28.7.09

In memoriam Kurt Landauer

Es ist gewiss nicht so, dass sich niemand mehr an Kurt Landauer erinnert, jenen Präsidenten des FC Bayern München, der diesen Verein mit Unterbrechungen insgesamt 18 Jahre lang führte. Die Ultras der Schickeria München beispielsweise haben kürzlich zum vierten Mal ein Fan-Fußballturnier ausgerichtet, dessen Siegerpokal nach ihm benannt ist. Und der jüdische Verein Maccabi München lud für den heutigen Abend aus Anlass von Landauers 125. Geburtstag zu einer Gedenkveranstaltung, einem Vortrag sowie einem Zeitzeugengespräch mit Landauers Neffe Uri Siegel* auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau ein (in dieses Lager hatten die Nationalsozialisten Kurt Landauer 1938 verschleppt); er plant darüber hinaus eine Ausstellung über Landauer und wird zudem sein Vereinsgelände nach ihm benennen. Wie gesagt: Man kann nicht behaupten, dass der frühere Bayern-Präsident (Foto) in Vergessenheit geraten ist. Doch ausgerechnet jene, denen seine Würdigung eigentlich eine besondere Ehre und Verpflichtung sein müsste, nämlich die jetzigen Verantwortlichen des deutschen Branchenführers, halten sich damit seit jeher zurück. Zwar findet sich seit Dienstagabend (!) ein Porträt Landauers auf der Homepage des Klubs, und für den Vorstand respektive das Präsidium nahmen Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner sowie Fritz Scherer am Gedenkabend in Dachau teil. Zu einer eigenen Feierstunde aber mochte sich die Bayern-Führung nicht durchringen, und auch ansonsten spielt die Erinnerung an Landauer im Verein allenfalls eine untergeordnete Rolle. Dabei wäre der Klub ohne Landauers Pionierarbeit vermutlich nicht zu seiner gegenwärtigen Größe und Bedeutung gelangt, wie Heike Faller bereits vor sechs Jahren in der Zeit konstatierte:
„Kurt Landauer hat wie keiner vor ihm, so heißt es in der Chronik des FC Bayern, die Werte und Prinzipien verkörpert, die dem Verein 1932 zur ersten deutschen Fußballmeisterschaft verholfen haben und die ihn heute zum Rekordmeister machen. Dass er aus einer jüdischen Familie kam (wobei er weder gläubig war noch Zionist), passte in einen Klub, der um die Jahrhundertwende im Bohemeviertel Schwabing gegründet worden war. Die Ur-Bayern waren Ladenbesitzer, Studenten, Bürgersöhne, Juden wie Christen. Man scheint sich darin einig gewesen zu sein, dass Turnen spießig war und dass ein eleganter Fußballer das Spielfeld niemals ohne Krawatte betrat. Landauer war Leiter der Anzeigenabteilung bei den Münchener Neuesten Nachrichten, und es heißt, dass er ein altmodischer Kaufmann gewesen sei. Er weigerte sich, den Anhängern ein Stadion zu bauen, er investierte lieber in Spielergehälter. Schon in den zwanziger Jahren spielten beim FC Bayern Preußen und andere Ausländer. Und es war ein österreichisch-ungarischer Trainer, mit dem der Klub 1932 Meister wurde. (Mit einem 2:0-Sieg gegen die feldüberlegene Frankfurter Eintracht, der sich, typisch Bayern, aus einem Elfmeter und einem Alleingang zusammensetzte.)“
Der FC Bayern war zu Kurt Landauers Zeiten ein weltoffener, liberaler Verein mit einer beträchtlichen Zahl an jüdischen Mitgliedern. Nicht wenige von ihnen beeinflussten, wie der Präsident, den Werdegang des Klubs entscheidend – beispielsweise die Fußballpioniere Josef Pollack und Gustav Manning, der Gründer der Fachzeitschrift kicker, Walther Bensemann, Jugendleiter Otto Beer und der von Faller erwähnte österreichisch-ungarische Coach Richard Dombi. Der 1900 gegründete Münchner Verein verstand sich als modern und metropolitan, und er hatte internationale Ambitionen. Bereits in den 1920er Jahren, als man andernorts noch Turnvater Jahn und dem Deutschtum huldigte, organisierte er regelmäßig Spiele gegen internationale Mannschaften und verpflichtete internationale Trainer. Das germanische Ideal des Amateurismus war dem FC Bayern und namentlich seinem Präsidenten fremd; die Spieler sollten nicht (nur) aus Gründen der Leibesertüchtigung gegen den Ball treten, sondern die Möglichkeit haben, mit dem Fußballspielen auch gutes Geld zu verdienen.

All dies trug dem Verein bald die antisemitische Schmähung als „Judenklub“ ein. Und als nur wenige Monate nach dessen erster deutscher Meisterschaft die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, verlor Kurt Landauer seine Arbeitsstelle bei den Münchener Neuesten Nachrichten – weil er Jude war. Im März 1933 trat er als Bayern-Präsident zurück; einen Tag nach der Reichspogromnacht 1938 sperrten ihn die Nazis in die Baracke Nummer acht des Konzentrationslagers Dachau. Einen Monat später kam Landauer frei; im März 1939 flüchtete er nach Genf. Dort unterhielt er gute Beziehungen zum FC Servette, gegen den der FC Bayern vor 1933 mehrmals zu Freundschaftsspielen angetreten war. Als der Münchner Klub 1940 erneut in Genf gastierte, stürmte die Mannschaft nach dem Schlusspfiff auf die Tribüne, um ihren alten Präsidenten zu begrüßen, was ihr nach ihrer Rückkehr massive Repressalien eintrug. Überhaupt war die Nazifizierung des FC Bayern – anders als beim Lokalrivalen TSV 1860 München – eine vergleichsweise zähe Angelegenheit: Die Nationalsozialisten bildeten im Verein lange nur eine Minderheit, die vor allem in der Skiabteilung vertreten war. Dem Klub standen noch viele Jahre Mitglieder vor, die den Nazis nicht als ausreichend loyal erschienen und die nicht über die nun notwendigen politischen Verbindungen verfügten. Erst 1943 kam mit dem Bankier Sauter der Wunschkandidat der NSDAP an die Spitze des Vereins, und erst jetzt änderte sich auch dessen Verhältnis zur Partei und zur Stadtverwaltung grundsätzlich.

