14.12.09

Regime Change statt Dialog!



Von welchen Kräften wird die „Islamische Republik Iran“ getragen? Welche Gefahren gehen von ihr aus? Und wie kann sie überwunden werden? Diese und viele weitere Fragen hat der iranische Journalist Amir Taheri in einem Buch analysiert. Petra A. Fessel hat es für Lizas Welt gelesen.

VON PETRA A. FESSEL


Im Sommer dieses Jahres hat der in Paris und London lebende iranische Journalist Amir Taheri mit The Persian Night – Iran Under the Khomeinist Revolution eine gründliche Analyse der „Islamischen Republik Iran“ vorgelegt, die in Deutschland bislang jedoch hartnäckig ignoriert worden ist. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass Taheri sich nicht scheut, das seit 30 Jahren in Teheran herrschende Regime das zu nennen, was es seinem Wesen nach ist: faschistisch. In 30 kurzen Essays liefert der Autor, der vor 1979 viele Jahre Chefredakteur der größten iranischen Tageszeitung Kayhan war, keine chronologische historische Abhandlung, sondern widmet sich vorwiegend der khomeinistischen Ideologie und dem auf ihr basierenden politischen System. Bereits die Staatsbezeichnung „Islamische Republik Iran“ offenbart Taheri zufolge eine dreifache Lüge: Das Regime sei weder islamisch noch demokratisch; Khomeini und seinen Anhängern sei die Geschichte und Kultur des Iran zudem nicht nur fremd, sondern sie lehnten sie ihrerseits strikt ab. Während angesichts der letzten beiden Punkte wenig Diskussionsbedarf besteht, wirft die von Taheri bestrittene Bedeutung des Islams für das in Teheran herrschende System zumindest Fragen auf.

Taheris grundlegendes Argument für seine These, die „Islamische Republik“ habe entgegen ihrer Selbstzuschreibung mit dem Islam nichts zu tun, lautet, der Khomeinismus beruhe auf einer extremen Variante der Shia, die ihrerseits wiederum nur von etwas mehr als einem Zehntel der 1,3 Milliarden Muslime auf der Welt geteilt werde. Viele Sunniten erkennten bereits Schiiten nicht als islamisch an und stünden insbesondere den Zwölfer-Schiiten – denen Khomeini und auch der amtierende iranische „Präsident“ Mahmud Ahmadinedjad angehören – äußerst ablehnend gegenüber. Diese Ablehnung beruhe auf Gegenseitigkeit: So dürften Sunniten in der „Islamischen Republik“ beispielsweise keine Moscheen an Orten bauen, an denen sie nicht die Bevölkerungsmehrheit bildeten, was dazu führe, dass es in Teheran keine einzige sunnitische Moschee gebe, obwohl dort drei Millionen Sunniten lebten. Auch höhere Staatsämter blieben Sunniten im Iran ebenso verwehrt wie Juden, Christen und anderen religiösen Minderheiten. Darüber hinaus stünden auch viele Schiiten den Khomeinismus äußerst skeptisch gegenüber, da sie den irakischen Ayatollah Sistani als religiösen Führer betrachteten und das von Khomeini geschaffene und bis zu seinem Tod selbst bekleidete Amt des Obersten Rechtsgelehrten, in dem religiöse und politische Autorität zusammenfielen und für das es keine historische Entsprechung gebe, rigoros ablehnten.

Nicht zuletzt aufgrund solcher und weiterer religiöser und kultureller Unterschiede zwischen der „Islamischen Republik“ und großen Teilen der muslimischen und vor allem arabischen Welt benötigte und benötigt das Regime in Teheran Taheri zufolge einen ideologischen Kitt, um sich als globale islamische Führungsmacht zu legitimieren. Dieses einigende Element stelle der Antisemitismus dar, der für Khomeini und seine Anhänger zum ideologischen Fundament gehört habe, obwohl der Judenhass im Iran bis 1979 vergleichsweise marginal gewesen sei. In Verbindung mit einem ausgeprägten Antiamerikanismus habe das Regime versucht, sich auf diese Weise die Sympathien in der islamischen Welt zu sichern und sich ungeachtet aller Differenzen als deren Fürsprecher zu etablieren. Obwohl diese Strategie bisweilen aufzugehen scheint, sind Spannungen zwischen den im Antisemitismus und Antizionismus vereinten radikalen Islamisten schiitischer und sunnitischer Prägung nicht zu übersehen. So weigern sich etwa die Führer der sunnitischen Hamas, deren Krieg gegen Israel von der „Islamischen Republik“ mit Millionen von Dollar finanziert wird, bei Besuchen in Teheran nach wie vor, gemeinsam mit ihren schiitischen Gastgebern zu beten oder gar dem Khomeini-Schrein zu huldigen.

Umfassend äußert sich Taheri zur Frage der Legitimität des Mullah-Regimes, die nicht nur außerhalb des Iran stark bezweifelt werde, sondern auch und insbesondere im Inneren des Landes. Sei die Revolution von 1979, die Khomeini an die Macht brachte und im Westen von vielen linken Intellektuellen wie etwa Michel Foucault enthusiastisch begrüßt wurde, nur durch ein breites Bündnis aus islamisch-marxistischen, bürgerlichen und religiösen Gegnern des Schahs möglich geworden, so habe sich die Unterstützung des Regimes seitens der iranischen Bevölkerung infolge der unmittelbar nach seiner Errichtung einsetzenden Repression stetig verringert. Als unterdrückte Gegner des Regimes führt Taheri dabei ebenso Arbeiter und Studenten an wie Frauen und religiöse oder ethnische Minderheiten wie die Baha’i, die Zoroastrier, die Kurden und die Belutschen. Auch dem demografischen Faktor spricht Taheri eine wichtige Rolle zu: Fast siebzig Prozent der Iraner seien unter 30 Jahre alt und hätten folglich keine Erinnerungen an den Schah, dafür aber überaus konkrete Erfahrungen mit dem totalitären khomeinistischen System.

