwandelte – und der übliche Hohn von Kritikern, die sich immer aufführen, als sei der Himmel die Grenze Israels, waren verantwortlich dafür, dass es nicht den angemessenen Beifall für ihn gab und nicht die Früchte seiner Arbeit gewürdigt wurden, sondern Grant als „Glückspilz“ tituliert wurde. Das führte sogar so weit, dass eigens ein hebräischer Ausdruck entstand: „Avrams Arsch“ – was implizierte, dass Glück und Zufall ihm durch Dick und Dünn halfen.

Aber das ist nicht der Grant, den Roman Abramowitsch traf. Es mag stimmen, dass die prestigeträchtige Ernennung an der Stamford Bridge eine Folge der Art und Weise war, in der Grant es schaffte, den russischen Magnaten zu beeindrucken und ein enger Freund von ihm zu werden. Aber Abramowitsch ist kein Dummkopf. Er zahlt niemandem fast eine Million Pfund pro Jahr für geschmeidige Unterhaltungen oder weil er ein gefälliger Verbündeter ist. Wenn es darum gegangen wäre, hätte er Grant eine Saison lang in die Karibik schicken können, statt die Stabilität seines Klubs mit seiner Berufung zu riskieren.

Nein, Abramowitsch wollte Grant an Bord haben, weil der kluge Manager ihn reichlich mit Einblicken, Beispielen, Plänen und Ideen versorgte. Nun will er ihm die Chance geben, diese Fähigkeiten in den Job einzubringen, der wirklich zählt – den des Mannes, der die Mannschaft führt. Grant mag sich einen Teil seines Anfangskredits mit seinen diplomatisch-akrobatischen Tätigkeiten verdient haben. Aber das war nicht alles. Nun wird er seinen Wert unter Beweis stellen müssen, und man wird ihn nach seinem Beitrag und seiner Leistung beurteilen. Mein Gefühl ist, dass Chelsea einen intelligenten, anspruchsvollen, smarten, ehrgeizigen und hart arbeitenden Fachmann verpflichtet hat, und dass viele Israelis sich auf die Zunge werden beißen müssen.

Hattip: barbarashm

19.9.07

Alter Schwede!

Mehr als eineinhalb Jahre nach dem so genannten Karikaturenstreit gibt es nun eine Art Remake, diesmal im dänischen Nachbarland Schweden: Eine Regionalzeitung veröffentlicht eine Zeichnung, die den Propheten Mohammed als Hund zeigt. Schwedische Muslime demonstrieren gegen diese vermeintliche Kränkung, wollen das Blatt verklagen und verlangen die Bestrafung der Verantwortlichen. In Pakistan verbrennt ein wütender Mob schwedische Fahnen und eine Puppe, die den schwedischen Ministerpräsidenten darstellen soll; etliche islamische Staaten geißeln den Cartoon mit markigen Worten. Eine Plastik des Künstlers wird zerstört. Es gibt Morddrohungen gegen ihn, und eine der al-Qaida verbundene Terrorgruppe will demjenigen, der den Zeichner oder den Chefredakteur der Provinzzeitung tötet, ein Kopfgeld zahlen. Der schwedische Premierminister jedoch setzt auf den Dialog: Er trommelt Vertreter der schwedischen Muslime und die Botschafter aus 22 islamischen Staaten zusammen, um sie zu beruhigen. Gestern nun musste der Karikaturist untertauchen – auf dringenden Rat der Polizei und des Geheimdienstes.

Vor einem Monat hatte die schwedische Tageszeitung Nerikes Allehanda einen Leitartikel publiziert, der den Titel „Das Recht, eine Religion lächerlich zu machen“ trug. Illustriert war der Beitrag mit einer Karikatur des Zeichners Lars Vilks. Sie zeigt einen Hund mit einem menschlichen Kopf sowie Bart und Turban (Bild oben). Dem Künstler zufolge stellt die Karikatur Mohammed dar. Im dazugehörigen Artikel hieß es, es müsse zulässig sein, sich über die höchsten Symbole aller Religionen lustig zu machen, auch über die des Islam. Die Veröffentlichung hatte eine bemerkenswerte Vorgeschichte: In der schwedischen Provinz werden nachts seit einiger Zeit Verkehrsinseln mit selbst gebastelten Hundefiguren bestückt. Das veranlasste einen Kunstverein in der Region Värmland dazu, eine Ausstellung zu den so genannten Rondellhunden ins Werk zu setzen. Lars Vilks schickte den Organisatoren daraufhin drei Zeichnungen solcher Fabeltiere, die den Kopf von Mohammed trugen. Doch der Kunstverein lehnte die Karikaturen ab, wie auch die Museen, die Vilks ebenfalls angeschrieben hatte. Zur Begründung hieß es mal, man wolle gläubige Muslime nicht gegen sich aufbringen, und mal, die Kreationen hätten keinen künstlerischen Wert. Die Redaktion von Nerikes Allehanda vermutete Selbstzensur hinter diesen Argumenten und druckte schließlich eine der Zeichnungen ab.

Ende August demonstrierten deshalb etwa 300 Muslime vor dem Gebäude der Zeitung in Örebro und forderten eine Entschuldigung. Chefredakteur Ulf Johansson wies dieses Ansinnen zurück: „Wir wollten niemanden verletzen. Aber die Demonstranten verlangen von mir das Versprechen, nie wieder ein ähnliches Bild zu veröffentlichen. Und das kann und will ich nicht.“ Die Vereinigung der schwedischen Muslime kündigte daraufhin eine Klage gegen das Blatt an: „Es macht unsere Religion lächerlich“, sagte ihr Sprecher Mahmud Aldebe. „Das ist diskriminierend und beleidigend für uns.“ Wie zu erwarten war, blieb das Ganze nicht auf Schweden beschränkt: Das Mullah-Regime im Iran beispielsweise übersandte eine offizielle Protestnote. Die Regierungen Afghanistans („Provokation für die gesamte Bevölkerung Afghanistans und feindlich gegenüber der muslimischen Welt“), Pakistans („blasphemisch“), Ägyptens („unverantwortlich und beleidigend“) und Jordaniens („unakzeptabel, abzulehnen und verdammenswert“) sowie die 57 Staaten umfassende Islamische Konferenz erregten sich ebenfalls über den Abdruck der Strichzeichnung. In Pakistan blieb es zudem nicht bei verbalen Attacken: Dort gab es mehrere „Kundgebungen“, auf denen schwedische Fahnen verbrannt wurden*; zudem ging eine Puppe in Flammen auf, die den schwedischen Premierminister Fredrik Reinfeldt darstellen sollte.

Dabei gab dieser sich alle Mühe, nicht unter Beschuss zu geraten: Er lud von sich aus 22 in Stockholm stationierte Botschafter aus islamischen Staaten zum Gespräch ein und traf sich darüber hinaus mit Vertretern der rund 400.000 in Schweden lebenden Muslime in einer Moschee. Schweden werde ein Land bleiben, in denen Religiöse wie Nichtreligiöse jeglicher Herkunft in gegenseitigem Respekt leben könnten, versuchte er zu beschwichtigen. Man werde jedoch gleichzeitig die Freiheit des Wortes verteidigen und auch nicht in die Arbeit von Zeitungsredaktionen eingreifen. Für sein Entgegenkommen erntete Reinfeldt Lob vom iranischen Vertreter in Stockholm. Das schwedische Außenministerium arbeitete derweil an der Versicherung, die entstandenen Verletzungen, nicht jedoch die Publikation der Zeichnung zu bedauern. Lars Vilks hingegen hatte nichts zurückzunehmen, und auch Nerikes Allehanda verteidigte die Karikatur. Kurz darauf wurde eine sieben Meter hohe Plastik in Brand gesetzt, die der Künstler gemeinsam mit Studenten gestaltet hatte. Zudem gab es Morddrohungen gegen ihn.

