31.3.10

Gooolic!



Wer in einem bedeutenden Spiel der höchsten europäischen Liga ersatzgeschwächt unmittelbar nach dem Anstoß durch eigenes Verschulden in Rückstand gerät und die Partie dann noch gegen eine Weltklassemannschaft, die keines ihrer letzten 16 Auswärtsspiele in der Champions League verloren hat, in der Nachspielzeit dreht, hat Leidenschaft und Charakter gezeigt. Chapeau, FC Bayern, das war ein grandioser, spektakulärer Abend! Und zwar unabhängig vom Ausgang des Rückspiels.

29.3.10

Tanz die Intifada



Antisemitismus groovt – und zwar im Wortsinne. Oliver Marx über einen aus dem Tollhaus der „Israelkri­tik“ stammenden Song einer nicht gerade randständigen deutschen Band.

VON OLIVER MARX

Über das Album „The Big Flow“ der Band „Hattler“ – die so heißt, weil ihr Gründer, ein so genanntes Urgestein der hiesigen Musikszene, auf diesen Namen hört – schrieb der Kritiker Michael Loesl: „Nie war musikalischer In­dividualismus chartkompatibler, stringenter, abenteuerlicher und tanzbarer.“ Mit seinen funk-, jazz- und soul-orientierten Kompositionen ist Hellmut Hattler, Bassist und Mitbegründer von „Kraan“ sowie der ‚Acid Jazz‘-Formation „Tab Two“, ein musikalisch anspruchsvoller „Garant für durchweg tanzbare Grooves“. Damit nicht genug: Er textet auch selbst und versteht es, die überwiegend apolitischen Bot­schaften seiner Songs zu visua­lisieren. Wer ein Konzert von „Hattler“ besucht, hört nicht nur, was er sieht, und sieht nicht nur, was er hört, er wird zudem mit Backing Tracks von der Festplatte und mit Videoprojektionen versorgt.

Dass eine solche, auf die Ver­stärkung des Reizes und die Über­windung kritischer Distanz zielende Rundum­betreuung Schlim­mes be­fürchten lässt, wird im Verlauf des Abends durch einen Programmpunkt aufs Eindrücklichste bestätigt, der, an­tisemitische Ressenti­ments bedienend, dann doch politisches Engagement verrät: Das Stück „Assalamu Alaikum“ (1) dreht sich um den in Gewalt übergehenden Zorn, der einen vermeintlich entrechte­ten und israelischer Willkür ausgelieferten Palästinenser einge­denk der im Bewusstsein ihrer angeblichen göttlichen Auser­wähltheit zur Beraubung und Unterdrückung anderer sich beru­fen wähnenden Juden über­kommt – ein Stück aus dem Tollhaus der „Israelkri­tik“, die, so funky vorgebracht, Ihresgleichen sucht. (Zur Vergrößerung des Textes bitte auf das Bild klicken.)



Schon das quantitative Verhältnis der Textanteile von Strophe und Refrain, das aufs Ganze gesehen eins zu vier be­trägt, macht deutlich, dass hier nichts erzählt, geschweige denn erklärt wird. Wovon die Strophen handeln, gilt als hinlänglich bekannt und ist mit ein, zwei einschlägigen Motiven auch in seinen Ursachen erschöpfend be­schrie­ben. Entscheidend ist das Fazit, das zu vermitteln dem Refrain zukommt, wobei die vielfache Wiederho­lung der aus sich wiederholenden Formeln bestehenden Botschaft für deren Unwidersprechlichkeit einsteht.

Im Detail geht es um dies: Womöglich als Privateigentümer, eher aber als Teil eines Kollektivs, das grundsätzli­che Besitzansprüche geltend macht, sieht sich das lyrische Ich seines Bodens beraubt. Die diesen nun bearbeiten, tun das nicht um des Ertrags willen, nicht, um von ihrer Hände Arbeit zu leben, sondern um die Symbole ihrer Vorherrschaft zu errichten und ihre Gewaltmittel zur Herrschaftssicherung in Stellung zu bringen: „Staring through my window pane – watch you digging on my ground / To post some flags and tanks – shows who’s up and who’s around“ [„Durch meine Fensterscheibe starrend – sehe (ich) euch auf meinem Boden graben / Um einige Flag­gen und Panzer aufzustellen – die zeigen, wer obenauf ist und wer ringsumher (lebt)“] (Verse 3f.).

Dass Flaggen gehisst und Panzer postiert werden, weist die Landnahme als eine staatliche oder staatlicherseits unterstützte aus und schafft Raum für weitere Assoziationen. So vergleicht das lyrische Ich die Besatzer, sie als „my little white gods“ [„meine kleinen weißen Götter“] verhöhnend (siehe die Verse 6, 12, 22, 28, 36, 42, 54 und 60), etwa mit den spanischen Eroberern Mittelamerikas zu Beginn des 16. Jahrhunderts, die sich der indigenen Bevölkerung als zur Herrschaft berufene „weiße Götter“ präsentierten und, apologetischen Darstellungen des Geschehens zufolge, als solche verschiedentlich auch wahrgenommen und verehrt wurden (2). Wie dem auch ge­wesen sein mag: Der Kolonisierte dieser Tage – zumal dann, wenn er die Überzeugung teilt, dass es keinen Gott außer Gott gibt und dieser eine unermesslich groß ist – weist die Selbstvergottung, die er seinen Unterdrückern bescheinigt, umgehend zurück. Wo er sich (wie in den Versen 12, 15, 42 und 57) ihrer Muttersprache bedient, tut er dies weder zum Zweck der Verständigung noch gar aus Respekt, sondern lediglich in distanzierender Ab­sicht und um der Feindbestimmung willen – sein „Shalom“ (3) stellt unmissverständlich klar: Die Eindringlinge sind Juden, die Fahnen und Panzer is­raelische.

„In meiner Seele detonieren Minen“

Der Vollständigkeit halber wäre zu ergänzen: Das lyrische Ich ist ein palästinensisches, der Lyriker, der es er­schuf, ist ein Deutscher. Ob eben darum oder dessen ungeachtet: Er weiß offenbar nur zu gut um die Gefühle, die ei­nen eingedenk der Juden – „dem von seinem Gott auserwählten Gottesvolk und damit göttlichen Volk“ (4), den „little gods“ eben – überkommen können. „Wir sind bereit“, so der Reichstagsabgeordnete Ernst Graf zu Reventlow (NSDAP) im Jahre 1932, „den Juden zu einem Diamanten von unmessbarem Wert zu erklären, wir können ihn aber nicht ertragen, er zerreißt uns die Eingeweide“ (5). So oder so ähnlich geht es auch dem Alter Ego des Dichters, das sich, der Juden gedenkend, gleich im ersten Vers als ein im Innern zerberstendes zu erkennen gibt: „Mines in my soul blast if I only think of you“ [„In meiner Seele detonieren Minen, wenn ich nur an euch denke“].

