29.6.09

Post vom Kammerdiener



Ein Leserbrief aus Teheran an Lizas Welt zum Beitrag „Kampf dem Kapital“ – verfasst vom Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer, Daniel Bernbeck (Rechtschreibung, Zeichensetzung etc. im Original):
Liebe Liza,

ich lade Sie gern mal ein, nach Teheran zu kommen, und sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen, anstelle vom sicheren, demokratischen und hoffentlich kuschelig-warmen Ausland aus polemische Blogs zu schreiben. Oder haben Sie etwa Schiß, in dieses Land zu kommen?? Oder fürchten Sie sich etwa davor, dass Ihr eindimensionales Weltbild vielleicht ins Wanken kommen könnte, wenn Sie den Daniel Bernbeck, den Sie genauestens beurteilen zu können glauben, persönlich kennen lernen, oder die deutsche Wirtschaft, die Sie politisch klar in eine bestimmte Ecke stellen zu können meinen, mal nicht aus der Ferne, sondern vor Ort besuchen??

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Bernbeck
Geschäftsführer
Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer
Er ist schon ein echter Held, der Daniel Bernbeck: Wo andere immer nur meckern, trägt er todesmutig dazu bei, dass die deutschen Handelsbeziehungen mit dem iranischen Regime wachsen, blühen und gedeihen. Wo andere also Kritik an jenen üben, die sichere, demokratische und hoffentlich kuschelig-warme Verhältnisse in verschiedenen Teilen der Welt tatkräftig zu verhindern helfen, ist Bernbecks Laden stolz darauf, „eine der wichtigsten Stützen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen“ zwischen Deutschland und der klerikalfaschistischen Mullah-Diktatur zu sein. Einwände gegen diese Funktion und das Tun seiner mit Staatsmitteln geförderten Kammer weist Bernbeck energisch zurück: „Es gibt kein moralisches Problem“, wurde er vor wenigen Tagen von der Nachrichtenagentur AP zitiert. „Wir machen keine Geschäfte mit dem Iran, sondern mit iranischen Firmen. Wir unterstützen die Regierung nicht und sind nicht verantwortlich dafür, was Präsident Ahmadinedjad oder Bundeskanzlerin Merkel sagt.“

Nun muss man weder Kants noch Adornos kategorischen Imperativ kennen und auch nicht Marxens Kritik der politischen Ökonomie gelesen haben, um solche Statements für reichlich beschränkt zu halten. Man muss im Grunde genommen nur wissen, dass wirtschaftliche Prosperität den Mullahs überaus dienlich ist und ihren Handlungsspielraum erweitert, innen- wie außenpolitisch. Man muss nur wissen, dass 75 Prozent aller kleinen und mittelständischen Betriebe im Iran mit deutscher Technologie ausgestattet sind und der Iran „durchaus auf deutsche Ersatzteile und Zulieferer angewiesen“ ist, wie Bernbecks Vorgänger Michael Tockuss deutlich machte. Und man muss nur wissen, dass das iranische Regime mit Hilfe zahlreicher Güter made in Germany sowohl sein gegen Israel gerichtetes Atomprogramm vorantreibt als auch sein Repressionsarsenal ausbaut. Natürlich weiß Daniel Bernbeck all dies. Wenn er trotzdem ein reines Gewissen hat, kann das nur daran liegen, dass er es nie benutzt hat.

Womöglich geht ihm gerade aber ein bisschen die Düse, nachdem die Lieferung von Überwachungstechnologie an die Mullahs unter maßgeblicher Beteiligung des deutschen Großkonzerns Siemens – eines der wichtigsten Mitglieder der Deutsch-Iranischen Industrie- und Handelskammer – öffentlich auf Kritik gestoßen ist. Zumindest würde das erklären, warum Bernbeck in seiner Zuschrift plötzlich eine Moral einklagt, die ihm ansonsten fremd ist. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob man den Mann persönlich kennt oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob er schwitzt oder friert, kontemplativen Hobbys frönt oder von seiner Frau geschlagen wird. Für eine Beurteilung seiner Tätigkeit – und nur um die ging und geht es – sind solche Dinge gänzlich unwichtig. Außerdem hat kein Mensch behauptet, dass jemand, der kraft seines Amtes de facto Beihilfe zur Niederschlagung eines Aufstandes und zur Entwicklung eines antijüdischen Vernichtungsprogramms leistet, automatisch ein Flegel sein muss. Nicht einmal unter den Nazis war es ein Widerspruch, tagsüber todbringenden Geschäften nachzugehen und abends seinen Kindern eine Gutenachtgeschichte vorzulesen.

Bernbecks freundlicher Einladung zum, sagen wir, kritischen Dialog nach Teheran zu folgen, wäre gleichwohl erwägenswert. An den Kosten für die Reise dürfte es ja nicht scheitern – immerhin weist der Bundeshaushalt für das laufende Jahr auf Seite 49 einen Posten von 33,5 Millionen Euro zur „Förderung von Auslandshandelskammern/Delegierten der deutschen Wirtschaft und Repräsentanzen über den Deutschen Industrie- und Handelskammertag“ aus. Und da werden für „eine der mitgliederstärksten Auslandshandelskammern Deutschlands“, die die Deutsch-Iranische Industrie- und Handelskammer ihrer Website zufolge ist, sicher auch ein paar Cent abfallen. Es gibt allerdings ein Problem: Mit israelischen Stempeln im Reisepass kommt man gewöhnlich nicht in den Iran. Aber vielleicht kann Daniel Bernbeck seine guten Kontakte ja nutzen, um die iranischen Behörden davon zu überzeugen, dass sich hinter Lizas Welt gar kein zionistischer Insurgent verbirgt, sondern bloß ein polemischer Blogger aus dem sicheren, demokratischen und hoffentlich kuschelig-warmen Ausland.

Zum Foto: Der iranische Repressionsapparat macht Jagd auf oppositionelle Demonstranten. Teheran, 14. Juni 2009.

Ausführliche (überwiegend deutschsprachige) Informationen, Kommentare, Aufrufe und Videos zum Iran gibt es auf dem Portal Free Iran Now!

23.6.09

Kampf dem Kapital!