Eine davon war sogar mit einer Prämie verbunden: „Wir rufen zur Tötung des Karikaturisten Lars Vilks auf, der es gewagt hat, unseren Propheten – Friede sei mit ihm – zu beleidigen, und wir setzen im großzügigen Monat Ramadan eine Belohnung von 100.000 Dollar für denjenigen aus, der diesen Verbrecher tötet“, verkündete die Gruppe „Islamischer Staat Irak“, eine der al-Qaida verbundene Terrororganisation. Wer Vilks „schlachte wie ein Lamm“, bekomme sogar 150.000 Dollar. 50.000 Dollar wurden zudem auf Nerikes Allehanda-Chefredakteur Ulf Johansson ausgesetzt. „Wir haben hier ein echtes Problem“, sagte Vilks der Nachrichtenagentur AP. „Wir können nur hoffen, dass sich die Muslime in Europa und in der westlichen Welt von diesem Aufruf distanzieren und den Gedanken der Meinungsfreiheit unterstützen.“ Einige muslimische Verbände gingen tatsächlich auf Distanz zu dem Mordaufruf und forderten seine Rücknahme. Gleichzeitig wies die Firma Ericsson ihre Filialen in islamischen Ländern an, die Fahnen mit Firmenlogo einzuholen: Die irakische Terrorbande hatte ihr wie auch anderen schwedischen Firmen Repressalien angedroht, wenn sich die schwedische Regierung nicht für die Zeichnungen entschuldige.

Doch während ein Boykott in muslimischen Ländern schwedische Konzerne eher wenig treffen würde – nur einen geringen Teil ihres Umsatzes erwirtschaften sie im Nahen Osten –, ist die Situation für Lars Vilks ungleich ärger: Gestern tauchte er auf den eindringlichen Rat der Behörden hin unter. Ein Sprecher des Geheimdienstes Säpo sagte der Zeitung Svenska Dagbladet, man habe diese Maßnahme weniger mit Blick auf einen möglichen Anschlag von al-Qaida ergriffen, sondern fürchte vor allem diejenigen, die sich in Schweden bemüßigt fühlen könnten, die Todesfatwa in die Tat umzusetzen. Ulf Johansson bleibt derzeit noch in seiner Wohnung in Örebro.

Wäre abschließend die Frage zu klären, wie ein möglicher Vollstrecker an sein Geld käme. Überweisungen scheiden vermutlich aus. Aber vielleicht kann Jan Egeland bei der Übermittlung Amtshilfe leisten, unter Skandinaviern gewissermaßen. Der frühere Staatssekretär im norwegischen Außenministerium ist nämlich erstens Vizegeneralsekretär für Humanitäre Angelegenheiten sowie Koordinator für Nothilfe der Vereinten Nationen. Und er möchte zweitens dringend mal mit Bin Laden und den Seinen reden: „Wenn ich an einem Treffen mit al-Qaida teilnehmen könnte, bei dem sie sich davon überzeugen ließe, dass sie die größte antiislamische Kraft ist: warum nicht?“, sagte er kürzlich. So einer wäre ohne Zweifel der ideale Botschafter für die selbst ernannte Religion des Friedens. Man würde ihm daher aufmerksam-nachdenklich zuhören und anschließend ein Köfferchen in die Hand drücken, in dem sich zwischen 50.000 und 200.000 Dollar befinden. In kleinen Scheinen und für eine gute Sache.

* Das Foto zeigt Demonstranten in Lahor, Pakistan, beim Abfackeln einer selbst gemachten schwedischen Fahne. Die Farbe blau war offenbar entweder ausverkauft, oder die Demonstranten wussten es nicht besser.

Übersetzungen: Lizas Welt – Hattips: Niko Klaric, Urs Schmidlin

15.9.07

Zweckbündnis? Liebesheirat!

Am vergangenen Mittwoch nahmen die österreichischen Behörden in Wien drei Männer unter dem Verdacht fest, als Mitglieder des deutschsprachigen Teils der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) – die im Internet den Terror propagandistisch flankiert und verbreitet – per Video mit Anschlägen gedroht zu haben. Zu den Verhafteten gehörte auch der 22-jährige Mohamed M. (Foto, im Kreis), einer der Anführer der Islamischen Jugend Österreich (IJÖ). Für ihre Ziele (1) – wie etwa „die Erlangung von Allahs Zufriedenheit“, „die Hingabe zum Islam“ und „das Erlernen und das Leben nach dem Islam“ – unternimmt diese Organisation allerlei Aktivitäten, zu denen vor allem „antiimperialistische Arbeit“ und die „Solidarität gegenüber muslimischen Völkern“ gehören, „speziell jenen, die unter gewaltsamer Besatzung leben“. Gegen andere islamische Vereinigungen in der Alpenrepublik, wie die Islamische Glaubensgemeinschaft oder die Muslimische Jugend Österreich, verteilt die IJÖ auch schon mal Flugblätter – mit der vollkommen ernst gemeinten Begründung, die Positionen dieser Gruppierungen stünden im Widerspruch zum Koran.

Einen treuen Verbündeten hat sie hingegen bei den Juden- und Amerikahassern der Antiimperialistischen Koordination (AIK). Deren Mitgliedern ist der Islam schon immer eine echte Herzensangelegenheit gewesen; nicht zuletzt deshalb kümmern sie sich auch rührend um den organisierten muslimischen Nachwuchs. Im Februar letzten Jahres beispielsweise demonstrierten AIK und IJÖ einträchtig gegen die dänischen Mohammed-Karikaturen, bei der Anti-Bush-Demo vier Monate später schritt man ebenfalls Seit’ an Seit’, und im Zuge der Amtshilfe veröffentlichen die Antiimps zudem gerne Positionspapiere der Islamischen Jugend auf ihrer Website (2). Das Band ist so stark, dass eine Pressemitteilung der AIK anlässlich ihrer Kundgebung „gegen die antiislamische Kampagne“ am vergangenen Donnerstag in der österreichischen Hauptstadt (3) unversehens zu einer ausführlichen Legitimation des Videos geriet, das die Globale Islamische Medienfront im März dieses Jahres produziert und in dem sie Anschläge in Österreich und Deutschland für den Fall angekündigt hatte, dass die beiden Länder ihre Soldaten nicht aus Afghanistan abziehen.

„Die symbolische Beteiligung Österreichs an der Besatzung Afghanistans macht die Soldaten nicht nur zum Ziel des Widerstands, sondern provoziert geradezu Attacken auf Österreich“, heißt es in dem AIK-Pamphlet. „Schuld daran ist einzig und allein die Liebesdienerei der Regierung gegenüber den USA und der NATO.“ Daher müsse „die sofortige Konsequenz sein, die Truppen zurückzuziehen, die Unterstützung des amerikanischen Krieges einzustellen und die verfassungsmäßig vorgeschriebene Neutralität wiederherzustellen“. Eine Kapitulationsforderung also, und das Kollaborationsangebot an die Islamisten folgt sogleich: Bei den Verhaftungen der drei Medienfrontler seien „weder Umstände noch Vorwürfe in schlüssiger Form mitgeteilt“ worden, behauptet die AIK. „Die Forderung nach dem Abzug der Besatzungstruppen zu erheben“ – so lautet die Terrorbotschaft des GIMF-Videos auf Antiimperialistisch –, sei „jedoch keine Straftat“, genauso wenig, „wie den Widerstand gegen imperialistischen Krieg und Besatzung ganz in antifaschistischer Tradition gutzuheißen“. Der Djihad also als nahtlose Fortsetzung des Kampfes gegen die Nazis – fürwahr ein Geschichtsrelativismus der besonders bemerkenswerten Art.