Kurt Landauer überlebte den Zweiten Weltkrieg in seinem Schweizer Exil, vier seiner Geschwister fielen jedoch den Nazis zum Opfer: Eine Schwester wurde nach Polen deportiert, ein Bruder nach Majdanek, einer nach Litauen und einer ins Konzentrationslager Westerbork. 1947 kehrte Landauer nach München zurück und warb bei der amerikanischen Besatzungsmacht sofort um die Lizenz, den FC Bayern wieder aufbauen zu dürfen. Seiner Bitte wurde entsprochen und Landauer im selben Jahr erneut Präsident des Klubs. Diese zweite Amtszeit endete vier Jahre später, als er sein Amt an einen Handballer verlor. „Es heißt“, schrieb Heike Faller, „die Handballspieler seien eifersüchtig auf die Dominanz der Fußballspieler im Verein gewesen“. Zehn Jahre später starb Landauer im Alter von 77 Jahren; der Nachruf auf ihn wurde, wie Ronny Blaschke in der Berliner Zeitung berichtet, mit einem Kruzifix versehen: „Seine jüdischen Wurzeln wurden mit keinem Wort erwähnt. Dass er in den Jahren zwischen 1933 und 1947 nicht Präsident sein konnte, wurde mit ‚politischen Gründen’ erklärt.“

Einen „der großen Visionäre des deutschen Fußballs in den Jahren der Weimarer Republik“ nennt der FC Bayern seinen langjährigen Präsidenten nun auf seiner Website. Wäre es also nicht an der Zeit, Kurt Landauer ein Denkmal zu setzen – bevorzugt auf dem Klubgelände – und den morgen beginnenden zweitägigen Wettbewerb in München nach ihm statt nach einem Autohersteller zu benennen? Oder geht das erst zum Hundertfünfzigsten? Und wären nicht die Überlegungen des Münchner Politologen Thomas Hauzenberger ein Grund mehr, sich mit Landauers Biografie zu beschäftigen und eine Verbindung zur Gegenwart herzustellen? Hauzenberger – ein Sechz’ger-Fan! – schrieb vor einigen Jahren in einer wissenschaftlichen Arbeit: „Man könnte sich die Frage stellen, ob die Polemik, die notorisch gegen den FC Bayern vorgebracht wird, unwissentlich auf das Repertoire antisemitischer Topoi zurückgreift: das so genannte Bonzentum, der Vorwurf, dass die Erfolge der Bayern erkauft und nicht erkämpft sind, die Tatsache, dass der Verein kein eigenes Stadion in einem bestimmten Stadtteil besaß, was man wiederum mit dem Topos der jüdischen Wurzellosigkeit assoziieren könnte – weltläufig statt beheimatet.“ Dass die Chefetage des Rekordmeisters an der Klärung dieser Frage nicht interessiert ist, ist jedenfalls kein Grund, ihr nicht nachzugehen.

* Fotos und ein Audio-Mitschnitt finden sich bei probek.net.

Die Informationen zu Kurt Landauer und zur Geschichte des FC Bayern entstammen, sofern nicht durch Links anders ausgewiesen, dem ausgezeichneten Buch des Fußballhistorikers Dietrich Schulze-Marmeling,
Die Bayern. Die Geschichte des deutschen Rekordmeisters (Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2006), das im November dieses Jahres in einer überarbeiteten Neuauflage erscheinen wird.

Herzlichen Dank an Wolfgang Müller für wertvolle Hinweise.

„Juden raus“ heißt „judenrein“



Derzeit vergeht einmal mehr kaum ein Tag, ohne dass irgendjemand lauthals ein „Ende des israelischen Siedlungsbaus“ verlangt. Vor allem seit US-Präsident Barack Obama diese Forderung auf seine Nahost-Agenda gesetzt hat, glauben in seinem Windschatten auch hierzulande Politiker und Medien, in allerlei Stellungnahmen und Kommentaren verstärkt die Beseitigung dieses vorgeblichen Haupthindernisses für einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern anmahnen zu sollen. Bundesaußenminister Steinmeier beispielsweise ließ während seiner Nahostreise Anfang des Monats verlautbaren, es werde „keinen Fortschritt für eine Zweistaatenlösung geben, wenn sich beim Siedlungsbau nicht etwas bewegt“, und Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, äußerte kürzlich gar die Ansicht, Israel laufe Gefahr, mit seiner Siedlungspolitik „als demokratischer Staat schrittweise Selbstmord zu begehen“. Der mediale Flankenschutz folgte sogleich: In der Süddeutschen Zeitung etwa fand Thorsten Schmitz, Israels Premierminister Benjamin Netanyahu sei in Bezug auf die Siedlungen „unverändert halsstarrig“ und „trotzig“, während Andreas Rinke im Handelsblatt in schönstem Antiimp-Deutsch unter anderem den „Schaden in anderen Teilen der Welt“ beklagte, der entstehe, „wenn Deutschland mit dem steten Hinweis auf bedingungslose Solidarität als Erfüllungsgehilfe einer international geächteten Politik angesehen wird“.

Es ist zwar nicht neu, aber immer wieder bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit davon ausgegangen wird, dass der jüdische Staat nur seine Enklaven, Außenposten und Grenzdörfer jenseits der „grünen Linie“ auflösen muss, um fortan in Frieden mit seinen Nachbarn leben zu können. Dabei zeigt schon die jüngere Vergangenheit, dass diese Gleichung nicht aufgeht, schon gar nicht zwangsläufig: Als Ehud Barak vor neun Jahren während der Verhandlungen von Camp David anbot, einen Großteil der Siedlungen zu räumen und die verbleibenden durch einen Gebietsaustausch abzugelten, lehnte die palästinensische Seite dieses beispiellos weitgehende Angebot ab, um stattdessen zur „Intifada“ zu blasen. Und als Ariel Sharon im Jahre 2005 die israelischen Siedlungen im Gazastreifen räumen ließ, bedankten sich die Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen dafür mit einem Raketenhagel, der erst infolge der israelischen Operation Gegossenes Blei zu Beginn dieses Jahres signifikant nachließ. Das heißt: Israel ist einem Dilemma ausgesetzt. Hält es die Siedlungen aufrecht, zieht es sich den Zorn der restlichen Welt zu; baut es Siedlungen ab (oder bietet es diesen Schritt auch nur an), sehen nicht unerhebliche Teile der arabischen Welt darin ein Zeichen von Schwäche und eine Gelegenheit zur „Befreiung ganz Palästinas“ – von den Juden nämlich.

Dieser prinzipielle Unwille, Israel anzuerkennen, ist der Kern des arabisch-israelischen Konflikts – und eben nicht die Siedlungsfrage. Selbst wenn der jüdische Staat nur das Stadtgebiet von Tel Aviv umfassen würde, wäre er seinen Feinden noch zu groß. Denn deren Ziel ist nicht eine Zweistaaten-, sondern nach wie vor eine Kein-Staat-Israel-Lösung. Um es mit Yaacov Lozowick zu sagen: „Seit 1967 übte Israel die Herrschaft über einen großen Teil der palästinensischen Bevölkerung aus, und sein Verhalten kann in vieler Hinsicht kritisiert werden. Dennoch könnte nur ein Narr behaupten, dass sich die Palästinenser in der umgekehrten Situation mit den Maßnahmen, wie sie die Israelis getroffen haben, zufrieden geben würden. Sollten die Palästinenser jemals Herrschaft über die Juden erlangen, wird Palästina ebenso judenrein werden, wie es der größte Teil Europas heute ist: eine kleine Gemeinde hier und dort und Gespenster überall. Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Israel blockiert lediglich die nationalen Ambitionen der Palästinenser (beziehungsweise hat das früher getan), die Palästinenser hingegen bedrohen die nackte Existenz der Juden.“

Ganz bewusst benutzt Lozowick hier ein Wort – übrigens nicht nur in der 2006 erschienenen deutschen Übersetzung seines Buches Israels Existenzkampf, sondern auch im englischen Original –, das in den letzten Wochen auch Benjamin Netanyahu und Avigdor Lieberman mehrfach verwendet haben: „judenrein“. Dieser Begriff wurde von deutschen Antisemiten Ende des 19. Jahrhunderts kreiert; später gebrauchten ihn die Nationalsozialisten – neben dem Terminus „judenfrei“ – als Euphemismus für die Massenvernichtung. Wenn er jetzt sowohl von einem israelischen Historiker als auch vom israelischen Premier- und seinem Außenminister beansprucht wird, dann vor allem deshalb, weil jenseits der Grenzen Israels kaum jemand einen Gedanken daran verschwendet, was die Gründung eines palästinensischen Staates für die auf seinem Territorium lebenden Juden bedeuten würde. Von Israel wird selbstverständlich verlangt, ein multinationaler Staat zu sein, in dem Araber als gleichberechtigte Bürger ihren Platz haben. Fast niemand hingegen – erst recht kein palästinensischer Politiker – erhebt die nicht minder selbstverständliche Forderung, dass in einem zukünftigen Palästina auch Juden leben können müssen, wenn sie es wollen, und zwar nicht bloß als geduldete „Dhimmis“.

