26.11.08

Krull + Voltaire = Moskovitz

Verdächtig still war es zuletzt geworden um den „Felix Krull der israelischen Friedensbewegung“, wie Henryk M. Broder den Reuven Moskovitz (Foto) sehr zu Recht nennt. Man weiß nicht, was der Grund für Moskovitz’ zeitweiliges Abtauchen war – vielleicht haben die Vorbereitungen auf seinen achtzigsten Geburtstag einfach nur besonders lange gedauert; möglicherweise hielt er es aber auch für ratsam, sich eine Weile rar zu machen, nachdem der Schwindel mit seinem angeblichen Doktortitel aufgeflogen war. Doch jetzt haben die „Israelkritiker“ hierzulande einen ihrer liebsten jüdischen Kronzeugen wieder, und das freut beispielsweise die Freie Universität Berlin so sehr, dass sie lieber nicht wissen will, warum da einem ihre akademischen Würden so ganz ohne auffindbare Nachweise zugeschrieben worden sind. Vielmehr lud sie den „israelischen Friedenskämpfer“ sogar zu einem Vortrag; anschließend machte ein Aushang an der Hochschule deutlich, dass es gar nicht um die „verzweifelte Lage der Palästinenser“ geht, wie es der Titel der Veranstaltung verhieß, sondern um etwas ganz anderes (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik etc. im Original):
„Moskowitz sagt uns, dass gerade wir als Deutsche nicht nur das Recht, sondern sogar die besondere Pflicht zu Kritik an jeder friedenswidrigen Politik (auch der Politik Israels) haben! Er ruft uns dazu auf, die Mauer des Schweigens und des sich Unterwerfens unter die politische und geistige Erpressung zu durchbrechen Zum Schluss verweist und M. auf das Buch ‚Hitler besiegen’, von dem ehem. Israelischen Knesset-Vorsitzenden Avram Burg, mit der Hauptthese, das sich Israel in der Übergangsphase von der Weimarer Republik zum Schreckensregime des Nationalsozialismus befinde. Viel zu lange haben sich Frieden suchende Menschen in Deutschland mit dem Ruf Friede! Friede! an der Nase herumführen lassen, während die israelischen Machthaber dem Frieden unablässig entgegenwirkten.“
Die Einladung des alten Recken in die frühere Reichskapitale und seine Ansprache an ein geneigtes Publikum waren also gewissermaßen Ausdruck eines so nachholenden wie vorauseilenden Antifaschismus’, mit dem die Veranstalter im Verbund mit weiteren Gerade-wir-als-Deutsche-Deutschen erstens doch noch den Führer um die Ecke brachten und zweitens den israelischen Brünings, Papens und Schleichers rechtzeitig den Kampf ansagten, bevor die den jüdischen Staat final faschisieren. So etwas in der Art muss es gewesen sein, das auch den Club Voltaire in München motiviert hat, Moskovitz aufs Neue in die vormalige Hauptstadt der Bewegung zu holen, zumal schon beim ersten Termin im September der Theatersaal aus allen Nähten geplatzt sein soll. Nun bekommt der Scheindoktor am nächsten Dienstag eine weitere Gelegenheit, über „den langen Weg zum Frieden“ zu referieren. Aus, sagen wir, aktuellem Anlass hat man dazu sogar das Programm ein wenig gepimpt (Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik etc. auch hier im Original):
„Eigentlich wollte Reuven Moskowitz uns seine LieblingsschriftstellerInnen und Dichter vorstellen, da aber sowohl die USA als auch Israel eine neue Regierung haben werden, bitten wir ihn, um seine Meinungsäußerung dazu. Heißt neue Regierung auch neue Politik? Gibt es wieder mehr Hoffnung auf einen friedlichen Weg aus dem kriegerischen Konflikt mit dem Palästinensischem Volk? Wer ist Zipi Livni, die nach eigenen Angaben von 1980-1984 für den Geheimdienst ‚Mossad’ gearbeitet hat, ist von ihr eine neue Politik zu erwarten? Wird der neue amerikanische Präsident einen Wechsel in der Nahostpolitik vorantreiben? Wenn ja, inwiefern?“
Man braucht also dringend neuen Input zu seinen Lieblingsfeinden, das heißt: Der Onkel „Doktor“ soll den Patienten, Verzeihung: Clubgästen erzählen, dass sie auch bei Livni und Obama nicht von ihren lieb gewonnenen Gewohnheiten lassen müssen. Und das Ambiente dafür passt – schließlich ist es die erklärte Absicht des Club Voltaire, „einen Freiraum zu schaffen, an dem sich emanzipatorischer und politischer Anspruch mit sinnlicher Freude und Genuss decken“. Reuven Moskovitz scheint demzufolge quasi die ideale Symbiose zu sein, der personifizierte Freiraum sozusagen. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Namensgeber des Hauses eben nicht nur ein Aufklärer, sondern auch ein veritabler Antisemit vor dem Herrn war – dann, ja dann ist der Rahmen für den Friedensopa wirklich ein perfekter. Nur eine Sache sorgt für Irritationen: Weshalb zeichnet ausgerechnet eine Band, die sonst auf Hochzeiten und Beerdigungen spielt, für die musikalische Untermalung der Veranstaltung verantwortlich?

24.11.08

Die Kunst des Machbaren



Am heutigen Montagnachmittag findet in Berlin die Zweite Konferenz des Koordinierungsrats deutscher NGOs gegen Antisemitismus statt. Lizas Welt dokumentiert aus diesem Anlass das bemerkenswerte Grußwort des Vertreters von B’nai B’rith Europe mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

es gilt als unhöflich, auf eine Einladung zu einem Grußwort nicht mit freundlichen, die Versammelten und das eigene Voranschreiten lobenden und ermutigenden Worten zu reagieren. Doch ich bitte um Nachsicht: So positiv bin ich nicht gestimmt, um das Obligatorische zu leisten, und ich will Ihnen das begründen. Sie mögen meine Intervention als Defätismus missverstehen. Ich möchte aber uns, die wir vorgeben, der Aufklärung verpflichtet zu sein, daran erinnern, dass Aufklärung zuvörderst Selbstaufklärung ist, in aller Doppeldeutigkeit des Wortes: Ent-Täuschung. Oder, wie es Max Horkheimer fasste, nicht primär Wissensfortschritt, sondern Naivitätsverlust. Und zu diesem Naivitätsverlust gab es in den Wochen seit der letzten Koordinierungskonferenz hinreichend Grund.

Es waren Wochen großer symbolischer Gesten. Die Bundestagsdebatte zum 9. November gipfelte in dem Verdikt, dem Antisemitismus sei ein „Stoppsignal“ entgegenzusetzen, weil er sonst, wie schon in den 1930er Jahren, „wie der Dieb in der Nacht“ komme: „Er ermordet die Demokratie, und dann, am Ende, wird Deutschland im Innersten zerstört.“ Irritierend: Geht es zuvörderst um Deutschland? Der Bundestag beschloss, dem Judenhass zu wehren. Irritierend: Muss das Selbstverständliche immer wieder beschlossen werden? Der Hizbollah-Sender Al-Manar wurde in Deutschland angeblich verboten. Irritierend: Im Kabelnetz war er hierzulande eh nie zu finden, über Satellit funkt er munter weiter. Ebenso irritierend: Die antisemitische Terrororganisation Hizbollah selbst bleibt in Deutschland legal.