Taheri ermöglicht seinen Lesern einen überaus kenntnisreichen Blick auf das konkrete Handeln der „Islamischen Republik Iran“ und der dem Regime zugrunde liegenden Ideologie des Khomeinismus, dessen größte Feinde die Vereinigten Staaten, Juden und Frauen seien. Eine besondere Stärke von The Persian Night liegt dabei darin, dass sich der Autor zwar auch, aber nicht ausschließlich und nicht einmal vorrangig mit dem Atomwaffenprogramm der Mullahs auseinandersetzt. Gerade die schwerpunktmäßige Bezugnahme auf die Unterdrückung verschiedenster Minder- und im Falle der Frauen auch Mehrheiten im Iran sowie die von Taheri ebenfalls dargelegte Förderung des weltweiten Terrorismus durch das Regime verdeutlichen, dass das Atomwaffenprogramm zwar zu einem schnellen und entschlossenen Handeln drängt, die Notwendigkeit, die „Islamische Republik“ zu Fall zu bringen, aber auch unabhängig von deren Streben nach Nuklearwaffen besteht. Bleiben die wiederholt und unverblümt ausgesprochenen Vernichtungsdrohungen Teherans gegenüber Israel daher für sich genommen bereits Grund genug für einen Regime Change, wäre eine iranische Bombe schon allein deswegen mit allen Mitteln zu verhindern, da sie die Standfestigkeit eines faschistischen und terroristischen Regimes auf lange Sicht festigen würde.

Ausführlich diskutiert Taheri deshalb die Frage, wie sich der Westen im Allgemeinen und die Vereinigten Staaten im Speziellen dem Regime gegenüber verhalten sollten. An zahlreichen Beispielen demonstriert er, dass sich das Appeasement gegenüber der „Islamischen Republik“ in Form einseitiger Zugeständnisse oder Vertrauensvorschüsse des Westens in der Vergangenheit stets als zwecklos erwiesen haben und von Teheran lediglich als Zeichen von Schwäche aufgefasst worden sind. In diesem Zusammenhang weist Taheri mit Nachdruck darauf hin, dass das Regime entgegen westlichen Wunschvorstellungen nicht reformierbar und ein grundlegender Wandel in der Politik Teherans daher nicht zu erwarten ist. Folglich sei eine dauerhafte Aufhebung der terroristischen und in naher Zukunft möglicherweise atomaren Bedrohung der freien Welt im Allgemeinen und Israels im Speziellen durch die „Islamische Republik“ nur durch einen Regime Change zu erreichen.

Von diesen Prämissen ausgehend, befasst sich Taheri in den letzten Abschnitten von The Persian Night folgerichtig mit den Voraussetzungen für einen solchen Systemwechsel. Der Kampf der Mullahs gegen die eigene Bevölkerung sowie eine verfehlte Wirtschaftspolitik hätten im Inneren des Landes zwar zu einer stetig zunehmenden Unzufriedenheit mit der „Islamischen Republik“ geführt; dies sei jedoch noch keine hinreichende Bedingung für einen Regime Change. Für einen von den Menschen im Iran ausgehenden und nicht von außerhalb durch Militärgewalt herbeiführten grundlegenden Wechsel müssen Taheri zufolge drei weitere Grundlagen erfüllt sein: Erstens müsse es zu einem weitaus tieferen Riss in der Führung der „Islamischen Republik“ kommen, als dies bislang der Fall sei – eine Entwicklung, die sich seit dem Sommer dieses Jahres (als Taheris Buch bereits erschienen war) erheblich beschleunigt hat. Zweitens müssten die Stützen des Regimes nicht länger gewillt sein, es gegen die Mehrheit der Bevölkerung zu verteidigen. Anzeichen hierfür habe es bereits gegeben, als sich die iranische Armee im Jahr 2006 geweigert habe, Gewerkschaftsstreiks und studentische Demonstrationen niederzuschlagen, weshalb das Regime gezwungen gewesen sei, irreguläre und teilweise aus dem Ausland kommende Kräfte einzusetzen. Vergleichbares war bekanntlich auch nach der Revolte im Anschluss an Ahmadinedjads inszenierte „Wiederwahl“ zu beobachten.

Drittens, so Taheri, bedürften die Menschen im Iran alternativer Moralvorbilder und Inspirationen. Dies sei insofern problematisch, als es zwar eine Reihe exil-iranischer Oppositionsgruppen gebe, von denen jedoch keine für sich genommen in der Lage sei, eine Mehrheit hinter sich zu versammeln. Hoffnung setzt Taheri diesbezüglich auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, stellt der Iran doch nach den Vereinigten Staaten die zweitmeisten Blogger auf der Welt. Allerdings gilt es hierbei zu bedenken, dass die von manch einem herbeigesehnte „Twitter-Revolution“ im Sommer dieses Jahres an ihre Grenzen stieß, sodass bis auf Weiteres eher von einem ergänzenden denn von einem entscheidenden Einfluss der Technik ausgegangen werden muss.

Obwohl er davon ausgeht, dass das iranische Regime grundsätzlich zu Fall gebracht werden kann, hält Taheri dessen baldiges Ende nicht für wahrscheinlich – eine Prognose, die sich durch die zumindest oberflächliche Normalisierung nach dem wochenlangen Aufstand im Anschluss an die gefälschten „Präsidentschaftswahlen“ im Juni 2009 zu bestätigen scheint. Da die von Taheri genannten Bedingungen für einen Regime Change dabei zum Teil bereits erfüllt zu sein schienen, wäre in diesem Zusammenhang gesondert zu untersuchen, warum die Revolte letztlich nicht in einen Systemwechsel mündete. Dabei müsste ein besonderes Augenmerk auf die Reaktionen des Westens gerichtet werden, der sich nicht dazu durchringen konnte, die Aufständischen zu unterstützen, sondern unbeirrt sein business as usual weiterbetrieb.