Der anschließende Übergang vom Ich zum Wir macht deutlich, dass diese Gemütslage kein individuelles Schick­sal ist, sondern als Grundempfinden einer geschundenen Gemeinschaft begriffen sein will, die entschlossen ist, sich nicht zu beugen: „We never gonna bite one’s bait – even if your story was true“ [„Wir werden niemals nach dem Köder schnappen – selbst wenn eure Geschichte wahr wäre“] (Verse 2 und 34). Hat demnach der Wahrheitsgehalt des­sen, wovon die Anderen berichten, keinerlei Einfluss auf das eigene Verhalten oder auf das Verhalten der Eigen­gruppe, dann kommt es auch nicht auf den Inhalt ihrer Erzählungen an. So ergibt sich als Sinn der eben zitierten Rede in etwa dies: „Keine eurer zweifelhaften Geschichten“ – nicht die von der dreieinhalb­tausend­jähri­gen Verbun­denheit der Juden mit dem Land Israel, nicht die von ihrer millionenfachen Vernichtung im na­tional­sozialisti­schen Herrschaftsbereich und auch nicht die vom Scheitern derer, die sich den Mördern durch Flucht entziehen wollten, an den staatlichen Restriktionen potenzieller Aufnahmeländer –, „nichts von alle­dem ist in un­seren Au­gen geeignet, einer jüdischen Souveränität auf arabischem Boden Legitimität zu verlei­hen.“

Das Zurückweisen der „story“ (auf die sich einzulassen dem Feind in die Falle zu gehen und seinen Belangen Rechnung zu tragen hieße) schließt die Zurückweisung allen Redens ein, dem es um einen Ausgleich konkurrieren­der Ansprüche zu tun wäre. Ausdrücklich ist die Aufforderung, das Reden zu beenden, Teil einer Sentenz, auf die der Erniedrigte und Beleidigte sich und die Seinen in jedem Refrain gleich viermal einschwört: „[G]et back to the minimum to get away from the minimal talk“ [in etwa: „Lasst uns aufs Allereinfachste zurückkommen, um von dem unbedeutenden/kleinlichen Gerede wegzukommen“].

Die Empfehlung zur Abkehr vom „minimal talk“, von einem Gerede, das der Rede nicht wert ist, geht mit der Aufforderung einher, die als Grenze mit militärisch kontrollierten Übergängen funktionierende Sicherheitsanlage zwischen Israel und dem Westjordanland (6) umgehend zu zerstören (7). Dass die Anlage nötig wurde, weil die von der Fatah getragene Palästinensische Autonomiebehörde die als „Al-Aksa-Intifada“ bezeichnete Anschlagserie, die Israel ab September 2000 erschütterte (8), nicht nur nicht zu verhindern versucht, sondern sie sogar gerechtfer­tigt, propagandi­stisch gefördert und finanziell unterstützt hat (9), bekümmert den Verfasser des Stücks ebenso wenig wie der Umstand, dass die Partei den jüdischen Staat nach wie vor nicht anerkennt, sich „Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden“ hält und bei je­der sich bietenden Gelegenheit bekräftigt, dem „Wider­stand in all seinen Formen“ verpflichtet zu sein (10). Wer angesichts dessen zur Zerstörung des Zauns aufruft, setzt sich weniger für die Bewegungsfreiheit friedliebender Menschen als vielmehr dafür ein, den Akteuren ebenjenes „Widerstands“ einen ungehinderten Zugang zum is­raeli­schen Kernland zu verschaffen und ihnen ihr einstiges Betätigungsfeld neu zu eröffnen.

Worum es geht, ist die Vernichtung Israels

Indem das lyrische Ich der Distanzierung von dem als unnütz erachteten Friedensprozess – die unter anderem darin zum Ausdruck kommt, der „faulen weißen Taube“ das Verlassen des als „Zoo“ bezeichneten Gebiets nahe zu legen (11) – mit den Worten „We never gonna bite one’s bait – rather gonna bite the dirt“ (12) [„Wir werden niemals nach dem Köder schnappen – eher werden wir ins Gras beißen“] (Verse 18 und 48) die Be­kundung gemeinschaftlicher Kampfbereitschaft folgen lässt, erhält das heraufbeschworene Niederbrennen der Grenzanlage den Charakter ei­nes den Krieg gegen die „Besatzer“ einleitenden Fanals. Worum es geht, ist die Vernichtung Israels (13).

Dafür zu werben, ist Sinn und wohl auch Zweck des Songs „Assalamu Alaikum“, wie aller Propaganda, die den jüdischen Staat als kolonialisti­sches Projekt in der Tradition der Conquista deutet und beim Stichwort Zionismus oder Israel das Bild eines menschenverachtenden rassistischen Regimes zeichnet (14). Unter dieser Voraussetzung gilt: Kein Ent­gegenkommen Israels, das nicht auf seine Auslöschung hinausläuft, ist weitreichend genug. Der grundlegende Fehler eines jeden israelischen Friedensvorschlags besteht demnach nicht darin, die Gründung eines palästinensi­schen Staats zu untergraben, sondern den Fortbestand des jüdischen gewährleisten zu wollen.

Ohne dass die folgenden Auslegungen einander widersprächen, kann der „minimal talk“, von dem der Refrain handelt, entweder als das nie zum gewünschten Ergebnis führende und mithin belanglose Verhandeln mit dem zionistischen Feind oder als das kleinliche und vom gemeinsamen Ziel ablenkende Gezänk mit dem politischen Gegner in den eigenen Reihen verstanden werden. In beiden Fällen gemahnte der Appell „[G]et back to the mini­mum“ an etwas in der Art des antizionistischen Minimalkonsenses, auf den sich die Staaten der Arabischen Liga, der die Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) geschuldet ist, im August 1967 verstän­digt haben: „[K]eine Versöhnung mit Israel; keine Verhandlungen mit Israel, keine Anerkennung Israels.“ (15)

Es dient der Bekräftigung dieser Haltung, die Zionisten – obschon sie, wenn überhaupt religiös, den jüdischen Glauben nicht als den allein selig machenden begreifen, keine Missionstätigkeit betreiben und einen Staat unter­halten, der die Strenggläubigen vom Militärdienst ausnimmt (16) – als „Glaubenskrieger“ zu definieren, die (nomen est omen) anderen, in dem Wahn, damit ein gottgefälliges Werk zu tun, die Lebensgrundlage nehmen. Dabei ist es gar nicht die religiös motivierte Militanz als solche, die der Kritik des Dichters anheim fällt; gilt es ihm zufolge doch diejenigen, die sich zu Glaubenskriegern erklären oder dafür zu halten scheinen, zuerst dahingehend zu hinterfragen, ob sie den Titel verdient haben oder ihn, weil sie einer Irrlehre aufgesessen sind, zu Unrecht bean­spruchen. Zwischen Rechtgläubigen und Fehlgeleiteten unterscheidend, ist die Frage „warriors of belief – or victims of the twisted word?“ [„Glaubenskrieger – oder Opfer des verbogenen Wortes?“] (Verse 17 und 47) auch ein Aus­druck der Sympathie mit den im rechten Glauben Kämpfenden. Solche aber finden sich naturgemäß nicht auf Seiten der „Kolonisatoren“, sondern, unter dem „Banner Allahs [und des] Jihad“ (17), auf Seiten der „Kolo­nisier­ten“.

„Jerusalem, wir kommen“ – dies hatten einige der Palästinenser, die am 9. November 2009 bei Kalandija im Westjordanland ein Segment der Sicherheitsanlage zerstörten, um auf israelischer Seite Autoreifen in Brand zu setzen (und die Armee zum Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern zu provozieren), auf ihren T-Shirts stehen (18). „Jerusalem, wir kommen“ könnte auch die Bildunterschrift der letzten Einstellung des (in Fußnote 6) erwähnten Videoclips lauten, der damit schließt, über die zu Beginn als „Apartheid Wall“ eingeführte Anlage hinweg den Blick auf die pro­spektive palästinensische Hauptstadt zu eröffnen.

Poetischer Antisemitismus

Obschon Hellmut Hattler das Video in seinem YouTube-Kommentar für „anbetungswürdig“ erklärt und so ge­wis­sermaßen zu seiner Sache macht, zieht er doch poetischere Motive vor. Als ein Symbol der palästinensischen Situation wird dem Konzertbesucher das während der ersten Takte auf den Bühnenhintergrund projizierte Bild eines Menschen nahegebracht, der (anscheinend ge­fesselt und der Gewalt potenzieller Peiniger wehrlos ausgelie­fert) durch einen als Knebel funktionierenden Kle­be­strei­fen oder ähnliches daran gehindert wird, auf seine Lage aufmerksam zu machen. Womöglich steht der Geknebelte aber auch für das im Verhältnis zu Israel insbesondere auf den Deutschen lastende Kritikverbot, das es zwar nicht gibt und nie gegeben hat, aber seit jeher jeden, der sich mutig darüber hinwegsetzt, vor Kühnheit zittern lässt.