Und deshalb frage ich uns aus den Nicht-Regierungsorganisationen: Was nützen die wohlmeinenden Gesten des Parlaments? Was nützt uns ein neuer Antisemitismusbericht, ein Expertengremium des Bundestages? Gibt es nicht genügend Berichte, Experten und Gremien? Weiß man als entscheidungsmächtiger Parlamentarier nicht genug über den alten und den neuen Antisemitismus, um die richtigen – das heißt auch: praktischen – Schlussfolgerungen zu ziehen? Welche Erfolge erzielen wir Zivilgesellschafter mit all den Unterschriftenlisten, Kampagnen, Petitionen, Forderungskatalogen, Konferenzen, Kundgebungen, Demonstrationen, mit all unseren Presseerklärungen? Geben wir uns zufrieden mit großer Rhetorik? Feiern wir wirklich – wie Eike Geisel es einmal nannte – den „Triumph des guten Willens“? Werden wir zum zivilgesellschaftlichen Feigenblatt parlamentarischen Unwillens oder Unvermögens? Kurz: Ist Politik die Kunst des Machbaren oder doch nur des Symbolischen? Und wenn sie tatsächlich die Kunst des Machbaren ist, ist die konkrete Bekämpfung des alten und des neuen Antisemitismus etwa nicht machbar?

Und ich frage die hier vertretenen Parlamentarier der verschiedenen Parteien: Brauchen Sie wirklich all unsere Petitionen, Vorschläge, Forderungen? Sie wissen doch sicher selbst, wie man das Offensichtliche und Nötige tun kann. Wer von Ihnen wird rigorose, unilaterale Sanktionen Deutschlands gegen den Iran im Bundestag initiieren, um das zu erreichen, was über die Uno unmöglich scheint: den Mullahs die technologische und ökonomische Grundlage für ein Atomwaffenprogramm zu entziehen? Welche Fraktion wird die Bundesregierung im Bundestag konkret durch eine Beschlussvorlage unter Druck setzen, bei den Verhandlungen zur Vorbereitung der antiisraelischen Durban II-Konferenz nicht ein „μ” von den durch die französische EU-Ratspräsidentschaft festgelegten „red lines“ – den eigenen zivilisatorischen Mindeststandards – abzuweichen, notfalls auch die Reißleine zu ziehen und damit praktische Solidarität mit Israel zu zeigen?

Wer von Ihnen verlangte Konsequenzen, als ein Staatssekretär im Auswärtigen Amt jüngst im badischen Freiburg den iranischen Ex-Präsidenten Khatami hofierte, obwohl dieser eben nicht moderat, sondern schlicht vernichtungsantisemitisch ist und Israel als „eine alte, nicht heilbare Wunde im Körper des Islam“ bezeichnet, „die dämonisches, stinkendes und ansteckendes Blut besitzt“? Wer von Ihnen bringt eine Diskussion ins Parlament ein, um den „freundlichen“ Dialog mit den Teheraner Mullahs in Frage zu stellen? Wer von Ihnen kritisiert dabei die regierungsoffizielle Finanzierung und Förderung des Auftritts des ehemaligen iranischen Vizeaußenministers Mohammed Laridjani im Juli in Berlin, bei dem dieser das „Ende des zionistischen Projekts“ propagierte? Wer von Ihnen interveniert, weil Irans Vizeaußenminister Mehdi Safari im April auf Einladung der Bundesregierung mit hochrangigen Vertretern von Außen-, Innen- und Wirtschaftsministerium und mehreren Bundestagsabgeordneten zusammentraf, um den Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu verabreden? Warum wird die Moral hier anderen Erwägungen untergeordnet? Und wer von Ihnen bringt endlich eine Beschlussvorlage zum Verbot der Hizbollah in den Bundestag ein?

Kurz: Wissen Sie nicht längst, was Sie als deutsche Parlamentarier tun können, um dem mörderischen Antisemitismus des Teheraner Regimes und seiner global operierenden Kumpane in den Arm zu fallen?

Bevor wir nun als Akteure der Nichtregierungsorganisationen fortfahren, das Übliche zu tun – Entgegennahme von Grußworten, sodann: Verabredung von Kampagnen, Petitionen, Protestnoten –, rege ich eine Diskussion mit den Parlamentariern darüber an, warum das so Offensichtliche und Nötige eben nicht getan wird. Wo sind eigentlich die Hindernisse? Einen fragilen Restoptimismus schöpfe ich dabei aus der Erkenntnis, zu der es keiner Promotion in Politikwissenschaft bedarf: Politik erschöpft sich nicht im Symbolischen. Sie sehen also: Ich bin kein Defätist. Ich bin – wie Sie – der Wahrheit, der Reflexion, der Aufklärung und Selbstaufklärung verpflichtet. Nehmen wir diese Verpflichtung ernst.
© 2006 für das Foto: ADF Berlin

20.11.08

Theologik



Hätte der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, die Gelassenheit und Souveränität besessen, über einen Leserkommentar in einem Internet-Blog einfach hinwegzusehen – es spräche heute vermutlich niemand mehr über den nämlichen Eintrag. Aber Theo Zwanziger wollte nicht darüber hinwegsehen, dass er dort Ende Juli als „unglaublicher Demagoge“ bezeichnet wurde, nachdem er die Entscheidung des Bundeskartellamts, den Vermarktungsmöglichkeiten für die Rechte an der Übertragung von Bundesligaspielen zugunsten der Konsumenten Grenzen zu setzen, als ultimative Katastrophe für den deutschen Fußball eingestuft und de facto wettbewerbsrechtliche Ausnahmeregelungen für den Sport gefordert hatte. Er schlug stattdessen das Wort „Demagoge“ im Duden nach, fand dort nach eigenen Angaben die Übersetzung „Volksverhetzer“, verlangte deshalb Mitte August eine Unterlassungserklärung und beantragte – da er sie nicht bekam – schließlich beim Berliner Landgericht, dem Kommentator seine vorgeblich grundlos und in diffamierender Absicht vorgetragene Äußerung per einstweiliger Verfügung zu verbieten. Damit brachte er einen Stein ins Rollen, der sich inzwischen zu einer regelrechten Lawine ausgewachsen hat.