Darüber hinaus wäre angesichts des sich schließenden Zeitfensters bezüglich des iranischen Atomwaffenprogramms zu fragen, wie ein Regime Change von außen zumindest begünstigt, wenn nicht gar herbeiführt werden kann. Sich für einen solchen Wechsel auszusprechen und einzusetzen, hält Taheri im Gegensatz zur amtierenden US-Regierung für moralisch geboten und zweckmäßig. Er plädiert für eine Reihe von ökonomischen, diplomatischen und politischen Alternativen, um die erwähnten Voraussetzungen für einen Systemwechsel zu schaffen. Dabei betont Taheri, es sei ebenso möglich wie notwendig, sich zwischen den beiden Polen der in Europa und von der gegenwärtigen US-Regierung bevorzugten Beschwichtigung einerseits und des in den Vereinigten Staaten zumindest von prominenten Außenseitern wie dem ehemaligen UN-Botschafter John Bolton vorgeschlagenen militärischen Vorgehens andererseits zu bewegen.

Zunächst sei diesbezüglich die moralische und politische Klarheit des Westens gefordert, sich unmissverständlich für einen Regime Change auszusprechen, befindet Taheri. Eine Voraussetzung hierfür wiederum sei es, sich über das Wesen des khomeinistischen Regimes und die von ihm ausgehenden Gefahren bewusst zu werden. Es gelte zu erkennen, dass weder in Afghanistan noch im arabisch-israelischen Konflikt bedeutsame Fortschritte erzielt werden könnten, solange die klerikalfaschistische „Islamische Republik“ dies mit allem Nachdruck zu verhindern versuche. Eine eindeutige Position des Westens und vor allem der Vereinigten Staaten würden überdies sowohl die Opposition innerhalb des Iran stärken als auch dessen Nachbarländer ermutigen, sich Teherans Streben nach hegemonialer Dominanz zu widersetzen.

Zum Ende des Buches hebt Taheri hervor, wie eine auf den Sturz des faschistischen Regimes in Teheran gerichtete US-Politik konkret auszusehen habe: „Den Iranern muss, erstens, unmissverständlich klar gemacht werden, dass die Vereinigten Staaten das gegenwärtige despotische Regime niemals unterstützen oder legitimieren werden. Es muss dabei geholfen werden, die repressive Politik, die Menschenrechtsverletzungen, die zügellose Korruption und die schamlose Unterstützung einiger der schlimmsten Terrororganisationen auf der Welt zu enthüllen. Wichtiger und letztlich wohl auch effektiver ist es, zweitens, dass die Vereinigten Staaten ihre gewaltige Bühne nutzen, um den iranischen Kampf für die Freiheit bekannt zu machen.“

Es ist überaus bemerkenswert, dass die tatsächliche Politik der Obama-Regierung, die Taheri zum Zeitpunkt der Fertigstellung seines Buches noch nicht in Gänze vorausahnen konnte, diese beiden Handlungsempfehlungen nicht nur nicht befolgt, sondern in ihr Gegenteil verkehrt: Präsident Obama hat die Legitimität der „Islamischen Republik Iran“ in seiner Ansprache zum persischen Neujahr explizit anerkannt; seine Regierung hat sich zudem deutlich gegen eine auf einen Systemwechsel im Iran hinarbeitende Politik ausgesprochen und die Finanzierung des Iran Human Rights Documentation Center auslaufen lassen. Mit dem letzten Satz von The Persian Night bleibt daher die – gewiss nicht nur, aber auch und vor allem – an den Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009 gerichtete Frage zu stellen: „Seit dem Sturz der Sowjetunion und des Apartheidregimes in Südafrika ist die Freiheit die Hauptsache auf der internationalen Bühne gewesen. Warum also nicht auch im Iran, und warum nicht jetzt?“

Amir Taheri: The Persian Night. Iran under the Khomeinist Revolution. Encounter Books, New York/London 2009. – Ebenfalls lesenswert ist Taheris Buch Morden für Allah. Terrorismus im Auftrag der Mullahs. Droemer/Knaur, München 2000.

9.12.09

Un trionfo storico bavarese



Der Kenner schweigt und genießt. Der wahre Fan wiederum verströmt Adrenalin, als gäbe es kein Morgen. Was für ein formidabler, unvergesslicher Abend!

6.12.09

Das Dilemma der Islamkritik



Der ländliche Kanton Appenzell Innerrhoden war lange Zeit eine Art innerschweizerische Parallelgesellschaft. Denn dort, im Nordosten des eidgenössischen Staates, hatten Frauen bis vor knapp zwanzig Jahren kein Wahlrecht. Verschiedene Volksabstimmungen – an denen ja stets nur Männer teilnehmen durften – brachten über die Jahrzehnte das immer gleiche Ergebnis, mit Mehrheiten von bis zu 95 Prozent: Frauen gehören an den Herd und nicht an die Urne. Selbst als die Schweiz im Februar 1971 als eines der letzten europäischen Länder per Referendum die grundsätzliche Beseitigung dieses Missstands beschloss, blieben die Appenzeller weitere 19 Jahre lang stur – bis sie Ende März 1990 vom Schweizer Bundesgericht dazu gezwungen wurden, den weiblichen Teil der Bevölkerung auch auf kantonaler Ebene wählen zu lassen, was acht Monate später schließlich vollzogen wurde.

Dieses Beispiel zeigt recht eindrucksvoll, dass plebiszitäre Elemente in demokratisch verfassten Staaten nichts per se Gutes sind und dass der ominöse Volkswille eine ziemlich hässliche Veranstaltung sein kann, zumal dann, wenn er elementare Rechte zu gewähren sich weigert. Nun wollte es der Weltgeist so, dass der Kanton Appenzell Innerrhoden auch das deutlichste Ergebnis bei der jüngsten Abstimmung über das Minarettverbot hervorbrachte (bei der es, das ist bei Befürwortern wie Gegnern unstrittig, nicht in erster Linie um die Moscheentürme ging, von denen es in der Schweiz ohnehin nur vier gibt): 71 Prozent der Teilnehmer votierten dort mit „Ja“. Es braucht nicht viel Wagemut, um zu behaupten, dass dieses Resultat wohl kaum deshalb zustande kam, weil die Appenzeller und Innerrhoder besonders erbost über die Frauenunterdrückung im Islam sind. Auch der islamische Hass auf Juden und Homosexuelle wird nicht den Ausschlag gegeben haben, denn in solchen konservativen, ländlichen Gebieten hat man es mit Minderheiten oft selbst nicht so, um es zurückhaltend zu formulieren.