Im Gegenteil implizieren nahezu alle Appelle an die israelischen Regierungen, die Siedlungen aufzulösen, dass Juden auf palästinensischem Boden prinzipiell nichts verloren haben. Denn die obligatorische völkerrechtliche Argumentation für einen Abzug der Siedler als angeblich unabdingbare Voraussetzung für die Gründung eines palästinensischen Staates geht praktisch nie mit der Versicherung einher, dass ein prospektives Palästina selbstredend eine jüdische Minderheit zu akzeptieren hat. Eine solche Klarstellung mag für überflüssig halten, wer sich auf die Begründung zurückzieht, die Siedlungstätigkeit sei nun mal als Teil einer illegalen Besatzungspraxis zu betrachten, weshalb jüdisches Leben in den besetzten Gebieten und einem späteren palästinensischen Staat nicht grundsätzlich in Frage stehe. Doch dieser Standpunkt blendet aus, dass es sich bei der Westbank genau genommen nicht um ein besetztes, sondern um ein umstrittenes Gebiet handelt – schließlich wurde es 1948 von Jordanien völkerrechtswidrig annektiert und gelangte erst infolge des israelischen Verteidigungskrieges im Juni 1967 unter israelische Kontrolle. Noch im selben Jahr bot Israel Verhandlungen über die Abtretung der Gebiete an; die arabischen Staaten lehnten jedoch auf der Konferenz von Khartum mit einem „dreifachen Nein“ ab: Nein zum Frieden mit Israel, nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel. Es war dies „die alte Position des berüchtigten Muftis von Jerusalem“, wie Tilman Tarach in einem Beitrag für die Zeitschrift konkret schrieb:No inch des heiligen musli­mischen Bodens für einen souveränen jüdischen Staat.“ Und am besten auch no inch für Juden überhaupt.

Es mag auf den ersten Blick befremdlich undiplomatisch wirken, dass Netanyahu und Lieberman nun zu einem NS-Vergleich greifen. Aber diese drastische Methode ist vermutlich die einzige, die einigermaßen plastisch vor Augen führt, welche Konsequenz sich aus der geradezu rituell wiederholten Forderung nach einem Stopp und Abbau der israelischen Siedlungen ergibt – zumal angesichts der fortgesetzten Weigerung palästinensischer Funktionäre und Organisationen, im arabisch-islamischen Raum jüdisches Leben im Allgemeinen und einen jüdischen Staat im Besonderen zu akzeptieren. Erst wenn diese Weigerung glaubhaft nicht mehr existiert, ist die Gründung eines palästinensischen Staates denkbar und sinnvoll. Und genau das ist auch der Standpunkt der israelischen Regierung, die in diesem Zusammenhang auf die Roadmap verweist – und damit auf jenen Fahrplan, an den sich offenbar weder die europäischen Regierungen noch die amerikanische Führung erinnern wollen.

Zum Foto: Bundesaußenminister Steinmeier bei der Raumplanung auf dem Mount Scopus. Jerusalem, Juli 2009.

22.7.09

Das Problem heißt Deutschland



Andreas Rinke, Redakteur beim Handelsblatt, bewirbt sich mit seinem Kommentar „Frieden und Boden“ für das Bundesverdienstkreuz:
„Ganz offen rückt Israels Regierungschef [Benjamin Netanyahu] von der internationalen Einigung auf einen Siedlungsstopp ab und lässt auch im arabischen Ostjerusalem neu bauen. [...] Seite an Seite mit der härteren Israel-Politik der Obama-Administration sollte deshalb auch die Bundesregierung eine neue Tonlage anschlagen. [...] Es stimmt, dass der Beistand für Israel Teil der deutschen Staatsräson ist, wie Kanzlerin Merkel betont. Aber auch sie scheint langsam zu erkennen, dass dies keine Nibelungentreue zu einer Regierung rechtfertigt, die mit ihrer Politik jede Friedenslösung unmöglich macht und nur neuen Hass sät. Sicherlich muss eine Bundesregierung bedenken, dass israelische Hardliner wenig Hemmung haben, eine härtere deutsche Haltung als ‚antiisraelisch’ oder gar ‚antisemitisch’ zu brandmarken. Bewusst verwendet Netanjahu gegenüber deutschen Gesprächspartnern den Ausdruck, das Westjordanland dürfe nicht ‚judenrein’ werden. Aber zum einen lassen sich Vorwürfe klar widerlegen, gerade wenn die eigene Politik eng mit den EU-Partnern und der US-Regierung abgestimmt wird. Zum anderen muss die Bundesregierung überlegen, wie groß eigentlich der Schaden in anderen Teilen der Welt ist, wenn Deutschland mit dem steten Hinweis auf bedingungslose Solidarität als Erfüllungsgehilfe einer international geächteten Politik angesehen wird.“
Auch Arno Widmann will unbedingt vorgeschlagen werden und verlegt die – selbstverständlich illegitime – Gründung des Staates Israel, vor Kühnheit zitternd wie Martin Walser damals in der Paulskirche, sogar um ein Jahr nach hinten sowie den von Eleazar Ben-Ja’ir geführten Aufstand um 23 Jahre nach vorne (um von der Bar-Kochba-Rebellion ganz zu schweigen):
„Was spricht dafür, dass die Juden, die 1949 den jüdischen Staat gründeten, die Kindeskindeskinder derjenigen waren, die im Jahre 49 das Heilige Land verließen? Und selbst wenn? Gibt einem das das Recht, 1900 Jahre später zu sagen: Hier bin ich wieder. Das ist mein Land. Wer bisher hier gewohnt hat, hat zu gehen? Und selbst wenn – gibt einem das das Recht, dieses Land Jahr um Jahr zu erweitern? Immer neue Bewohner zu vertreiben?“
Und Yassin Musharbash verteidigt auf Spiegel Online eine, der diese Ehrung gerade zuteil wurde:
„Geehrt werden sollte, wer das geistige Leben in diesem Land bereichert hat, neue Einsichten ermöglicht hat, sich auf die Seite der Schwachen gestellt, sich engagiert hat. Und das hat Felicia Langer.“
Langers Bereicherung des geistigen Lebens in der Bundesrepublik, ihre Ermöglichung neuer Einsichten und ihr Engagement bestehen, kurz gesagt, in der „Friedenskampf“ genannten Hetze gegen Israel und in der als „Einsatz für die Schwachen“ euphemisierten Verharmlosung des palästinensischen Terrors. Dadurch hat die Anwältin – als jüdische Kronzeugin der Anklage – dazu beigetragen, den Deutschen ihre Schuldgefühle gegenüber den Juden, sofern sie überhaupt je welche besaßen, zu nehmen und den Antisemitismus in Form der vermeintlich unverdächtigeren „Israelkritik“ zu popularisieren. Darin liegt Langers Verdienst, und genau dafür ist sie vor knapp einer Woche geehrt worden. Nicht zuletzt deshalb fühlen sich Leute wie Andreas Rinke von allen Hemmungen befreit und rechnen mit frechen Judenlümmeln wie Benjamin Netanyahu oder Avigdor Lieberman ab, wenn die es wagen, die Konsequenz aus der Forderung nach einem Siedlungsstopp auf den Punkt zu bringen. Und nicht zuletzt deshalb glauben Leute wie Arno Widmann, dem jüdischen Staat mal eben das Existenzrecht absprechen zu sollen.