Abgelöst wird dieses Motiv von dem einer weißen Taube, die vor wechselnden, meist kreisförmigen Hintergrün­den mit ihren Flü­geln schlägt, ohne sich jedoch dadurch von der Stelle zu bewegen. Ihrer minutenlangen kon­stanten Anstrengun­gen ungeachtet, verkörpert sie wohl die „lazy white dove“ des Refrains. In Unterbrechung und Ergänzung des Ge­flatters zeigt die Leinwand Ansichten der aus Betonelementen beste­henden Abschnitte der israelischen Sicherheitsanlage, wobei verschiedene Graffiti in den Blickpunkt gerückt werden. Eines davon stellt eine Art Ter­mite dar, die – analog der Inszenierung, die den Höhepunkt der Berliner Feierlichkeiten zum zwanzigsten Jah­restag des „Mauerfalls“ bildete – einen Dominostein anstößt und so eine Reihe weiterer zu Fall bringt. Ein ande­res Graffito verkündet in grammatikalisch zweifelhaftem Englisch: „This wall is a shame on the Jew­ish people, on my people!“ Wo behauptet wird, irgend etwas sei eine Schande fürs jüdische Volk, fin­det sich eben immer auch ein Deutscher, der das beifällig zitiert – zumal dann, wenn er den Antisemitismusverdacht mit dem Hinweis auf einen jüdischen Urheber aus­räumen zu können meint.

Was Geschichtsrevisionisten um der Restitution des Nationalstolzes willen behaupten, teilt der – gegen nationali­stische Umdeutungen der deutschen Geschichte sich verwahrende – moderne Antisemit, sobald er sich Israels an­nimmt. Auch er verspürt dort, wo das Gedenken der Shoah und die Ehrung der Opfer an die Gründe gemahnen, warum es den jüdischen Staat gibt und geben muss, „die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ (19). Sich mit den Palästinensern identifizierend, die ihm als die „Opfer der Opfer“ (20) gelten, findet auch er, dass „man Juden mit einiger Berechtigung als ‚Tätervolk‘ bezeichnen [könnte]“ (21). Wenn er sie beiläufig Ver­brechen bezichtigt, die denen der vom Nationalsozialismus beseelten Deutschen eben­bürtig sind, so freilich nicht, um im Sinne seines nationalistischen Pendants die Zeiten der Kollektivhaftung für beendet zu erklären und die den Juden aus ihrem Opfer­status erwachsenen Ansprüche abzuwehren. Vielmehr ist es ihm darum zu tun, seine ideologische Flankierung derer, die den Staat Israel beseitigen und den „Zionisten“ den Garaus machen wollen, als Element und Ausweis einer antifaschistisch geläuterten, demokratischen Ge­sinnung zu ver­stehen und „seine [R]essentiments in einer po­litisch korrekten [F]orm auszuleben“ (22).

Dem Erstaunen darüber, dass diese Form und ihr Inhalt mitunter auch „chartkompatibel, stringent, abenteuerlich und tanzbar“ daherkommen, ist dieser Text geschuldet.