Wäre Daniel Bernbeck ein Fußballer, würde er jetzt vermutlich das legendäre Bonmot des früheren Bundesligakickers Jürgen Wegmann zum Besten geben: „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Aber Daniel Bernbeck ist kein Fußballer, sondern Geschäftsführer der Deutsch-Iranischen Handelskammer in Teheran. Und deshalb formulierte er Wegmanns Bemerkung sozusagen branchenspezifisch um: Erst beschwerte er sich über die Sanktionspolitik gegenüber dem Mullah-Regime und die damit verbundenen Einbußen für deutsche Unternehmen im Iran-Geschäft. Und nun klagte er, seine Mitarbeiter in der iranischen Hauptstadt fürchteten in diesen Tagen um ihre Gesundheit und ihr Leben: „Sie verlegen ihre Arbeitszeit auf Stunden, in denen es auf der Straße relativ ruhig ist. Wir sind hier mitten im Geschehen, an einer Verkehrsachse, auf der immer wieder demonstriert wird.“ Fast könnte man Mitleid mit dem armen Mann bekommen – hätte er nicht durch sein Wirken mit dafür gesorgt, dass die wütenden Proteste, vor denen er jetzt Angst hat, überhaupt erst notwendig geworden sind. Schließlich ist sein Laden „eine der mitgliederstärksten Auslandshandelskammern Deutschlands“ und „eine der wichtigsten Stützen für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen“ zwischen der Bundes- und der Islamischen Republik, wie die Institution auf ihrer Website stolz kund tut. Und als diese Stütze trägt die Kammer seit über 30 Jahren dazu bei, dass die deutschen Geschäfte mit dem Iran florieren und das klerikalfaschistische Regime dadurch stabil bleibt.

Eines der wichtigsten Mitglieder der Handelskammer ist der Großkonzern Siemens, in dessen Teheraner Räumlichkeiten auch schon mal die wöchentliche Sitzung des Kammerpräsidiums stattfindet. Die Münchner Firma setzte 2008 im Iran rund 438 Millionen Euro um, unter anderem mit der Lieferung moderner Überwachungstechnologie. Diese Technologie kann sowohl gegen Minderheiten und Oppositionelle im Iran wie auch gegen Israel eingesetzt werden. Und ein aktuelles Beispiel zeigt, was das konkret bedeutet: Gemeinsam mit dem finnischen Mobiltelefonhersteller Nokia hat Siemens einem Bericht des Wall Street Journal zufolge die Anlagen und die Software geliefert, mit denen das iranische Regime nun den Zugang zu Internetseiten sperren, das Surfverhalten von Internetnutzern untersuchen, E-Mails mitlesen, Twitter-Nachrichten verändern und ganze Anschlüsse blockieren kann. Das entsprechende Kontrollzentrum sei beim iranischen Telekom-Regierungsmonopolisten „im Rahmen eines größeren Vertrags für Netzwerk-Technologie“ installiert worden, sagte Ben Roome, der Sprecher des Joint Ventures mit dem Namen Nokia Siemens Networks. Und wenn man Netzwerke verkaufe, erhalte der Käufer automatisch auch die technische Möglichkeit, die darüber laufende Kommunikation zu kontrollieren.

Überwachungsstaat? Geschäftemacherei mit einer Diktatur? Kapital-Verbrechen? Da müsste doch eigentlich das Herz eines jeden Linken höher schlagen! Aber nichts da: Bei Progressiven und Peaceniks herrscht beredtes Schweigen. Und wenn von ihnen dann ausnahmsweise doch mal jemand den Mund aufmacht, wird entweder der „Wahlsieg“ Ahmadinedjads als „Ausdruck für das Scheitern der westlichen Konfrontations- und Demütigungsstrategie gegen den Iran“ gefeiert oder die Solidarisierung mit den iranischen Oppositionellen verhindert. Linke rennen eben nur dann auf die Straße, wenn es gegen Juden und Amis geht. Den Aufstand gegen die Mullahs im Iran unterstützen sie deshalb so wenig, wie sie die deutsche Kollaboration mit dem Regime in Teheran attackieren. Und so werden sie de facto sogar zu Komplizen des Kapitals, das sie sonst bei jeder Gelegenheit leidenschaftlich bekämpfen. Vielleicht haben sie deshalb ja auch für Daniel Bernbeck ein Plätzchen in ihren Reihen frei, wenn der aus lauter Schiss, dass ihm iranische Demonstranten sehr zu Recht an den Kragen gehen, das Weite sucht.

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17.6.09

Where’s the support?



Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die hunderttausenden oppositionellen Demonstranten im Iran in den meisten deutschen und europäischen Medien einfach unter der Rubrik „Moussavi-Anhänger“ zusammengefasst werden. Für manche Teilnehmer an den riesigen Aufzügen mag diese Bezeichnung zwar unmittelbar zutreffen, und viele von ihnen haben Moussavi bei der „Wahl“ auch ihre Stimme gegeben. Aber die Beweggründe für die größten Demonstrationen im Iran seit 1979 dürften deutlich weiter reichen – weiter auch, als ausschließlich ein Protest gegen die wahrscheinliche Manipulation der „Wahl“-Ergebnisse zu sein: „Die Demonstranten benutzen den Konflikt innerhalb des islamistischen Apparates, also vor allem zwischen Ahmadinedjad und Moussavi, um gegen das System zu protestieren“, sagte Wahied Wahdat-Hagh, Publizist und Senior Research Fellow bei der European Foundation for Democracy in Brüssel, im Interview mit der Zeit. „‚Tod der Diktatur’, rufen sie. Nur: Die Diktatur abschaffen will keiner der Kandidaten!“ Moussavi sei „kein Reformer, sondern selbst ein Hardliner“, befand Wahdat-Hagh, wie überhaupt gelte: „Das heutige politische System Irans ist nicht reformierbar.“