Wilhelm Langthaler, Sprecher des AIK, untermauerte in einem Interview mit der Presse die ambitionierten Absichten seiner Gruppe sogar noch einmal: „Oberstes Ziel ist es, die Vorherrschaft des westlichen Imperialismus zu brechen.“ Gewalt gegen Zivilisten lehne er zwar ab, die gegen Besatzungstruppen sei aber „legitim“. Wer für ihn zu den Zivilisten gehört, sagte Langthaler nicht; seine offenen Sympathien für islamische Terrorvereinigungen – und damit auch für deren Umgang mit der Zivilbevölkerung – geben diesbezüglich jedoch recht eindeutig Aufschluss: „Es lassen sich zahlreiche Beispiele finden, wo der Islamismus nicht nur eine antiimperialistische, sondern auch sozial fortschrittliche Rolle spielt, wie bei der libanesischen Hizbollah oder beim palästinensischen Islamischen Djihad“, lobte der AIK-Guru in einem Beitrag mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Islamische Befreiungstheologie?“ (4) zwei explizit antisemitische Organisationen, deren Ziel die Vernichtung Israels ist und die diesem Ansinnen bereits mit ungezählten mörderischen Aktivitäten Nachdruck verliehen haben. Doch sie sind nicht die einzigen, die er für präsentabel hält: „In jedem Land findet man kleinere krypto-linke islamische und islamistische Gruppierungen, die auch historisch auf die eine oder andere Art und Weise Schnittpunkte mit der Linken aufweisen.“ Sogar in Afghanistan hat er welche aufgetan, die sich dem „Volkswiderstand“ verschrieben haben (5). Und in Österreich eben die Islamische Jugend.

Bei den „Schnittpunkten“, die Langthaler meint – und die bekanntlich auch Oskar Lafontaine reklamiert –, handelt es sich, bei Lichte betrachtet, eher um große Flächen. Die Kongruenzen sind nicht bloß taktischer und vorübergehender Natur, und sie resultieren nicht nur aus einem einigenden Hass auf die gemeinsamen Feinde namens USA und Israel. Vielmehr ist, nachdem die Antiimperialisten den Islamisten ihr Jawort gegeben haben, aus dem Zweckbündnis längst eine Liebesheirat geworden. „Alles Lob gebührt Allah“, heißt der Trauungsspruch. Er steht auf der Website der AIK – unter einer Erklärung der IJÖ (6). Auch dies zum Thema „Globale Islamische Medienfront“.

Anmerkungen:
(1) http://www.ijoe.at/
(2) http://tinyurl.com/2b3yyc und http://tinyurl.com/27wtvp
(3) http://tinyurl.com/22xvha
(4) http://tinyurl.com/23d2wa
(5) http://tinyurl.com/2zfnjh
(6) http://tinyurl.com/2b3yyc

Das Foto entstand
im Juni 2006 auf einer Demonstration gegen den Besuch George W. Bushs in Wien. An ihr nahm sowohl die AIK als auch die IJÖ teil. Im roten Kreis erkennt man den am Mittwoch festgenommenen Mohamed M. von der IJÖ.

Hattips: Philipp Heimberger, Thomas von der Osten-Sacken

14.9.07

Do it again, Britney!

Nichts als Ungemach für die 25-jährige Sängerin Britney Spears (Foto): Entziehungskuren, Zoff mit dem Ehemann, Auftritte ohne Unterwäsche – und jetzt droht eine islamistische Terrorgruppe ihr auch noch mit der Enthauptung, genauso wie ihrer Kollegin Madonna (49). „Wenn ich diese Huren jemals treffen sollte, wäre es mir eine Ehre – ich wiederhole, wäre es mir eine Ehre –, der Erste zu sein, der Madonna und Britney Spears den Kopf abschneidet, sollten sie ihre satanistische Kultur, die gegen den Islam spricht, weiterhin verbreiten“, tat Muhammad Abdel-Al kund, ein Funktionär des palästinensischen Popular Resistance Committees (PRC), das in der Vergangenheit mehrfach für mörderische Anschläge auf Israel verantwortlich zeichnete. Nachzulesen sind die Tiraden in dem neuen Buch Schmoozing with Terrorists: From Hollywood to the Holy Land. Jihadists Reveal their Global Plans – to a Jew! (Tratsch mit Terroristen: Von Hollywood zum heiligen Land. Extremisten verraten ihre weltweiten Pläne – einem Juden!), das der amerikanische Journalist Aaron Klein herausgegeben hat und in dem Islamisten darlegen, wie es in den USA aussähe, wenn dort die Sharia eingeführt werden würde.

Madonna und Britney Spears dürften dann jedenfalls nicht mehr ihre „Verkaufszahlen ankurbeln, in dem sie sich als Prostituierte darstellen“, geiferte Abdel-Al. Es gebe für die beiden allerdings eine allerletzte Möglichkeit, doch am Leben zu bleiben: Sie müssten konvertieren. „Wenn diese Huren weitermachen mit dem, was sie jetzt machen, werden wir sie natürlich dafür bestrafen müssen“, kündigte er an. „Aber zuerst werden wir sie fragen, ob sie dem Islam beitreten wollen. Wenn sie trotzdem so weitermachen, können wir sie steinigen oder sie köpfen. Was eben am besten passt, wenn sie weiterhin Männer verführen, um sie vom Islam fern zu halten. Eine prostituierte Frau muss gesteinigt werden oder 80 Mal mit einem Gürtel geschlagen werden.“

Schließlich darf es nichts geben, was irgendwie Spaß oder Lust machen könnte, keinen Alkohol, keinen Sex und natürlich auch keine Popmusik; dafür ist der Katalog bei den Strafen für irdische Vergnügungen umso abwechslungsreicher: Er sieht immerhin Steinigen, Enthaupten und Erschlagen vor. Vielleicht waren Abdel-Al und die Seinen aber auch nur enttäuscht, dass Lieder wie Spears’ „Hit me baby one more time“ und Madonnas „Like a virgin“ oder „Another suitcase in another hall“ doch nicht so islamkompatibel sind, wie sie angesichts der Titel zunächst dachten. Solche perfiden, ja, subversiven Feldzüge gegen die Religion des Friedens bedürfen natürlich unverzüglich einer Fatwa. Sonst verlieren palästinensische Jugendliche, Allah bewahre, am Ende noch ihren Kopf.