Anmerkungen
  1. Der hier präsentierte Songtext entspricht der Version (oder beansprucht jedenfalls, ihr zu entsprechen), die unter der angegebenen YouTube-Adresse zu hören ist. Davon geringfügig abweichend, findet sich der Text im Internet an diesen Stellen: [1], [2].
  2. Vgl. Peter Hassler: Die weissen Götter. Wie sich die Entdecker und Eroberer Mexikos sahen, in: Neue Zürcher Zeitung, 15. September 2007 [Link].
  3. An mehrere Personen (männlichen oder beiderlei Geschlechts) gewandt, lautet die hebräische Entsprechung des titelgebenden arabischen Grußes „as’salamu alaikum“ – „shalom alejchem“, zu deutsch: „Frieden auf euch“. Grammatikalisch handelt es sich bei „alejchem“ um eine Wortzusammensetzung aus der Präposition „al“: „auf [Akk., D.], zu [D.], über [Akk.]“, und „lachem“, der Dativ­form des Personalpronomens 2. Person Plural Maskulinum: „euch“. „Shalom alejchem“ bedeutet, dass ich diejenigen, denen ich den Gruß entbiete, fraglos für würdig befinde, erstens als Gesprächspartner in Betracht zu kommen, zweitens als meinesgleichen anerkannt zu werden und drittens ein befriedetes und befriedigendes Leben führen zu können. Indem, wie es im Text durchgängig geschieht, das den Angesprochenen zugewandte „alejchem“ durch „I like ’em“ [„Ich mag sie“] (mithin die 2. durch die 3. Person Plural) ersetzt wird – wobei der Zusatz „my little white gods“ [„meine kleinen weißen Götter“] keinen Zweifel daran lässt, dass „I like ’em“ nicht als Bekun­dung persönlicher Wertschätzung, sondern als Ausdruck der Verachtung zu verstehen ist –, werden die zuvor genannten Qualitäten ins Ge­genteil verkehrt: Weder kommen die Anderen als Gesprächspartner in Betracht, noch werden sie als Gleichberechtigte anerkannt, und in Frie­den zu leben, scheinen sie nach Ansicht des Sprechers erst recht nicht verdient zu haben.
  4. Ernst Graf zu Reventlow; zitiert nach Henryk M. Broder: Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls, Berlin 2005, S. 117.
  5. Ebd., S. 116.
  6. Dass diese, teils aus einer Betonmauer, zum größten Teil jedoch aus einem von der israelischen Armee mit modernen Mitteln überwachten Maschendrahtzaun bestehende Anlage gemeint ist, wo der Text auf „that fence“ verweist, ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung der den Song bei den Konzerten der Band ergänzenden Videoprojektionen. Einen Eindruck davon ver­mittelt Thierry Miguets und Damian Lémans Videoclip (im Internet bei YouTube zu finden [Link]), der überdies – zu Beginn, am Ende und während des Gitarrensolos – weitere Motive zur Bebilderung des Textes beisteuert.
  7. An wen auch immer sie gerichtet ist – die Frage: „Why don’t you ... burn“ – wahlweise auch „pop“ – „that fence down?“ [„Warum ... brennt (bal­lert) ihr diesen Zaun nicht nieder?“] (siehe die Verse 7, 13, 23, 29, 37, 43, 55 und 61), zielt gewiss nicht darauf ab, die Tatbestände herauszustellen, die dagegen sprechen, den Zaun zu beseitigen, und dafür, ihn zu vollenden; ih­res Wortlauts ungeachtet, ist sie keine Aufforderung zu begrün­den, warum die Zerstörung des Zauns unterbleibt, sondern Ausdruck der Überzeugung, dass es akzeptable Gründe dafür überhaupt nicht geben kann. Im Blickwin­kel dieser Überzeugung wird, was immer zur Rechtfertigung der Anlage vorgebracht werden mag, zur Nichtig­keit. Die Delegitimierung des Staates Israel und die Ignoranz gegenüber den elementaren Sicherheitsinteressen seiner Bürger gehören untrennbar zusam­men.
  8. Die Entscheidung zur Errichtung des Zauns erläuternd, schrieb der damalige israelische Botschafter in Berlin: „Nach mehr als 19.000 Ter­rorangriffen, 927 toten Männern, Frauen und Kindern und Tausenden mehr an Verwundeten während der vergangenen dreieinhalb Jahre ver­sucht Israel, sich durch den Bau ei­nes Zauns, der allein der Verteidigung dient, zu schützen. Dieser Zaun soll Selbstmordattentäter und be­waffnete Terroristen daran hindern, is­raelische Busse, Cafés und Stadtzentren zu erreichen. Die schon errichteten Teile haben die Anschläge in diesen Regionen wesentlich redu­ziert.“ (Shimon Stein, Umweg über Den Haag. Mit der Anrufung des Gerichtshofes wollen die Palästinen­ser von ihren Pflichten ablenken, in: Tagesspiegel, 23.02.2004 [Link]).
  9. Siehe Botschaft des Staates Israel (Hrsg.): Wie Yasser Arafat und seine Behörden Terror finanzieren und fördern. Erste Ergebnisse einer Un­tersuchung von Dokumenten, die im Rahmen der Operation „Schutzwall“ gefunden wurden, Berlin 2002 [Link].
  10. Dazu, im Kampf gegen die „Besatzer“ weiterhin „keine Option fallen [zu] lassen“, bekennt sich die Partei auch noch in dem auf ihrer Gene­ralversammlung im August 2009 verabschiedeten Programm. Vgl. Dana Nowak: Fatah hält an bewaffnetem Kampf gegen Israel fest, www.israelnetz.com, 10. August 2009 [Link].
  11. Siehe die Verse 9f., 15f., 25f., 31f., 39f., 45f., 52, 57f. und 63f.
  12. „Bite the Dirt is a slang term used in the military when one has to get on the ground for any reason.“ [Link].
  13. Darum geht es beileibe nicht nur dem lyrischen Ich. Was die „gemäßigten“ palästinensischen Gruppierungen betrifft, so hat die von der Fatah dominierte Autonomiebehörde mit der Herausgabe von Schulbüchern, worin jede israelische Stadt zum „besetzten Gebiet“ erklärt und eine Welt in Aussicht gestellt wird, in der Israel auf keiner Landkarte mehr verzeichnet ist, deutlich zu erkennen gegeben, dass es ihr, wie der Ha­mas, um die „Befreiung“ von „jedem Zentimeter Palästi­nas“ zu tun ist. Siehe dazu Itamar Marcus/Barbara Cook (Palestinian Media Watch): From National Battle To Religious Conflict: New 12th Grade Pal­estinian schoolbooks present a world without Israel, Jerusalem 2007 [Link].
  14. Ein Beispiel dafür liefert die Erklärung der Mitglieder des „Internationalen Zentrums B 5“, die sich zugute halten, im Ham­burger Stadtteil St. Pau­li zusammen mit Ge­sinnungsgenossen im Oktober 2009 die Aufführung von Claude Lanzmanns Film „Warum Is­rael“ verhindert zu ha­ben. – Nicht nur die aus Äthiopien nach Israel eingewanderten Juden wären wohl überrascht zu erfah­ren, „ein System der weißen Domi­nanz“ zu re­präsentieren und – obschon es allen Staatsbürgern ohne Unterschied von Reli­gion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichbe­rechtigung verbürgt – einem „rassistischen Projekt“ zu dienen. Um Israel als Teil des mit der „rassistischen Aufspaltung der Welt seit der Conquista und der Versklavung“ anhebenden „System[s] der weißen Dominanz“ zu entlarven und den Zionismus als „rassistisches Projekt“ zu begreifen, dessen Zweck es ist, „die heutige Kolonialkultur“ aufrecht zu erhalten, bedarf es nun einmal des jahre- und jahrzehntelangen Aufent­halts in einer Szene, die sich in ihren „Einschätzungen“ von gar nichts beirren lässt, erst recht nicht von der ethnischen Vielfalt und den rechtli­chen Grund­sätzen Israels.
  15. Zitiert nach: Mitchell G. Bard: Behauptungen und Tatsachen. Der israelisch-arabische Konflikt im Überblick, Holzgerlingen 2002, S. 180.
  16. Vgl. Michael Wolffsohn: Israel. Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wiesbaden, 7. Auflage 2007, S. 176f. und S. 190.
  17. Siehe die Artikel 6 und 15 der Hamas-Charta, in: Botschaft des Staates Israel (Hrsg.): Die HAMAS. Profil einer Terrororganisation mit Regie­rungsauftrag, Berlin 2006, S. 3 [Link].
  18. Dana Nowak: Palästinenser reißen Teil von Sicherheitsanlage nieder, www.israelnetz.com, 10. November 2009 [Link].
  19. Siehe Martin Walser: Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede. Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buch­handels in der Frankfurter Paulskirche am 11. Oktober 1998 [Link].
  20. Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem „Manifest der 25“ hat Micha Brumlik lesenswerte Einwände gegen die, aus dem Konstrukt des „sekundären Opfers“ abgeleitete Pflicht der Deutschen zur Solidarität mit den Palästinensern zu Papier gebracht. Micha Brumlik: Wie der Bau der Bagdad-Bahn, Frankfurter Rundschau, 07.02.2007 [Link].
  21. Das Zitat entstammt der Ansprache von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag, 3. Oktober 2003 [Link].
  22. Henryk M. Broder: Antisemitismus ohne Antisemiten (gekürzt und erweitert), 15. Juni 2008, Deutscher Bundestag. Innenausschuss, Aus­schussdrucksa­che 16(4)432 H, S. 3 [Link].

24.3.10

Life is live



„Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel“, soll Lukas Podolski einmal gesagt haben. Vielleicht ist Fußball aber auch wie „Mensch, ärgere dich nicht“, nur ohne Bauern. Man weiß es nicht, man steckt nicht drin – im Unterschied zu diesen beiden Herren hier, die auch im Alter ihre Vorliebe für eigenartige Frisuren pflegen und heute Abend beim Halbfinale in der Turnhalle AufVeltins einander zeigen wollen, wo der Barthel den Most holt. Das wird spannend: Setzt der Felix den Louis matt? Würfeln die Schalker die Bayern raus? Oder bebt Magath vor Zorn, weil van Gaal alle Bauerntricks schon kennt und dem Olaf Thon kurz vor der Einwechslung das Klemmbrett zwischen die Hörner haut?

Die Antwort gibt’s wie immer auffem Platz. Und hier, ab 20.00 Uhr im Live-Ticker von Lizas Welt, wie immer parteiisch, verletzend und grob vereinfachend. Bis später!




LIVE-TICKER FC SCHALKE 04 – FC BAYERN MÜNCHEN

19:59 – Guten Abend allerseits, würde Heribert Faßbender an dieser Stelle sagen, aber das kann er gerade nicht, weil er in Opladen seinen Porsche waschen muss.

20:01 – Die Beteiligten auf beiden Seiten haben sich alle Mühe gegeben, das heutige Spiel ein bisschen künstlich hochzujazzen. Die Schalker spielen so oft foul wie kein Zweiter, hat Christian Nerlinger gesagt. Felix Magath hat daraufhin die Datenbanken durchwühlen lassen und herausgefunden, dass Christian Nerlinger früher so oft foul gespielt hat wie kein Zweiter. Bäm!

20:04 – Unter besonderem Druck steht deshalb natürlich der Schiedsrichter, der auf den in diesen Zeiten wenig vertrauenserweckenden Namen Kircher hört und im schönen Rottenburg am Neckar lebt.

20:07 – Aus irgendwelchen Gründen muss bei den Referees ja immer der Wohnort mitgenannt werden, obwohl kein Mensch weiß, wo das jeweilige Kaff eigentlich liegt. Aber dieser Brauch hat in der Vergangenheit oft zu wohlklingenden Wortkombinationen geführt. Mein All-time-Favorit ist natürlich Herr Niebergall aus Rammelsbach, gefolgt von Dr. Umbach aus Rottorf. Eitle Poesie.

20:11 – Einer hat heute schon etwas gewonnen, nämlich Mark van Bommel. Der wurde von der Vrijen Universiteit Amsterdam mit dem Sprachenpreis 2010 ausgezeichnet. Gibt’s nicht? Gibt’s doch!

