21.4.09

Schöpferische Pause



Auf der Genfer UN-Konferenz gegen Rassismus wird das Abschlussdokument – in dem die Beschlüsse der Skandalveranstaltung von Durban vor siebeneinhalb Jahren bekräftigt werden und Israel somit erneut als einziger Staat an den Pranger gestellt wird – vorzeitig durchgepeitscht. In der ARD nennt eine „Menschenrechtlerin“ den Holocaustleugner Mahmud Ahmadinedjad „israelkritisch“ (und man darf gespannt sein, wann jemand die Nazis als „judenkritisch“ und den Ku-Kux-Klan als „schwarzenkritisch“ bezeichnet). Ahmadinedjads Entourage beschimpft den Shoa-Überlebenden Elie Wiesel als „Zio-Nazi“. Und das iranische Außenministerium bestellt den tschechischen Gesandten in Teheran ein, um sich bei ihm über „die zunehmende Verletzung der Menschenrechte“ in Ländern der Europäischen Union und über das „mangelnde Interesse am Kampf gegen den Rassismus“ zu beschweren. Da kann man wirklich nur noch Max Liebermann zitieren.

Es ist höchste Zeit für eine schöpferische Pause. Der nächste Beitrag auf Lizas Welt erscheint am 12. Mai.

20.4.09

Genfer Groteske



Womöglich ist es nur eine besonders üble Laune der Geschichte, dass der Holocaustleugner Mahmud Ahmadinedjad just an Adolf Hitlers Geburtstag – der dieses Jahr mit dem Shoa-Gedenktag in Israel zusammenfällt – auf einer Uno-Konferenz gegen Rassismus eine mit neuerlichen Tiraden gegen den jüdischen Staat gespickte Rede gehalten hat. Andererseits könnte nichts den vollkommen grotesken Charakter der Veranstaltung der Vereinten Nationen in Genf deutlicher und anschaulicher machen als genau diese Koinzidenz. Wenn man sich schließlich noch vergegenwärtigt, dass bereits die letzte Antirassismuskonferenz im September 2001 – wenige Tage vor Nine-Eleven – zu einem antisemitischen Spektakel mutiert war, bei dem etwa die „Protokolle der Weisen von Zion“ und „Mein Kampf“ regen Absatz fanden, und dass die damals gefassten Beschlüsse nun ausweislich des Entwurfs für die Abschlusserklärung ausdrücklich bekräftigt werden sollen, dann bekommt man eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie es bei der Uno im Kampf gegen den Rassismus zugeht.

Nachdem Israel, Kanada, die USA und Italien deshalb bereits vor einiger Zeit ihren Boykott von „Durban II“ bekannt gegeben hatten, beschlossen – teilweise in buchstäblich allerletzter Minute – auch Australien, die Niederlande, Deutschland, Polen, Neuseeland und Schweden, der Versammlung fern zu bleiben. Die Bundesregierung hält sich allerdings weiterhin eine Hintertür offen: „Wenn sich ein positiver Ablauf abzeichnet, haben wir uns vorbehalten, in die Schlussdiskussion einzusteigen“, sagte ihr Sprecher Thomas Steg, ohne zu präzisieren, was man sich unter einem „positiven Ablauf“ in diesem absurden Theater eigentlich vorzustellen hat. Derweil nehmen unter anderem Frankreich, der Vatikan und Großbritannien an der Durban-Folgekonferenz teil; die Vertreter der Grande Nation wollen jedoch abreisen, sobald sich das Treffen „in eine Plattform gegen Israel verwandelt“. Eine etwas merkwürdige Strategie angesichts der Tatsache, dass der Kaiser längst nackt ist.

Tatsächlich verließen die Delegationen mehrerer EU-Staaten während Ahmadinedjads antiisraelischer Suada den Saal, während Demonstranten, die vernehmlich ihre Ansicht über den iranischen Präsidenten kund getan hatten („Rassist!“), zwangsweise aus dem Raum geführt wurden. Andere wiederum hießen den „Durban II“-Stargast herzlich willkommen, beispielsweise der Schweizer Bundespräsident Hans-Rudolf Merz. Einem Bericht der Welt zufolge hatte dabei nur die iranische Presse ungehinderten Zutritt zu dem Treffen im Hotel Intercontinental; außerdem durften keine Fotos vom Händedruck zwischen Merz und Ahmadinedjad aufgenommen werden. Israel hatte im Vorfeld seinen Protest gegen diese Zusammenkunft zum Ausdruck gebracht; nun zog es seinen Botschafter in der Schweiz vorläufig zurück.