Wie lange sich die Proteste fortsetzen werden und ob sie sich möglicherweise sogar weiter ausdehnen, ist derzeit noch überhaupt nicht abzusehen. Was sich da auf den Straßen versammelt, ist eine ausgesprochen heterogene, disparate Bewegung ohne organisatorisches Zentrum, dafür aber mit einer ganz eigenen Dynamik. Und dafür gibt es Gründe: In der Mullah-Diktatur widerständische Strukturen aufzubauen, ist lebensgefährlich; hinzu kommt, dass im Laufe der Jahrzehnte etliche Oppositionelle das Land verlassen haben und ihre politischen Aktivitäten im Exil entfalten mussten. In diesen Tagen mobilisieren deshalb nicht Parteien oder Organisationen zu den Demonstrationen gegen das Regime, sondern die Demonstranten tun es hunderttausendfach selbst: einerseits über modernste Kommunikationsmittel wie Twitter, Facebook und Blogs, andererseits durch die gute alte Mundpropaganda. Mit ihren Handys nehmen sie Fotos oder Videosequenzen auf und stellen sie ins Netz. Mag das Regime auch das Mobilfunknetz außer Funktion setzen und Journalisten massiv in ihrer Arbeit einschränken – es kann nicht verhindern, dass Berichte und Bilder veröffentlicht werden.

Und es kommt der Wut und dem Freiheitsstreben großer Teile der iranischen Bevölkerung auch nicht durch brutale Repression bei – bis jetzt zumindest nicht. Die Demonstranten ignorieren selbst Moussavis Aufforderungen, zu Hause zu bleiben. Die Mullahs sind deshalb erkennbar nervös; dass sie nicht mehr ausschließlich auf rohe Gewalt setzen, sondern zur Beruhigung der Lage auch ein paar vermeintliche Konzessionen gewähren (wozu die Ankündigung gehört, einen Teil der Stimmen neu auszuzählen – was mit Sicherheit zu keiner nennenswerten Änderung des Ergebnisses führen wird) und ansonsten „ausländische Mächte“ bezichtigen, Drahtzieher der Demonstrationen zu sein, sind deutliche Zeichen dafür. Die Theokraten spüren, dass sie die Massenproteste weder verhindern noch kontrollieren können – und dass die Möglichkeit besteht, von ihnen überrollt zu werden. Sie spielen momentan auf Zeit und bauen auf die Ermüdung, Abnutzung und Zermürbung der Demonstranten. Zumindest eines ist sicher: Die Hoffnung auf einen Regime Change hatte noch nie so viel Substanz wie jetzt – ob dieser Wechsel auch wahrscheinlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Extrem wichtig, ja, unverzichtbar ist daher eine Unterstützung dieses mutigen Protestes auch von außen. Doch in dieser Hinsicht tut sich bislang noch erbärmlich wenig. Der amerikanische Präsident Barack Obama etwa fühlt sich ein bisschen „troubled“ und ergeht sich in Nullsätzen; auch von europäischen Politikern kommen bestenfalls die obligatorischen Keine-Gewalt-Phrasen. Dabei wäre es so einfach: Sie könnten beispielsweise der Farce namens „Wahlen“ konzertiert die Anerkennung verweigern und den Einsatz internationaler Beobachter fordern. Sie könnten die Wirtschaftsbeziehungen ihrer Staaten mit dem Mullah-Regime endlich einstellen und wirksame (!) Sanktionen erlassen. Sie könnten auf die Freilassung der politischen Gefangenen aus den Gefängnissen drängen und zumindest verbal ihre Solidarität mit den Aktivitäten der oppositionellen iranischen Demonstranten bekunden. Doch kaum etwas davon geschieht auch nur ansatzweise; stattdessen herrscht business as usual. Und jede Wette: Noch die blutigste Niederschlagung der Proteste würde vor allem dazu führen, dass die „Nahostexperten“ in Politik und Medien „erst recht“ für eine Fortsetzung des „Dialogs“ mit den Mullahs plädieren. Die Welt darf sich schließlich nicht ändern, auch wenn alles in Scherben fällt.

Update 21.30 Uhr: Wer sagt’s denn? – „Bundestag unterstützt die Demonstrationen“. Manchmal täuscht man sich wirklich gerne.

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15.6.09

Geduld! Respekt! Dialog!



Dass hierzulande nach den „Wahlen“ im Iran und der Grundsatzrede des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu aufs Neue die Stunde der „Nahostexperten“ schlagen würde, war abzusehen. Und wieder einmal demonstrierten notorische Bescheidwisser, dass sie gar nichts begriffen haben.


Auf der Website der ZEIT etwa durfte sich der Publizist und frühere Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christoph Bertram, zur Frage ausmären, wie es denn jetzt, nach der „Wiederwahl“ Mahmud Ahmadinedjads, eigentlich weitergehen wird. Nun sollte man ja meinen, dass die pseudodemokratische Inszenierung des Regimes und die anschließende massive Repressionswelle gegen die Demonstranten noch einmal sehr deutlich gezeigt haben, was die Mullahs von jeglichem „Change“ halten: gar nichts. Man sollte außerdem meinen, dass jemand, der halbwegs bei Verstand ist, wenigstens zur Solidarisierung mit den iranischen Oppositionellen und zu deren Unterstützung aufruft. Aber nichts da: Man müsse vielmehr, fand Bertram, mit dem Iran „zu einem neuen Verhältnis“ gelangen, wie es der amerikanische Präsident Barack Obama vorhabe, und daher „mit diesem Regime sprechen – wer immer es repräsentiert“. Ein solches Gespräch, so glaubt er, „wäre mit einem vermeintlich verbindlicheren Moussavi womöglich sogar noch schwieriger geworden, weil der jeden Verdacht eilfertiger Kompromissbereitschaft hätte vermeiden müssen, als mit dem polternden, als Hardliner ausgewiesenen Ahmadinedjad“. Anders gesagt: Je Hardliner, desto Dialog. Eine faszinierende Logik.