Hattip: Ady Gnat

13.9.07

Flughafenfaschismus

Wie gut, dass das Internet einen freien und weitgehend unzensierten Informationsfluss gewährleistet. Denn sonst hätte man – mutmaßlich vor allem infolge des Wirkens der Israel-Lobby und anderer zionistischer Insurgenten – nie erfahren, dass der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv in Wahrheit ein einziges Konzentrationslager ist, in dem Menschen selektiert werden, bevor man sie entkleidet, beraubt, demütigt und ins, sagen wir, Ungewisse schickt. Doch dank der Göttinger Flüchtlingsorganisation The Voice ist es nun raus: „Israel, ein Land, das aus den Folgen von Rassismus durch die europäische Verfolgung der Juden und Jüdinnen am meisten gelernt haben müsste, tut nichts, als dies an anderen zu wiederholen“, schreibt die Gruppe in einer Presseerklärung. Man verurteile daher „aufs Schärfste die rassistische und faschistische Behandlung unseres Mitglieds und führenden Aktivisten“ am nämlichen Airport und fordere unter anderem „eine Untersuchung, die eine Verfolgung der Initiatoren dieser rassistischen Taten zu Folge hat“, die „Anerkennung der palästinensischen Flüchtlinge“, die „Abschaffung der israelischen Apartheid gegen die PalästinenserInnen“ und „ein Ende der Besatzung Palästinas durch Israel“.

Und warum das alles? Weil der Fluggast Yufanyi Mbolo, ein in Deutschland lebender Kameruner, beim Einchecken anlässlich seiner Rückreise einer genaueren Kontrolle und einer Befragung durch israelische Sicherheitskräfte unterzogen wurde. Das ist nichts Ungewöhnliches auf dem Flughafen in Tel Aviv, und die gründlichen Untersuchungen sind kein schikanöser Selbstzweck, sondern der Versuch, die unabweisbare Gefahr mörderischer Anschläge so gut es geht einzudämmen. Dass dabei auch schon mal eine detaillierte Leibesvisitation durchgeführt, nachdrücklich die Frage nach dem Grund für den Aufenthalt in Israel gestellt und das Gepäck auseinandergenommen wird, ist für die Betroffenen gewiss kein angenehmes Erlebnis, aber schlicht unvermeidlich. Wenn es sich bei dem Durchsuchten – unabhängig von seiner Hautfarbe oder Herkunft – dann noch um einen Aktivisten einer Gruppierung handelt, die dem jüdischen Staat de facto die Pest an den Hals wünscht, und zudem dessen mitreisende Lebensgefährtin Palästinenserin ist, fällt der Check möglicherweise noch etwas intensiver aus als sonst. Das ist weder rassistisch noch faschistisch, sondern einfach bloß Folge der Tatsache, dass Israels Feinde ihren Worten nur allzu oft Taten folgen lassen.

Die Erklärung von The Voice zeigt jedoch anschaulich, wie sehr nicht wenige antirassistische Vereinigungen und ihre Angehörigen inzwischen auf den Hund gekommen sind. Die 1994 in Thüringen gegründete Organisation etwa macht sich zwar immer wieder stark gegen Zumutungen wie Ausweisungen, Abschiebegefängnisse, deutsche Behördenwillkür und die Residenzpflicht, die die Beschränkung des Aufenthalts von Aslysuchenden auf den ihnen zugewiesenen Landkreis festlegt. Aber sie hat eben auch den klassischen Antizionismus im Repertoire, der sie mit einem nicht unerheblichen Teil der Deutschen eint und längst zu einem Grundpfeiler des Antirassismus geworden ist. „Sage noch einer, Assimilation in Deutschland würde nicht funktionieren: Keine paar Jahre hier, und die ‚AktivistInnen aus Afrika’ reden so, wie wir’s bislang nur von Ströbele und Co. kannten“, ätzt Thomas von der Osten-Sacken daher zu Recht. „Und ansonsten sollten, statt widerliche Presserklärungen zu schreiben, die ‚Voice’-Leute mal ein Buch lesen, was Apartheid war und warum in Israel keine Apartheid herrscht.“

Bliebe noch die Frage zu klären, wie die Konsequenzen für „Israel, ein Land, das aus den Folgen von Rassismus durch die europäische Verfolgung der Juden und Jüdinnen am meisten gelernt haben müsste“ – das Auschwitz also als Besserungsanstalt zu begreifen hätte –, auszusehen haben. „Müssen die Juden jetzt, wo sie ja offensichtlich nichts gelernt, also das Klassenziel verfehlt haben, das Schuljahr wiederholen, sprich: wieder ins Lager einrücken, oder reicht hier vielleicht doch noch das tägliche Nachsitzen unter dem permanenten Terror von Hamas und Co.?“, fragt ein Kommentator auf dem Wadi-Blog. Die Antwort von The Voice, sie steht noch aus. By the way: Das mit dem geforderten „Abschiebestopp für die afrikanischen Flüchtlinge – besonders die aus dem Sudan – ist in Israel weit eher Realität als in jedem europäischen Land. Aber das muss man natürlich nicht zur Kenntnis nehmen.

11.9.07

Kräfte mit Tradition

Eine Anmerkung noch zum Campus-Verlag und seiner Strategie bei der Vermarktung des prospektiven Bestsellers Die Israel-Lobby von John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt: Man kann den Zuständigen auch in Bezug auf die Gestaltung der Titelseite nicht nachsagen, keinen Sinn für politisch-historische Bezüge gehabt zu haben. Denn das Buchcover ziert an seinem unteren Rand ein Ausschnitt der amerikanischen Stars and Stripes-Flagge – bei der die Stars jedoch durch Davidsterne ersetzt wurden und so der Untertitel „Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird“ bereits auf dem Umschlag eine unzweideutige Veranschaulichung erfährt. Eine Überraschung ist das nicht; das Motiv ist bei den Antisemiten, pardon: Antizionisten jeglicher Couleur sehr beliebt und erfreut sich etwa auf Demo-Transparenten oder in Zeitschriften und Tageszeitungen dauerhafter Konjunktur. Und es ist alt, älter noch als der Staat Israel: Bereits 1942 erschien ein Buch, auf dessen Deckblatt eine mit dem jüdischen Symbol versehene US-Fahne zu sehen ist. Sein Titel: Kräfte hinter Roosevelt. Sein Autor: Johann von Leers, einer der radikalsten und wichtigsten nationalsozialistischen Ideologen.

Wer mit den „Kräften hinter Roosevelt“ gemeint ist, ist daher unschwer zu erraten; außerdem gibt schon das ebenfalls auf dem Cover abgebildete Foto unmissverständlich Aufschluss: Juden natürlich, zuvörderst in Gestalt reicher Kapitalisten wie Orthodox-Religiöser. Von Leers’ Werk sollte einer geneigten Leserschaft seinerzeit noch einmal verdeutlichen, wer beim Kriegsgegner USA angeblich die Macht hat und dass die Endlösung daher auch in Übersee exekutiert werden muss. Es blieb längst nicht die einzige Propagandaschrift dieses Autors – andere von ihm verfasste Bücher trugen Titel wie Juden sehen dich an oder Blut und Rasse in der Gesetzgebung –, der es mit seinen Kenntnissen in Rechts-, Wirtschafts- und politische Geschichte auf rassischer Grundlage in Deutschland zu professoralen Ehren brachte, eine lebenslange Männerfreundschaft mit Heinrich Himmler und Joseph Goebbels pflegte, schon früh in die NSDAP eintrat und dort einer der Vordenker des Lebensborn-Projektes und der Judenvernichtung war. Außerdem entdeckte von Leers bald den Islam als Bündnispartner der Nationalsozialisten und den gemeinsamen Judenhass als Fundament dieser Beziehung. Bereits Mohammeds antijüdische Feindseligkeiten hätten das „orientalische Judentum“ paralysiert, schrieb der 1902 geborene NS-Publizist. „Wenn der Rest der Welt eine ähnliche Politik betrieben hätte, hätten wir heute keine Judenfrage. Der Islam hat der Welt als Religion einen Dienst für die Ewigkeit geleistet.“

Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus floh von Leers erst nach Italien und dann nach Argentinien, wo er unter anderem die nationalsozialistische Zeitschrift Der Weg herausgab und beste Kontakte zu Adolf Eichmann pflegte. Nach dem Sturz Perons ging er 1955 schließlich nach Kairo. Dort arbeitete er für die ägyptische Regierung, konvertierte – ermutigt von seinem Freund Hadj Amin el-Husseini, dem vormaligen Mufti von Jerusalem – zum Islam und hieß fortan „Mustafa Ben Ali“ und „Omer Amin Johann von Leers“. Er sponserte die arabische Ausgabe der Protokolle der Weisen von Zion, verfasste und sendete antisemitische Traktate in mehreren Sprachen und stand mit der ersten Generation von Holocaustleugnern wie Paul Rassinier in enger Verbindung. Zudem fungierte er als Kontaktperson für die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen (ODESSA) im arabischen Raum. Johann von Leers starb 1965 in Kairo.