Bereits vor dem Auftritt Ahmadinedjads hatte sich auf der Antirassismuskonferenz Bemerkenswertes zugetragen: Im Auftrag der NGO UN Watch klagte ein Folteropfer von Muammar al-Gaddafi die Folterungen in Libyen an. Die Vorsitzende des „Durban II“-Komitees, Najat al-Hajjaj – eine Repräsentantin des libyschen Regimes –, unterbrach den Vortrag jedoch mehrfach und entzog dem Redner schließlich das Wort. Zu nennenswerten Protesten gegen diese Maßnahme kam es offenbar nicht. Es ist bezeichnend, dass solche Geschehnisse den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon augenscheinlich unbeeindruckt lassen, während er und seine Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, gleichzeitig „enttäuscht“ und „schockiert“ sind, dass westliche Staaten die Genfer Veranstaltung boykottieren, die schon jetzt eine Art diplomatischer Pogrom ist.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Ein Boykott von „Durban II“ ist und bleibt die einzig richtige Entscheidung; die Kritik etwa von Jürgen Trittin, dem Vizechef der Grünen-Bundestagsfraktion, geht völlig an der Sache vorbei. Trittin hatte gesagt, eine antisemitische Schlusserklärung müsse verhindert werden; dieses Ziel erreiche die Bundesregierung aber „nicht durch Abstinenz, sondern nur durch Teilnahme“. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse auf der „Durban II“-Konferenz lässt sich eine solche Resolution allerdings gar nicht verhindern. Deutlich wurde das bereits im Vorfeld der Versammlung, als sämtliche Versuche, einen halbwegs vernünftigen Entwurf für die Abschlusserklärung zuwege zu bringen, fehl schlugen. Zwar wurden nach zähem Ringen einige der übelsten antiisraelischen Passagen gestrichen, und auch die Absätze, in denen die „Islamophobie“ als das Grundübel der Menschheit schlechthin bezeichnet wurde, erfuhren eine Überarbeitung. Doch bereits durch die Bestätigung der Beschlüsse von Durban aus dem Jahr 2001 – in denen Israel als einziger Staat attackiert wurde – erübrigte sich jede weitere Diskussion.

Der Kampf gegen den Rassismus ist ohne Zweifel ein ehrwürdiges Anliegen; ihn aber an der Seite von Diktaturen zu führen, die sich selbst durch rassistische – und antisemitische – Praktiken auszeichnen, ist ungefähr so sinnvoll, wie die NPD auf ihrem eigenen Parteitag davon überzeugen zu wollen, dass auch Schwarze und Juden Menschen sind. Die Vereinten Nationen sind ein Teil des Problems und eben kein Teil der Lösung, wie Lukas Lambert in der Wochenzeitung Jungle World treffend befand: „Die Uno ist ein Kind des Westfälischen Staatensystems. Die unantastbare Souveränität des Nationalstaates ist Grundlage und Modus Operandi der Weltorganisation: ein Staat – eine Stimme. Die Qualität der internationalen Menschenrechtspolitik wird dementsprechend zu einer Frage der Mehrheit, und die ist in fast allen UN-Gremien, den Sicherheitsrat ausgenommen, auf der Seite der arabischen und islamischen Länder. Innerhalb dieser Mehrheit hilft man sich gegenseitig, wählt sich in Menschenrechtsgremien und sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zur Sprache kommen. Gleichzeitig sind Angriffe auf Israel das allgemein anerkannte Mittel, um das eigene Engagement in Menschenrechtsfragen zu demonstrieren.“

Wenn nun die Uno infolge des Boykotts von „Durban II“ durch westliche Staaten tatsächlich geschwächt wird, wie verschiedene Kritiker meinen, dann ist das nichts, was zu bedauern wäre – auch dann nicht, wenn eine Alternative zu ihr vorläufig nicht in Sicht ist. Eine Organisation, unter deren Dach die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte mehr und mehr in ihr Gegenteil verkehrt wird, kann keine Legitimität beanspruchen. Ihr diese Legitimität zu entziehen, indem man Konferenzen fern bleibt, auf denen Rassisten sich über Rassismus ausmähren und damit ihre eigene Herrschaftspraxis salvieren, ist alternativlos. Nicht nur an Führers Geburtstag.