„Vor allem aber“, ratschlagte Bertram weiter, „muss Obama glaubhaft machen, dass es ihm mit der Suche nach einem Neuanfang wirklich ernst ist“. Und „wegen des tiefen Misstrauens, mit dem die Führung in Teheran die USA betrachtet“, sei „diese Glaubwürdigkeit nur mit großer Entschlossenheit und Geduld zu erreichen“. Doch entsprechende „ermutigende Signale“ seien bereits ausgesendet worden; es gebe von Seiten der amerikanischen Regierung „die Bereitschaft zu einem direkten, umfassenden Dialog auf der Basis gegenseitigen Respekts“. Nun aber müssten „Taten folgen“. Dabei dürfe sich Obama „nicht allein in der Atomfrage festbeißen“, sondern er müsse „bereit sein, die gesamte Breite der Beziehungen zu erörtern“. Das heiße: „Wer Respekt zur Grundlage des Dialogs machen will, darf nicht schon jetzt neue Wirtschaftssanktionen androhen, falls der Iran sich amerikanischen Wünschen nicht fügt. Und wer die Herausforderung ernst nimmt, iranisches Misstrauen zu überwinden, darf nicht zu schnell Ergebnisse erwarten und verlangen.“ Mögen auch weiterhin Homosexuelle an Baukränen baumeln, Demonstranten zusammengeschlagen, eingekerkert und gefoltert werden und die Israelis von der atomaren Vernichtung bedroht sein: Die Bertrams dieser Welt respektieren alles, warten todernst und geduldig ab, bis sich das „Misstrauen“ eines schönen Tages gelegt hat, und verfahren einstweilen nach dem Motto: Ein bisschen Schwund ist halt immer.*

Was hingegen die Israelis betrifft, sind deutsche „Nahostexperten“ mit ihrer Geduld und ihrem Respekt schon lange am Ende – zumal dieses renitente Völkchen die ihm hierzulande von „Otto Normalvergaser“ (Eike Geisel) zugedachten Lehren aus Auschwitz einfach nicht verinnerlichen will. Ja, schlimmer noch: Es treibt es immer doller mit den Palästinensern und sucht sich zu diesem Behufe auch noch einen Premierminister aus, den nicht nur Christoph Schult auf Spiegel Online quasi für den Leibhaftigen in Menschengestalt hält: „Netanyahu ist kein Frederik Willem de Klerk wie in Südafrika, der seine alten Glaubenssätze über Bord warf. Er ist nicht einmal ein Ariel Sharon, der 2005 immerhin alle Siedler aus dem Gaza-Streifen abzog. Er passt sich selbst dann nicht an, wenn es eine Bedrohung gibt, die viel größer ist als alle palästinensischen Raketen und Terroranschläge zusammen genommen: Iran. Anstatt den moderaten arabischen Regierungen und den Palästinensern deutlich entgegenzukommen, um die Front gegen das Machtstreben von Mahmud Ahmadinedjad zu einen, nimmt er die Bestätigung des iranischen Präsidenten in seinem Amt zum Anlass, den Palästinensern Grenzen zu setzen.“ Soll heißen: Netanyahu ist ein unbelehrbarer Apartheidfan, der selbst noch den verhassten Bulldozer rechts überholt und arglose Araber förmlich in die Arme eines fanatischen Judenhassers nötigt (womit, wenn auch durch die Blume, wieder einmal die alte Mär aufgetischt wird, dass sich die Juden den Antisemitismus selbst zuzuschreiben haben).

Dabei hat der israelische Premierminister in seiner Grundsatzrede an der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv nichts gesagt, was verwerflich wäre – und noch nicht einmal etwas, das nicht bereits Gegenstand von Verhandlungen war. Auch die so genannte Roadmap sieht schließlich vor, dass die Ausrufung eines palästinensischen Staates nur am Ende eines Friedensprozesses stehen kann und nicht am Anfang; vor der Staatsgründung müssen vor allem stabile Sicherheitsgarantien für Israel stehen, weil alles andere glatter Selbstmord wäre. Dass die Frage der palästinensischen Flüchtlinge außerhalb der Grenzen Israels gelöst werden und ein palästinensischer Staat entmilitarisiert sein muss, war bereits Bestandteil der „Clinton-Parameter“ Ende 2000/Anfang 2001. Bezüglich der Siedlungen erinnerte Netanyahu sehr zu Recht daran, dass der Gaza-Rückzug im Jahr 2005 eben nicht automatisch zum Frieden führte, sondern im Gegenteil zu einem regelrechten Raketenhagel – weil die Hamas den Abzug als Ausdruck von Schwäche interpretierte sowie als Schritt zu der von ihr angestrebten Kein-Staat-Israel-Lösung. Und dass die Palästinenser Israel als explizit jüdischen Staat akzeptieren müssen, in dem auch Palästinenser leben, sollte selbstverständlich sein – wie es übrigens ebenso selbstverständlich sein muss, dass in einem explizit palästinensischen Staat auch Juden leben können.

Anders, als es „Nahostexperten“ vom Schlage eines Christoph Schult glauben, war der Zeitpunkt von Netanyahus Rede zudem ausgesprochen günstig gewählt. Denn die Ansprache stellte eben auch ein unmissverständliches Signal an die Mullahs dar, die derzeit aufs Neue überdeutlich machen, sich selbst auf freundliche Avancen wie die Barack Obamas nicht einlassen, sondern ihre eigene Agenda durchsetzen zu wollen – und zwar mit aller Gewalt. Das iranische Regime als „größte Gefahr für Israel, den Nahen Osten, die gesamte Welt und die Menschheit“ zu bezeichnen, wie es der israelische Premierminister getan hat, ist deshalb mehr denn je konsequent und richtig. Ahmadinedjad und die religiösen Führer müssen zu spüren bekommen, welchen Preis ihr Tun hat. Insoweit ist Netanyahus Rede gewissermaßen das passende außenpolitische Gegenstück zu den massiven innenpolitischen Protesten im Iran. Mit Appeasement, „Respekt“, „Geduld“ und ähnlichem Unfug kommt man der Bedrohung jedenfalls ganz gewiss nicht bei, sondern befördert sie im Gegenteil sogar noch.

* Dass man selbst einen wie den Bertram noch toppen kann, zeigt der inzwischen vollständig durchgeknallte Querfrontkopf Jürgen Elsässer, der Mahmud Ahmadinedjad herzlich gratuliert. Die iranischen Demonstranten nennt er „die Jubelperser von USA und Nato“, „Discomiezen“, „Teheraner Drogenjunkies“ und „Strichjungen des Finanzkapitals“. Deshalb freut sich Elsässer auch über den Terror der Mullahs: „Gut, dass Ahmadinedjads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben.“

Herzlichen Dank an die Zeitung für Schland für zahlreiche wertvolle Hinweise.