Nun ließe sich einwenden, der Campus-Verlag habe vermutlich gar nicht gewusst, welche historische Tradition er mit seiner Neuerscheinung Die Israel-Lobby bereits auf dem Umschlag pflegt. Aber das wäre kein Argument. Denn dass eine mit Davidsternen versehene amerikanische Flagge ein durch und durch antisemitisches Symbol ist, kann man auch wissen, ohne den Namen Johann von Leers jemals gehört oder gelesen zu haben. Andererseits ist die grafische Gestaltung der Titelseite nur konsequent und überdies offenherzig: Ein antisemitisches Buch wird so schon auf den ersten Blick als solches erkennbar. Das war zwar vermutlich nicht beabsichtigt, ist nichtsdestoweniger jedoch unbedingt zu begrüßen. Dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften einen Blick auf das Werk wirft, dürfte gleichwohl vermutlich zu viel verlangt sein.

Übrigens ist der
Campus-Verlag
, bei Lichte betrachtet, gar nicht das erste deutsche Publikationshaus, das Mearsheimers und Walts Wälzer veröffentlicht:* Das amerikanische Original erschien bei Farrar, Straus & Giroux. Und die gehören seit 1994 der – deutschen – Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck. Dort hat man Erfahrung mit antizionistischer Literatur. Denn auch der amerikanische Verlag Henry Holt ist Teil von Holtzbrinck; 1998 publizierte er in seiner Reihe Owl Books Norman G. Finkelsteins A Nation on Trial: The Goldhagen Thesis and Historical Truth (Eine Nation vor Gericht: Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit). Sage ja niemand, 62 Jahre nach Auschwitz zahle sich Antisemitismus hierzulande nicht mehr aus.

* Herzlichen Dank an John Rosenthal für die sachdienlichen Hinweise.

10.9.07

Die Protokolle der Weisen vom Campus

Die Verantwortlichen des Campus-Verlags werden sich gewiss eine Menge Gedanken darüber gemacht haben, wie sich die Übersetzung des von den beiden amerikanischen Politikprofessoren John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt verfassten Buches The Israel-Lobby einem deutschen Publikum am besten verkaufen lässt. Dass es hierzulande einen profitablen Markt für das Werk gibt, mussten vermutlich nicht erst aufwändige Forschungen beweisen, weil dafür bereits der tägliche Blick in die Zeitungen genügt. Und so ist es – wie auch schon bei Ted Honderichs zunächst im Suhrkamp Verlag erschienenen Pamphlet Nach dem Terror – alles andere als Zufall, dass der 503 Seiten dicke Schinken nicht von irgendeiner linken Klitsche in kleiner Auflage veröffentlicht wurde, sondern von einem, ja doch, renommierten deutschen Verlagshaus. Dort weiß man jedenfalls, mit welchen Worten eine Abhandlung über die bereits im Untertitel formulierte Frage, „wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird“ – von Juden nämlich –, möglichst lukrativ zu bewerben ist: „Seit seinem Bestehen wird Israel von den USA und – aus begreiflichen historischen Gründen – Deutschland politisch und wirtschaftlich unterstützt“, verlautbart es auf der Website von Campus. „Aus begreiflichen historischen Gründen“ soll dabei vermutlich so viel heißen wie: „wegen der Judenvernichtung“.

Aber das steht da nicht, sondern vielmehr dies: „Doch die uneingeschränkte Solidarität schwindet. Nun brechen zwei Experten mit fundierter Kritik ein Tabu und lösen eine überfällige Debatte aus.“ Fünf Lügen in nur zwei Sätzen, das muss man erst mal schaffen: Eine „uneingeschränkte Solidarität“ mit Israel gab es nie, die „zwei Experten“ sind ihrer akademischen Funktion zum Trotz nichts als Demagogen, bei der „fundierten Kritik“ handelt es sich de facto um eine Neuauflage der Protokolle der Weisen von Zion, das behauptete „Tabu“ war zu keiner Zeit existent, und die „überfällige Debatte“ braucht nicht erst ausgelöst zu werden, weil sie sich schon seit Jahrzehnten austobt. Da es aber das Credo der „Israel-Kritiker“ ist, auszusprechen, was angeblich niemand sich zu sagen traut – wiewohl es alle ungehindert tun –, und weil dieses Credo mainstreamkonform ist, obzwar respektive weil sich seine Vertreter als verfolgte Minderheit wähnen, kann die Wahrheit eine Pause einlegen, ohne dass es einem wissenschaftlichen Verlag schaden würde. Im Gegenteil dürften sowohl Campus als auch Mearsheimer und Walt ihre Reputation mit der Publikation deutlich befördern.

Der Kern des Buches ist dabei kurz zusammengefasst. Israel sei zu „einer strategischen Bürde für die Vereinigten Staaten geworden“, behaupten die Autoren. „Washingtons enge Beziehungen zu Jerusalem machen es schwerer, jene Terroristen zu besiegen, die jetzt die USA angreifen. Gleichzeitig untergraben sie Amerikas Ansehen bei wichtigen Verbündeten weltweit. [...] Etliche politische Entscheidungen, die zugunsten Israels gefällt wurden, gefährden heute die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten.“ Schuld an alledem sei die „Israel-Lobby“, die die USA unter anderem in den Krieg gegen den Irak getrieben, deren Verhältnis zum Iran und zu Syrien negativ beeinflusst, eine Distanzierung vom jüdischen Staat verhindert und die Zunahme des Antiamerikanismus und des Terrors in der arabisch-islamischen Welt verursacht habe. „Das ist eine klassische antisemitische Argumentation, der zufolge die Juden ihre Wirtsvölker – die Anführungszeichen müssen Sie bitte mitdenken – für ihre eigenen, eigennützigen, diesen Wirtsvölkern schädlichen Zwecke missbrauchen, indem sie die öffentliche Meinung und die Politik kontrollieren“, brachte es Alan Posener im Deutschlandfunk auf den Punkt.