Weitere Beiträge zu „Durban II“ auf Lizas Welt:
· Durban reloaded (30.07.08)
· Für den Boykott von Durban II! (25.02.09)
· Keine Reise ins Verdurban (01.03.09)
· Boykott oder Hintertür? (18.03.09)

14.4.09

Die verfolgte Unschuld



Den Gastbeitrag von Caspar Schmidt auf diesem Weblog mochte der dort kritisierte Michael Mross dann doch nicht unkommentiert lassen: „Wer mich kennt, weiß, dass ich weder Antisemit noch struktureller Antisemit bin noch faschistischen Lösungsmustern und Schuldzuweisungen anhänge“, beteuerte er in einer E-Mail an Lizas Welt. „Das beweisen auch andere Artikel, in denen ausdrücklich auf die Gefahren solcher Tendenzen hingewiesen wird. Als weiteren Beweis empfehle ich Ihnen aber auch die Lektüre meines letzten Buches ‚Evolution des Erfolgs’.“ Zudem, so Mross weiter, stelle man auf MMnews klar: „Rassistische, beleidigende, Diktatur verherrlichende Kommentare werden gelöscht.“ Sonderlich eilig scheint man es damit bisweilen allerdings nicht zu haben. Die antisemitischen Ergüsse der MMnews-Leser „Rachsucht“ und „Frank aus Berlin“ etwa, die Caspar Schmidt zitiert hatte, datierten vom 1. und 2. April – entfernt wurden sie jedoch erst nach der Veröffentlichung von Schmidts Beitrag, also eineinhalb Wochen später.

Die Leserzuschriften sind aber nur ein Teil des Problems; allemal gewichtiger ist das, was direkt aus der Tastatur von Mross und seinen Gastautoren kommt. Und auch da fällt die Verteidigung des Börsenexperten mehr als dürftig aus: Ein nichtssagendes und blutleeres Wer-mich-kennt-der-weiß, ein nebulöser Hinweis auf „andere Artikel“ und ein Buch sowie allerlei Ratschläge („Ich empfehle Ihnen, sich an anderer Stelle über die Auswirkungen der Zinseszinseffekte, dem unsere Illusion ‚Geld’ nun mal unterliegt, zu informieren“; „Außerdem empfehle ich Ihnen dringend, sich mit den wirklichen Ursachen der Krise zu befassen. Dass diese ihren Ursprung in den USA hat, dürfte auch Ihnen nicht unbekannt sein“) ersetzen die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik, zu der Mross nicht willens oder nicht fähig zu sein scheint.

Darüber hinaus ist Mross’ Versicherung auch deshalb fragwürdig, weil er offenbar kein Problem damit hat, einem stramm antiamerikanischen Autor wie Hans Jörg Müllenmeister, der auch für das Neonazi-Portal Altermedia Texte verfasst, Platz auf seiner Seite einzuräumen. Auf Altermedia bezeichnete Müllenmeister die USA schon mal als „Münchhausen-Land der Großmannssucht und Gaukler“, in der eine „Finanzlügenelite“ ihr Unwesen treibe; Israel nannte er abschätzig „unsere semitischen Dauerfreunde“. Die „US-Kleptomanen“ hätten „eine lange Tradition“, denn schon „die Gründerväter des großartigen Amerika okkupierten ganz einfach das angestammte Land der Ureinwohner, ohne Gegenleistung“. Die USA würden eines Tages „mit Mann und Maus“ untergehen wie das alte Rom, weissagte Müllenmeister, der außerdem glaubt: „Die Anomalie Mensch wird früher oder später vergehen. Auch ohne uns rollt der Erdball durchs Universum. Vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft mit einer spirituellen Crew, die sich auf moralische Werte besinnen musste.“ An solchen Tiraden, die ein regelrechtes Verlangen nach dem Armageddon offenbaren, finden eben nicht zufällig auch Neonazis Gefallen.