Bei dem Kommentarschreiber handelte es sich um den Journalisten und Buchautor Jens Weinreich, bei dem Weblog um die viel gelesene Internetseite Direkter Freistoß. Das verlieh der Charakterisierung Zwanzigers – die man gewiss nicht teilen muss – zweifellos ein größeres Gewicht, als es eine gleich lautende Bemerkung eines Anonymus in einem täglich bloß von ein paar Dutzend Nutzern frequentierten virtuellen Tagebuch vermocht hätte. Dennoch wäre die Halbwertzeit dieses Postings, verglichen etwa mit einem Artikel in einer überregionalen Tageszeitung oder mit einer Stellungnahme in einem Fernsehinterview, normalerweise marginal gewesen. Angesichts dessen verwundert die Energie, die der DFB-Präsident aufwandte, um Weinreich seine Einschätzung untersagen zu lassen. In einem von Oliver Fritsch, dem Betreiber des Blogs Direkter Freistoß, geführten Interview erklärte Zwanziger, warum ihn der von Weinreich geäußerte Vorwurf so getroffen habe: „Ich bin 1945 geboren und habe meinen Vater im Krieg verloren. Wenn man eine solche Vita hat und außerdem, wie ich, in Yad Vashem war, denkt man anders über die Dinge nach. Ich bitte um Verständnis, dass meine Empfindlichkeit, was die Nazi-Zeit angeht, größer ist, als das vielleicht bei andern Leuten oder Jüngeren der Fall ist. Beim Stichwort ‚Demagoge’ denke ich an Goebbels.“

Das Landgericht Berlin dachte jedoch anders: Es sah das Persönlichkeitsrecht des Verbandschefs „nicht rechtswidrig verletzt“, weil es sich bei Weinreichs Kommentar „um eine zulässige Meinungsäußerung“ handle, „die keinen schmähenden Charakter“ habe, zumal sie den Kläger durchaus nicht automatisch mit einem Diktator gleichsetze. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wies es deshalb Anfang September zurück. Zwanziger legte Beschwerde ein, die jedoch ebenfalls abgeschmettert wurde, diesmal vom Berliner Kammergericht. Zwei glatte juristische Niederlagen also für den früheren Verwaltungsrichter. „Spätestens jetzt hätte Zwanziger, wäre er klug beraten gewesen, innehalten sollen“, urteilte Uwe Müller in der Tageszeitung Die Welt. „Doch der Sportfunktionär, den die Aura eines sympathischen Onkels umgibt, heizte den Konflikt, von dem die Öffentlichkeit bis dahin kaum etwas mitbekommen hatte, heftig an.“ Er forderte Weinreich ultimativ auf, die aus seiner Sicht verunglimpfende Wortwahl zurückzunehmen. Ansonsten werde er Klage in der Hauptsache einreichen. Der Journalist wiederum bekräftigte seinerseits das, was er zuvor schon mehrmals deutlich gemacht hatte (und was ihm auch juristisch bestätigt wurde): Zwanzigers Auslegung des Begriffs „Demagoge“ sei nicht die allein gültige und schon gar nicht die von ihm, Weinreich, beabsichtigte. Er habe daher nichts zurückzunehmen.

Alles schien also darauf hinauszulaufen, dass sich die Kontrahenten vor Gericht wiedersehen. Doch am vergangenen Freitag verschickte der DFB eine Pressemitteilung, in der es plötzlich hieß: „Unmittelbar vor der Erhebung einer auf Unterlassung und Widerruf abzielenden Klage Dr. Zwanzigers gegen Weinreich hat der Berliner Journalist nunmehr über seinen Anwalt am 11. November 2008 dem DFB eine Erklärung zukommen lassen, die Dr. Zwanziger als ausreichende Entschuldigung und Eingeständnis eines Fehlverhaltens von Weinreich akzeptiert.“ Das war schlicht und ergreifend frei erfunden respektive pures Wunschdenken, und auch ansonsten strotzte die Erklärung des Fußballverbands förmlich vor Verdrehungen, Vorwürfen, Unterstellungen und Auslassungen. Weinreich selbst schrieb von einem „Lügengebilde“; auf seiner Website nahm er die Stellungnahme des DFB detailliert auseinander. Die beiden Gerichtsbeschlüsse – und das ist nicht nur befremdlich, sondern hochgradig anmaßend – erwähnte der Verband mit keinem Wort, gerade so, als hätte es sie nie gegeben. Stattdessen ließ er seinen Generalsekretär Wolfgang Niersbach treuherzig versichern: „Es ging dem DFB in diesem Verfahren niemals darum, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen oder empfindlich auf Kritik zu reagieren.“ Natürlich nicht. Wer würde das auch ernsthaft vom größten und mächtigsten Einzelsportverband der Welt denken?

Geradezu absurd ist darüber hinaus die Behauptung, Weinreich führe „seit nunmehr fast vier Monaten“ eine „Kampagne“ gegen Theo Zwanziger. Wolfgang Hettfleisch kommentierte diesen Unsinn treffend in der Frankfurter Rundschau: „Die Frage, die sich nun aufdrängt, ist, wer hier eigentlich eine Kampagne gegen wen betreibt. Zwanziger will ein Exempel statuieren. Die Größe, auch harte Kritik wie die von Weinreich auszuhalten, hat er nicht. Dass der Journalist – gerichtlich verbrieft – nur sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahm, juckt ihn nicht.“ Dreist versuche der DFB nun, „die Öffentlichkeit über die Zusammenhänge zu täuschen“, Weinreich „als Hetzer zu brandmarken“ und so seine „Geschäftsgrundlage zu zerstören“. Auch andere Kommentatoren und vor allem zahlreiche Blogs ergriffen Partei für den Journalisten und kritisierten den DFB für seine Desinformationspolitik. Wie es aussieht, haben der Deutsche Fußball-Bund und sein Präsident ein veritables Eigentor geschossen und dem schon in der Vergangenheit nicht selten zu hörenden Vorwurf, eine kritische Berichterstattung nach Kräften zu behindern, neue Nahrung gegeben.

Doch auch Jens Weinreich muss sich Kritik gefallen lassen. Selbst wenn er aus Theo Zwanziger mitnichten, wie dieser glaubt, einen Wiedergänger Joseph Goebbels’ gemacht hat: Ihn als Demagogen zu bezeichnen, war trotzdem überzogen. Weinreichs entsprechende Äußerung fiel offenkundig unter dem Eindruck einer in der Tat kritikwürdigen Rede des DFB-Präsidenten; eine etwas maßvollere Vokabel hätte es aber fraglos auch getan. Doch wie Zwanziger und sein Verband auf Weinreichs letztlich wenig bedeutsamen Eintrag in der Kommentarspalte eines Weblogs reagiert haben, ist derart unwürdig, unsouverän und unangemessen, dass es scheint, als sei geradezu auf eine passende Gelegenheit gewartet worden, um einen unliebsamen Medienvertreter regelrecht fertig zu machen. Und das wiegt weit schwerer. Hinzu kommt, dass Zwanziger einem Bericht des Gießener Anzeigers zufolge höchstselbst dem Moderator einer Podiumsveranstaltung vorhielt, „demagogische Fragen“ zu stellen. Ob er dabei an Goebbels dachte, ist nicht überliefert. Vielleicht ist er auch nur einem von ihm selbst kreierten Leitsatz gefolgt, der da lautet: „Wenn Sie die Kommunikationsherrschaft nicht haben, sind Sie immer Verlierer.“ Und wer ist das schon gerne?