20:14 – Zur Begründung hieß es: Van Bommels Rhetorik sei gut entwickelt, er benutze nicht die Floskeln der Fußballersprache und analysiere stets verständlich das Spiel. Beurteilt wurden Sprechtempo, Betonung, Verständlichkeit und Argumentation. Grammatikfehler führten ebenso wie die Verwendung von Klischees und Fachchinesisch zu Punktabzügen.

20:16 – Auf dem dritten Platz landete übrigens Ruud van Nistelrooy.

20:21 – Dann mal zu den Aufstellungen, zuerst Schalke: Neuer – Rafinha, Höwedes, Bordon, Westermann – Matip – Kluge, Baumjohann, Rakitic – Farfan, Kuranyi.

20:22 – Und dann die Bayern: Butt – Lahm, van Buyten, Badstuber, Contento – van Bommel, Schweinsteiger – Robben, Olic – Klose, Müller.

20:26 – Kleine Korrektur: Bei Schalke spielt doch nicht Rafinha, sondern Zambrano. Klingt aber ähnlich schön.

20:32 – Und auch Matip spielt nicht, sondern Lukas Schmitz. Wenn man sich einmal auf den „kicker“ verlässt!

20:35 – Madame Ribéry ließ heute verlauten, er wünsche sich für die Zukunft einen Fünfjahresvertrag und für seine Frau viel Sonne. Die Gegenwart sieht anders aus: ein Platz auf der Bank und Kunstlicht auf Schalke.

20:39 – Ha! Das erste Foul von Kuranyi! Geht das schon wieder los!

20:43 – Der ARD-Mann nennt ein Foul von Westermann „Defensivimpuls“. Das wird Magath zweifellos gefallen. Baumjohann und Olic sorgen derweil für die, sagen wir, Offensivimpulse. Der Rest wünscht dabei viel Erfolg.

20:46 – Robben trägt heute nur eine kurze lange Unterhose. Die entscheidenden Zentimeter fehlen dadurch. Neuer klärt.

20:48 – Den Emo-Blick hat Holger Badstuber schon, eine Emo-Frisur ist ihm aber vertraglich genauso verboten wie ein Zungenpiercing. Schade eigentlich.

20:50 – Löw polkt sich in den Zähnen, Bierhoff bohrt in der Nase. Högschde Disziplin geht irgendwie anders.

20:52 – Schon 26 Ballkontakte für Badstuber. Es riecht nach Elfmeterschießen.

21:00 – Contento heißt mit Vornamen Diego Armando, aber sein Klärungsversuch sah mehr nach Norbert aus, Norbert Eder (die Älteren unter uns erinnern sich noch).

21:06 – Irgendwie ist das hier noch nicht die ganz große Nummer. Olic bearbeitet die linke Seite wie eine Nähmaschine, schlägt aber eine Christian-Ziege-Gedächtnisflanke nach der anderen. Klose träumt von der Nationalmannschaft, Kuranyi überlegt sich, ob er nach der Pause nicht lieber nach Hause fahren soll.

21:11 – Die Schalker Fans rufen: „Schieber, Schieber!“ Spielt der nicht bei Stuttgart?

21:15 – Heiko Westermann hat eine Frisur wie Gabriele Krone-Schmalz. Und schießt auch so ähnlich aufs Tor wie sie.

21:19 – Baumjohann und van Bommel beim Air-Soccering, also einer Art Luftgitarrespielen auf dem Fußballplatz. Schiri Kircher beendet die Einlage und gibt einen Freistoß für Schalke. Van Bommel beschwert sich über die schlechte B-Note.

21:21 – Nullnull zur Pause.

21:31 – Irgendwie ist alles wie immer: Bayern mit mehr Ballbesitz, aber der letzte Pass kommt nicht; Schalke spielt hässlich, hält aber relativ mühelos Schaden von der eigenen Kiste fern. Nach Fouls steht es der ARD zufolge 10:2 für die unhöflichen Gastgeber, und wenn es Kuranyi noch einmal gelingt, Lahm auf den Kunstrasen in der Coaching-Zone zu befördern, hat er gute Chancen, dass der Bayern-Verteidiger mit Verbrennungen zweiten Grades ausgewechselt wird.

21:33 – Im Antirassismus-Spot des DFB stellt immer noch Maria-Theresia Metzelder den Kartoffelsalat auf den Tisch. Müsste man mal aktualisieren. Die Mutter von Serdar Tasci kann sicher auch prima kochen.

21:37 – Nebenan weist der Trainer völlig zu Recht auf den Facebook-Chat zum Livestream der ARD hin. Bei einem solch geballten Expertenwissen kann ich eigentlich einpacken.

21:38 – Löw macht den Platz für das schlechte Spiel verantwortlich und fordert die Entlassung des Greenkeepers. In der Tat sieht das Spielfeld so aus wie ganz Gelsenkirchen nach dem Zweiten Weltkrieg: Krater überall. Egal, es geht weiter. Muss ja.

21:40 – Rakitics zweiter Torschuss. Für den ersten Versuch hätte er sich noch ein Field-Goal zuschreiben lassen können, für diesen hier gibt’s in keiner Sportart was.

21:42 – Womit auch immer Magath in der Kabine gedroht haben mag: Es scheint gewirkt zu haben. Kuranyi fast so frei vor Butt wie vorhin Robben vor Neuer. Gleiches Ergebnis: nix.

21:50 – „Hunt!“, rufen die Schalker Fans. Spielt der nicht bei Werder?

21:53 – Badstuber mäht Kuranyi um, aber Kircher hat die Karten in der Kabine vergessen. Bei den Fouls haben die Bayern außerdem ohnehin noch Rückstand.

21:54 – Jetzt sieht Schweinsteiger nach einem vulgären Foul doch die Pappe. Außerdem betritt Madame den Platz, Olic hat Feierabend.

21:55 – Note to me: Klose fragen, was er beruflich macht.

21:57 – Ribéry flüstert Zambrano ein paar Koranverse ins Ohr. Kircher geht aber dazwischen. Allahu akbar!

21:59 – Schweinsteiger bekommt beim Eckstoß ein Bier in den Rücken, ähm, gereicht. Wenn man Veltins denn als Bier bezeichnen will.

22:07 – Oh, la, la! Madame vernascht zwei Schalker, aber Müller stakst einen kläglichen Abschluss dahin. Gottlob meint, das war der Platz schuld. Hat der Bundestrainer schließlich so gesagt. Und Müller ist ja Nationalspieler.

22:09 – Bei Schalke läuft sich Olaf Thon warm, bei Bayern Jean-Marie Pfaff. Man muss ja auch ans Elfmeterschießen denken.

22:19 – Schweinsteiger spielt Sanchez den Ball in die Füße, der müht sich redlich, doch seine Mitspieler halten respektvoll Abstand. Die anschließende Flanke hätte Katsche Schwarzenbeck auch heute noch mühelos unter Kontrolle gebracht. Badstuber ebenso, nur ohne den Konjunktiv.

22:21 – Schweinsteiger versucht’s fast wie Henry gegen Irland, weshalb Neuer sich echauffiert wie Udo Lattek nach zwölf Pils im DSF. Aber anders als bei Henry geht der Ball nicht ins Tor. Noch eine Minute.

22:25Verlängerung. Olaf Thon sagt, er hätte einen Spieler namens „Ey, du“ gebracht statt Matip, will aber trotzdem viel gelernt haben. Außerdem hält er Neuer für den besten deutschen Torwart, tippt allerdings auf ein 8:7 für Schalke.

22:28 – Für ein 6:6 wie 1984 ist es jetzt womöglich schon ein bisschen spät. Daniel van Buyten guckt auch nicht so, als wollte er ein solches Ergebnis zulassen. Aber mit einem geprellten Jochbein sieht man ja immer ein bisschen wüst aus.

22:32 – „Die Bayern können noch zweimal wechseln“, klärt Gerd Gottlob auf. Dass dem so ist, hat Gründe. Sie heißen unter anderem Altintop und Tymoshchuk.