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8.6.09

Finkelsteinereien



Es hätte ein Feiertag für die Antisemiten aller Couleur in Österreich werden sollen: Die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, die Frauen in Schwarz, die Österreichisch-Arabische Gesellschaft und diverse weitere Nahostgruppen und -grüppchen hatten den notorischen Norman Finkelstein, einen ihrer absoluten Lieblingskronzeugen gegen Israel also, nach Wien eingeladen. An der dortigen Universität, mithin einem überaus prominenten Ort, sollte Finkelstein Ende Mai über die „Wurzeln des Konflikts“ und die „Perspektiven für den Frieden“ sprechen – das heißt: seinem Publikum noch einmal erklären, dass die Israelis die neuen Nazis sind und den Holocaust missbrauchen, um die Palästinenser auszumerzen. Doch der Rektor der Hochschule, Georg Winckler, widerrief einige Tage vor der Veranstaltung die bereits erteilte Genehmigung. Zuvor hatte die Wiener Israelitische Kultusgemeinde bei ihm gegen die Veranstaltung protestiert; darüber hinaus hatten ihn Ruth Contreras vom Vorstand der Scholars for Peace in the Middle East und Wolfgang Neugebauer von der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich in einem offenen Brief darauf aufmerksam gemacht, wes Geistes Kind der Referent ist und warum er sowohl von Neonazis als auch von linken „Antiimperialisten“ so überaus stürmisch gefeiert wird. Die Veranstalter mussten schließlich in ein Wiener Hotel ausweichen und blieben dort weitgehend unter sich und Ihresgleichen.

Das wiederum brachte Paula Abrams-Hourani von der Jüdischen Stimme auf die Palme. In einem ellenlangen Schreiben an den Rektor protestierte sie gegen die Raumkündigung und machte für Wincklers Entscheidung „die pro-israelische Lobby in Wien“ verantwortlich, die allerweil den Antisemitismusvorwurf als „politische Waffe“ einsetze. Die Absage der Veranstaltung mit einem „anerkannten, renommierten US-amerikanischen Politikwissenschafter auf dem Gebiet des israelisch-palästinensischen Konflikts“ werde erst recht zu einer Zunahme des Antisemitismus führen“, glaubte sie. Eine geradezu bizarre Logik: Demzufolge müsste es umgekehrt das wirksamste Mittel gegen den Judenhass sein, möglichst viele möglichst erbarmungslose Antisemiten an möglichst bekannten und frequentierten Orten sprechen zu lassen. Aber nicht nur in diesem Punkt zeigt Abrams-Hourani, dass sie ein eher taktisches Verhältnis zur Realität hat: In ihrem Brief behauptete sie auch, Norman Finkelstein werde von Contreras und Neugebauer „mit der Formulierung ‚der jüdische David Irving’ diffamiert und beleidigt“. Doch diese Bezeichnung stammt gar nicht von den beiden Verfassern des offenen Briefes an den Uni-Rektor.

Sie ist vielmehr die Erfindung von Ingrid Rimland, der Ehefrau des Holocaustleugners Ernst Zündel. Auf ihrer Mailingliste ZGRAM feierte sie Finkelstein im August 2000 für sein Buch „Die Holocaust-Industrie“ mit den Worten: „Dieser Finkelstein ist wie eine von Rommels Panzers-Einheiten, die durch die feindlichen Linien gebrochen ist und nun Verwüstung schafft, indem sie die Unterstützer-Truppen der Holocaust-Industrie abknallt und die Munitionslager des jüdischen Hollywood-Ramschs in die Luft sprengt und Chaos, Angst und Hoffnungslosigkeit verbreitet, wo immer er auch auftaucht. Finkelstein ist wie ein jüdischer David Irving.“ Dokumentiert wurde diese Äußerung neben weiteren ungezählten neonazistischen Beifallsbekundungen für Finkelstein in der von Martin Dietzsch und Alfred Schober im Jahr 2001 herausgegebenen Schrift „Ein ‚jüdischer David Irving’? Norman Finkelstein im Diskurs der Rechten – Erinnerungsabwehr und Antizionismus“. Contreras und Neugebauer hatten in ihrem Schreiben daraus zitiert, um Rektor Winckler auf die große Zustimmung aufmerksam zu machen, die sich Finkelstein mit seinen Thesen in der Naziszene erarbeitet hat. Und nicht nur dort, sondern auch bei „Israelkritikern“ anderer politischer Abkunft.

Die Universitätsleitung ließ sich schließlich davon überzeugen, dass es keine gute Idee ist, einem solchen Mann eine Plattform zu bieten. Die linke Wiener Zeitschrift Falter hingegen glaubte, den „Provokateur“ zum Interview bitten und ihm kommentarlos eine Bühne gewähren zu sollen. Und der ließ sich nicht lumpen: „Israel und jüdische Organisationen“ hätten „den Holocaust instrumentalisiert, um Geld für die Überlebenden zu erpressen“, tönte Finkelstein. Adolf Eichmann sei erst gefasst worden, „nachdem Israel sich dazu entschlossen hatte, eine große Holocaust-Show zu inszenieren“; das Simon-Wiesenthal-Center sei „wahrscheinlich die größte Gaunerei auf Gottes Erden“. Wer Gerechtigkeit wolle, solle „nach Israel gehen und die gesamte Regierung festnehmen“, die in Gaza eine „Kristallnacht“ veranstaltet und das Gebiet in „ein großes Konzentrationslager“ verwandelt habe. Vom Nazi-Holocaust will der Politologe nichts (mehr) wissen; über den angeblichen israelischen hingegen redet er umso lieber. Kein Zweifel: Finkelstein hat sich den Applaus der Antisemiten nicht nur redlich verdient, er ist selbst einer von ihnen.