Eine publizistische Verteidigung erfuhren Mross und seine Seite nun auf der Homepage der Zeitschrift Eigentümlich frei. Auch hier sucht man eine inhaltliche Argumentation vergebens. Stattdessen bezeichnet der Verfasser des Beitrags, Guido Neumann, die Kritik an Mross der Einfachheit halber als „Denunziation“ in der Tradition von „Hitler, Mao und Stalin“ mit dem Ziel der „beruflichen Vernichtung“; es sei lediglich „Glück im Unglück“, dass „der Denunzierte nicht bereits wieder von der Geheimpolizei abgeholt wird“. Eine solche (Selbst-) Einopferung kennt man aus der Debatte über die „Israelkritik“: Auch in ihr wird regelmäßig behauptet, der Vorwurf des Antisemitismus – und nicht etwa der Antisemitismus selbst – könne „tödlich“ sein. So vertauscht man – wenn auch mäßig elegant – in schlechter deutscher Tradition Opfer und Täter. Kein Wunder, dass auch Neumanns Wortmeldung von den Neonazis mit Applaus bedacht wurde.

Es ist eine alte Sehnsucht, für die scheinbar nicht zu verstehenden Unbilden des Kapitalismus Schuldige zu finden und dingfest zu machen. Wer bei der entsprechenden Suche auf eine „Clique der Hochfinanz“ gestoßen sein will – wie Hans Jörg Müllenmeister auf MMnews –, benutzt nicht nur einen Terminus, dessen Popularität bekanntlich unter den Nationalsozialisten seinen Höhepunkt erfuhr (etwa in den Hetzkampagnen gegen „die Rothschilds“ und andere jüdische Bankiers); er bastelt auch fleißig an dem offenbar nicht klein zu kriegenden Mythos, nach dem die Welt von einer Handvoll sinistrer, arbeitsscheuer, unersättlich geldgieriger Gestalten qua Verschwörung zuschanden geritten wird. Dass solche Fantasmagorien auf Neonazi-Seiten unverblümter formuliert werden als auf der Website eines TV-Börsenexperten, ist nicht verwunderlich. Doch hier von einer „Finanzlügenelite“ zu schreiben und dort von einer „Clique der Hochfinanz“, macht definitiv keinen Unterschied ums Ganze aus.

12.4.09

Börsenexperte mit Doppelleben



Der Journalist Michael Mross führt eine Art Doppelleben: Als gefragter Börsenexperte berichtet er für mehrere Sender von der Frankfurter Börse, während er als Betreiber eines
Internet-Portals mit altbekannten Argumentationsmustern gegen die „Hochfinanz“ kämpft und dabei Flankenschutz von Rechtsradikalen erhält.


VON CASPAR SCHMIDT

Vor allem am Finanzmarkt Interessierten ist er ein Begriff: Michael Mross hält auf dem Nachrichtensender N24, dem Wirtschaftssender CNBC sowie auf Focus-Online die Zuschauer über die Geschehnisse an der Frankfurter Börse auf dem Laufenden. Sein Buch Börse kinderleicht wurde nach eigenen Angaben über 70.000 mal verkauft und feierte ebenso wie Schnell reich – die ewigen Gesetze der Börse einen erstaunlichen Erfolg. Weit weniger bekannt als die Bücher von Mross ist das Internet-Portal MMnews, das von Sri Lanka aus betrieben und von Mross als Chefredakteur geleitet wird. Was auf den ersten Blick wie ein experimentierfreudiges Portal eines „Querdenkers“ erscheint, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als eine Plattform zur Verbreitung einer rückwärtsgewandten Theorie.

In den Fußstapfen von Gottfried Feder

Denn der Börsenexperte und sein Team vertreten auf MMnews eine Kritik am „Geldsystem“, die sich von den Theorien Gottfried Feders kaum unterscheidet. Feder war NSDAP-Mitglied und gründete 1919 den „Deutschen Kampfbund zur Brechung der Zinsknechtschaft“. 1933 veröffentlichte er die Schrift „Kampf gegen die Hochfinanz“. Seine Argumentation lässt sich in wenigen Worten darstellen: Im ersten Schritt wird der „gute“ Unternehmer, der „schaffendes Kapital“ in Händen halte, vom „raffenden Kapital“, dem zinstragenden Geldkapital, getrennt. Im zweiten Schritt wird der Zins als treibende Kraft der Krisen ausgemacht; die Krisen werden damit dem „raffenden Kapital“ angelastet. Auf MMnews sieht man das ganz ähnlich:
„Jedes auf Zins fußende System kann nur für einen gewissen Zeitraum funktionieren. In der Spätphase des Zinssystems wirkt sich der exponentielle Anstieg des Zinseszinseffekt dramatisch auf die Gesamtschulden aus. Real kann die Verschuldung nicht mit der Zinseszinskurve ins Unendliche wachsen, denn zuvor kollabiert das System.“
Im dritten Schritt wird der Blick auf die Eigentümer des „raffenden Kapitals“ gelenkt, die so genannte „Hochfinanz“. Diese „Hochfinanz“ wird als eine mächtige Gruppe von „Drahtziehern“ begriffen, die auf heimtückische und verschwörerische Art die Geschehnisse steuere und somit gegen den „kleinen Mann“ operiere, wie man auch auf MMnews findet:
„Im Zuge der Weltwirtschaftskrise verarmten viele Bürger. Gewinner war und ist die Clique der Hochfinanz, sie profitierte sowohl vom Aktienboom als auch vom darauf folgenden Zusammenbruch. Das sind keine blinden Zufälle, denn diese Gutmenschen erzeugt [sic!] Krisen systematisch.“
Struktureller Antisemitismus auf MMnews