22:34 – „Dieses Spiel wird erst ein Spiel, wenn ein Tor fällt“, sagt Gottlob. Ein Fall für Arnd Zeiglers Abreißkalender.

22:35 – Klose, immer wieder Klose. War nur ein Scherz. Wollte gucken, ob noch alle wach sind.

22:46 – Und wieder 15 Minuten vorbei. Immer noch nullnull. Alles rechnet offenbar mit einem Elfmeterschießen, aber ich bin mir da nicht so sicher. Butt zum Beispiel möchte schnell ins Bett: Er gähnt schon. Und Alaba auf der Bayern-Bank ist ja noch minderjährig.

22:53TOOOOOOOOOORobbenOOOOOOOOOOR!

22:55 – So ist er einfach: Ball an der Eckfahne bekommen, nach innen gezogen, und dann ab mit dem Ding ins pralle Vergnügen. Anschließend das Trikot ausgezogen und gelb gesehen. Einsnull Bayern.

22:56 – Zum Dank darf er jetzt schon die Dusche anstellen. Tymoshchuk kommt. Wenn das mal kein Fehler ist.

22:59 – Ribéry läuft alleine auf Neuer zu und kann alles klar machen, kriegt aber nicht mal ein Field-Goal zuwege. Noch zwei Minuten.

23:02 – Höwedes rammt den Ball über Butts Kasten. Magath rammt Hollerbach deshalb den Arm in die Rippen. Die letzten Sekunden laufen.

23:04Und das war’s!

23:09 – „Es sind zwei Systeme aufeinandergeprallt“, resümiert Gerd Gottlob. Und er hat Recht: Das, was Schalke gespielt hat, war realsozialistischer Fußball; die Bayern haben es gemacht wie die Amerikaner: stabil und mit individueller Klasse.

23:10 – Schweinsteiger beschwert sich, dass er mehr laufen muss als Robben („Der macht vor allem die kurze Distanz“). Robben wiederum findet, dass die Bayern konditionell stärker waren als die Schalker. In your face, Felix Magath!

23:15 – Gabriele Krone-Schmalz a.k.a. Heiko Westermann riefenstahlt etwas vom „absoluten Willen“ und trauert dem nicht erreichten Elfmeterschießen nach („Hätten wir klar gewonnen“). Währenddessen zeigt die ARD noch einmal das Tor von Robben, der den Ball mitnichten erst an der Eckfahne bekommen hat – er ist damit schon in der eigenen Hälfte losgezogen. Und jetzt kommt van Gaal.

23:27 – Man ist sich letztlich irgendwo einig: Unverdient war’s nicht, aber wirklich gut war’s auch nicht. Robbens Tor allerdings war formidabel, und das hat den Abend entschieden. Ansonsten möchte ich mich dem Kollegen Probek anschließen, der in Bezug auf die abfälligen Urteile über das Spiel sehr zu Recht konstatiert hat: „Wer das als Qualen empfindet, leidet auf sehr hohem Niveau.“

23:30 – Und damit sei dieser Live-Ticker beschlossen – danke an alle fürs Reinschauen! In der ARD läuft jetzt „Hart, aber fair“; es geht um Homosexualität im Fußball. Warum da Kerner und Neururer sitzen müssen, erschließt sich mir nicht, aber sei’s drum.

13.3.10

Auschwitz zu den Akten



Der K.u.K.-Satiriker Alexander Roda-Roda sagte einmal: „Aus dem Antisemitismus könnt’ schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden.“ Ob Iris Hefets von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost dieses Bonmot kennt, ist nicht überliefert, aber auch nicht so wichtig: Sie und ihre Organisation geben sich jedenfalls alle Mühe, es zu materialisieren. Zu ihren Lieblingen gehören solche Granden wie Norman Finkelstein, Ilan Pappe und Hajo Meyer, die bereits über die Titel ihrer Bücher – „Die Holocaust-Industrie“ (Finkelstein), „Die ethnische Säuberung Palästinas“ (Pappe), „Das Ende des Judentums“ (Meyer) – hinreichend Auskunft darüber geben, wes Geistes Kind sie sind, und deren Vorstellungen von einem „Frieden in Nahost“ auf eine Endlösung des Nahostkonflikts hinauslaufen. Genau deshalb werden sie und Ihresgleichen hierzulande gern gehört und gelesen. Zwei der drei Genannten, nämlich Finkelstein und Pappe, wurden jedoch kürzlich in Berlin und München wieder ausgeladen, dem Dritten, Hajo Meyer, war das Gleiche bereits vor einigen Jahren widerfahren.

Diese Ausladungen kamen dadurch zustande, dass sich israelfreundliche Organisationen an die jeweiligen Veranstalter gewandt und auf die kruden Thesen der Eingeladenen hingewiesen hatten, woraufhin die Lesungen abgesagt wurden. Das scheint zunächst einmal einigermaßen erstaunlich zu sein, wenn man bedenkt, dass etwa die Parteistiftungen der Grünen und der Linken eigentlich genau der richtige, weil logische Ort für diese „Israelkritiker“ sind und es kein Zufall gewesen ist, dass die jüdischen Kronzeugen der Anklage überhaupt gebeten wurden, ihre Elaborate vorzustellen. Aber die spontane Verwunderung legt sich rasch wieder: Die Kündigungen sind eine eigenartige Mischung aus dem Versuch, potenziellen Ärger zu vermeiden, und einem hilflosen Rechtfertigungsgestammel, das alles verrät, nur keine grundsätzliche Einsicht. Man distanziert sich schon mal von den (vermeintlichen) Extremen, um anschließend – womöglich noch mit dem Verweis auf genau diese Distanzierung – weiterhin ganz ungeniert vom „israelischen Völkermord“ an den Palästinensern zu delirieren und damit exakt das zu sagen, was auch Finkelstein, Pappe und Meyer in petto haben.

Derweil gehen die Vertreter der reinen Lehre auf die Barrikaden respektive zur taz, um dort über den „Druck sich proisraelisch gebender Kreise
“ bittere Tränen zu vergießen. In der Rudi-Dutschke-Straße zu Berlin hat man nämlich stets ein Herz und folglich ein offenes Ohr für „Israelkritiker“, zumal, wenn sie jüdisch sind, also den begehrten Koscherstempel mitbringen. Also durfte die eingangs erwähnte Iris Hefets mal so richtig vom Leder ziehen und unter der Überschrift „Pilgerfahrt nach Auschwitz“* den – überwiegend nichtjüdischen – taz-Lesern erklären, warum bereits die Verwendung des Begriffs Shoa ein Kotau vor den israelischen Völkermördern ist, weshalb in Israel der Holocaust zu „einer Art Religion mit festen Ritualen“ wurde und wieso die Deutschen endlich aufhören sollten, ein schlechtes Gewissen zu haben. Da wird Claude Lanzmann attackiert, weil er mit „Shoa“ einen „religiös aufgeladenen Begriff“ popularisiert habe. Da ist die Rede von der angeblichen Pflicht junger Israelis, „mindestens einmal Suff, Sex und eine Auschwitzreise erlebt zu haben“, bevor es erst zur Armee und anschließend zum „Ausflippen“ nach Indien geht. Und da wird Angela Merkel dafür angegriffen, den Papst wegen seiner Nachsicht gegenüber einem Holocaustleugner kritisiert zu haben.