Als der große Meister Wien wieder verlassen hatte, brauchten Paula Abrams-Hourani und ihre Mitstreiter bei der Wiener Pro-Terror-Lobby neue Betätigungsfelder. Also setzten sie einen „Brief an die österreichischen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für die EU-Wahlen“ auf und kamen darin auch gleich zur Sache: „Für die Anerkennung der Wahl der Hamas! Für die Entfernung der Hamas von der Europäischen Terrorliste!“ Die EU solle nämlich „das den Palästinenserinnen und Palästinensern zugefügte Unrecht und ihren Wunsch nach Selbstbestimmung anerkennen“. Dass die Palästinenser diesen Wunsch ausweislich der letzten Wahlen am besten bei einer Judenmördertruppe aufgehoben sehen, ficht die Verfasser des Briefes nicht an: „Unsere Initiative teilt keineswegs die politischen und weltanschaulichen Positionen von Hamas – doch als demokratisch gewählte Regierung der Palästinenserinnen und Palästinenser muss sie als Partner in einem politischen Dialog anerkannt werden.“ Natürlich wissen Abrams-Hourani und ihre Freunde, dass die Hamas in einem solchen „politischen Dialog“ allenfalls über das Wie, nicht aber über das Ob einer Auslöschung Israels verhandeln würde. Wenn sie also die Anerkennung der islamischen Gotteskriegerpartei und ihre Streichung von der Liste der Terrororganisationen fordern, signalisieren sie trotz der Beteuerung des Gegenteils ihr Einverständnis mit deren Zielen.

Zwei der angeschriebenen österreichische Spitzenkandidaten für die Wahlen zum Europaparlament gaben übrigens eine Antwort. Die eine Bewerberin, Ulrike Lunacek von den Grünen, lehnte ab: Ihre Partei werde nicht mit der Hamas kooperieren, schrieb sie. Der andere Kandidat jedoch versprach, das Anliegen der Hamas-Fans tatkräftig zu unterstützen. Und bei diesem anderen handelt es sich um keinen Geringeren als Andreas Mölzer von der ultrarechten FPÖ. Mit den „Freiheitlichen“ könne und wolle man jedoch nicht kooperieren, hieß es von Seiten der Initiatoren mit dem Ausdruck des Bedauerns (woraus sich zwangsläufig die Frage ergibt, warum sie Mölzer dann überhaupt einen Brief geschickt haben). Bekannt wurde dies am vergangenen Samstag auf einer Kundgebung der Frauen in Schwarz und weiterer Desperados der antiisraelischen Kampagne Gaza muss leben am Wiener Donaukanal. Das Szenario war mehreren Augen- und Ohrenzeugenberichten zufolge nachgerade bizarr: Während am einen Ufer die Gäste des Tel Aviv Beach entspannt ihre Cocktails genossen, versammelten sich direkt gegenüber, weitgehend unbeachtet, rund dreißig freudlose Gestalten mit einem Lastwagen, Palästinafahnen, Spruchbändern und Flugblättern unmittelbar neben zwei „Dixi“-Toiletten, um für die Anerkennung einer antisemitischen Terrortruppe zu werben (oberes Foto). Da gebietet bereits der gute Geschmack einen Aufenthalt am Ostufer (unteres Foto) – zumal dort auch die Sonne länger scheint. Le chaim!

Herzlichen Dank an Karl Pfeifer für ungezählte wertvolle Hinweise und die Fotos.

5.6.09

Peace, Love & Happiness?



Recht eigentlich betrachtet ist es noch zu früh, um über Barack Obamas Kairoer Ansprache* ein Urteil zu fällen. Denn eine Rede ist eine Rede ist eine Rede, aber – um es mal in Helmut Kohls unnachahmlich tapsiger Rhetorik zu formulieren – „entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Eine Welt ohne Atomwaffen? Ein palästinensischer Staat, der friedlich mit Israel koexistiert? Gleiche Rechte und Chancen für Frauen allerorten? Eine islamische Kultur, die der Welt statt Hasspredigten, Bomben und Raketen „majestätische Bögen und hohe Gewölbe beschert, zeitlose Poesie und geschätzte Musik, elegante Kalligrafie und Orte der friedlichen Kontemplation“? Kurz: Globaler Friede, weltweite Freude und Eierkuchen für alle? Sollte dem eines schönen Tages tatsächlich so sein, wird zweifellos niemand zögern, Obamas Vortrag in der ägyptischen Hauptstadt als historischen Meilenstein zu qualifizieren. Allein: Es sind – um es vorsichtig zu formulieren – Zweifel angebracht, dass der „‚We are the world’-Singsang“ (Joachim Steinhöfel) des amerikanischen Präsidenten das Zeug zur Initialzündung hat.

Let’s face it: Obama ist nicht der Erste, der gegenüber dem Islam und seinen Adepten eine „Politik der ausgestreckten Hand“ verfolgt, wie man es auf Schwiemeldeutsch gerne formuliert. Vor allem in Israel ist eine solche Politik schon etliche Male versucht worden – mit dem immergleichen Ergebnis, dass, um im Bild zu bleiben, in die ausgestreckte Hand gebissen wurde. Auch deshalb sind im jüdischen Staat die Reaktionen auf Obamas Rede so kühl ausgefallen: Dort weiß man nur zu genau, dass beispielsweise ein Abbau von Siedlungen keineswegs – und schon gar nicht automatisch – zum Frieden oder auch nur zu mehr Sicherheit für Israels Bürger führt. Im Gegenteil hat die Hamas den kompletten Gazastreifen nach dem Abzug der israelischen Armee vor vier Jahren ruckzuck in eine großflächige Raketenabschussrampe verwandelt. Warum? Weil sie keine Zweistaaten-, sondern eine Kein-Staat-Israel-Lösung verfolgt – so und nicht anders steht es schließlich auch in ihrer Charta. Sie davon abbringen zu wollen, wie es dem US-Präsidenten vorschwebt, ist ähnlich erfolgversprechend wie der Versuch, ein Raubtier von den Vorzügen vegetarischer Kost zu überzeugen.