Die negativen Auswirkungen von Vorgängen in einer komplexen Welt werden so einer zunächst nicht näher benannten Gruppe zur Last gelegt. Der Fantasie des Lesers bleibt es nun überlassen, sich diese Gruppe vorzustellen. Da die vermeintliche Theorie zur „Brechung der Zinsknechtschaft“, die in Wirklichkeit eine Kampagne war, in einem Klima der antisemitischen Aggression entstand, bildete sie eine wichtige theoretische Grundlage, um den Kampf gegen die Juden im 19. und 20. Jahrhundert zu legitimieren. Die schwer überschaubare Geldsphäre und die Juden wurden schon seit dem Mittelalter zusammengedacht. Der Begriff „Hochfinanz“ galt als eine Chiffre für das „verjudete“ Finanzkapital.

Diese historische „Theorie“ zur „Zinsknechtschaft“ kursiert noch heute im Netz, häufig mitsamt einer Attacke gegen das „US-Finanzkapital“. Die Zuordnung von Juden und Geld bleibt dabei aber im Gegensatz zu früheren Zeiten oft unausgesprochen. Antisemitismusforscher nennen diese Form deshalb „strukturellen Antisemitismus“. Die unmittelbare antijüdische Zuschreibung scheint zwar abhanden gekommen zu sein; die Argumentationsstruktur und auch das Vokabular jedoch sind dem Ursprung, dem traditionellen Antisemitismus nämlich, stark verwandt.

Das Portal verdient seine Leser

Das „Jüdische“ müssen die Autoren von MMnews aber gar nicht erst dem Geldmarkt zuordnen. Denn diese Transferleistung gelingt den Lesern des Portals aufgrund der entsprechenden Vorlagen ganz alleine. Unter den Artikeln von Mross finden sich oft hunderte Kommentare, die mehrheitlich auf einen rechtsradikalen Hintergrund hindeuten. Häufig gleiten diese Kommentare in verdeckten oder offenen Antisemitismus ab. Tiraden beispielsweise gegen den Zentralrat der Juden (1) oder den „jüdischen Weltstaat“ (2) sind Äußerungen, die auf MMnews unwidersprochen im Raum stehen bleiben. Das Portal von Mross hat sich zu einer Plattform für Rechtsradikale entwickelt. Unter den Gastautoren finden sich Figuren wie Hans-Jörg Müllenmeister, ein Autor des neonazistischen Portals Altermedia, und André F. Lichtschlag, der schon vor Jahren im Interview mit der rechten Zeitschrift Jungen Freiheit verriet, er wolle Nationalkonservative und „Radikallibertäre“ zusammenbringen.

Da verwundert es nicht, dass auf MMnews der Film Zeitgeistmovie eingebunden ist, ein Streifen, der eine deutlich antisemitische Färbung aufweist und mit Verschwörungstheorien unterfüttert ist, die vor allem in neonazistischen Kreisen vertreten werden. Die Redaktion von MMnews vertraut nebenbei aber auch auf übersinnliche Hilfe. So findet man auf der Website beispielsweise eine „Analyse“ die sich an den Weissagungen des Nostradamus orientiert, einem „Medium“ des 16. Jahrhunderts, dessen Anhänger den Prophezeiungen ihres Meisters noch heute höchste Glaubwürdigkeit bescheinigen.