Erheblich wahrscheinlicher ist es da schon, dass die Eingeborenen in den Dörfern oft weniger ein dezidiertes Problem mit dem Islam als politreligiöser Ideologie haben als vielmehr grundsätzliche Ressentiments gegen Fremde pflegen. Überhaupt fand die Verbotsinitiative dort die meiste Zustimmung, wo nur wenige der rund 380.000 Schweizer Muslime leben. Mehr als 90 Prozent von ihnen wohnen in den großen Städten des Landes – und in allen wurde das Minarettverbot mehrheitlich abgelehnt, am deutlichsten im Stadtkanton Genf. Diese Zahlen legen zunächst einmal den Schluss nahe, dass schlechte Erfahrungen mit Muslimen respektive ihrer Weltanschauung nicht der Grund gewesen sind, mit „Ja“ zu stimmen. Umgekehrt bedeutet ein „Nein“ nicht, dass es keine Probleme gibt und der Islam vollkommen harmlos ist; vor allem bei sich progressiv dünkenden Städtern ist die „Toleranz“ genannte kulturrelativistische Verklärung islamischer Zumutungen bisweilen stark ausgeprägt, was das Abstimmungsergebnis in dichter besiedelten Orten wesentlich beeinflusst haben dürfte.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass offenbar eine eher städtische Bevölkerungsgruppe das berühmte Zünglein an der Waage gespielt hat, der man eine Nähe zur Schweizerischen Volkspartei (SVP) – die die Abstimmung maßgeblich initiiert und getragen hat und bei der der Übergang von der Islamkritik zur Fremdenfeindlichkeit fließend ist – sicher nicht unterstellen kann: Analysen zufolge haben viele linke, feministische Frauen ebenfalls mit „Ja“ gestimmt, weil sie, wie die Politikwissenschaftler Regula Stämpfli und Michael Hermann befanden, „ein Zeichen gegen eine Kultur setzen wollten, die sie als autoritär, machohaft und aggressiv empfinden“, und weil sie mit dem Islam vor allem Burka, Sharia, „Ehrenmorde“ und andere Formen der Unterdrückung von Frauen verbänden. Julia Onken, eine der bekanntesten Feministinnen der Schweiz, hatte in einer an 4.000 Frauen verschickten E-Mail sogar ausdrücklich dazu aufgerufen, die Initiative zu unterstützen, obwohl sie von der SVP ins Leben gerufen worden war.

Das alles zeigt ein Dilemma, ja, ein Elend auf: Eine im besten Sinne des Wortes liberale, fortschrittliche Islamkritik fristet noch immer ein Schattendasein, und ihre Vertreterinnen und Vertreter sitzen zudem zwischen allen Stühlen. Denn von den Linken wird schlicht jeder Einwand gegen den Islam unter Rassismusverdacht gestellt und abgelehnt; die Rechten wiederum benutzen die Islamkritik als Ticket für ihre fremdenfeindliche Agenda. Wer auf eine klare Unterscheidung zwischen Kritik und Ressentiment besteht, wird von beiden Seiten dem jeweils anderen Lager zugerechnet. Etliche Kommentare und Reaktionen nach dem Schweizer Volksentscheid machen eine vernunftorientierte Positionierung nicht leichter: Während es aus der islamischen Welt widerwärtige Boykottaufrufe gegen die Schweiz hagelt, die von Linken wie Daniel Cohn-Bendit unterstützt werden, feiern andere das Abstimmungsergebnis, frei nach Leni Riefenstahl, als Triumph des Volkswillens.

Es wäre interessant zu erfahren, aus welchen Gründen immerhin 46 Prozent der Schweizer – das sind trotz der vergleichsweise hohen Abstimmungsbeteiligung immer noch sehr viele – gar nicht erst zum Kreuzchenmachen erschienen sind. Womöglich mochten sich viele von ihnen einfach nicht zwischen zwei schlechten Alternativen entscheiden.

Eine bulgarische Übersetzung dieses Beitrags findet sich auf dem Webportal Либерален Преглед (Liberale Studie): Дилемата на критиката срещу исляма

2.12.09

Thea gegen den Rest der Welt



Als der Düsseldorfer Droste-Verlag den „Ehrenmord“-Krimi von Gabriele Brinkmann plötzlich nicht mehr wollte, witterte der Leda-Verlag in Leer eine Zensurmaßnahme und veröffentlichte das Werk kurzentschlossen. Malte S. Sembten hat es für Lizas Welt gelesen.

VON MALTE S. SEMBTEN

Einst lebten Kriminelle gefährlich. Inzwischen leben Krimischreiber gefährlicher. Das gilt nicht etwa für Henning Mankell, der zwar den Israelis öffentlich den kollektiven Selbstmord empfahl, um den Arabern ihre kollektive Ermordung zu ersparen, aber dennoch keine Todesdrohungen mordwütiger Zionisten erhielt. (Stattdessen sahnte er „für seine engagierte Schilderung des Lebens in Afrika“ den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ab, der für genau das gleiche Verdienst auch Leni Riefenstahl zu Lebzeiten hätte zuerkannt werden können.) Vielmehr wird die Aufmerksamkeit unfriedlicher Zeitgenossen der Bochumer Schriftstellerin Gabriele Brinkmann (Foto) zuteil. Nach dem Presserummel um den Verlagswechsel ihres Kriminalromans Ehre, wem Ehre... landete ihr Name auf einer radikalislamischen Internetseite: Muslime, die ihr Buch nie in der Hand hielten und die ohne den öffentlichkeitswirksamen Rückzieher des ursprünglichen Verlegers niemals von den angeblich darin enthaltenen islamophoben Sakrilegien erfahren hätten, drohen der Autorin und anderen vermeintlichen „Islamhetzern“ mit dem Schwert von „Abu Askar aus Deutschland“. Diese unlängst in einem Djihadistenvideo präsentierte eindrucksvolle Klinge rief im gesamten Abendland Neid hervor, führte aber auch zur Vermutung, es handle sich um ein Schinkenmesser-Requisit aus der Küche des Films The Incredible Shrinking Man.