Und dazu passt, dass sich Mearsheimer und Walt allen Ernstes als Opfer dieser „Israel-Lobby“ fühlen und sich darüber beklagten, deretwegen kein Gehör zu finden. Aber „wieso haben sie dann einen Vorschuss von 750.000 Dollar von einem Verlag, Farrar Strauss, bekommen, dessen legendärer Mitgründer Roger Strauss Jude war?“, fragte Josef Joffe in der Zeit vollkommen zu Recht. „Stephen Walts Professur in Harvard wurde von Robert und Renée Belfer gestiftet, zwei jüdischen Philanthropen und Israel-Freunden.“ Und das sind nicht die einzigen Widersprüche. Warum erkannte die Sowjetunion den jüdischen Staat schneller an als die USA? Warum weigerten sich die Vereinigten Staaten bis weit in die sechziger Jahre hinein, Waffen an Israel zu liefern, das deshalb in dieser Hinsicht auf den Ostblock und Frankreich angewiesen war? Warum nötigte Henry Kissinger die Israelis, sich im Yom-Kippur-Krieg 1973 hinter den Suezkanal zurückzuziehen? Warum wollte Ronald Reagan 1982 nicht, dass sie Beirut einzunehmen? Warum verlangte George Bush senior 1991 von Israel, sich trotz Saddam Husseins Raketenangriffen passiv zu verhalten? Warum bestand Bush junior darauf, der Hamas trotz israelischer Bedenken die Beteiligung an den palästinensischen Parlamentswahlen zu gestatten? Warum verlegen die USA ihre Botschaft nicht von Tel Aviv nach Jerusalem? Und schließlich: Warum hat die „Israel-Lobby“ eigentlich nicht das Buch von Mearsheimer und Walt verhindert?

Wohl deshalb, weil sie nicht zu viel, sondern viel zu wenig Einfluss hat. Josef Joffe hat jedoch noch eine andere Erklärung: „Entweder die Israel-Lobby muss noch üben – oder sie geht besonders infam vor. Demnach, schreibt Max Boot in der Los Angeles Times, hätten die Hebräer mit Walt einen schlappen Einflussagenten alimentiert, damit er mit seiner löchrigen Streitschrift die Anti-Israel-Kräfte ein für alle Mal als garstige Amateure diskreditiere. Diese Verschwörungstheorie ist zumindest witzig.“ Robert Misik wird über sie allerdings nicht lachen können: „Die proisraelischen Organisationen haben in den vergangenen Jahren den Bogen entschieden überspannt, und die vielen Führer jüdischer Gruppen und Gemeinden haben weder ihren Mitgliedern noch Israel einen Dienst erwiesen, dass sie sich vor den Karren von Scharon, Olmert & Co. spannen ließen“, geiferte er in der taz. „Spätestens mit den aggressiven, global orchestrierten (!) Kampagnen gegen jüdische Kritiker der israelischen Militär- und Siedlungspolitik, die zuletzt beinahe im Monatsrhythmus vom Zaun gebrochen wurden, wurde eine Grenze überschritten“: die nämlich, dass Juden angeblich keine Antisemiten sein können. Das ist für Misik und Seinesgleichen tatsächlich ein Problem. Denn wenn die Kronzeugenregelung entfällt, können sie nicht mehr auf verminderte Schuldfähigkeit plädieren. Aber die Strafe, sie fällt vergleichsweise milde aus. Denn die Sozialstunden lassen sich im Zweifelsfall beim Campus Verlag absolvieren: Im Lektorat oder der Pressestelle ist sicher immer ein Plätzchen frei.

7.9.07

Erbakans Spuren

Es ist keine Überraschung, dass nach den vereitelten Terroranschlägen auf amerikanische und von Amerikanern besuchte Einrichtungen in Deutschland die diesbezügliche Spurensuche nicht zuletzt nach Ulm und zum dortigen, einschlägig bekannten Islamischen Informationszentrum (IIZ) zu führen scheint. Namentlich die beiden Festgenommenen Fritz G. und Adem Y. gingen in dieser Schulungs- und Rekrutierungsstelle für Islamisten offenbar ein und aus. Das IIZ (Foto) verfügt dabei Berichten zufolge über enge Verbindungen zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, einer zutiefst antisemitischen türkischen Organisation, deren Ziel die Etablierung eines Gottesstaats ist. Mit mehr als 26.500 Mitgliedern gilt sie als die größte islamische Gruppierung in Deutschland. Ihr Gründer und Anführer ist der ehemalige türkische Ministerpräsident Necmettin Erbakan, auf den der neue Staatspräsident der Türkei, Abdullah Gül, seit jeher große Stücke hält.

Auch in Österreich ist Milli Görüs aktiv, insbesondere über ihre Tarnorganisation Islamische Föderation. Diese ist wiederum in die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) integriert, die gute Kontakte zur Hamas unterhält. Karl Pfeifer geht im folgenden Beitrag den ideologischen Grundlagen von Milli Görüs und ihrem Protagonisten Erbakan nach, analysiert deren Verbindungen und konstatiert schließlich, dass es in der Alpenrepublik an jeglicher kritischer Öffentlichkeit fehlt, um der tödlichen Gefahr zu begegnen, die von den Islamisten ausgeht.


Karl Pfeifer

Von „Bakterien“ und anderen „Zionisten“

Zur Integration des Islamismus


In zwei Artikeln hat Omar Al-Rawi, Mitbegründer der Inititative Muslimischer ÖsterreicherInnen (IMÖ), Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und SPÖ-Gemeinderat in Wien, kürzlich beklagt, dass das türkische Militär Necmettin Erbakan 1997 zum Rücktritt von seinem Posten als Ministerpräsident zwang. Erbakan ist Gründer und Anführer von Milli Görüs; er gilt als Vorbild von Präsident Abdullah Gül und als Mentor der Führung der regierenden AKP. Gül und Ministerpräsident Erdogan waren aktive Mitglieder in Erbakans Parteien, in denen sie Bürgermeister-, Minister- und parlamentarische Posten bekleideten. Die Führung der AKP hat sich mittlerweile von der Ideologie der Milli Görüs distanziert; alle von Erbakan geführten Parteien wurden in der Vergangenheit von türkischen Gerichten verboten. Interessant ist, wie sehr eine islamistische Gruppe wie Milli Görüs – die weitgehend identisch mit der Islamischen Föderation ist – in die Islamische Glaubensgemeinschaft integriert ist und welche Kontakte diese wiederum zur Hamas hat.

In einem am 1. Juli dieses Jahres in der Türkei ausgestrahlten Interview behauptete Erbakan, „Zionisten“ seien „Bakterien“. Während der Kampagne für die Islamische Glückseligkeitspartei (SP) vor den Wahlen am 21. Juli wiederholte er seine antisemitischen Erklärungen auch in Interviews mit anderen Fernsehkanälen. Zudem führte er diese Ansichten in seinen öffentlichen Reden vor zehntausenden Zuhörern in Ankara, Istanbul und insbesondere in anatolischen Städten wie Konia, Elazig und Trabzon aus; wiederholt stellte er die „Zionisten“ (mit denen er in Wirklichkeit die Juden meinte) als „Krankheit“ hin.