Der Feind sitzt in Amerika

Aber auch an antiamerikanischen Hetzschriften mangelt es auf MMnews nicht. Die Wortgewalt und der Fanatismus dieser Texte lassen dabei mehr auf ein eindeutiges Ressentiment denn auf eine scharfsinnige Auseinandersetzung schließen. Zudem fehlt es nicht an kruden Theorien zum Fortgang der Welt – wie zum Beispiel der Prophezeiung einer europaweiten Militärdiktatur oder einer „Varusschlacht des Geldes“, bei der Europa einen monetären „Guerilla-Krieg“ gegen die USA zu führen habe.

Möglicherweise sind die Redaktionen der Sender und Online-Portale nicht im Bilde darüber, welche Ansichten Mross als Chefredakteur von MMnews verbreitet. Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass diese Ansichten mit dem Image eines seriösen Börsenexperten, der glaubhaft von der Frankfurter Börse zu berichten weiß, zu vereinbaren sind.

Anmerkungen:
(1) Rachsucht am 1. April 2009 um 22.02 Uhr: „Und in wenigen Monaten wird dann kein Mensch mehr auf die Idee kommen, in Deutschland die Hand aufzuhalten – und sogar die Zentralräte werden verschwinden, denn wo man keine U-Boote, Waffen und Milliarden verschenkt, da halten die sich nie sehr lange auf...“
(2) Frank aus Berlin am 2. April 2009 um 11.57 Uhr: „Die Menschen dürfen nicht zueinander finden – sonst geht noch der ganze jüdische Weltstaat stiften, welchen man auch NWO nennt... Also: weiter vorm Fernseher sitzen und sich die neuesten Thriller reinziehn, zack-zack! Das fördert so schön das Misstrauen untereinander und steht ohne weiteres dafür ein, das sich im Ernstfall die Menschen hier an die Kehle gehn – denn so ist es ja auch gewollt. Bis dahin verordne ich von morgens früh bis abends spät die ultimative Holocaust-Revival-tour.“


Update 14. April 2009: Die in den Anmerkungen zitierten Kommentare auf MMnews wurden nach der Veröffentlichung dieses Beitrags gelöscht. Siehe auch den Beitrag Die verfolgte Unschuld auf diesem Weblog.

7.4.09

Ultrarechtsnationalextrempopulistisch?



In ihrem Urteil über den neuen israelischen Außenminister Avigdor Lieberman sind sich die deutschen Medien weitgehend einig; die ihm zugewiesenen Attribute weichen zumeist nur geringfügig voneinander ab: Mal wird er als „Ultranationalist“ bezeichnet (Tagesschau, Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung), mal als „Rechtspopulist“ (Die Zeit, Spiegel Online, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine), dann wieder als „Ultrarechter“ (Financial Times Deutschland, Netzeitung) oder gar als „Rechtsextremist“ (junge Welt). Darunter macht es kaum jemand. Ein veritabler Friedensfeind sei dieser Lieberman nämlich, liest man in den verschiedensten Gazetten, ein Palästinenserfresser vor dem Herrn sozusagen, der am liebsten den Gazastreifen platt machen würde und die Westbank gleich mit. Als letztgültiger Beweis für die angebliche Kriegslüsternheit und Unversöhnlichkeit des 50-Jährigen diente nicht wenigen dessen Antrittsrede vor der Knesset. Dort hat er zwar mitnichten das gesagt, was ihm hernach allenthalben unterstellt wurde – aber wer will das schon so genau wissen, wenn der Schuldspruch ohnehin bereits feststeht?