Dass eine Israelhasserin die höchste Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland bekommen hat, kann nur diejenigen verwundern, die ernsthaft glauben, hierzulande habe sich an der Virulenz des Antisemitismus grundlegend etwas geändert. Doch das ist nicht der Fall, weshalb die Ehrung weniger etwas über die Geehrte aussagt als vielmehr eine ganze Menge über diejenigen, die ihr den Orden umgehängt haben. Und exakt hier liegt das eigentliche Problem, das deshalb Deutschland heißt und nicht Felicia Langer.

Foto: Staatssekretär Hubert Wicker hält die Laudatio auf Felicia Langer. Villa Reitzenstein, Stuttgart, 16. Juli 2009 (Quelle: Staatsministerium).

20.7.09

Selbstläufer Selbstmordlegende



Im November 2007 kassierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichts aus dem Jahr 2002. Damit stellte er klar, dass die von österreichischen Rechtsextremisten öffentlich verbreitete Behauptung, „der jüdische Journalist Karl Pfeifer“ habe als Teil einer „Jagdgesellschaft“ eine „Menschenhatz“ auf den ultrarechten Politologen Werner Pfeifenberger eröffnet und ihn dadurch in den Tod getrieben, mitnichten eine zulässige Wertung ist. Einem notorischen Dortmunder Antizionisten und glühenden Verehrer von Felicia Langer jedoch ließ der Fall einfach keine Ruhe, und so machte er sich selbst auf die Jagd – nach Karl Pfeifer.

VON TORSTEN SCHULZ

Dass manche „linken“ oder doch zumindest nicht erklärtermaßen rechten „Antizionisten“ sich in Wortwahl und Inhalt von veritablen Nazis mitunter kaum mehr unterscheiden lassen, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Dass sie auch in ureigene antisemitische Kampagnen der Nationalen einstimmen, sogar da, wo es gar nicht gegen Israel geht, war bis dato allerdings nur schwer vorstellbar. Vorgemacht hat es jetzt jedoch Erhard Arendt, ein Produzent von Malerei, Grafik und Lyrik, der auf seiner Homepage nebenbei auch ein „Palästina-Portal“ betreibt und sich den Hinweis, mit Hannah Arendt verbinde ihn „nur die Namensgleichheit“, im Übrigen auch gut und gerne hätte schenken können. Arendts Steckenpferd ist der Staat Israel – beziehungsweise was man gegen ihn ins Feld führen könnte. So kann der staunende Leser aktuell erfahren, dass im ganzen Nahen Osten „einzig Israel“ jemals Angriffskriege oder Überfälle führte, dass gerade dieser Staat sich ganz generell „sowieso nicht um Völkerrecht und Menschenrechte schert“ oder aber auch, dass es zu Zeiten seiner Gründung „wirkliche“ Bewohner Palästinas gab und unwirkliche, nämlich jüdische.

Was Arendt gar nicht leiden kann, sind Antisemitismusvorwürfe. Ein Dorn im Auge ist ihm deshalb der österreichische Journalist und Antifaschist Karl Pfeifer, für Arendt selbstredend ein bloß „selbst ernannter“, in diesem Fall aber: Journalist, denn woran sollte man den auch dingfest machen? „Aus rechtlicher Sicht“, schreibt Arendt, „kann sich jeder als Journalist bezeichnen“. Doch „welchen Beruf hat der ‚Pfeifer aus Wien’ eigentlich wirklich gelernt?“ Das scheint Arendt ganz besonders umzutreiben: nicht, was einer sagt, schreibt, tut oder wo er lebt, sondern was seine „wirkliche“ Eigenschaft und Bestimmung ist. Pfeifer handle nach dem Motto: „In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der ihn gemacht hat.“ Das Zitat hat sich Arendt so oder so ähnlich von einem anderen Karl geborgt, dem von Ossietzky nämlich, der aber in Wirklichkeit ein Carl war. Und belegen will er es ausgerechnet anhand eines Beispiels aus Österreich, wohin er auch gern den Machtbereich des Deutschen Presserats ausgedehnt sähe. Das sei aber nur am Rande bemerkt.

„Pfeifer gehört zu einer besonderen talentierten Sorte von ‚Jägern’ einer ‚Jagdgesellschaft’ an [sic!], die mit allerhand Tricks aus Texten Andersdenkender ‚NS-Töne’ oder ‚Antisemitismus’ herausdestillieren oder mit Vorliebe hineininterpretieren, suggerieren können“, glaubt Arendt. „So haben sie auch in der Gegenwart einige Opfer hinterlassen.“ Mit „Opfern“ meint Arendt dabei tatsächlich Tote. Ein prominenteres Exemplar davon ist Jürgen Möllemann, der beim Fallschirmspringen ums Leben kam. Ein weniger prominentes, das er Karl Pfeifer anzuhängen versucht, heißt Werner Pfeifenberger. Pfeifenberger kam im Mai 2000 in den Bergen bei Salzburg zu Tode. Er hätte sich wenige Wochen später in Österreich wegen des Vorwurfs der NS-Wiederbetätigung vor Gericht verantworten müssen. Hinweise auf ein Fremdverschulden gibt es in beiden Fällen nicht.

Das hindert Verschwörungstheoretiker bekanntlich nicht daran, ihre eigenen Überlegungen anzustellen. Der eigentümliche Begriff der „Jagdgesellschaft“ wurde von der österreichischen Rechtsaußen-Postille Zur Zeit und ihrem Herausgeber, dem völkischen Europaabgeordneten Andreas Mölzer, geprägt. Erhard Arendt wird seine Gründe gehabt haben, an dieses Vokabular anzuknüpfen. Nicht in die Nazi-Ecke gestellt werden zu wollen, kann allerdings nicht dazu gehören. Unter der Schlagzeile „Tödlicher Tugendterror“ hatte Zur Zeit dem „jüdischen Journalisten“ Karl Pfeifer unterstellt, eine „Menschenhatz“ gegen Pfeifenberger eröffnet zu haben, „die in der Folge bis zum Tod des Gehetzten gehen sollte“. Gemeint war damit, dass Pfeifer in einem Aufsatz des Politikwissenschaftlers für eine Programmschrift der FPÖ „(Neo)-Nazi-Töne“ identifiziert – Arendt würde sagen: „herausdestilliert“ – hatte.