17.11.08

Schooligans für Bildung & Frieden



Am Ende stand eine Erklärung, die alles nur noch schlimmer machte: Bei den Verwüstungen, die mehrere hundert Schülerinnen und Schüler am vergangenen Mittwoch in der Berliner Humboldt-Universität anrichteten, habe es sich, wie die „SchülerInnen-Initiative ‚Bildungsblockaden einreißen!’“ mitteilen ließ, „nicht um gezielte Taten“ gehandelt, „sondern um die Folge einer über lange Zeit aufgestauten Wut“. Das Bemerkenswerte an dieser Rechtfertigung ist die Selbstverständlichkeit, mit der der – nur scheinbaren – Wahllosigkeit der Angriffe auch noch grundlegendes Verständnis gezollt wird. Immerhin hatte sich die „aufgestaute Wut“ ja als regelrechte Raserei entpuppt, deren Besinnungslosigkeit die Masse erst zum Mob machte, der dann tatsächlich nicht mehr bewusst handelte, sondern sich gleichsam intuitiv austobte. Und genau diese Intuition bestimmte das gemeinschaftliche Handeln, das sich selbst Zweck war, sowie die Ziele und das Ausmaß der Zerstörung.

Deshalb ist es eben kein Zufall, dass die Ausstellung „Verraten und verkauft“ schwer demoliert wurde (Foto). Es ist kein Zufall, dass Porträts von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – darunter das Bild einer von den Nazis ermordeten Mathematikerin – zertrümmert und Bücher aus dem Fenster geworfen wurden, ganz in der Nähe jenes Platzes, auf dem die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennung ins Werk gesetzt hatten. Und es ist kein Zufall, dass „Scheiß Israel!“ gerufen wurde. Dass die Schooligans ihre zerstörerischen Aktivitäten auch noch vielstimmig mit „Anticapitalista“-Rufen untermalten und ihnen so das ideologische Gerüst gaben, fügt sich dabei perfekt ein: Wer seine Ressentiments – und um nichts anderes handelt es sich – ausgerechnet gegen eine Ausstellung über jüdische Unternehmen zur Zeit des Nationalsozialismus richtet, zeigt, wo er die Schuldigen, vulgo: „die Kapitalisten“, verortet und was er ihnen an den Hals wünscht.

All jenen, die über die „Bildungsblockade“ so verzweifelt sind, dass sie glauben, sich aufführen zu müssen wie ein SA-Nachwuchstrupp, sei übrigens ein heißer Karrieretipp gegeben: Das Goethe-Institut honoriert derlei schon mal mit der Berufung zum „Friedensbotschafter“ im Nahen Osten. Das einzige, was man für diesen Job an zusätzlichen Qualifikationen benötigt, ist, glaubwürdig einen auf Rapper zu machen und sein Weltbild in Worte zu gießen, wie sie Wasiem Taha aka „Massiv“ – der gerade für den Goetheverein durch die Palästinensergebiete tourt – in seinem Stück „Blut gegen Blut“ gefunden hat: „Mein Satz ist Sprengstoff, meine Hand am Sprengknopf! / Dropkick auf dein Kopf, dein Blut, kein Stopp! / Ihr macht alle Popshit, die Kugel kommt mit Absicht! / Bleiben wir mal sachlich, Geld her und lach nich‘! / Zu heißes Klima, Herkunft Palästina! / Arbeitslos gemeldet, trotzdem kauf ich mir ein‘ Siebener! / Keine Rotation, als wär’ ich Al-Qaida.“ Mit solchen oder ähnlichen Friedensbotschaften schafft man es hierzulande dann auch, in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten lobend erwähnt zu werden.

Unterdessen bemüht sich eine weitere Berliner Hochschule, die Freie Universität, ihr Scherflein zu Bildung & Frieden beizutragen, indem sie nämlich eine Ringvorlesung organisiert. Warum sich Venezuela, dessen Präsident zu seinem iranischen Amtskollegen bekanntlich eine besonders herzliche Freundschaft pflegt, in besserer Verfassung befindet als Europa, wurde dort schon diskursiv verhandelt. Am kommenden Mittwoch spricht nun „ein israelischer Friedenskämpfer“ zur, na klar, „verzweifelten Lage der Palästinenser“ und fragt sich mit den Veranstaltern: „Welche Lösung sollen wir anstreben?“ Vielleicht hat Reuven Moskovitz darüber hinaus noch ein paar praktische Tipps in Bezug auf die verzweifelte Lage der Schülerinnen und Schüler, die ja quasi die Palästinenser des deutschen Bildungssystems sind, zur Hand. Zumindest wird er ihnen verraten können, wie man auch ohne Hochschulabschluss an einen Doktortitel kommt und so die „Bildungsblockade“ geschmeidig umgeht.

13.11.08

Guilty by association



Es war so absehbar wie das „Allahu akbar!“ in der Moschee: Kaum, dass Barack Obama bekannt gegeben hat, dass er mit Rahm Emanuel einen dem jüdischen Staat womöglich freundlich gesinnten Juden zu seinem Stabschef zu ernennen gedenkt, drehen die Israelfeinde aller Couleur durch. Ein besonderes Highlight hat dabei John V. Whitbeck produziert. Whitbeck ist amerikanischer Völkerrechtler und Publizist mit Wohnsitz in Saudi-Arabien; er hat die palästinensische Seite bei Verhandlungen mit Israel beraten und unterweist zudem die Fatah. Im Juni 2001 wurde ihm für den Zeitraum von vier Jahren verboten, seiner Tätigkeit als Jurist nachzugehen, weil er für ein saudisches Unternehmen Geld gewaschen hatte. Der Mann lässt also keinen Zweifel daran, auf wessen Seite er steht, weshalb die linke Internetpostille Neue Rheinische Zeitung seinen Beitrag „The Promised Land? Obama, Emanuel and Israel“ denn auch in deutscher Übersetzung veröffentlichte.

Whitbecks Text ist ein Traktat, das vor Antisemitismus und sachlichen Fehlern nur so strotzt. Die ersten beiden richtig dicken Böcke schießt der Verfasser dabei gleich im zweiten Satz: „Rahm Emanuel ist israelischer Staatsbürger und Veteran der israelischen Armee.“ Zum einen dienen diese Behauptungen ganz offensichtlich vor allem dazu, Emanuels Loyalität gegenüber den USA anzuzweifeln – als Israeli und ehemaliger IDF-Soldat wäre er ja in erster Linie dem jüdischen Staat verpflichtet. Zum anderen sind sie schlicht falsch: Der in den USA geborene 48-Jährige hat seinen israelischen Pass bereits vor 30 Jahren abgegeben und besitzt seitdem nur noch einen amerikanischen. Und er ist auch kein Veteran: Seine einzige Betätigung für die israelischen Streitkräfte bestand in der Teilnahme an einem wenige Wochen dauernden Volunteer-Programm der IDF, bei dem Zivilisten während des Golfkrieges 1991 auf Armeestützpunkten aushalfen. Das kann, nein: das muss der Publizist Whitbeck selbstverständlich wissen, zumal bereits ein Blick in die Wikipedia genügt hätte. Dass er diese Falschmeldungen trotzdem verbreitet, lässt daher nur den Rückschluss auf seine antisemitische Motivation zu, die da lautet: Juden verhalten sich Israel gegenüber stets loyaler als gegenüber den Staaten, in denen sie leben.