Im Grunde genommen muss man dem Blatt wie auch seiner Autorin nachgerade dankbar dafür sein, derart blank gezogen zu haben. Denn beide haben dadurch ihre Agenda erfreulich offen gelegt und deutlich gemacht, worauf die „Israelkritik“ in letzter Konsequenz immer hinausläuft: auf eine Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates, auf eine Verdrehung von Tätern und Opfern und auf eine Entlastung von der originär deutschen Tat Auschwitz. Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost ist eine eigentlich vernachlässigenswerte Gruppierung, die selten mehr auf die Beine bringt als ein Dutzend Nebbichs. Dass die taz dennoch – oder gerade deswegen – den Stumpfsinn, den diese Vereinigung aus welchen Gründen auch immer verbreitet, durch den Abdruck des nämlichen Kommentars veredelt hat, spricht allerdings Bände.

Iris Hefets wiederum will Israel laut taz „vor acht Jahren aus politischen Gründen verlassen“ haben. Sie ist also gewissermaßen eine „Exil-Israelin“. Nun müsste die Bundesrepublik nur noch ihren Asylantrag bewilligen – den sie ja unter Berufung auf den Artikel 16 des Grundgesetzes gewiss gestellt hat –, also einer von Israel verfolgten Jüdin Unterschlupf gewähren. Und ihr das Bundesverdienstkreuz verleihen. Dann könnte man Auschwitz endgültig zu den Akten legen.

* „Zu offiziellen Gedenktagen holen auch ältere Israelis die inzwischen obligate Pilgerfahrt nach Auschwitz nach“, schrieb Iris Hefets. „Von einfachen Soldaten bis zu hohen Generälen und Politikern marschieren sie in Uniform (!) durch Auschwitz und erinnern an die Worte Ehud Baraks: ‚Wir sind 60 Jahre zu spät gekommen.’“ Dazu kein Kommentar, sondern nur der Hinweis auf dieses Video.

Das Bild entstammt einer Demonstration von Hamas-Sympathisanten in Berlin am 3. Januar 2009.

3.3.10

Krieg der Welten



Haben die USA dem Djihadismus tatsächlich den Kampf angesagt?

VON STEFAN FRANK*

„Wir sind im Krieg, wir sind im Krieg gegen al-Qaida“, sagte US-Präsident Barack Obama im Januar dieses Jahres. Wie konnte es dazu kommen? Und wann mag dieser Krieg begonnen haben? Wurde schon eine Kriegserklärung überreicht? Bislang hatten Obama und seine Leute eine ganz andere Geschichte erzählt. Sie verbannten nicht nur die Bezeichnung war on terror, sondern sogar das Wort „Terrorist“ aus ihrem Wortschatz: Als Obamas neue Heimatschutzministerin Janet Napolitano im März 2009 vor dem Kongress ihre Antrittsrede hielt, verwendete sie stattdessen die Umschreibung man-caused disaster. Terror ist also eine „von Menschen gemachte Katastrophe“, wie ein Unfall in einer Chemiefabrik. Ob denn islamistischer Terrorismus keine Bedrohung mehr sei, wurde sie in einem Interview gefragt. Doch, antwortete Napolitano, diese sprachliche „Nuance“ solle aber demonstrieren, dass sich die neue Regierung von der „Politik der Angst wegbewegen“ wolle.

Ob das auch al-Qaida dazu bewegen wird, sich von der Politik der Angst zu lösen und stattdessen auf sympathisches Auftreten zu setzen? Was die Haltung gegenüber der djihadistischen Bewegung und den djihadistischen Staaten angeht, war das erste Jahr der Amtszeit von Präsident Obama noch schlimmer, als zu befürchten war. Im Juni hielt er in Kairo eine Rede, die als ein „Ausstrecken der Hand gegenüber der islamischen Welt“ (lies: den dort herrschenden Tyrannen) angekündigt worden war. Darin verrechnete er die Ermordung der europäischen Juden mit dem „Leiden“ des „palästinensischen Volkes“, das nun schon 60 Jahre dauere. Er vergaß dabei die Tatsache, dass das „palästinensische Volk“ sein Leid selbst verschuldet hat und sich 1948 (und auch danach) auch dafür hätte entscheiden können, mit Israel in Frieden zu leben.

Der wohl schlimmste Teil seiner Rede war aber dieser: „Die Palästinenser müssen die Gewalt aufgeben. Widerstand durch Gewalt und Töten ist falsch und hat keinen Erfolg. Jahrhunderte lang haben die Schwarzen in Amerika als Sklaven die Peitsche erduldet und die Erniedrigung der Rassentrennung. Doch nicht durch Gewalt haben sie volle und gleiche Rechte gewonnen.“ Mit anderen Worten: Obama verglich Israel mit einem Sklavenhalter und die Palästinenser mit den Sklaven. Nicht das Ziel von Hamas und Fatah – die Zerstörung des jüdischen Staates und die Tötung der Juden – erklärte er für falsch, sondern lediglich die dafür benützten Instrumente. Versucht euch der Juden gewaltfrei zu entledigen, schien Obamas Botschaft an die Araber zu lauten.

Die Idee, dass die in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung als „unveräußerlich“ bezeichneten Rechte auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück auch in islamisch dominierten Ländern gelten sollten, wurde vom US-Präsidenten diffamiert: „Wir können die Feindschaft gegenüber irgendeiner Religion nicht mit dem Vorwand (sic!) des Liberalismus verkleiden“. Zwei Wochen später kam es im Iran zu Massendemonstrationen gegen die Regierung, die als Unmutsbekundung gegen Wahlfälschung begannen und zu einer Bewegung gegen die Khamenei-Diktatur wurde. Auch als diese Proteste blutig niedergeschlagen wurden, verzichtete Obama weitgehend auf Kritik – wohl aus Angst, man könne ihn des Liberalismus verdächtigen. In gewisser Weise legitimierte er das von der iranischen Bevölkerung gehasste Teheraner Regime, indem er ihm in den folgenden Monaten immer wieder „Verhandlungen“ über sein Atomraketenprogramm anbot. Dabei hatte Khamenei, indem er Ahmadinedjad eine zweite Amtszeit gab, längst klar gemacht, dass er gar keine Lust zum Verhandeln hatte. Hätte ihm der Sinn nach einem Kompromiss gestanden, hätte er einen anderen Kandidaten die Wahlen gewinnen lassen.

Wie ist Obamas Verhalten zu erklären? Er folgt, was die Wahrnehmung des Nahen und Mittleren Ostens betrifft, den Vorgaben, die die Orientalisten machen. Die wiederum singen das Lied derer, von denen sie ihr Brot bekommen, und die sitzen am Persischen Golf. Nach der Ölkrise von 1973 hatten die Scheichs viel Geld, aber in den USA einen schlechten Ruf. Da traf es sich gut, dass die akademischen Einrichtungen in den Vereinigten Staaten, an denen Orientalistik unterrichtet wurde, wenig Geld hatten (denn sie schienen nicht besonders nützlich zu sein) und die reichen arabischen Staaten um finanzielle Unterstützung anpumpten – mit dem Verkaufsargument, dass die Orientalistik das Ansehen der islamischen Polizeistaaten in den USA verbessern würde. Genauso kam es. Da die akademische Lehre starken Einfluss auf die Medien und die Politik hat, ist es nicht erstaunlich, dass viele der dort für den Nahen und Mittleren Osten Verantwortlichen dem Djihadismus gleichgültig oder sogar mit Sympathie begegnen. Seit der von islamischen Ländern ausgehende Terror durch die Anschläge vom 11. September in den Blickpunkt geraten ist, verbreiten sie Ablenkungstheorien, die den Djihadismus ausblenden sollen.

Eine der abstrusesten Theorien über die Ursachen des Al-Qaida-Terrorismus sagt, Israel sei schuld; es behandle die Araber schlecht. Die USA wiederum würden von al-Qaida bekämpft, weil sie Israel unterstützten. Ohne Israel hätte es die Anschläge vom 11. September nicht gegeben, und die USA müssten auch keinen Krieg gegen den Terror führen. Diese Theorie, die etwa von den amerikanischen Politikwissenschaftlern Mearsheimer und Walt in ihrem Buch Die Israel-Lobby vertreten wird, läuft darauf hinaus, dass die USA dem djihadistischen Terror ein Ende bereiten könnten, indem sie Israel opfern (so wie der britische Premierminister Chamberlain 1938 um des Friedens willen die Tschechoslowakei opferte, könnte man sagen). Dass es sich dabei um eine extrem pro-djihadistische Anschauung handelt, ist offensichtlich – deshalb ist das Buch ja auch von Osama bin Laden sehr lobend erwähnt worden.