Destillation ist bekanntlich ein Verfahren, untrennbar Vermischtes in seine einzelnen Bestandteile zu zerlegen. Aber anders als Arendt suggerieren möchte, hatte Karl Pfeifer seinerzeit überhaupt keinen besonderen Aufwand treiben müssen, die „Nazi-Töne“ des Professors sichtbar zu machen. Seine Rezension des Pfeifenberger-Beitrags zum „Jahrbuch für Politische Erneuerung“ der Freiheitlichen beschränkte sich ganz überwiegend auf Originalzitate, die Pfeifer mit der Bemerkung „Das ist Nazi-Diktion“ lediglich zur Kenntlichkeit entstellte. Wie zum Beispiel Pfeifenbergers Behauptung, die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gehe zurück auf einen „Kampf zwischen Deutschen und Juden, der vom politischen Sieger“ lediglich „auf staatlicher Ebene fortgeführt“, dann aber leider auf internationaler Ebene verloren worden sei. Der Gutachter im daraufhin von Pfeifenberger angestrengten Strafprozess arbeitete demgegenüber heraus, dass der Aufsatz „nicht zu übersehende Übereinstimmungen“ mit Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ aufweise und der Autor darüber hinaus Anleihen beim Parteiprogramm der NSDAP und den Nürnberger Rassegesetzen getätigt habe. Was die Frage aufwirft, ob Arendt denn wenigstens Hitler noch als Antisemiten gelten lassen würde.

Dass Arendt sich mit seinem Eintreten für einen gerichtsnotorischen NS-Apologeten in irgendeiner Weise positiv von den übrigen Anhängern des „Jagdgesellschaft“-Konstrukts abgehoben hätte, lässt sich ebenfalls nicht behaupten. Das Gegenteil ist der Fall: Raunte das Nationale Infotelefon (NIT) seinerzeit noch von „namentlich Unbekannten mit großer Macht“, die in den Presseagenturen die Strippen zögen, sah Arendt „Schreibtischtäter“ am Werk. Und während weder das NIT noch die Junge Freiheit, weder Zur Zeit noch der Altnazi Otto Scrinzi in der Zeitschrift Aula so weit gingen, die offizielle Version eines Suizids Pfeifenbergers in Zweifel zu ziehen, ist für Arendt der Antisemit automatisch Opfer bis zum Beweis des Gegenteils: „Der Fall ‚Pfeifenberger’ und die Umstände seines Selbstmordes sind zwar rechtlich abgeschlossen, letztlich aber mangels ausreichender Beweise bis heute nicht endgültig aufgeklärt.“

Genau wie bei Möllemann, versteht sich, der Arendt zufolge vom Zentralrat der Juden „politisch zum Abschuss freigegeben“ wurde. Inzwischen hat Arendt die entsprechende Passage auf seiner Seite durchgestrichen. Nicht etwa, weil nun endlich die geforderten Beweise aufgetaucht wären, wie man vermuten sollte, sondern „weil es wirklich kein gutes Beispiel für die Aktivitäten des Herrn Pfeifer ist“. Vielleicht nicht einmal für die Aktivitäten des Zentralrats der Juden in Deutschland, wer weiß? Möglicherweise mag Arendt auch nicht mit Mölzer in einem Atemzug genannt werden und entscheidet sich unter diesen Umständen auch noch, vom Begriff der „Jagdgesellschaft“ wieder Abstand zu nehmen. Das bleibt aber noch abzuwarten. Ob wenigstens an seinen Ausführungen über Israel etwas dran ist?

19.7.09

Fiat iustitia, et pereat mundus!

Au weh. Am vergangenen Freitag hatte ich in meiner Würdigung der Bundesverdienstjüdin Felicia Langer unter anderem die folgenden beiden Sätze geschrieben: „Zur Kompensation dieser fehlenden Relevanz wird Felicia Langer im Nachfolgestaat des Dritten Reiches mit Orden und Ehrenzeichen überhäuft. Denn das nennt man dort ‚Vergangenheitsbewältigung’.“ Jetzt erwägt der große Dichter und Denker Abraham Melzer, der sich für Cicero hält, den er wiederum von Cato nicht unterscheiden kann, wegen „Beleidigung des Staatsoberhauptes“ eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Auch Leser Frank M. fand es in einer E-Mail an mich eine „mittlere Unverschämtheit, eine solche Aussage zu tätigen“. Denn „dies würde indirekt auch bedeuten, dass Sie die Verfassungsorgane der Bundesrepublik sowie die staatlichen Institutionen als Fortführung der Einrichtungen des 3. Reiches betrachten, was ja nicht nur grober Unsinn ist, sondern letztendlich auch eine Beleidigung dieser Organe darstellt“. Nun habe ich zwar nicht eine „Fortführung“ des Nazistaates behauptet, sondern nur eine Nachfolgerschaft durch die Bundesrepublik – und zwar ganz in dem Sinne, wie Henryk M. Broder die deutsche Justiz einmal historisch korrekt als „Erbe der Firma Freisler“ bezeichnet hatte, was dem Urteil eines Münchner Gerichts zufolge durchaus keine Beleidigung darstellt. Gleichwohl habe ich mich aufs Schändlichste geirrt. Denn der besagte Leser wies mich auf ein offenbar bis heute gültiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 hin, in dem es doch tatsächlich heißt, das Deutsche Reich existiere fort, und die Bundesrepublik sei mit ihm identisch:
„Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist. [...] Das Deutsche Reich existiert fort […], besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. [...] Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert. [...] Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht ‚Rechtsnachfolger‘ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat ‚Deutsches Reich‘ – in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings ‚teilidentisch‘, sodass insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. Die Bundesrepublik umfasst also, was ihr Staatsvolk und ihr Staatsgebiet anlangt, nicht das ganze Deutschland, unbeschadet dessen, dass sie ein einheitliches Staatsvolk des Völkerrechtssubjekts ‚Deutschland‘ (Deutsches Reich) [...] und ein einheitliches Staatsgebiet ‚Deutschland‘ (Deutsches Reich), zu dem ihr eigenes Staatsgebiet als ebenfalls nicht abtrennbarer Teil gehört, anerkennt. Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den ‚Geltungsbereich des Grundgesetzes‘.“
Ich geb’s zu: Das habe ich als Nichtjurist nicht gewusst. Ich müsste mich also korrigieren und präzisieren: „Zur Kompensation dieser fehlenden Relevanz wird Felicia Langer im (Dritten) Deutschen Reich – das den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist, sondern fortexistiert und als Staat identisch mit dem Staat Bundesrepublik Deutschland ist – mit Orden und Ehrenzeichen überhäuft.“ Aber für eine solche Korrektur ist es jetzt bestimmt zu spät, und Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht. Deshalb warte ich jetzt gesenkten Hauptes auf die Anklageschrift und den fälligen Gerichtsprozess, in dem mir ein Richter erklären wird, er verurteile mich zu soundsovielen Tagessätzen, weil ich eine Nachfolgerschaft behauptet hätte, wo doch bereits vor sechsunddreißig Jahren höchstrichterlich eine Identität festgestellt worden sei. Den Triumphzug von Abraham Melzer und seinen Freunden werde ich anschließend genauso demutsvoll hinnehmen wie Horst Mahlers Freudentänze in seiner Gefängniszelle. Und beim möglicherweise beleidigten Bundespräsidenten (oder muss ich jetzt sagen: beim Reichspräsidenten?) sowie bei Leser Frank M. werde ich mich selbstverständlich dafür entschuldigen, dass ich öffentlich de facto behauptet habe, das Deutsche Reich gebe es nicht mehr. Man lernt eben nie aus.