Whitbecks folgender Verweis darauf, dass der Vater von Obamas designiertem Stabschef ein Irgun-Kämpfer gewesen sei, der seinen Sohn nach einem Angehörigen der Untergrundorganisation Lehi benannt habe, enthält ebenfalls nur eine höchst assoziative Botschaft: Wie der Herr, so’s G’scherr, das heißt: Rahm Emanuel ist ein jüdischer Terrorist. Man könnte ohne nennenswerte Übertreibung auch von Sippenhaftung sprechen, denn Whitbeck verzichtet darauf, sein auf guilty by association lautendes Urteil zu begründen. Ersatzweise zitiert er im nächsten Absatz einfach die in seinem Wohnort Djiddah erscheinende Zeitung Arab News, die in einem Leitartikel geschrieben habe: „Macht euch keine allzu großen Hoffnungen – Emanuel ist [Obamas] Stabschef, und das ist eine Botschaft. (…) Weit davon entfernt, Israel herauszufordern, könnte das neue Team genauso Pro-Israel sein wie das vorangegangene.“

Und das, findet Whitbeck, sei ja auch kein Wunder: „Es war schon immer einfacher, sich vorzustellen, dass Amerika einen schwarzen Präsidenten wählt, als dass irgendein amerikanischer Präsident die Unabhängigkeit seines Landes von israelischer Dominanz erklärt.“ Na logo: Selbst die unterdrückten Neger stehen unter der Fuchtel der jüdischen Weltverschwörung. Trotzdem gebe es noch Hoffnung, denn dank Obama werde sich „die Zahl der Djihadisten verringern, die bereit sind, ihr Leben zu opfern, um dem gehassten Empire einen Schlag zu versetzen“. Schließlich sei er einer der Ihren: „Seine Eloquenz, seine Geschichte, seine Hautfarbe und sein Mittelname [Hussein] könnten die über eine Billion Muslime in der Welt in den Bann ziehen, die heute gegenüber den USA zum großen Teil Verachtung und Hass empfinden.“

Abgesehen von der eklatanten Widersprüchlichkeit, mit der hier der neue Präsident der Vereinigten Staaten erst als Parteigänger der „zionistischen Lobby“ und dann als hoffnungsvoller Blutsbruder präsentiert wird, sticht eine bizarre Zahl ins Auge: „über eine Billion Muslime“! Hat sich diese Bevölkerungsgruppe, an der doch angeblich ein Genozid menschheitsgeschichtlichen Ausmaßes verbrochen wird, plötzlich exponentiell vergrößert? Herrscht also überall in der Welt eine drangvolle Enge wie im Gazastreifen? Nein – es handelt sich nur um ein Missgeschick der Übersetzerin, die das englische Wort „billion“ nicht, wie es richtig gewesen wäre, mit „Milliarde“ übersetzt hat, sondern mal eben mit dem Tausendfachen. Vielleicht war hier ja der Wunsch Vater des Gedankens – man weiß es nicht, man steckt nicht drin. Dieser Übersetzungsfehler ist zumindest insofern bemerkenswert, als die Neue Rheinische Zeitung an anderer Stelle überaus großen Wert auf das korrekte Zitieren eines Politikers gelegt hat: Mahmud Ahmadinedjad, so hieß es dort, habe nämlich gar nicht die Vernichtung Israels gefordert, wie es die allmächtige „USA-Israel-Lobby“ behaupte, sondern lediglich gesagt: „Das Besatzungsregime muss von den Seiten der Geschichte verschwinden.“ Über eine Billion vollkommen friedlicher Muslime sind da gewiss einer Meinung
mit ihm.

Doch zurück zu John V. Whitbeck, der auch noch das dümmste Märchen als Argument bringt: „Die tiefe Verachtung und der Hass, die die muslimische Welt gegenüber den USA empfindet, wurzeln in Amerikas bedingungsloser Unterstützung für das Unrecht, das den Palästinensern angetan wurde und wird. Dies muss wohl als das Kernproblem der Außenpolitik der USA und ihrer nationalen Sicherheit in den letzten Jahren gesehen werden.“ Kurz: Keine amerikanische Unterstützung Israels = kein Hass der Muslime gegen die USA. Noch kürzer: Kein Israel = Weltfrieden. Schließlich ist der Terror der Islamisten ja bloß eine allemal verständliche Reaktion auf erlittenes Unrecht und keinesfalls antisemitisch motiviert. Ohnehin wäre die Welt oder doch wenigstens der Nahe Osten Whitbeck zufolge nachgerade ein Paradies, würde man nur endlich die Idee einer Zweistaatenlösung verwerfen: „Nach einer langen, kostspieligen und schmerzhaften Ablenkung könnte die palästinensische Führung zu Grundprinzipien zurückkehren und sich endlich dem Ziel widmen, einen demokratischen, nicht rassistischen und nicht sektiererischen Staat in ganz Israel/Palästina zu schaffen, mit gleichen Rechten für all seine Bewohner.“ Zu denen – und darüber täuscht die ganze Demokratiehuberei nicht hinweg – dann allerdings keine Juden mehr gehören würden. Grundprinzip ist schließlich Grundprinzip.

Von Paul Spiegel, dem verstorbenen früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, stammt der Satz: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“ John V. Whitbeck hat neuerlich den Beweis angetreten, wie Recht Spiegel hatte. Und mit ihm eine linke deutsche Onlinezeitung, die in amerikanischen Präsidenten bloße Erfüllungsgehilfen der angeblichen jüdisch-israelischen Allmacht sieht. Doch sie steht – und das ist das so Entscheidende wie Grausame – längst nicht alleine da.

Herzlichen Dank an Stefan Frank und Claudio Casula für wertvolle Hinweise.

10.11.08

Kritischer Dialog



Zur deutschen Staatsräson gehört die Parteinahme für Israel. Doch von Staat und Bundestagsparteien unterhaltene Stiftungen pflegen beste Kontakte zu antisemitischen Regimes und Terrororganisationen, wie Christian J. Heinrich in seinem Gastbeitrag für Lizas Welt zeigt.


VON CHRISTIAN J. HEINRICH


Mitte November findet in Bayern eine Expertentagung unter dem Titel „Aspekte der Weiterverbreitung von Kernwaffen“ statt.* Veranstalter ist mit der Hanns-Seidel-Stiftung die Parteistiftung der mitregierenden CSU. Die Bundesregierung wird dabei von Erich Vad vertreten, ehemaliger Oberst der Bundeswehr und heute militärpolitischer Berater im Bundeskanzleramt. Für das iranische Außenministerium ist Seyed Rasoul Mousavi, Direktor des Institute for Political and International Studies (IPIS) in Teheran, angekündigt. Der Repräsentant der deutschen Regierung trifft dabei auf einen herausragenden Protagonisten des iranischen Regimes: Mousavi ist der Leiter jenes Instituts, das im Dezember 2006 die Teheraner Holocaust-Leugner-Konferenz veranstaltete, auf der Mahmud Ahmadinedjads Verdikt vom Holocaust als „Mythos“ und seine Forderung nach der Zerstörung Israels „wissenschaftlich“ untermauert werden sollten. Mit dem „ausgewiesenen Experten“ Mousavi, so die Veranstalter, wird Vad über Nuklearwaffen als „ultimative Sicherheitsgarantie für Staaten, die sich von außen bedroht fühlen“, diskutieren.