Darüber hinaus ist es bemerkenswert, welche historischen Ereignisse und gegenwärtigen Entwicklungen Barack Obama nicht nur vergleicht, sondern sogar gleichsetzt. Joachim Steinhöfel hat es in einem lesenswerten Kommentar auf den Punkt gebracht: „Der Holocaust war schlimm, aber das gelte auch für die Besetzung Palästinas durch Israel. Dem Präsidenten fehlen jegliche moralischen Kategorien. Kein Wort über die Kriege, die die Araber gegen Israel begonnen haben, kein Wort darüber, dass die Palästinenser 2000 das Angebot eines eigenen Staates ausgeschlagen und mit Terror (der Intifada) auf die ausgestreckte Hand der Israelis geantwortet haben. Die Palästinenser stellt Obama in der Rede als Opfer mit den schwarzen Sklaven in Amerika gleich. Als wären sie Sklaven Israels und die Juden die Unterdrücker. Die Palästinenser müssten der Gewalt abschwören und Israel anerkennen, Israel müsse mit dem Siedlungsbau aufhören. Es ist alles gleich schlimm und alles das Gleiche. Es gibt keine moralischen Unterschiede, egal ob man ein Haus auf umstrittenem Grund und Boden baut oder Zivilisten mordet und die Anhänger einer Religion vernichten will.“

Und selbst wenn man solche und andere mehr als befremdlichen Parallelisierungen – die besonders treuen Dienern des Propheten selbstverständlich noch nicht weit genug gehen – für den Moment mühsam schluckt und sich daran klammert, dass Obama den Muslimen ja auch die eine oder andere Konzession abverlangt hat: Es bleibt die Frage, was denn eigentlich geschehen soll, wenn die erwartete Gegenleistung verweigert wird – und das ist ja nun alles andere als auszuschließen. Konkret: Was passiert, wenn die Hamas Israel nicht anerkennt? Was ist, wenn der Iran die Kernenergie nicht nur friedlich nutzt? Was wird unternommen, wenn Frauen in islamischen Staaten die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft weiterhin verweigert wird? Folgt dann die nächste freundliche Grundsatzrede? Oder gibt es Konsequenzen? Ein amerikanischer Präsident wird ja fraglos nicht so naiv sein, sich darüber keine Gedanken gemacht zu haben.

Vor drei Monaten gab es einmal eine Situation, in der das Entgegenkommen von Obamas Regierung unerwidert blieb, nämlich im Zuge der Vorbereitung der vom UN-Menschenrechtsrat veranstalteten „Durban II“-Konferenz. Damals hatten sich die USA zunächst entschlossen, den Beschluss der Bush-Regierung zu kippen und doch an den Verhandlungen teilzunehmen. Wenig später stiegen sie jedoch wieder aus, nachdem die Erkenntnis gereift war, dass die gesamte Veranstaltung nicht zu retten ist. Jennifer Rubin schimpfte seinerzeit über die Obama’sche „Wir haben alles versucht“-Attitüde, die „moralinsauer und unaufrichtig“ sei. In der Praxis sei die Politik der neuen US-Regierung zwar oft gar nicht weit von der ihrer Vorgängerin entfernt, doch um das nicht zugeben zu müssen, veranstalte der Präsident allerlei Trara und ergehe sich in selbstdienlicher Rhetorik. Liegt diese Strategie auch Obamas Rede in Kairo zugrunde? Ist die Ansprache mithin ebenfalls Ausdruck eines „Wir versuchen alles“, das im Falle des Scheiterns Maßnahmen nach sich zieht? Wird die ausgestreckte Hand also zur Faust, wenn sie nicht geschüttelt wird? Angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten trotz des „Durban II“-Desasters nun dem UN-Menschenrechtsrat beitreten wollen, darf man daran zweifeln.

Barack Obamas Vision von Peace, Love & Happiness mag ja irgendwo sympathisch sein. Nur bleibt weiterhin offen, was Obama zu tun gedenkt, wenn sie von den maßgeblichen Kräften im islamischen Einflussbereich sabotiert wird. Eine Art Plan B sollte nicht erst am Sanktnimmerleinstag erkennbar werden – zumal eingedenk der Tatsache, dass allzu viele derjenigen, die da umworben werden, Freundlichkeit, Kompromisse und die Aussicht auf ein schönes Leben vor dem Tod schlicht für ein Zeichen von Schwäche und Dekadenz halten.

* Eine deutsche Übersetzung findet sich hier: [Teil 1] [Teil 2]

2.6.09

Sri Lanka und der Unmenschenrat



Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat nur wenige Wochen nach der Durban-II-Groteske aufs Neue demonstriert, dass es allerhöchste Zeit für seine Abschaffung ist. Auf einer Sondersitzung in der vergangenen Woche wurde ein Antrag der EU-Ratsmitglieder abgelehnt, die Kampfhandlungen am Ende des Bürgerkrieges in Sri Lanka auf mögliche Menschenrechtsverletzungen beider Seiten – also sowohl durch die Terrororganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) als auch durch die srilankischen Regierungstruppen – zu untersuchen. Stattdessen verabschiedete das Gremium eine von Sri Lanka selbst eingebrachte Resolution, in der der Regierung in Colombo unter anderem zur „Befreiung Zehntausender ihrer Bürger“ gratuliert und ihr zugestanden wird, Hilfsorganisationen erst dann zu Bedürftigen zu lassen, „wenn es angebracht ist“. Zugleich wird die srilankische Regierung in der Entschließung für die „dauerhafte Einhaltung der Menschenrechte“ gepriesen; Angriffe auf die Zivilbevölkerung habe es ausschließlich durch die LTTE gegeben. Die Resolution wurde mit 29 Ja-Stimmen – darunter jenen Chinas, Kubas, Russlands, Ägyptens, Jordaniens, Pakistans, Saudi-Arabiens und Südafrikas – bei zwölf Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen angenommen.