17.7.09

Bundesverdienstjüdin



Aus einer Pressemitteilung des Staatsministeriums Baden-Württemberg:
Staatssekretär Hubert Wicker hat Felicia-Amalia Langer aus Tübingen das ihr von Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler verliehene Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht. „Das humanitäre Lebenswerk von Felicia-Amalia Langer ist beeindruckend. Sie hat sich in herausragender Weise für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt. Ihr jahrzehntelanges Wirken für Benachteiligte und Unterdrückte verdient großen Respekt und höchste Anerkennung.“ Dies sagte Staatssekretär Wicker bei der Ordensübergabe im Rahmen eines Empfangs am Donnerstag (16. Juli 2009) in der Villa Reitzenstein in Stuttgart.
Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen: Die gute Frau hat sich ihre Auszeichnung redlichst verdient. Denn sie sagt das, was man hierzulande gar nicht oft genug hören kann, weshalb sie ja auch zu einer der Lieblingskronzeugen der „Israelkritiker“ geworden ist. Nachfolgend seien nun Auszüge aus einer Diskussionsveranstaltung mit Felicia Langer vom 29. April dieses Jahres im österreichischen Linz dokumentiert, zusammengestellt von Peter Weidner und veröffentlicht in der Internetzeitung Die Jüdische. So hört es sich an, wenn jemand „in herausragender Weise für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte“ eintritt; so redet eine, die wegen ihres „jahrzehntelangen Wirkens für Benachteiligte und Unterdrückte großen Respekt und höchste Anerkennung“ in Form des Bundesverdienstkaugummis zugesprochen bekommt: Die Fortsetzung des „Verdienstjuden“ mit anderen Mitteln.
Felicia Langer: „Die neue [israelische] Regierung ist die schlimmste, die wir je hatten, mit Lieberman als Außenminister. Er hat ein zwölfjähriges Kind malträtiert und wurde verurteilt. Israel betreibt eine rassistische Politik. ... Bei den Massakern in Gaza sagte Lieberman, wie die Amerikaner die Japaner besiegt haben. ... Er ist für einen Transfer von 20 Prozent der Bevölkerung. Der Polizeiminister ist auch von Liebermanns Partei. Netanjahu ist ähnlich wie Lieberman. ... Was Ahmadinedjad sagte in Genf, war die Wahrheit. Ich habe, als ich nach Israel kam, das war 1951, das Ausmaß der Vertreibung, es waren 800 (ein Krankenhausseelsorger ganz laut aus dem Publikum: „800.000!“), ja, es waren mehr als 800.000. Ich habe die Folterungen miterlebt, ich habe die Wunden gesehen, das waren Friedenskinder. Damals konnte ich noch nicht sehen, dass es ein Verstoß gegen die Haager und Genfer Konvention sei. Die Amerikaner haben 42mal ihr Vetorecht genutzt.“

Dann zeigt sie Landkarten und Fotos. Erste Karte: „Das sind Straßen nur für Juden. Wie die Apartheid in Südafrika.“ Zweite Karte: „Die Sperren. Man erniedrigt die Palästinenser. 20 Mütter und 36 Babys starben 2007, weil sie das Militär nicht in die Krankenhäuser ließ.“ Erstes Foto: „Ein Palästinenser wurde von Soldaten gezwungen Geige zu spielen. Das erinnert uns an was.“ Zweites Foto: „Die Mauer frisst das Land der Palästinenser. Ich habe noch nicht über die Exekutionen in den besetzten Gebieten gesprochen. Es gibt ein Urteil von 2004 von Den Haag mit dem Gutachten, dass die Mauer ungesetzlich ist.“ Drittes Foto: „Zwei Franziskaner-Schwestern bei der Mauer. Vom Warschauer Ghetto zur Mauer. Das ist noch nicht mein Vergleich.“ Dritte Karte: „Ein Ort mit 45.000 Einwohnern ist zugemauert. Die Palästinenser sind gewaltfrei.“ Viertes Foto: „Das ist Bethlehem. Es ist ein Käfig. Wo ist die christliche Welt, dass so was passieren kann? Die Palästinenser wurden entmenschlicht. Das habe ich schon 1951 und 1967 gesehen.“ Fünftes Foto: „Gaza. Graffiti in Gaza nach dem Massaker. Davidstern mit ,Die You All’.“ Letztes Foto: „Davidstern mit ‚Make War, not Peace’.“

Langer: „80 Prozent der Palästinenser in Gaza leben unter der Armutsgrenze. Israel hat aus Gaza ein Gefängnis gemacht und den Schlüssel ins Meer geworfen. Die ,Grüne Lunge’ von Gaza wurde zerstört. Die Wahlen, die Hamas gewann, waren die demokratischsten Wahlen, die im Nahen Osten je stattfanden. Ich bin gegen die Raketen. Die Besatzung ist aber der Inbegriff der Gewalt, und die ruft eben eine Gegengewalt hervor. Die Uno-Resolution 242 vom November 1947 haben die Israelis nie befolgt. Das israelische Establishment hat den großen Friedenspolitiker Kreisky gehasst. 22 Prozent des historischen Palästina reichen fürs palästinensische Volk, das sagte Ahmadinedjad.“ [...]

Peter Weidner: „Ich frage Sie, Frau Langer: Sie behaupten, sie wären politischer Flüchtling in Deutschland. Wie erklären Sie, dass es doch einige hundert radikale Antizionisten in Israel gibt und viele davon als Lehrer an israelischen Hochschulen sind? Sie behaupten, besonders von den Behörden verfolgt zu sein. Doch andere Anwältinnen und Anwälte aus dem radikal linken Spektrum verteidigen weiterhin Palästinenser, zum Beispiel Leah Tsemel. [...] Ist es wahr, dass ihr Ehemann bis zur Wende Geschäfte mit den Ländern des ,realen Sozialismus’ machte und dass, nachdem diese Länder implodierten, er und Sie ihren Wohnsitz nach Deutschland verlegt haben? [...] Ist es wahr, dass Sie ihre Bücher vorzugsweise in den Ländern des ,realen Sozialismus’ publizierten, welche die Menschenrechte systematisch verletzten? Haben Sie jemals ein kritisches Wort über diese argen, die Menschenrechte verletzenden Länder als Mitglied des ZK der KPI gesagt?“

Langer: „Sie säen Hass, nur Hass, so wird es nie Frieden geben. Es waren Hunderttausende gegen das Gemetzel auf der Straße. Ich konnte nur mit Leibwache auf die Straße, weil ich so bekannt war. Ich habe aus Protest das Büro geschlossen. Ich war Mitglied der Kommunistischen Partei, weil sie Palästinenser und Israelis zusammenführte. Ich mache eine gesegnete Arbeit für Israel.“

Diskutant: „Warum schweigen die Regierungen in diesem Konflikt?“

Langer: „Jede Kritik ist Antisemitismus. Missbrauch des Holocausts. Die Toten des Holocausts verbieten Kritik. Die Erpressung ist so peinlich und schlimm. Die Straße muss was machen.“

Diskutant: „Die Hamas hat zwar die Wahlen gewonnen, aber was sagen Sie zur Charta der Hamas? Es war eine Charta der PLO zur Auslöschung Israels.“

Langer: „Ich empfehle das Buch von Helga Baumgarten. Sie schreibt: ‚Die Charta der Hamas ist kein Koran.’ Für wen sollen sie die Charta ändern? Für Massaker, für die Auslöschung des palästinensischen Volkes? Wenn die Hamas von der Zweistaatenlösung spricht, ist das ja eine De-facto-Anerkennung.“ [...]