Eine benachbarte Theorie macht in der „arabischen Welt“ eine „Wut auf den Westen“ aus. „Die gesamte arabische Welt, sie schäumt“, sagte der beliebte Nahostexperte Michael Lüders vor einem Jahr in einem Radiointerview. Daran kann es keinen Zweifel geben. Immer wieder sieht man im Fernsehen junge arabische Männer schäumen. Sie zünden Flaggen an, die sie selbst gemalt haben, und hüpfen dann wild fluchend auf den brennenden Fetzen herum. Benehmen sie sich etwa deshalb wie Rumpelstilzchen, weil die USA, Israel oder „der Westen“ ihnen etwas angetan haben? Ach was: Die gleichen Szenen spielen sich schließlich auch bei Fußballländerspielen zwischen zwei arabischen Mannschaften ab, wie erst kürzlich wieder bei den WM-Qualifikationsspielen zwischen Ägypten und Algerien.

Der Grund für das Schäumen muss also ein anderer sein. Die mafiösen Wirtschaftsstrukturen in den meisten arabischen Ländern führen in Verbindung mit einem starken Bevölkerungswachstum zu einer extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit. Im Zusammenspiel mit den in islamischen Ländern herrschenden Moralvorstellungen hat das Folgen: „Wenn die Männer überhaupt einen Job finden, ist er meist miserabel bezahlt. Ihre finanzielle Situation lässt es nicht zu, eine Wohnung anzuschaffen und einzurichten; in den meisten arabischen Ländern ist das jedoch die Mindestvoraussetzung, um heiraten zu können. Gleichzeitig ist vorehelicher Sex ein absolutes Tabu im Islam. Und so wimmelt es in Algier, Alexandria, Sanaa und Damaskus von ‚Jungmännern’ zwischen 18 und 35, die auf unabsehbare Zeit bei ihren Eltern leben müssen.“ (Spiegel, 16. Oktober 2006)

Es ist also kein Wunder, dass sie ständig mit der Welt hadern – und klar, dass diese tiefer liegenden Probleme weder von Jerusalem noch von Washington aus gelöst werden können. Sie sind auch nicht das, was die djihadistschen Bewegungen in aller Welt antreibt (obwohl es in den islamischen Ländern sicherlich auch zahlreiche junge Männer gibt, die aus sexueller Frustration zu religiösen Eiferern werden, so wie der Fuchs in der äsopischen Fabel, der die für ihn zu hoch hängenden Trauben für sauer erklärt). Den Vertretern der Wuttheorie muss man sagen: Osama bin Laden und Ayman al-Zawahiri handeln nicht aus „Wut“.

Immer wieder ist auch zu hören, die Djihadisten hassten den Westen wegen der Freiheiten, die etwa Frauen, Homosexuelle und Atheisten dort haben. Diese Argumentation zeigt immerhin den Willen, sich mit der Ideologie der Djihadisten ernsthaft zu beschäftigen, trifft aber nur einen Teilbereich und lässt außer Acht, dass sie ja nicht bloß gegen den Westen, sondern auch gegen Russland, China und Indien kämpfen. Für sie sind der Krieg in Afghanistan (gegen die Sowjets, dann gegen die Amerikaner), der Krieg gegen die Juden und die Kriege im Irak, in Bosnien, im Kaschmir und in Tschetschenien verschiedene Schauplätze eines großen Heiligen Krieges gegen die kuffār, die Ungläubigen. Die Ungläubigen sind Feinde Gottes und müssen vertrieben, versklavt oder am besten umgebracht werden.

Die Djihadisten halten die fatah (Eroberung) für ihre religiöse Pflicht, vor allem die Eroberung derjenigen Gebiete, die einmal Teil des islamischen Herrschaftsbereichs waren. Das trifft nicht nur Israel und Indien, sondern auch Spanien und Portugal: Ganz „Al-Andalus“ ist seit 1492 unter der Kontrolle der Ungläubigen – für Osama bin Laden und die Djihadisten ein skandalöser und unhaltbarer Zustand, den sie ändern wollen. Das Ziel ist es, alle von Moslems bewohnten Gebiete in einem Kalifat zu vereinen, in dem das „göttliche Gesetz“ herrscht. Die Ära von 632 bis 661, der Zeitraum, in dem die vier „rechtgeleiteten Kalifen“ Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali herrschten, ist für die Djihadisten das Goldene Zeitalter, das es wiederherzustellen gelte. Sie wissen, wo sie hinwollen (oder glauben, es zu wissen) und welches der Weg dorthin ist (die Ermordung, Vertreibung oder Versklavung aller Ungläubigen).

Obwohl die Djihadisten ihre Ziele öffentlich proklamieren, scheint US-Präsident Obama (und mit ihm die Mehrheit der Bevölkerung in den USA und Europa) von alldem nichts mitzubekommen. Er will das Offensichtliche nicht wahrhaben. Nachdem Nidal Hasan im November in Fort Hood 13 Menschen erschossen und dabei „Allahu akbar“ gerufen hatte, warnte Obama davor, „voreilige Schlüsse zu ziehen“ – das heißt, die Ideologie des Täters zu berücksichtigen. Als Faruk Abdulmutallab am 25. Dezember versucht hatte, in Detroit ein Flugzeug mit 300 Passagieren in die Luft zu sprengen, bezeichnete Obama ihn in einer ersten Stellungnahme als „Verdächtigen“, der „angeblich (!) versucht habe, Sprengstoff zu zünden“. Wäre Obama am 11. September 2001 US-Präsident gewesen, hätte er sicherlich gesagt: „Verdächtige haben angeblich Flugzeuge in das World Trade Center und das Pentagon gesteuert.“ Den Täter von Detroit bezeichnete Obama wider besseres Wissen als einen „isolierten Extremisten“. Anfang Januar machte er dann aber die jemenitische Filiale von al-Qaida für den versuchten Anschlag verantwortlich, sprach plötzlich vom „Krieg gegen al-Qaida“ und sagte: „Wir werden tun, was auch immer nötig ist, um sie zu besiegen.“

Ist der Präsident aufgewacht und hat gemerkt, dass der Djihad nicht aufgehört hat an dem Tag, als Obama ins Weiße Haus einzog – und auch nie aufhören wird, bevor die Djihadisten entweder gesiegt haben oder besiegt worden sind? Viele Kommentatoren glauben, aus Obamas neuen Äußerungen eine Änderung in seiner Haltung zum war on terror herauslesen zu können. Andere meinen sogar, Obama habe den Djihadisten „hinter den Kulissen“ viel stärkere Schläge versetzt als sein Vorgänger Bush. Der Djihadismus lässt sich aber nicht mit Waffengewalt allein besiegen. Obama kann 30.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan schicken oder vielleicht sogar die von Iran unterstützten Djihadisten im Jemen bombardieren. Das alles wird nichts nützen, solange er nicht zur Kenntnis nimmt, dass es sich um einen Krieg handelt, der von Djihadisten weltweit geführt wird und auf die Eroberung der Weltherrschaft zielt. Wer Terrorismus als man-caused disaster bezeichnet und Djihadisten als „Extremisten“ bezeichnet, wird das kaum begreifen.

* Stefan Frank ist freier Journalist und Autor des Buches „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“. Der Text „Krieg der Welten“ erschien zuerst in KONKRET 2/2010. Der (geringfügig erweiterte) Nachdruck auf Lizas Welt erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Zeitschrift.