Doch mögen Abu Askar und die übrigen wichtighuberischen Butzemänner aus den Trainingslagern der Islam-Terroristen auf Youtube auch noch so erheiternd rüberkommen – für die betroffene Autorin dürfte sich der Spaß dabei in Grenzen halten. Wahrscheinlich ist immerhin, dass das kaufmännische Kalkül ihres neuen Verlags, die skandalbedingte überregionale Aufmerksamkeit für den regionalen Krimi werde sich in erhöhtem Bücherabsatz niederschlagen, aufgeht. Sicher ist (dem neuen Verlag sei Dank), dass bereits ein Etappensieger aus der beherzten Romanveröffentlichung hervorging: die Freiheit des Wortes. Schon darum (und weil ein Teil des Erlöses an Solwodi – Solidarität mit Frauen in Not geht) lohnt der Kauf des Buches. Doch lohnt auch die Lektüre?

Ansatzpunkt der Krimihandlung ist ein Drive-by-Shooting in der Bochumer Innenstadt. Aus einem Auto heraus wird auf eine türkische Metzgerei gefeuert. Ein Angestellter des Ladens und eine deutsche Passantin sterben sofort. Eine junge Türkin erliegt ihren Verletzungen auf der Intensivstation. Die Kripo vermutet eine ausländerfeindlichen Neonazi-Anschlag oder einen Krieg zwischen rivalisierenden Kiezkönigen. Verfolgt wird schließlich die vermutete Spur zum russischen Bordellboss. Nur die leitende Kommissarin Thea Zinck ermittelt eigenmächtig in eine politisch unbequeme Richtung. Sie tippt von Anfang an auf einen türkischen ,Ehrenmord‘.

Gleich auf der ersten Seite erweist Gabriele Brinkmann sich als zünftige Krimischreiberin. Ihre Kommissarin führt nämlich die Dienstwaffe im „Holster“ und nicht, wie man bei deutschsprachigen Autoren und Übersetzern häufig liest, im „Halfter“, so, als ginge es um Hufeisenträger statt um Schießeisenträger. Die Trunksucht der daueralkoholisierten Kommissarin lässt auf klassische Genre-Vorbilder schließen. Nein, gemeint sind nicht die Alkis vom ZDF-Kriminaldauerdienst und auch nicht die Psychos mit Dienstausweis vom ARD-Tatort, obwohl gewisse Parallelen nicht von der Hand zu weisen sind.

Vielmehr ist Thea Zinck eine späte und degenerierte Nachfahrin der Privatdetektive aus der amerikanischen Hardboiled-Schule. Zwar weiß sie die Faust nicht zu gebrauchen wie Phil Marlowe, doch wie er verwahrt sie „Notfall-Flachmänner“ in der Schublade ihres Büroschreibtischs und im Handschuhfach ihres Automobils. Anders als Marlowe setzt sie auf Wodka statt auf Whiskey, und im Gegensatz zu ihm bedingt ihr stabil hoher Blutalkoholpegel chronische Ausfallerscheinungen, sodass sie nach erfolgtem Führerscheinentzug ihr Auto nicht mehr selbst steuern darf. Dass sie dennoch von allen Angehörigen der Bochumer Mordkommission die „höchste Quote“ hat, also die höchste Verbrechens-Aufklärungsrate beanspruchen darf, dient als Begründung für die schier unfassbaren Freiheiten, die sie sich während der Dienstausübung und speziell gegenüber ihrem Vorgesetzten Abels herausnehmen kann. Gleichzeitig gemahnt es uns daran, dass uninspirierte Bürokraten und Technokraten niemals Säufer sind, sensible Künstler und andere an der Menschheit leidende Genies hingegen oft.

Um dieses torkelnde Zentralgestirn gruppiert sich weiteres Romanpersonal aus dem Bochumer Polizeipräsidium. Auf der engsten Umlaufbahn kreist Zincks neuer Kriminalassistent Kai Stettner. Wie es spätestens seit Holmes und Watson altbewährter Krimibrauch ist, gibt er als „Sidekick“ das Kontrastbild zur Hauptfigur. Wo Zinck rabiat und rücksichtslos ist, ist er furchtsam und sanft. Wo sie konfrontativ ist, ist er konziliant. Sie glaubt an das Böse, er glaubt an das Gute. Geschmäht als „Helferlein“ der unbeliebten Zinck und verachtet wegen vermeintlicher erwiesener Feigheit, wird Stettner zum Prügelknaben seiner neuen ,Kollegen‘. Dabei erinnern deren Mobbing-Methoden an die brutalen Initiationsriten amerikanischer Studentenverbindungen oder sadistische Erniedrigungsrituale unter Internatsschülern. Ist so etwas an einem deutschen Polizeipräsidium überhaupt denkbar? Vor wenigen Monaten jährten sich nacheinander die Selbstmorde dreier junger, deutscher, von ihren Revierkollegen drangsalierter Polizistinnen zum zehnten Mal. Somit fällt ein überzeugtes ,Nein‘ als Antwort schwer.

Hauptmotor der Feindseligkeiten gegen Stettner ist Horst Schreiber, fett, verschlagen, brutal und feige, das Ekel vom Dienst der Bochumer Mordkommission. Zur unvermeidlichen personellen Konstellation gehören außerdem der Deutsch-Türke vom Dienst, Lothar Özgü, Lieferant interkultureller Kompetenz, sowie Dr. Manfred Abels, der sich schon mittels Doktortitel und Krawatte als der typische selbstgefällige, karrieristische, rückgratlose Vorgesetzte der Beamtenschar outet. Für ihn ist der Mehrfachmord kein Kriminalfall, den es aufzuklären gilt, sondern ein Störfall, der politisch möglichst schmerzlos ad acta gelegt werden muss.