Diskutant: „Ist Hamas eine Schwesterpartei von Ahmadinedjads Partei?“

Langer: „Nein.“
Wegen solcher und ähnlicher Auftritte ist Langer im Dezember 2006 bereits mit dem „Menschenrechtspreis“ der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde (GBM) dekoriert worden. Die GBM ist ein DDR-Nostalgieverein, der 1991 von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern gegründet wurde und in dem alte SED-Kader den Ton angeben. Mit dem Bundesverdienstkreuz wird die Geehrte nun sozusagen zur gesamtdeutschen Verdienstjüdin. In Israel hingegen kennt kaum jemand diese Frau, wie der Historiker Yaacov Lozowick, den Peter Weidner während der Diskussion in Linz zitierte, vor drei Jahren in einem Interview der Monatszeitschrift konkret deutlich machte:
Zunächst: Ich bin stolz, dass wir sie haben. Es ist ein Zeichen der Robustheit unserer Demokratie, dass selbst nach 58 Jahren Krieg die israelische Gesellschaft stark genug ist, ihren Extremisten zu erlauben, Partei für den Feind zu ergreifen. Es gibt nicht viele demokratische Gesellschaften, die dies von sich behaupten können. Und es gibt kein arabisches Land, in dem eine vergleichbar abweichende Meinung auch nur für eine Woche geduldet werden würde. Gleichwohl muss man sehen, dass – mit Ausnahme von Uri Avnery, der Teil unserer politischen Landschaft seit den fünfziger Jahren ist – keiner der übrigen in Europa so prominenten „Friedensaktivisten“ in Israel auf der Straße erkannt werden würde. Die meisten Israelis haben keine hohe Meinung von Avigdor Lieberman, dem Führer einer äußerst rechten Partei, oder von Yossi Beilin, dem Führer einer linken Partei, aber zumindest sind sie beide Teil der politischen Debatte; sie kommen öffentlich vor. Die Felicia Langers der israelischen Gesellschaft aber sind bei uns vollständig unbekannt. Niemand hat jemals von ihnen gehört. Sie haben sich von ihrer Gesellschaft auf eine Art distanziert, die sie jede politische Relevanz einbüßen ließ.
Zur Kompensation dieser fehlenden Relevanz wird Felicia Langer im Nachfolgestaat des Dritten Reiches mit Orden und Ehrenzeichen überhäuft. Denn das nennt man dort „Vergangenheitsbewältigung“.

Foto: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, Felicia Langer mit ihrem Ehemann, Staatssekretär Hubert Wicker (von links) beim Empfang in der Stuttgarter Villa Reitzenstein (Quelle: Staatsministerium)

Bernd Dahlenburg hat Kärrnerarbeit geleistet und ein regelrechtes Kompendium mit Zitaten der Bundesverdienstkreuzträgerin erstellt: Felicias Schatzkästchen. Ralph Giordano wiederum analysierte bereits 1991 in der Zeitschrift Tribüne die Nahost-Pathologie der Felicia Langer.

10.7.09

Mehdi statt Mahdi!

Normalerweise soll der Käpt’n ja als Letzter das sinkende Schiff verlassen. Wenn er es aber als Erster tut, kann man das durchaus als Aufforderung verstehen: Mir nach, rette sich, wer kann! So dürfte es jedenfalls Mehdi Mahdavikia (Foto) gemeint haben, Fußballspieler in Diensten von Eintracht Frankfurt und Kapitän der iranischen Nationalmannschaft, als er vorgestern in einem handgeschriebenen dreiseitigen Brief an „die Bevölkerung im Iran und in der ganzen Welt“ seinen Rücktritt als Nationalspieler erklärte. Der 31-Jährige gab für diesen Schritt allerlei sportliche Gründe an, aber er hatte auch eine politische Botschaft an das Regime und seine medialen Büttel zu verkünden: „Meine letzten Worte gehen an diejenigen, die Nationalspieler als Verräter bezeichnet haben. Wie könnt ihr es wagen, ohne Beweise so über Spieler zu sprechen, die jahrelang alles gegeben haben – ihre Körper, ihre Seelen und ihre Familien eingeschlossen –, um den Iran stolz zu machen und um den Menschen im Iran Pokale und Freude zu schenken? Ich schlage vor, dass ihr eure Bilanz vorlegt und uns die Ehre gebt, Loyalität von euch zu lernen – obwohl ich sicher bin, dass das Volk gut zwischen uns Landesverrätern und euch Loyalisten unterscheiden kann.“

Hintergrund für Mahdavikias Schreiben sind die Vorfälle während des WM-Qualifikationsspiels des Iran in Südkorea am 17. Juni und im Anschluss daran. Sechs iranische Spieler waren zu dieser Partie mit grünen Schweißbändern an den Armgelenken aufgelaufen – als „Zeichen der Solidarität mit den Menschen daheim auf der Straße“, wie ein Teambegleiter zu Spiegel Online sagte. Mahdavikia hatte außerdem eine grüne Kapitänsbinde am Oberarm getragen. In der Halbzeitpause hatten die Kicker die Bänder jedoch abgelegt – offenbar auf Intervention eines iranischen Sportfunktionärs, der gleichzeitig ein Schwager von Mahmud Ahmadinedjad ist. Der iranische Fußballverband kündigte nach dem Match Sanktionen gegen die betreffenden Spieler an; die britische Tageszeitung The Guardian berichtete sogar, vier Akteure sollten dauerhaft aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen werden. Davon betroffen seien neben Mahdavikia die aus der deutschen Bundesliga bekannten Ali Karimi und Vahid Hashemian sowie der für Persepolis Teheran spielende Hossein Kaabi. Dem Blatt zufolge erhielt außerdem kein iranischer Spieler nach der Rückkehr nach Teheran seinen Reisepass zurück, was Vahid Hashemian allerdings dementierte. In der regimetreuen iranischen Presse wurden die Kicker, die ein grünes Band trugen, als „Landesverräter“ beschimpft.

Mahdavikia schrieb Chamenei, Ahmadinedjad & Co. mit seinem Brief außerdem ins Stammbuch, mögliche Vergehen in internationalen Begegnungen dürften nur von der Fifa untersucht werden „und von keiner anderen Person oder Organisation“. Damit machte der 110malige Nationalspieler deutlich, dass er sich für seine Aktion und die seiner Mitspieler ausschließlich gegenüber dem Weltfußballverband zu rechtfertigen gedenkt, nicht aber vor dem Mullah-Regime. Die Fifa untersagt zwar in ihren Statuten politische oder religiöse Äußerungen während eines Spiels, hat jedoch beschlossen, keine Maßnahmen gegen die iranischen Kicker zu ergreifen. Zur Begründung hieß es, der Schiedsrichter habe nichts in seinem Spielbericht vermerkt, weshalb kein Grund zum Einschreiten bestehe – eine beachtliche Entscheidung. Der Vizepräsident des iranischen Fußballverbands, Mehdi Taj, versucht unterdessen, die Fifa präventiv zu beschwichtigen. Denn die verbittet sich den Eingriff der Politik in die Belange der nationalen Verbände und droht bei Zuwiderhandlungen mit dem Ausschluss. „Wir sind gegen die Einmischung von Parlamentsmitgliedern in die Angelegenheiten des Fußballs unseres Landes“, sagte Taj Press-TV zufolge dann auch pflichtschuldig.