Zentrum des Bösen

Ich habe aus einem langen Interview mit Necmettin Erbakan einige Auszüge übersetzt. Ein Kommentar dazu erübrigt sich angesichts des offen zutage tretenden pathologisch-antisemitischen, apokalyptischen Hasses. Hier nur einige Zitate des Islamisten; längere Auszüge können in englischer Sprache auf der Website von Memri nachgelesen werden.
Journalist: „Lieber Herr Erbakan, wir steuern am Ende einer fünfjährigen Regierung ihrer Schüler (in der AKP) auf die Wahlen zu. Sie sagen, dass diese Wahlen entscheidend sind, dass sie über ‚Sein oder Nichtsein’ der Türkei entscheiden. Warum denken Sie so, insbesondere wenn das Land von Ihren Schülern regiert wird?“

Erbakan (nach Grüßen und Gebeten): „Diese Wahlen entscheiden, ob wir sein werden oder aufhören. [...] Der rechte Weg zum Glück der ganzen Menschheit ist unser Weg, der Weg von Milli Görüs. Unser Prophet wurde mit Liebe und Erbarmen ausgesandt, und unser Ziel ist das Glück der sechs Milliarden Menschen in der Welt. Wir sind Muslime, und unsere Zivilisation hat der ganzen Welt Glück gebracht. Das ist das Gute, aber es gibt auch das Böse. Unsere Religion sagt, dass die Ungläubigen eine Nation [Millah] bilden. Das bedeutet, das Böse wird von einem Kontrollzentrum geführt. Betrachten wir die Weltkarte, dann sehen wir ungefähr 200 Länder in [verschiedenen] Farben, und wir denken es gibt viele Rassen, Religionen und Nationen. Tatsache ist, dass in den [letzten] 300 Jahren all diese [200 Nationen] von einem Zentrum kontrolliert wurden. Dieses Zentrum ist der rassistische, imperialistische Zionismus. Nur wenn Sie die korrekte Diagnose der Krankheit vornehmen, können Sie die Heilung finden. Sie werden fragen: ‚Was ist dieser Glaube, dieser rassistische Imperialismus der das Glück dieser Welt vernichtet?’ Dieser Glaube begann vor 5765 Jahren, als die Kinder Israels in Ägypten lebten, mit einem Buch der Magie, die von einer Kabbala genannten [Person] geschrieben wurde.“
Erbakan unterstellt sodann den Juden vier Prinzipien:
„1. Ihr seid das wirkliche Volk Gottes; alle anderen wurden nur geschaffen, eure Sklaven zu werden; ihr wurdet als Menschen [geschaffen] und die anderen als Affen, die später in Menschen verwandelt wurden. 2. Diese Überlegenheit wird nicht nur eine im Gedanken sein, sondern sie wird materialisiert, tatsächlich realisiert. Sie werden die Meister sein und die anderen ihre Sklaven. Zur Verwirklichung müssen sie drei Pflichten erfüllen: Die erste Pflicht ist, alle verstreuten Söhne Israels in Quds [Jerusalem] zu versammeln; die zweite Pflicht ist, das ‚Großisrael’ zwischen Nil und Euphrat innerhalb dieser vorbestimmten Grenzen zu schaffen und die Sicherheit dieses Großisraels zu garantieren. Wissen Sie, was die Sicherheit Israels bedeutet? Sie bedeutet, dass sie die 28 Länder von Marokko bis Indonesien beherrschen werden. Da alle Kreuzfahrten von den Zionisten organisiert wurden und da es unsere Vorväter, die Seldschuken, waren, die sie aufgehalten haben, sollte es laut Kabbala keinen souveränen Staat in Anatolien geben. Das ist die Religion dieses Volkes [das heißt der Juden], ihr Glaube. Sie können nicht mit ihnen argumentieren oder verhandeln. Das ist ihre Religion, und die kommt von der Kabbala. [...] 3. Sie werden – was Allah verhüten möge – die Al-Aqsa-Moschee zerstören und stattdessen Salomons Tempel bauen. 4. Nur dann wird ihr Messias kommen und sie zu den Herrschern der Welt machen.“
Erbakan meint also, die Zionisten arbeiteten seit 5767 Jahren daran, eine Weltordnung zu schaffen, in der alles Geld und alle Arbeitskraft von „den Juden“ abhängen. Aber das ist noch nicht alles:
„Was für eine Welt haben sie gebaut? Ohne dies zu verstehen, kann nichts verstanden werden. Die Stimmzettel, die Wahlen [nach denen Sie fragen], das sind alles Details. Das Wesentliche ist dies: Angenommen, Sie als Muslim wollen [nach Mekka] zum hadj [Wallfahrt] und möchten dabei mit einem türkischen Flugzeug fliegen. Eine Fluglinie muss die Erlaubnis haben, zu fliegen und in anderen Ländern zu landen, deswegen muss sie IATA-Mitglied sein. IATA ist eine Organisation der Kinder Israels, von Rockefeller. Um Mitglied zu werden, müssen die Fluglinien ihnen [den Juden] neun Prozent der Ticket-Einnahmen geben.“
Weiter behauptet Erbakan, Juden seien für den Protestantismus und den Kapitalismus verantwortlich:
„Es war der Zionismus, der die Sekte des Protestantismus geschaffen hat. Die kapitalistische Ordnung heute ist der religiöse Auftrag des Protestantismus. Das ist deshalb so, weil der Papst das Konzept des Zinses ablehnt, um nicht die Ausbeutung seiner Kinder zu gestatten. Das ist [der Grund], weshalb die Juden beschlossen, die [christliche] Religion zu ändern, und den Protestantismus gründeten. So können sie Zinsen erheben und alle dazu bringen, für sie zu arbeiten. Ohne all dies zu wissen, können Sie nicht verstehen, was in der Welt vor sich geht. Wenn wir all dies erfahren, dann wissen wir, dass es keine 200 Länder in der Welt gibt. Es gibt lediglich zwei. Das eine ist die Welt des Islam, und das andere sind all die anderen. Wer benutzt die anderen? Der rassistische Imperialismus [gemeint ist der Zionismus]. Die Zionisten halten die Christen an der Hand und benutzen sie. Die Industrieentwicklung Chinas und Indiens wird mit jüdischem Kapital betrieben. Die Japans ebenfalls. Sie kontrollieren auch diese. Nur der Islam bleibt gegen sie. Die Juden sagen, ihr werdet unsere Sklaven sein. Der Islam sagt: La i lahe il l’ Allah – Wir werden vor niemandem als vor Allah den Kopf senken. Niemand wird irgendjemandes Sklave sein. So ist das ein Konflikt zwischen den beiden – ein Konflikt zwischen dem Guten und dem Bösen.“
Partizipation der Guten

Die Islamische Glaubensgemeinschaft berichtete beim österreichischen Historikertag im April 2003: „Partizipation scheint zu einem neuen Schlüsselwort für Muslime in Österreich geworden zu sein. Bei einem Vergleich der Informationsfolder verschiedener Vereine (z.B. ‚Islamische Föderation’, ‚Union islamischer Kulturzentren’, ‚Islamische Liga der Kultur’, ‚Gesellschaft für Zusammenkunft der Kulturen’) springt die Betonung der Wertschätzung eines fruchtbaren Austausches und Dialogs mit Menschen anderen Glaubens ins Auge.“ Die von Al Rawis Islamischer Glaubensgemeinschaft wegen der „Betonung der Wertschätzung eines fruchtbaren Austausches und Dialogs mit Menschen anderen Glaubens“ so gepriesene Islamische Föderation ist laut deutschen Verfassungsschutzberichten eine Tarnorganisation der antisemitischen Milli Görüs, die von den Behörden beobachtet wird. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalens schreibt: „Funktionäre distanzierten sich nach außen von antisemitischen Aussagen. Diese Tendenzen haben sich bisher jedoch nicht dahingehend ausgewirkt, dass der Einfluss der an Erbakan und seiner islamistischen Ideologie festhaltenden europäischen Milli Görüs spürbar zurückgedrängt wäre“, weshalb ihre Beobachtung geboten sei. Die Verfassungsschützer setzen sich darüber hinaus auch in ihrer Broschüre Islamismus – Missbrauch einer Religion mit Milli Görüs auseinander:
„Eine politische Ordnung, die auf der letztgültigen Offenbarung basiert, wird als ‚gerechte Ordnung’ (adil düzen) betrachtet. In der Auseinandersetzung zwischen diesen Ordnungsmodellen tritt die ‚Milli-Görüs’-Bewegung für die von Necmettin Erbakan entwickelte, am Islam orientierte ‚gerechte Ordnung’ ein und strebt die Überwindung der ‚nichtigen Ordnung’ an. Hierin ist der eigentliche Zweck von ‚Milli Görüs’ zu sehen. Diesem Ziel dient der Versuch, sich in der deutschen Öffentlichkeit als Ansprechpartner für Fragen des Islams und der Muslime zu etablieren. Hierbei wäre ein offenes Bekenntnis zur verfassungsfeindlichen Ideologie und zu dem in ‚adil düzen’ deutlich gezeigten Antisemitismus der Erbakan-Bewegung vollkommen kontraproduktiv.