Nebst derlei Figuren erfindet die Autorin Dialoge, die zumindest anfänglich oft hölzern oder abgedroschen ausfallen (Was hält der RTL-Reporter dem zugeknöpften Kripochef entgegen? „Die Bürger haben ein Recht auf Information!“), jedoch im Verlauf flüssiger werden und manchmal sogar Filmreife besitzen (Kotzbrocken Schreiber zu Zincks Ex-Assi Özgü: „Du hast ja auch mal unter der Domina gedient. Was macht die eigentlich mit euch? Beißt die euch gleich am ersten Tag die Pimmel ab und legt die in Wodka ein?“).

Insofern würde alles perfekt zu einem öffentlich-rechtlichen Primetime-Krimiabend passen. Daher überrascht es nicht, dass die Story, ehe sie zur Romanform fand, als Filmstoff bei einem Drehbuchwettbewerb zum neudeutsch benannten Thema „Clash der Kulturen“ eingereicht wurde. Dass sie es nicht auf die Mattscheibe schaffte, überrascht ebenso wenig – und es liegt nicht an Mängeln der Vorlage, sondern an der mangelnden Courage der Produzenten.

Das Gegensatzpaar Thea Zinck/Kai Stettner personifiziert nämlich ohne politisch korrekte Zurückhaltung den Kontrast ,Islam- und Türkenfeind‘ auf der einen und ,ahnungsloser Gutmensch‘ auf der anderen Seite. Vermutlich würden Verlag und Autorin diesen ,Vorwurf‘ gegen ihre Kommissarin zurückweisen. Doch Tatsache ist, dass Stettner bestürzt und erschrocken erkennt, dass seine neue Vorgesetzte ein lückenloses Kompendium aller gängigen Vorurteile (oder – je nach Standpunkt – begründeten Vorbehalte) gegen den Islam und türkische Einwanderer verkörpert; auch und gerade in Bezug auf die Frauenrolle im Islam und im türkischen Patriarchat. Aber nicht nur im Denken, sondern auch in Rede und Auftritt stellt Thea Zinck geradezu die Inkarnation politischer Unkorrektheit dar.

Zugleich repräsentiert diese anstößige und respektlose Kommissarin und Anti-Multikulturalistin die Stimme, mit der die Autorin selbst spricht. Das merkt der Leser früh. Dieser Kriminalroman will keine Detektivgeschichte, kein ,Whodunnit‘ sein, und so ist nicht zu viel verraten, wenn man vorweg nimmt, dass die von Zinck schon früh verdächtigte türkische Familie den Mord an der eigenen Tochter bzw. der eigenen Schwester tatsächlich begangen hat, und dass es sich tatsächlich um einen so genannten ,Ehrenmord‘ handelt.

Die einzelnen Mitglieder der Ehrenmord-Familie Cetin selbst sind – je nach Sichtweise – Klischeefiguren oder beispielhafte Prototypen eines bestimmten Schlages muslimisch-türkischer Zuwanderer. Die Familie besteht auf Täter- und Mitverschwörerseite (man könnte auch sagen, auf männlicher Seite) aus den folgenden Personen: dem Vater, der – ebenso wie seine fast unsichtbar bleibende Frau – auch nach jahrzehntelangem Aufenthalt in Deutschland kaum ein Wort Deutsch spricht; aus dem Onkel, dem „Mullah“, der Deutsch radebrecht und als Clanoberhaupt fungiert; schließlich aus den drei Söhnen. Alle drei scheinen vordergründig bestens integriert: Tayfun Cetin, der älteste Bruder, des Deutschen perfekt mächtig, wortgewandt und smart, leitet die Filiale eines Autohauses. Hakan, der Zweitgeborene, spricht ebenfalls ein makelloses Deutsch und besitzt eine Diskothek. Bekir, der jüngste Spross, auch er ohne Defizite im Deutschen, absolviert eine Banklehre.

Gleichzeitig sind alle drei stark in der muslimischen Kultur und in ihren heimatlichen Traditionen verhaftet; die scheinbare Adaption an die Lebensart des Aufnahmelandes erweist sich als ein dünn aufgetragener Lack. Tayfun misshandelt seine Frau und betrügt sie mit einer deutschen „Hure“. Zusammen mit Hakan verübt Tayfun das Metzgerei-Massaker. ,Kollateralschäden‘, ob toter türkischer Ladengehilfe oder tote deutsche Frau, belasten das Gewissen zumindest der beiden älteren Brüder anscheinend wenig. Mit dem Blut bereits dreier Menschen an den Händen prügeln Tayfun und Hakan später noch den deutschen Freund ihrer ermordeten Schwester zu Tode. Nur Bekir, der Jüngste, scheint von Skrupeln geplagt. Als Hobby betreibt das Brüder-Trio Kampfsport in einem türkischen Kickbox-Club.

Auf der Opferseite der Cetins stehen: Yasemin, die einzige Tochter; Leyla, Tayfuns Frau; schließlich Atila, deren Sohn. Die ,Todsünden‘ gegen die Familienehre, deren Yasemin sich schuldig macht: Sie verliebt sich auf der Abendschule in einen Deutschen. Sie verbündet sich heimlich mit Leyla gegen ihren gewalttätigen Gemahl. Sie versucht, ihrer ins Frauenhaus geflohenen Schwägerin Leyla den kleinen Atila zuzuführen.

Bei den Ermittlungen in diesem Umfeld erlebt Kriminalassistent Stettner, dass seine naive gutmenschliche Einstellung schmerzlich auf die Probe gestellt wird. Ihm (und dem Leser) wird die geballte Parallelwelt-Ladung verabreicht – fast kein ,Standard-Aspekt‘ fehlt: Deutsche Frauen fallen auf muslimische Machos rein und zahlen in harter Währung Lehrgeld... Muslime praktizieren ,Taqquyia‘ (ein religiös legitimiertes Belügen von ,Ungläubigen‘)... Muslimische Mädchen haben Analsex, um ihr Jungfernhäutchen intakt zu halten... Muslime spielen ständig und erpresserisch die „Rassismus-Karte“... Muslimische Immigranten verweigern der deutschen Polizei die zivile Mithilfe bei Ermittlungen in ihren eigenen Milieus; wenn in ihren Milieus Festnahmen erfolgen, rotten Muslime sich drohend gegen die Beamten zusammen... Özgü, der Deutsch-Türke, der loyal das deutsche Gesetz vertritt, wird in bestimmten Türkenkreisen als Verräter verachtet. Und so weiter, und so fort.