Mag sein, dass Mehdi Mahdavikia nach dem schon jetzt feststehenden Scheitern der iranischen Fußballauswahl in der WM-Qualifikation ohnehin zurückgetreten wäre. Entsprechendes hat er jedenfalls der Frankfurter Rundschau gesagt. Doch seine politische Stellungnahme bleibt – sowohl die während des für ihn und seine Mannschaftskollegen so entscheidenden Qualifikationsspiels in Südkorea als auch die in seinem Brief. Im fußballbegeisterten Iran wird die Botschaft jedenfalls angekommen sein, und sie hat den Schergen des Regimes offenkundig gar nicht gefallen. Man muss es deshalb zutiefst bedauern, dass der Iran sich nicht mehr für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr in Südafrika qualifizieren kann. Denn anders als beim Turnier in Deutschland vor drei Jahren wäre es den iranischen Machthabern dann vermutlich nicht ohne Weiteres möglich gewesen, den Auftritt der Nationalmannschaft propagandistisch auszuschlachten. Nun darf man aber immerhin gespannt sein, ob zumindest ein Teil der Besatzung ihrem Kapitän folgt.

Ausführliche (überwiegend deutschsprachige) Informationen, Kommentare, Aufrufe und Videos zum Iran gibt es auf dem Portal Free Iran Now!

8.7.09

Wo ist eigentlich die Antifa?



Ach ja, die Antifa. Zu ihren besseren Zeiten, also Anfang bis Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, hat sie ihrem Namen noch alle Ehre gemacht und buchstäblich mit allen Kräften dafür gesorgt, dass sich auch solche Menschen (wieder) auf die Straße trauten, die nicht so aussahen, als könnten sie jederzeit der NPD beitreten. Das war bisweilen ein ziemlich harter Job, den aber jemand machen musste, weil Politik, Presse und Polizei die Faschos nicht als potenzielle und tatsächliche Mörder, sondern als Sozialfälle betrachteten und sie mit Verständnis und Jugendzentren überhäuften, statt sie daran zu hindern, das zu tun, was sie taten, weil man sie nicht daran hinderte. Um die Jahrtausendwende dämmerte es dann dem Staate Bundesrepublik, dass sich das Treiben von Adolfs Erben negativ auf den Tourismus und die Exportquoten auswirkt. Also wurde der „Aufstand der Anständigen“ proklamiert und allenthalben verkündet, dass man als guter Deutscher heute einfach kein Nazi mehr ist, sondern vielmehr stolz auf seine „Vergangenheitsbewältigung“ genannte Selbstläuterung. Seitdem hat die Antifa ein echtes Problem – zumindest im Westen der Republik –, denn ihre ursprüngliche Bezugsgruppe, das „Fa“, hat an Relevanz stark eingebüßt. Und nur wenige Antifa-Gruppen – wie etwa die der Berliner Humboldt-Uni oder [a:ka] aus Göttingen – haben begriffen, dass Antifaschismus die Solidarität mit Israel bedeutet und die größte Gefahr für die Juden weltweit derzeit nicht von arischen Glatzköpfen ausgeht, sondern von ihren islamistischen Nacheiferern.

Den Antifa-Mainstream hingegen beschäftigen ganz andere Dinge. Vor allem die Antifaschistische Linke Berlin, die sich mit www.antifa.de sozusagen die Schlossallee unter den Antifa-Domains gesichert hat, hat mit Kiez, Cops und Kapitalismus dermaßen viel zu tun, dass sie kaum dazu kommt, mal in den Iran zu schauen, wo Abertausende einen anständigen Aufstand einem Aufstand der Anständigen vorziehen und dafür mit einer Repressivität niedergemacht werden, die sich die Damen und Herren Gipfelstürmer nicht mal im Entferntesten vorzustellen vermögen. Irgendwann glaubte die Hauptstadtantifa dann aber doch, sich zu dieser Angelegenheit äußern zu sollen, und das tat sie mit einer Podiumsdiskussion, die den nachgerade globalgalaktischen Titel „Der Aufstand im Iran, die Medien, die Linke und der Imperialismus“ trug. Einmal Rundumschlag bitte, darunter machen wir’s nicht. Der Ankündigungstext präzisierte schließlich, was man ohnehin schon ahnen konnte: „Brennende Autos, wüste Straßenschlachten, prügelnde Bullenhorden und Massenproteste“ – recht eigentlich also der Traum eines jeden Linken. Aber, ach: „Die Proteste passen den Propagandisten des Menschenrechtsimperialismus gut ins Konzept.“ Und mehr noch: „Durch die Nebelbombe der bürgerlichen Presse verunsichert, tut sich die radikale Linke mit einer Analyse der Ereignisse dagegen schwer.“

Dieser Stuss kommt von Leuten, die schon „Faschismus!“ schreien, wenn morgens der Wecker klingelt und der Zeitungsbote dem Nachbarn die FAZ auf die Fußmatte legt, aber eine Revolte gegen ein klerikalfaschistisches Regime erst mal in kiezigen Hinterzimmern diskutieren müssen. Konsequenterweise haben sie zu diesem Behufe den notorischen Rüdiger Göbel eingeladen, bei den Nationalbolschewiken von der jungen Welt beschäftigt und dort jüngst mit einem Interview auffällig geworden, in dem er einen exiliranischen Attac-Aktivisten dafür schilt, dass dieser die Demonstrationen gegen die Mullahs partout nicht als das Werk der CIA betrachten mag. Als scheinbar äquidistanten Ausgleich haben die Metropolenantifas vier Tage später einen Kundgebungsaufruf der Säkularen IranerInnen für Freiheit und Demokratie veröffentlicht – nicht ohne ihm jedoch eine eigens verfasste Einleitung voranzustellen, in der es unter anderem heißt: „Wenn sich fortschrittliche Bewegungen gegen Unterdrückung und für Demokratie stark machen, müssen die linken, antikapitalistischen Kräfte innerhalb der Bewegung gestärkt und unterstützt werden.“ Im Klartext: Solange die Iraner nicht unseren Kreuzberger Befindlichkeiten folgen, können sie uns mal dort, wo wir am schönsten sind.

Dieser Attitüde sei entgegengehalten, was der szenige Kölner Informationsdienst Plotter – der sonst gerne jeden Furz veröffentlicht, den irgendwelche Linken in der Domstadt lassen – in einem lichten Moment von sich gab: „Warum seid ihr nicht da? Geht es nicht um Eure Disko? Sind Euch die Islamisten in der iranischen Regierung nicht Nazi genug? Wo ist das Problem? Glaubt ihr an Verschwörungstheorien, wonach die CIA in der Lage sei, wochenlange Aufstände anzuzetteln? [...] Für jede islamistische Ameise im Gaza sind mehr Leute auf der Straße als für die hauptsächlich von Frauen getragene Bewegung im Iran. Nehmt ihr sie nicht ernst, weil sie Frauen sind? Raus auf die Straße, die Freiheit im Iran ist nicht unwichtiger als Euer AZ und Eure Dorfnazis!“ Ach ja, die Antifa.

Ausführliche (überwiegend deutschsprachige) Informationen, Kommentare, Aufrufe und Videos zum Iran gibt es auf dem Portal Free Iran Now!