Nun hat Avigdor Lieberman Israels Positionen in Bezug auf die Palästinenser noch einmal umrissen, und zwar schriftlich. Das lohnt allemal einen Blick:
  1. Die Regierung Israels unterstützt eine friedliche Regelung, die stufenweise und messbar ist und auf den Ergebnissen vor Ort basiert. Die Weiterentwicklung auf den beiden Ebenen – Wahrung von Israels Sicherheitsinteressen und Fortschritt im politischen Prozess – muss vollständig synchronisiert werden.
  2. Die Verpflichtungen, die in der „Roadmap“ vereinbart wurden, müssen eingehalten werden.
  3. Israel wird sich an alle Verpflichtungen halten, die die früheren Regierungen akzeptiert haben.
  4. Die Übernahme des Gazastreifens durch die Hamas hat eine neue Situation geschaffen, die sich in schwerer und beunruhigender Weise manifestiert hat, u.a. im Kassam-Raketen-Terror gegen Israel, der für die jüngste Operation gegen die Hamas in Gaza verantwortlich war.
  5. Der Ansatz, wonach eine Politik einseitiger Zugeständnisse den politischen Prozess vorantreiben würde, hat nicht die von Israel erhofften Resultate hervorgebracht. Tatsächlich ist das Gegenteil eingetreten. Die Preisgabe der Gegenseitigkeit und der Sicherheitsinteressen Israels hat eine signifikante Stärkung der extremistischen Elemente und einen erheblichen Anstieg in Anzahl und Ausmaß der Bedrohungen mit sich gebracht, denen Israel begegnen muss.
  6. Die Regierung Israels wird sich darauf konzentrieren, Regelungen vor Ort in verschiedenen Bereichen zu erzielen, um den Lebensstandard in den Gebieten der Palästinensischen Autonomiebehörde zu verbessern und die Entwicklung der dortigen Wirtschaft zu erleichtern.
Man darf gespannt sein, welches deutsche Medium ihn dafür als erstes neuerlicher ultrarechtsnationalextrempopulistischer Umtriebe zeihen wird. Und vor allem: mit welcher Begründung.

6.4.09

Backenfutter für Ballack



Seit dem vergangenen Mittwoch ist die gesamte Fußballnation hierzulande in hellster Aufregung: Lukas Podolski (Kirmesfreunde Bergheim e.V.) hat es doch tatsächlich gewagt, Michael Ballack (Zweiter alles) eine zu kleistern! Und das auch noch während eines Länderspiels! Das gab’s ja wohl noch nie, hieß es landauf landab zornesschwanger, dass ein deutscher Nationalspieler einen anderen – noch dazu den Kapitän – vor einem Millionenpublikum körperlich attackiert! Gestritten wird nur noch über angemessene Sanktionen für Prinz Pause (Ausbürgerung, Wiederaufbau des Kölner Stadtarchivs, Einweisung in ein Heim für Schwererziehbare) und über den genauen Grund für seine Backpfeife (Rache für Ballacks Polenwitze, Abneigung gegen Ossis, schwere Kindheit). Ansonsten herrscht jedoch eine Übereinstimmung, die jeden SED-Generalsekretär neidisch gemacht hätte.

Schon deshalb muss man widersprechen, aus Prinzip sozusagen: Poldi did the right thing! Erstens deshalb, weil es ungemein liebenswert ist, wenn da einfach mal einer die autoritäre Hackordnung sabotiert, die im deutschen Fußball immer noch herrscht, und sich dem (Spiel-) Führer nachdrücklich widersetzt. Zweitens, weil Ballack schon nach dem verlorenen EM-Finale ein veritables Brett verdient gehabt hätte (dafür nämlich, dass er Oliver Bierhoff als „Obertucke“ bezeichnet hat). Und drittens, weil alle Spieler, die einen Kapitän der deutschen Nationalmannschaft ohrfeig(t)en, früher oder später einen Karrieresprung hinleg(t)en: Der bis dato nur Eingeweihten bekannte Uruguayer Horacio Troche etwa, der bei der WM 1966 Uwe Seeler eine Schelle verpasste, landete nur ein Jahr später in der Bundesliga. Und Bixente Lizarazu wurde zwei Jahre nach seinem Backenfutter für Lothar Matthäus sogar Champions-League-Sieger. Grandiose Aussichten für Lukas Podolski also.

Außerdem: Heißt es nicht immer, dem deutschen Fußball fehlten die Typen? Na also. Und so ziemlich alle, die dieses Prädikat bislang verliehen bekommen haben, ließen im Laufe ihrer Karriere mindestens einmal buchstäblich fünfe gerade sein: Mario Basler, Stefan Effenberg, Ansgar Brinkmann und Uli Stein beispielsweise, um nur einige zu nennen. Und war es nicht der allseits geschätzte Oliver Kahn, der sich noch häufiger an Mitspielern vergriff als an gegnerischen Kickern? Eben. Alles in allem ist der Nutzen des „Ohrfeigen-Skandals von Cardiff“ (Bild) also weitaus größer als der Schaden, der sowieso bloß herbeifantasiert worden ist. Beim DFB hat man das auch gleich erkannt und dafür gesorgt, dass sich die beiden Testosteronmonster in der Kabine abklatschen. Wer dabei gewonnen hat, ist leider nicht überliefert, aber da Michael Ballack auf Vizemeisterschaften abonniert ist, kann man sich den Ausgang denken.