Selbstverständlich gibt es im Sinne des Ausgleichs und um den Einruck vorurteilsvoller Einseitigkeit zu vermeiden zwei Versöhnlichkeitscharaktere, die als Gegenbeispiel dienen. Dies sind Sevgi, Stettners Friseurin, das Musterbild einer modernen, ,in Deutschland angekommenen‘ jungen Türkin, und natürlich Lothar Özgü, der ruhige, zurückhaltende Kriminalpolizist mit der deutschen Mutter und dem türkischen Vater. Ein Sympathieträger unter den Nebenfiguren, der mit Zincks Einstellung oftmals Schwierigkeiten hat. Man ahnt, warum er trotz ihres gegenseitigen Respekts der ehemalige Assistent der Kommissarin ist.

In Zincks Charakter indessen wird ein sonderbarer Bruch offensichtlich: So rigoros sie ihr anstößiges Alltagsgebaren und ihre offensiven Überzeugungen in Bezug auf Muslime und speziell die muslimische Frauenfeindlichkeit pflegt, so elastisch ist der Maßstab, den sie an die Frauenverachtung eines Bordelliers anlegt. Slawa, der russische Kiezkönig und Puff-Pate, der bei der Kripo als Auftraggeber des Metzgerei-Massakers in Verdacht steht, ist schon seit Langem ihr Saufkumpan. Regelmäßig lässt sie sich von ihm im Privatseparee seines Etablissements unter den Tisch bechern. Dass er sich in seinem Reich nicht gerade als Frauenversteher geriert, perlt an ihr ab:
[Zinck:] „Dein Frauenbild ist zum Kotzen, grundsätzlich. Wenn das einer mit deinen Töchtern machen würde...?“
[Slawa:] „Wäre er morgen tot.“ Er deutete mit dem Kopf auf Grischa und Sascha, die am anderen Ende des Tresens saßen. „Hm... nein, am selben Tag, fürchte ich.“
Die Kommissarin kippte ihren Wodka herunter. „Und was würdest du mit deinen Töchtern machen?“

„Ich nehme ihnen die Kreditkarten weg.“ Er hob sein Glas. „Prost, Thea. Auf die Frauen.“

Die beiden stießen miteinander an und leerten ihre Gläser.

Durch den Boden eines Wodkaglases betrachtet, entfalten Chauvinismus und Frauenverachtung urplötzlich einen rauen Charme. Zu allem Überfluss dichtet die Romanverfasserin dem Russenboss und seinen Handlangern im Laufe des Geschehens eine kitschige Gangster-Ehre an. Falls diese den romantischen Kontrast zur perversen Familien-Ehre der Cetins abgeben soll, wäre das nicht nur falsch, sondern verlogen.

Was immer diese Kiezrussen an der Kommissarin finden, bleibt als Frage offen. Um ihnen geschäftlich zu nutzen, ist Zinck nicht korrupt genug. Dennoch hat „Madame Thea“, wie sie von Slawas Gorilla-/Schläger-/Killer-Gespann respekt- und zuneigungsvoll genannt wird, bei Slawa und den beiden Jungs einen dicken Stein im Brett. Dass zwei Typen dieses Kalibers eine alkoholkranke deutsche Polizistin Mitte fünfzig – die sie nach jeder Saufniederlage im Bordell als stinkendes, wankendes und lallendes Wrack nach Hause bringen und oft auch noch ins Bett verfrachten müssen – hochachten und in ihre großen russischen Herzen schließen, lässt sich schwer glauben. Aber die russische Seele ist ja bekanntermaßen unergründlich.

Ein zweiter hervorgehobener Kritikpunkt betrifft Zincks Assistenten Kai Stettner. Als einziger Polizist des Romans gewährt er dem Leser eine gewisse Anteilnahme an seinem Privatleben, was darauf schließen lässt, dass Stettner die eigentliche Sympathie- und Identifikationsgestalt des Romans darstellen soll. Dummerweise hat das offenbarte Privatproblem Stettners – ein demenzkranker Vater, der in seinem Heim nicht zurechtkommt – nichts mit der Romanhandlung oder Stettners Charakterentwicklung zu tun, außer dass Stettner dadurch von der Ermittlungsarbeit abgelenkt wird. Diese Romanabschnitte sind schlicht überflüssig.

Es dauert einige Seiten, bis der Roman stilistisch in Fluss kommt, dann jedoch erweist die Autorin sich als souveräne Erzählerin. Die Lesespannung hält trotz der Vorhersehbarkeit bis zum Ende an.

Apropos: Der Gutachter des Landeskriminalamts, bei dem der ursprüngliche Verleger in seiner Gewissensnot um Rat ersuchte, legt, wie die Autorin zu berichten weiß, in seiner Expertise dem „kritischen Leser“ die „sorgfältige Lektüre bis zum Schluss des Buches“ nahe, auch weil das Ende „so sehr aufwühlend“ sei. Tatsächlich: Der letzte Absatz der Geschichte trifft den Leser wie ein Schuss, der sich aus einer noch rauchenden, aber bereits gesicherten Pistole löst.

Das ist dann abermals filmreif.