Deshalb bekennt sich die IGMG [Islamische Gemeinschaft Milli Görüs] vordergründig zum Grundgesetz und spricht sich gegen Antisemitismus aus. Sie distanziert sich jedoch nicht von den verfassungsfeindlichen Inhalten der von Erbakan vorgetragenen Ideologie.

Innerhalb der Bewegung wird und ist diese Ideologie nach wie vor stark verbreitet. Diese Verbreitung geschieht jedoch nicht durch offizielle Kanäle der IGMG, etwa in ihren Publikationen oder auf ihrer Homepage, die nach außen wirken. Vielmehr findet die Verbreitung der Ideologie statt durch interne Seminare, in der Zeitung der ‚Milli-Görüs’-Bewegung, ‚Milli Gazete’, und zunehmend in Internetforen, die zum Teil auch von IGMG-Funktionären bereitgestellt und betreut werden.

Die Errichtung einer islamischen Ordnung in Deutschland ist sicherlich unrealistisch. Den Einfluss von ‚Milli Görüs’ unter den Muslimen in Deutschland zu erweitern und sich als von Behörden und Staat anerkannte Organisation in der Verbandslandschaft zu etablieren ist dagegen offensichtliches Ziel der IGMG. Solange die Organisation jedoch an der Ideologie des unumstrittenen ‚Milli-Görüs’-Führers, Necmettin Erbakan, festhält, würde eine solche Stärkung und Etablierung der IGMG einer Aushöhlung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Vorschub leisten. Die Funktionäre der IGMG sind seit einigen Jahren besonders um die Unangreifbarkeit der Organisation bemüht. In der Türkei oder in ‚Milli-Görüs’-nahen Internetforen, die auch aus Deutschland betrieben werden, äußern ‚Milli-Görüs’-Anhänger ihre ideologischen Überzeugungen jedoch weiterhin offen. In der türkischen Tageszeitung ‚Milli Gazete’, die der ‚Milli-Görüs’-Bewegung als Sprachrohr dient, werden immer wieder islamistische und antisemitische Positionen vertreten.

Nicht nur wegen der intensiven Jugendarbeit der IGMG, sondern auch weil die Organisation zunehmend im öffentlichen Raum agiert, ist es notwendig, sich mit ihren geschickt verschleierten Vorstellungen und Zielen auseinander zu setzen. So versucht die Organisation unter anderem an Schulen ihre Positionen durchzusetzen, indem sie beispielsweise Eltern unterstützt, die ihre Töchter freistellen lassen wollen vom gemeinsamen Schwimm- und Sportunterricht.

Zugleich spricht sich die IGMG für die Integration der Muslime aus, wendet sich aber gegen eine ‚Assimilation’. Demnach gilt anscheinend die Teilnahme von Mädchen an Schwimm- und Sportunterricht der IGMG als Assimilation. Von staatlicher Seite dagegen wird die Teilnahme an allen schulischen Veranstaltungen als positives Integrationssignal gewertet.“

Es wäre interessant zu erfahren, ob es stimmt, was die österreichischen Behörden glauben: dass nämlich die IGMG in Österreich sich von der demokratiefeindlichen und antisemitischen Ideologie Erbakans gelöst hat.

Hamas-Frontorganisationen in Österreich?

Am 26. Juli dieses Jahres berichtete der Wiener Kurier über „Islamismus in Österreich“ und ließ zwei muslimische Journalisten zu Wort kommen:
„Riyadh Al-Amir, Vorstandsmitglied des Österreichischen Irakischen Verbands für Entwicklung und Journalist, sieht die Gefahr des Islamismus in der Unterstützung von islamischem Extremismus von Seiten vieler führender Kräfte der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) verankert.

‚Manche führende Persönlichkeiten und Berater der Islamischen Glaubensgemeinschaft haben Verbindungen zu islamisch-extremistischen Gruppierungen und verschleiern ihre Tätigkeit in Österreich.’ Sie repräsentiere gegenüber Politikern eher nicht-liberale Muslime. Von den 350 islamischen Religionslehrern, die in Österreich unter der Koordinierung der Glaubensgemeinschaft unterrichten, seien etwa ‚200 aufgrund ihrer extremistischen Ideologien aus den Heimatländern geflüchtet’. […]

Der langjährige Korrespondent der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA und ehemalige Generalsekretär der Auslandspresse in Österreich, Ahmed Hamed, schlägt in dieselbe Kerbe. ‚Die Führer der Islamisten gehören der Muslimbruderschaft an. Sie haben auf der ganzen Welt ihre Zweigstellen errichtet, auch in Österreich.’ Und: ‚Die Führung der Glaubensgemeinschaft ist zu nah am Gedankengut der Muslimbruderschaft.’ Gleichzeitig weist Hamed darauf hin, dass seine Aussagen ‚nicht parteipolitischer Argumentation mancher rechtsorientierter Parteien’ dienen sollen.

Auch die Hamas habe sich laut Hamed in Österreich etabliert. Sie sei auf die Unterstützung von Moscheen und Organisationen angewiesen. Ob die Islamische Föderation, die laut Integrationsbeauftragem der IGGiÖ, Omar Al-Rawi, 90 Moscheen in Österreich innehabe, auch der Hamas nahestünde? ‚Ja. Die Hamas ist Teil dieser Organisationen. Ohne deren Unterstützung kann sie sich gar nicht etablieren.’

Ein weiterer Punkt sei, dass Anhänger der Hamas in Österreich Spendengelder für den Terrorismus in Palästina sammelten, um die Hamas dort zu unterstützen. ‚Die Summen gehen in die Millionen. Die Hamas hat eine Elitetruppe in Palästina mit hochwertiger militärischer Ausrüstung aufgebaut, auch mit Spendengeldern aus Österreich. Wir gemäßigten Muslime haben große Sorge und fordern den Staat auf, diese Geldflüsse stärker zu kontrollieren.’ Einen Vorwurf macht Hamed auch dem österreichischen Verfassungsschutz: ‚Obwohl der Verfassungsschutz diese Szene und die Arbeit der Hamas genau kennt, unternimmt er nichts.’“

Die Frage, ob und – falls dem tatsächlich so ist – weshalb der österreichische Verfassungsschutz nichts gegen die österreichischen Ableger von Hamas und Milli Görüs unternimmt, müsste dem Bundesminister für Inneres gestellt werden. Jedoch fehlt hierzulande jene kritische Öffentlichkeit, deren Aufgabe dies wäre.