Dieser offizielle und öffentliche Dialog zwischen der deutschen Politik und Holocaustleugnern respektive islamistischen Judenfeinden taugt im Land der Shoa – gut 60 Jahre nach Auschwitz – nicht nur nicht zum Skandal. Er ist vielmehr Teil einer Doppelstrategie: Auf der einen Seite stehen die regierungsoffiziellen Bekundungen von den „besonderen, einzigartigen Beziehungen“ zu Israel. So formulierte Bundeskanzlerin Angela Merkel im März 2008 vor dem israelischen Parlament: „Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“ Und viele Israelis glauben diesen Zusicherungen.

Auf der anderen Seite gibt es Parteienstiftungen und von der Regierung finanzierte politische Organisationen: Sie pflegen stellvertretend den Dialog mit militanten israelfeindlichen Regimes und Organisationen. Im Februar 2004 beispielsweise veranstaltete die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen mit einem Think Tank der Hizbollah in Beirut die Konferenz „Die Islamische Welt und Europa: Vom Dialog zur Übereinkunft“. Im Mai 2006 besprachen sich auf Vermittlung der Deutsch-Arabischen Gesellschaft in Berlin Bundestagsabgeordnete mit einem Minister der Hamas – trotz eines erklärten EU-Boykotts gegenüber der Terrororganisation. Im April 2008 traf Irans Vizeaußenminister Mehdi Safari, so meldete es der iranische Sender Press TV, auf Einladung der Bundesregierung mit hochrangigen Vertretern des Außen-, des Innen- und des Wirtschaftsministeriums sowie mehreren Bundestagsabgeordneten zusammen. Zentrales Thema: der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Im Juli 2008 schließlich forderte in Berlin Mohammed Laridjani, ehemaliger iranischer Vizeaußenminister, das „Ende des zionistischen Projekts“ – und das auf einer von Bundeskanzleramt und Außenministerium mitfinanzierten Konferenz zu „gemeinsamen Lösungen“ in Nahost. Das Auswärtige Amt von Frank-Walter Steinmeier selbst hatte Laridjani für die Konferenz empfohlen.

Gerade einmal zweieinhalb Monate später prangerte Steinmeier den „unverhohlenen Antisemitismus“ in Ahmadinedjads Rede vor der Uno an – so, als wäre dies das erste Mal, dass der deutsche Außenminister vom Judenhass eines iranischen Präsidenten erfahren hätte. Der Vorgänger Ahmadinedjads, der als „moderater Reformer“ im Westen hofierte Mohammad Khatami, besuchte erst vor wenigen Tagen das badische Freiburg, die Partnerstadt Isfahans. Er traf dort zum „Dialog der Kulturen“ unter anderem mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), zusammen. Was Erler weiß, ihn jedoch offenbar nicht anficht: Unter der Herrschaft des „moderaten“ Khatami wurden hunderte Oppositionelle ermordet, wurde nach islamischem „Recht“ (hin)gerichtet, war der vernichtungsantisemitische Furor gegen Israel ein nicht weniger konstitutives Element der iranischen Politik als heute unter Ahmadinedjad. Khatami bezeichnete den jüdischen Staat einst als „eine alte, nicht heilbare Wunde im Körper des Islam, die dämonisches, stinkendes und ansteckendes Blut besitzt“.

Was so widersprüchlich erscheint, ist konsistente Strategie deutscher Politik: Die offiziellen pro-israelischen Bekundungen beschwichtigen den Westen und insbesondere Israel; die praktische Politik sichert dagegen eine äquidistante Position in einer multipolaren Welt, in der die Mullahs eine immer gewaltigere Rolle spielen. Mit guten Beziehungen zu beiden Seiten geriert sich Deutschland als „ehrlicher Makler“. In außenpolitisch unübersichtlichen Zeiten ist dies eine bequeme Position: energiepolitisch, ökonomisch und nicht zuletzt – bei allem deutschen Ressentiment gegen Israel im Speziellen und den Westen im Allgemeinen – ideologisch.

So ist und bleibt Deutschland wichtigster westlicher Handelspartner Teherans. Die Tageszeitung Iran Daily lobte kürzlich die Bundesrepublik für ihre standfeste Haltung gegenüber dem „amerikanisch-israelischen Druck“; die bisherigen Sanktionen seien „zahnlos für die iranisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen“. Berlin ist zu einschneidenden, gegebenenfalls einseitigen Schritten nicht bereit, sondern setzt vielmehr – in Kenntnis der desolaten Verhältnisse in der Uno – ganz auf „internationale Lösungen“. Allenfalls wolle man, so eine Ankündigung der Bundesregierung, das Gespräch mit Wirtschaftsverbänden suchen, um diese zur Einstellung besonders kritisierter Geschäfte zu bewegen. Im ersten Halbjahr 2008 stieg der Handel Deutschlands mit den Mullahs derweil um 16,2 Prozent. Sanktionen sehen anders aus.

Gleichwohl wird sich – an opportuner Stelle – formelhaft zu Israels Existenz und Sicherheit bekannt und jede Form von Antisemitismus geächtet. Dies war nach dem Ende des Nationalsozialismus das Entrebillet zurück in den Reigen der zivilisierten Staaten. Die Rhetorik von „aufgearbeiteter Vergangenheit“ und „historischer Verantwortung“ zahlt sich aus: mit Marshallplan und Wirtschaftwunder nach dem Krieg, mit einer zentralen Rolle in der Nato und in Europa, mit der alliierten Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung 1989, mit dem Einsatz deutscher Kampfbomber auf dem Balkan zehn Jahre später bis hin zur „vollständigen Souveränität deutscher Außenpolitik“ im Angesicht der deutschen Opposition zum Krieg gegen das Regime Saddam Husseins im Irak, wie sie seitens der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer postuliert wurde.

Jede Sorge des Westens, insbesondere der Amerikaner und Israelis, vor einer Wiederkehr des „alten Deutschlands“ wurde und wird durch öffentlich inszenierte Gesten der Antisemitismusbekämpfung beschwichtigt. Jüngstes Beispiel ist die Bundestagsdebatte im Vorfeld des 9. November: Hier wurde die Einrichtung eines Expertengremiums beschlossen, welches fortan einen jährlichen Antisemitismusbericht zu erstellen habe. In diesem soll zuvörderst das Treiben rechtsradikaler Randgruppen dokumentiert werden. Die Kritik einer Konferenz aber, bei der sich ein Kanzleramtsmitarbeiter mit einem Teheraner Holocaustleugner zu iranischen „Sicherheitsbedürfnissen“ austauscht, fiele kaum in den Zuständigkeitsbereich der Experten. Genau das aber denunziert das Gremium und den Bericht als reine Symbolik.

Wer den entsprechenden Bundestagsbeschluss nun dennoch als Erfolg feiert, der versteht nicht, dass dieser Beschluss eben nicht im Widerspruch zur politisch und ökonomischen Nähe Deutschlands zu den Mullahs und anderen Antisemiten steht. Er ist der Deckmantel, unter dem jener deutsch-islamistische Austausch gedeiht, für den der Euphemismus „kritischer Dialog“ steht. Kritisch ist dieser Dialog tatsächlich – aber nicht für jene, die hier parlieren. Er ist Vorbote der deutschen Kollaboration mit Israels Todfeinden.