W. W. Domsky: Ehre, wem Ehre... Taschenbuch, 253 Seiten, 9,90 Euro. Leda-Verlag, Leer 2009. ISBN 978-3-939689-33-1

Foto: © privat

1.12.09

„Es roch nach Zensur“

Anfang Oktober gab es in den Feuilletons einigen Wirbel um einen „Ehrenmord“-Krimi, den der Düsseldorfer Droste-Verlag kurz vor der Drucklegung aus dem Programm genommen hatte. Zur Begründung ließ der Verlagsleiter Felix Droste seinerzeit verlautbaren, er verlege „keine Bücher, die die Gefühle einiger Mitmenschen verletzen“ – schon gar nicht die Gefühle jener, die „die Sicherheit meiner Mitarbeiter oder meiner Familie beeinträchtigen könnten“. Zwar gab es noch nicht einmal konkrete Drohungen seitens empörter Muslime, doch Droste blieb bei seinem Entschluss, den Kriminalroman nicht zu veröffentlichen. Mehr noch: In einem taz-Interview behauptete er, das Werk sei „in einigen Passagen ausländerfeindlich“ und eine Beleidigung des Islam; es laufe „einem kalt den Rücken herunter, wenn man es liest“. Diese Worte sprach Droste, wohlgemerkt, nachdem er das Manuskript bis auf drei kleine Stellen, die seine langjährige Autorin Gabriele Brinkmann ändern sollte, aber nicht wollte, längst durchgewinkt hatte.

Brinkmann wartete nach der kurzfristigen Absage „auf den ersten demokratischen Verleger, der mich anruft und sagt: Ich werde nicht in vorauseilendem Gehorsam Bücher einstellen“. Lange musste sie nicht ausharren, denn der Leda-Verlag mit Sitz im ostfriesischen Leer erklärte sich kurzerhand bereit, den Krimi unter dem neuen Titel „Ehre, wem Ehre...“ ins Programm zu nehmen; pünktlich zur Frankfurter Buchmesse war er schließlich lieferbar. Seine Lektüre lohnt sich, wie eine Rezension deutlich macht, die am kommenden Donnerstag auf diesem Weblog erscheinen wird. Zuvor erklärt die Leiterin des Leda-Verlags, Heike Gerdes (Foto), im Interview mit Lizas Welt, warum sie das Buch publiziert hat, welche Resonanz es bislang gab und wie sie mit unerwünschtem Beifall umgeht.

Lizas Welt: Haben Sie schon Morddrohungen bekommen, Frau Gerdes?

Heike Gerdes: Nein. Im Gegenteil war die Resonanz bislang ausschließlich positiv; Kollegen, Medien und Politiker haben unseren Entschluss ausdrücklich begrüßt. Auch unser Standnachbar auf der Frankfurter Buchmesse, ein Syrer, fand die Geschichte gut. Er hat viele muslimische Messebesucher auf sie aufmerksam gemacht, und von denen kam ebenfalls ein zustimmendes Echo. Was zeigt, dass mitnichten alle Muslime gleich beleidigt reagieren, wenn man Probleme thematisiert, die mit dem Islam zusammenhängen.

Hatten Sie wirklich keine Angst? Immerhin ist die Krimi-Kommissarin nicht gerade zart besaitet und geht mit dem Islam ziemlich hart ins Gericht.

Nein, wir hatten wirklich keine Angst. Das Buch bietet auch gar keinen Anlass dafür, zumal andere Romanfiguren die schroffe Kommissarin wieder ausgleichen. Die Polizei war zwar informiert, weil wir es nicht gut gefunden hätten, wenn sie aus den Medien von dem Aufsehen erfährt, während wir auf der Buchmesse sind, und der Bochumer Staatsschutz hat unserer Autorin ungefragt angeboten, sie zu beschützen. Aber das war nicht nötig. Es gab weder Anrufe noch E-Mails oder Briefe, in denen wir beschimpft, beleidigt oder bedroht worden wären.

Was hat Sie bewogen, den Krimi ins Programm des Leda-Verlags zu nehmen?

Der Droste-Verlag hat von der Autorin verlangt, einzelne Passagen zu verändern, und als sie das ablehnte, hat er schließlich von der Veröffentlichung Abstand genommen. Das roch für uns förmlich nach Zensur, und da sind wir hellhörig geworden. Wir haben dann das Manuskript angefordert und schnell festgestellt: Das ist zwar ein teilweise harter Krimi, aber ein sehr guter und sehr spannender. Den Vorwurf, er sei stellenweise rassistisch, konnten wir nicht nachvollziehen. Wenn er tatsächlich ausländerfeindlich wäre, hätten wir ihn auch nicht genommen.

Nun wird das Werk aber auch in äußerst rechten Kreisen gelobt. Stört Sie das nicht?

Wir sind schon mehrmals darauf angesprochen worden, aber wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem Beifall von der falschen Seite. Wenn man das Buch richtig liest und versteht, kann man es außerdem gar nicht „rechts“ finden. Es richtet sich gegen die inakzeptable Beschneidung von Freiheitsrechten und gegen die Unterdrückung von Frauen; es greift nicht „die Türken“ oder „den Islam“ an, sondern die Auswüchse einer frauenfeindlichen Einstellung, die sich auf Tradition und Religion beruft, um Männern ihre Macht zu erhalten.

Ein Teil des Erlöses geht an den Verein für „Solidarität mit Frauen in Not“ (Solwodi). Was hat Sie zu diesem Schritt veranlasst?

Das war ein Anliegen der Autorin Gabriele Brinkmann. Der Verein hilft Opfern von Sextourismus, Heirats- und Menschenhandel, und es ist auch in unserem Sinne, ihn zu unterstützen. Außerdem wollten wir deutlich machen, dass es uns nicht darum geht, von einem Skandal finanziell zu profitieren.

Dennoch sei die Frage erlaubt: Schlägt sich die positive Resonanz auch in den Verkaufszahlen nieder?

Ja, eindeutig. Wir hatten in aller Eile eine Startauflage von 2.000 Exemplaren drucken lassen – für einen kleinen Verlag ist das eine ganze Menge –, die innerhalb von zwei Wochen ausverkauft war. Die zweite Auflage ist inzwischen ausgeliefert. Wir sind zufrieden, aber jetzt, wo das Buch nicht mehr so im Mittelpunkt steht wie zu Beginn, muss sich zeigen, dass es mehr ist als ein Skandälchen, sondern ein guter Krimi, nicht mehr und nicht weniger. Und ob es das Zeug zum Longseller hat.
Foto: © Leda-Verlag