Dieses neuerliche Propagandaspektakel des UN-Menschenrechtsrats hat dabei eine beachtliche jüngere Vorgeschichte, über die in westlichen Medien jedoch kaum einmal berichtet wurde. Seit Beginn dieses Jahres hatte sich der mehr als ein Vierteljahrhundert dauernde Bürgerkrieg in Sri Lanka erneut zugespitzt und Tausende von zivilen Opfern gefordert sowie mehrere hunderttausend Menschen zur Flucht gezwungen, die zumeist in von der srilankischen Regierung geführten, elenden Flüchtlingslagern im Land endete. Im Mai bliesen die Regierungstruppen schließlich zu einer groß angelegten, entscheidenden Offensive – und dies sozusagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn zuvor waren Journalisten, Angehörige von Hilfsorganisationen und unabhängige Beobachter ausgewiesen worden. Der UN-Sicherheitsrat trat daraufhin mit einer Presseerklärung (!) an die Öffentlichkeit, in der die LTTE aufgefordert wurde, Zivilisten nicht länger als „menschliche Schutzschilde“ zu missbrauchen, während an die srilankische Regierung appelliert wurde, den Einsatz schwerer Waffen zu unterlassen. Es war dies die erste Stellungnahme des Sicherheitsrats zum Bürgerkrieg in Sri Lanka überhaupt.

Am 16. Mai erklärte Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse den militärischen Sieg über die „Befreiungstiger“ und verkündete, seine Truppen hätten das Land „von den barbarischen Taten der LTTE total befreit“. Schon damals nannten die Vereinten Nationen die Zahl von 7.000 tamilischen Zivilisten, die im Zuge der Schlussoffensive des srilankischen Militärs getötet worden seien – das sind deutlich mehr Tote unter der Zivilbevölkerung als in Kriegs- und Krisengebieten wie dem Irak, Afghanistan, Pakistan und dem Gazastreifen zusammen. Und nach Recherchen der Londoner Times ist diese Zahl sogar noch viel zu niedrig angesetzt: Die Zeitung berichtet von mehr als 20.000 in den letzten Kriegstagen getöteten Zivilisten. Die weitaus meisten davon gehen der Times zufolge auf das Konto der Regierungstruppen, die ohne jede Hemmung selbst Flüchtlingslager in Waffenstillstandsgebieten mit großflächigen Bombardements überzogen hätten. Die srilankische Regierung bestreitet dies jedoch und behauptet, sämtliche Opfer seien von den Tamil Tigers zu verantworten, die auf fliehende Zivilisten geschossen hätten.

Nun stellt kein vernünftiger Mensch das Recht der politisch Verantwortlichen in Sri Lanka in Frage, die LTTE auch militärisch zu bekämpfen. Die Separatisten hatten sich im Laufe ihrer Existenz nicht zuletzt durch zahllose Selbstmordattentate das Etikett „terroristisch“ redlich verdient; der Vorwurf, sie hätten die tamilische Zivilbevölkerung als Geisel genommen, ist zweifellos zutreffend. Doch im Unterschied etwa zum Vorgehen der israelischen Armee gegen die Hamas lässt sich das, was die srilankischen Truppen insbesondere in diesem Jahr veranstaltet haben, nicht mehr mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Terrorabwehr rechtfertigen. Dennoch rief die Schlächterei der srilankischen Einheiten – im Gegensatz zu den Militärschlägen der israelischen Armee gegen den Raketenterror aus dem Gazastreifen – kaum Protest in der Öffentlichkeit hervor, wiewohl die Zahl der Opfer um ein -zigfaches höher liegt als in Gaza und massive Angriffe auf Zivilisten nicht die Ausnahme, sondern die Regel waren.

Die Eingabe der EU-Mitglieder im Menschenrechtsrat stellte vor diesem Hintergrund fraglos ein löbliches Unterfangen dar; gleichzeitig war es letztlich absehbar, wie dieses Vorhaben enden würde. Noch im Januar hatte sich der srilankische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Genf, Dayan Jayatilleka, während einer Sondersitzung des Menschenrechtsrats zum israelischen Vorgehen im Gazastreifen empört: „Wenn der Rat nicht für unschuldige Menschen aufsteht“ – gemeint waren die Palästinenser –, „für wen steht er dann auf, und warum gibt es ihn überhaupt?“ Derselbe Dayan Jayatilleka verbat sich nun eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Sri Lankas“, wie sie durch den Antrag der EU-Staaten im Rat versucht werde, und rühmte gleichzeitig die srilankische Regierung für ihren Sieg. Damit stand er nicht alleine; vielmehr kam es zur üblichen informellen Allianz aus islamischen und afrikanischen sowie weiteren autoritär regierten Staaten, die keine Gelegenheit auslässt, den jüdischen Staat zu verurteilen, während sie immer dann auf Nichteinmischung plädiert, wenn ein Antrag auf Untersuchung von möglichen Menschenrechtsverletzungen einen aus ihrer Mitte betrifft.

Einmal mehr hat sich so gezeigt, dass nicht nur der UN-Menschenrechtsrat – den Thierry Chervel im Perlentaucher treffend als „Unmenschenrat“ qualifizierte –, sondern die Uno selbst das Problem ist. Lukas Lambert brachte es kürzlich in der Wochenzeitung Jungle World auf den Punkt: „Die Uno ist ein Kind des Westfälischen Staatensystems. Die unantastbare Souveränität des Nationalstaates ist Grundlage und Modus Operandi der Weltorganisation: ein Staat – eine Stimme. Die Qualität der internationalen Menschenrechtspolitik wird dementsprechend zu einer Frage der Mehrheit, und die ist in fast allen UN-Gremien, den Sicherheitsrat ausgenommen, auf der Seite der arabischen und islamischen Länder. Innerhalb dieser Mehrheit hilft man sich gegenseitig, wählt sich in Menschenrechtsgremien und sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zur Sprache kommen. Gleichzeitig sind Angriffe auf Israel das allgemein anerkannte Mittel, um das eigene Engagement in Menschenrechtsfragen zu demonstrieren.“ Der geplante Beitritt der USA zum Menschenrechtsrat wird daran nicht das Mindeste ändern (können). Im Gegenteil ist dieser Schritt sogar geradezu fatal, weil auf diese Weise ein Gremium, das schlicht und ergreifend aufgelöst gehört, da es nicht reformiert werden kann, auch noch eine zusätzliche Legitimation erfährt.

Zum Foto: Flüchtlingslager in Sri Lanka nach einem Bombenangriff srilankischer Regierungstruppen. Diese und weitere Aufnahmen präsentiert die Londoner Times in einem Video auf ihrer Website.