* Die Einladung ist nicht online verfügbar; sie wurde nur postalisch verschickt. Ein Scan kann hier abgerufen werden (PDF-Datei).

Das Foto entstand während der Veranstaltung mit Mohammad Khatami an der Freiburger Universität am 28. Oktober 2008. In der ersten Reihe saßen einträchtig beisammen (von links): der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne), Staatsminister Gernot Erler (SPD), Khatami und der Rektor der Universität, Hans-Jochen Schiewer.

8.11.08

Aufstand in der Reha-Klinik



Still war es zuletzt geworden um Ludwig Watzal. Nachdem sich sein Arbeitgeber, die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), im Sommer dieses Jahres nach diversen Protesten und einigermaßen zähem Ringen endlich zu arbeitsrechtlichen Schritten gegen den vor allem nach Feierabend sehr aktiven Mitarbeiter durchgerungen hatte, schien sowohl dem promovierten „Israelkritiker“ als auch seinen Groupies ein wenig die Puste ausgegangen zu sein. Doch gute Freunde kann niemand trennen, das wusste Franz Beckenbauer schon vor über vierzig Jahren. Und so rafften sich Watzals Weggefährten mit gehöriger Verspätung doch noch zu einer „Solidaritätsaktion“ auf. Der daraus resultierende „offene Brief“ an den BpB-Präsidenten Thomas Krüger und den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ist nun auf der Website eines selbst ernannten Künstlers erschienen, dessen Internetauftritt ästhetisch wie inhaltlich eine ungefähre Idee davon vermittelt, was den Ausstellungshallen dieser Republik erspart bleibt, und nicht zufällig an jene engzeilig beschriebenen, verworrenen Flugblätter erinnert, die man in den Fußgängerzonen deutscher Städte von so bemitleidenswerten wie aufdringlichen, der Wirklichkeit gänzlich entrückten Gestalten in die Hand gedrückt bekommt.

Und genauso erbarmungswürdig wie der Rahmen des Schreibens ist – form follows function – zwangsläufig auch sein Inhalt. „Ich habe kein Verständnis für die Strafmaßnahmen gegenüber Ihrem Mitarbeiter Herrn Dr. Ludwig Watzal und möchte Sie ersuchen, ihn zu rehabilitieren und in seine frühere Funktion wieder einzusetzen“, hebt der Brief trotzig-fordernd an, bevor geradezu staatsmännisch beteuert wird: „Dr. Ludwig Watzal ist mir seit Jahren vor allem wegen seines hervorragenden Editorials der ApuZ [Aus Politik und Zeitgeschichte] und seiner Beiträge in der Wochenzeitung ‚Das Parlament’ und zahlreichen anderen nationalen wie internationalen Medien bekannt.“ In denen er zuvörderst – und das ist selbstverständlich der eigentliche Beweggrund für den Brief – Israel nachgerade menschheitsgeschichtlicher Verbrechen bezichtigte und sich damit in die Herzen all jener schrieb, die im jüdischen Staat nicht weniger erkennen wollen als den Wiedergänger des Nationalsozialismus. Eine solche Sichtweise hat entscheidende Vorzüge, denn durch sie lassen sich die Bagatellisierung der Shoah (inklusive der Versöhnung mit den Tätern) und die Dämonisierung Israels gleichzeitig bewerkstelligen.

Da die Initiatoren des Textes das natürlich nicht offen sagen können, tönen sie umso lauter, die Moral auf ihrer Seite zu haben: „Ich bin empört und habe kein Verständnis dafür, dass Sie aufgrund von Verleumdungen und offensichtlichen Diffamierungen einem langjährigen, erfahrenen Journalisten und anerkannten Buch-Autoren seine Arbeitsmöglichkeiten zu entziehen versuchen“, heißt es im obligatorischen Betroffenheitsduktus. Die angeblichen „Verleumdungen“ und „Diffamierungen“ werden, versteht sich, nicht einmal versuchsweise belegt, denn man setzt voraus, dass der eigene Standpunkt geteilt wird und dass Watzals Versetzung nicht etwa begründeten Erwägungen geschuldet, sondern nur das Ergebnis einer böswilligen Kampagne gewesen sein kann. Einer Kampagne zionistischer Zensoren nämlich, der sich Krüger und Schäuble letztlich als Exekutoren angeschlossen hätten: „Darüber hinaus stelle ich mit großer Sorge fest, dass Sie mit Ihren aktuellen Maßnahmen gegen Dr. Ludwig Watzal offensichtlich die Berichterstattung und Debatte über die Rolle Israels im Nah-Ost-Konflikt beschneiden und Kritik an der israelischen Politik in den besetzten Gebieten Palästinas mit Sanktionen am Arbeitsplatz beantworten wollen.“

Alsdann zitieren die Initiatoren des „offenen Briefes“ noch ein bisschen aus den Grundsätzen und Zielsetzungen der Bundeszentrale („Offenheit“, „Überparteilichkeit“, „Ausgewogenheit“), die den arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen Watzal (Foto oben) widersprächen, bevor Krüger und Schäuble gebeten werden, „es der Öffentlichkeit zu ermöglichen, sich über unterschiedliche politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Positionen zu informieren“, wozu „die Rehabilitierung und Wiedereinsetzung von Herrn Dr. Ludwig Watzal in seine wissenschaftliche und publizistische Arbeit“ ein „wesentlicher Schritt“ sei. So richtig entscheiden können sich die Verfasser dieses Appells also nicht, ob sie in der BpB nun eher ein Werkzeug zionistischer Propaganda sehen wollen oder mehr eine aus Steuergeldern finanzierte Institution, die sich gefälligst in den Dienst der „Israelkritik“ zu stellen hat. Aber dieser Widerspruch ist typisch für ein politisches Milieu, das sich für eine unterdrückte Minorität hält, obwohl seine An- und Absichten allemal die einer Mehrheit sind und nicht wenige seiner Protagonisten bei angesehenen Einrichtungen in Lohn und Brot stehen, um dort genau das zu tun, wofür Watzal jetzt zumindest keine Staatsknete mehr bekommt.

Dementsprechend liest sich die Liste der Unterzeichner des „offenen Briefes“ auch wie ein Who’s who des publizistischen und akademischen Antizionismus. Kaum jemand, den man dort erwarten würde, fehlt: Knut Mellenthin nicht, Evelyn Hecht-Galinski nicht, Jürgen Elsässer nicht, Norman Paech nicht, Felicia Langer nicht, Georg Meggle nicht, Rupert Neudeck nicht, Jamal Karsli nicht, und auch Norman G. Finkelstein hat unterschrieben,
als Gaststar sozusagen. Im Grunde genommen muss man die Aktion sogar begrüßen. Denn selten gab es eine umfassendere Aufzählung all jener, zu denen man größtmöglichen Abstand halten sollte. Nun darf man gespannt sein, was die Reha-Maßnahme bewirkt. Jede Wette: Wenn sich die Oberärzte Krüger und Schäuble nicht weiter um sie scheren, probt die Belegschaft der Klinik den (nächsten) Aufstand. Gegen manche Gebrechen ist halt kein Kraut gewachsen. Nichtsdestotrotz: gute Besserung!

Fotomontage: Lizas Welt

5.11.08

...und nun zur Werbung



Eine Reminiszenz von Mette Dreyer in der dänischen Zeitung Politiken – an etwas, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

1.11.08

Was heißt da Fake?

Angesichts mehrerer Dutzend E-Mails von Leserinnen und Lesern, verschiedener Blogbeiträge (beispielsweise hier, hier und hier) und diversen Diskussionen in Foren (unter anderem hier, hier und hier) sei es dann doch aufgelöst: Der angebliche Kompromissvorschlag für einen Allparteienbeschluss zum Antisemitismus ist ein Fake. Aber was heißt da Fake? Der medienwirksam ausgetragene Streit der Fraktionen des Bundestages über die Beschlussvorlage verdeckt, dass es in Bezug auf den (Nicht-) Begriff von Antisemitismus hierzulande tatsächlich einen sehr weit reichenden Konsens gibt. Und bemerkenswerter als das, was letztlich in dem Antrag stehen wird, ist allemal das, was er nicht enthält. Nichts dagegen, dass ein „Bundesbeauftragter für die Bekämpfung des Antisemitismus“ die Schändung jüdischer Friedhöfe, die tätlichen Angriffe auf Jüdinnen und Juden oder die antisemitische Propaganda von Neonazis scharf verurteilt und Gegenmaßnahmen einleitet. Diesbezüglich gibt es fraglos immer noch reichlich zu tun. Aber diese Form von Judenhass ist die einer – wenn auch nach wie vor bedrohlichen – Minderheit. Die große Mehrheit hat längst andere, gesellschaftsfähigere Mittel und Wege gefunden, sich antisemitisch zu äußern und zu betätigen – und zwar gerade in der Abgrenzung von dieser Minderheit. Es sind jene Mittel und Wege, die Henryk M. Broder Mitte Juni vor dem Innenausschuss des Bundestages so überaus treffend benannt hat:
Der moderne Antisemit tritt ganz anders auf. Er hat keine Glatze, dafür Manieren, oft auch einen akademischen Titel, er trauert um die Juden, die im Holocaust ums Leben gekommen sind, stellt aber zugleich die Frage, warum die Überlebenden und ihre Nachkommen aus der Geschichte nichts gelernt haben und heute ein anderes Volk so misshandeln, wie sie selber misshandelt wurden. Der moderne Antisemit glaubt nicht an die „Protokolle der Weisen von Zion“, dafür fantasiert er über die „Israel-Lobby“, die Amerikas Politik bestimmt, so wie ein Schwanz mit dem Hund wedelt. Der moderne Antisemit gedenkt selbstverständlich jedes Jahr der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, zugleich aber tritt er für das Recht des Iran auf atomare Bewaffnung ein. [...] Der moderne Antisemit findet den ordinären Antisemitismus schrecklich, bekennt sich aber ganz unbefangen zum Antizionismus, dankbar für die Möglichkeit, seine Ressentiments in einer politisch korrekten Form auszuleben. [...] Der Antizionist hat die gleiche Einstellung zu Israel wie der Antisemit zum Juden. Er stört sich nicht daran, was Israel macht oder unterlässt, sondern daran, dass es Israel gibt. Und deswegen beteiligt er sich so leidenschaftlich an Debatten über eine Lösung der Palästina-Frage, die für Israel eine Endlösung bedeuten könnte, während ihn die Zustände in Darfur, in Zimbabwe, im Kongo und in Kambodscha kalt lassen, weil dort keine Juden involviert sind. [...] Früher – sagen wir: zur Zeit von Wilhelm Marr, Karl Lueger und Adolf Stoecker – war alles ganz einfach. Es gab die Juden, die Antisemiten und den Antisemitismus. Nach 1945 gab es dann aus den bekannten Gründen einen Antisemitismus ohne Juden, und heute haben wir es wieder mit einem neuen Phänomen zu tun: einem Antisemitismus ohne Antisemiten.
Um diesen Antisemitismus ohne Antisemiten jedoch wird sich ein prospektiver „Bundesbeauftragter“ nicht kümmern, denn diese Antisemiten, die keine sein wollen, sitzen auch im Bundestag – in allen Fraktionen. Und selbst diejenigen, die in wohlklingenden Reden ihre Solidarität mit dem jüdischen Staat bekunden, lassen ihren Worten im entscheidenden Moment keine Taten folgen. Mag auch die Bundeskanzlerin vor dem israelischen Parlament versichert haben, für sie sei das Existenzrecht Israels „nicht verhandelbar“ – was sind solche Beteuerungen wert, wenn gleichzeitig die Geschäfte mit dem Iran, Israels größtem und gefährlichstem Feind, laufen wie geschmiert? Was nützt ein „Bundesbeauftragter für die Bekämpfung des Antisemitismus“, wenn gleichzeitig ganz offiziell der „kritische Dialog“ mit dem antisemitischen Mullah-Regime gepflegt wird? Und was ist von einem Gedenken an die von den Nazis ermordeten Juden zu halten, wenn die (Über-) lebenden Juden in Israel erneut von der Vernichtung bedroht sind, ohne dass das hierzulande eine nennenswerte Zahl von Menschen juckt?

Übrigens ist im Land der stolzen Vergangenheitsbewältiger nicht einmal der in dem Fake angeführte Satz von den Deutschen als den „eigentlichen Leidtragenden“ der Judenvernichtung eine Übertreibung. Der großartige Eike Geisel schrieb schon vor knapp zwanzig Jahren gegen die deutsche Selbstfindung im „Biotop mit toten Juden“ an, zu der ein „unerträgliches Gemisch aus jugendbewegtem Begegnungskitsch und immergleicher Beschäftigungstherapie, aus betroffenen Christen, schwärmerischen Israeltouristen, geduldigen Berufsjuden, bekennenden Deutschen, eifernden Hobbyjudaisten und akribischen Alltagshistorikern“ gehöre. „Man könnte nachgerade sogar sagen, die Deutschen seien, wenn man sie beim Wort nähme, das größte jüdische Volk“, befand er. Diese Eifersucht auf die Opfer sei „am besten als Judenneid bezeichnet“. Und deshalb beteuerten alle tränenfeuchten Auges, wie groß der Verlust durch die Austreibung und Ermordung der Juden sei. Doch diesen Verlust habe nicht nur nie jemand verspürt, er sei gar keiner: „Denn in Wahrheit hat die Massenvernichtung bewiesen, erstens, dass man sie veranstalten kann, und zweitens, dass ein derartiges Verbrechen langfristig gut ausgeht und sich nicht nur in Exportquoten, sondern auch in Kultur auszahlt. Die Klage über den Verlust ist ohnehin nicht ernst gemeint. Es handelt sich dabei um eine weinerliche Selbstbezogenheit, nicht um Trauer über andere, sondern um Mitleid mit der eigenen Banalität, kurz: um die Behauptung, die Deutschen hätten sich mit ihren Verbrechen selbst etwas angetan.“