7.6.10

Im Dialog mit „Pax Christi“



Ist es Realitätsverleugnung? Oder schiere Ideologie? Vermutlich bedingt das eine das andere: Allenfalls „zweieinhalb Holzstangen“, so hat es Norman Paech bekanntlich verkündet, hätten die Männer auf dem Deck der Mavi Marmara am vergangenen Montag gegen die Angehörigen der israelischen Spezialeinheit möglicherweise zum Einsatz gebracht, und dies, versteht sich, auch nur zur Selbstverteidigung. Videos der israelischen Armee, aber auch die Aussagen eines an Bord befindlichen Muslimbruders sowie eines Reporters von Al-Jazeera machen allerdings deutlich, dass die Wirklichkeit dann doch etwas anders aussah. Hinzu kommen in der türkischen Zeitung Hürriyet veröffentlichte Fotos, auf denen schwer verletzte israelische Soldaten zu sehen sind, und eine Stellungnahme des Vorsitzenden der islamistischen, mit der Hamas paktierenden türkischen Organisation IHH, die das Schiff gechartert hatte: Mit Eisenstangen hätten sich die „Aktivisten“ verteidigt und mehrere Soldaten überwältigt, sagte Bülent Yildirim, gewiss nicht ohne Stolz.

Es waren teilweise veritable Djihadisten, mit denen die sehr deutschen „Friedensfreunde“ da in See gestochen sind – und das hätten sie wissen können und müssen, zumal die Informationen über die IHH bereits frühzeitig bekannt waren. Oder etwa nicht? Für Lizas Welt hat Stefan Frank* am 2. Juni – also zwei Tage nach dem Angriff auf die israelischen Soldaten – mit Wiltrud Rösch-Metzler gesprochen, der Vizepräsidentin der deutschen Sektion von Pax Christi, die „Free Gaza“ unterstützt hat.

Wissen Sie, was die IHH für eine Organisation ist?

Wiltrud Rösch-Metzler: Welche IHH meinen Sie?

Die türkische.

Die ist gegründet worden, um die internationale „Free Gaza“-Organisation zu unterstützen.

Es gibt sie aber schon seit 1992.

Nein, das ist die andere IHH, darum habe ich eben gefragt, welche Sie meinen. Die andere hat auch einen Ableger in Frankfurt und ist eine islamische Organisation, die aber nichts mit der Unterstützungsaktion für Gaza zu tun hat. Die heißt auch IHH, hat aber ein anderes Ziel.

Wir sprechen doch beide von der IHH, deren Vorsitzender Bülent Yildirim ist?

Ach, das weiß ich nicht. Ich weiß, dass die IHH, die einen Ableger in Deutschland hat, die andere IHH ist, die nichts mit Gaza zu tun hat. Da kenne ich den Vorsitzenden in Deutschland, der ist in Hamburg und heißt Yoldas.

Die IHH ist Mitglied in der „Union des Guten“, deren Vorsitzender Yusuf al-Qaradawi ist.

Das kann schon sein, diese islamische IHH. Die kenne ich nicht. Die hat einen Ableger in Deutschland. Aber das ist nicht die IHH, die mit „Free Gaza“ zusammenarbeitet. Die „Free Gaza“-IHH heißt... Ich gucke gerade mal, wie das geschrieben wird... (liest) „İnsan Hak ve Hürriyetleri Vakfi“ (lacht). Das kürzt sich eben auch IHH ab. Die haben auch eine Webseite, aber da ist alles auf Türkisch, ich kann das selber gar nicht lesen, ich muss mir das auch übersetzen lassen.

Es war die islamistische IHH, die den Konvoi organisiert hat. Es gibt nicht zwei türkische IHHs, sondern eine türkische und eine deutsche. Die türkische firmiert unter der Kurzform des Namens „İnsani Yardım Vakfı“ und unter der Langform „İnsan Hak ve Hürriyetleri ve İnsani Yardım Vakfı“. Das ist ein und dieselbe Organisation.

(Liest) İnsan Hak ve Hürriyetleri Vakfı. Diese Organisation unterstützt „Free Gaza“.

Genau. Es ist eine militante islamistische Organisation, die Verbindungen zum internationalen Terrorismus hat. Auf der Facebook-Seite der IHH findet man Propagandavideos der Hamas und unter den Facebook-„Fanfotos“ ein Hitlerbild mit Hakenkreuzfahne. Das ist die Organisation, die zur „Union des Guten“ gehört.

Die islamische IHH.

Sie war Ihr Partner bei der Gaza-Flottille.

Nein, es handelt sich um zwei verschiedene Organisationen.

Das tut es nicht. So steht es auch in allen Zeitungen.

In welcher Zeitung? Dann gucke ich auch noch mal nach.

Zum Beispiel: Welt online, Zeit online, Tagesanzeiger...

Dann haben die das auch durcheinander geworfen.

Es ist ein und dieselbe Organisation. Als Logo hat sie doch den Globus mit der Taube, nicht wahr?

Ich weiß nicht, was die für ein Logo haben.

Hat sich denn Pax Christi vorher informiert, was das für eine Organisation ist?

Das sind ja nicht unsere Partner, sondern wir sind mit „Free Gaza“ zusammen.

Aber die IHH war doch dabei.

Die sind dazugestoßen.

Aha. In den Zeitungen kann man lesen, drei der vier getöteten Türken hätten als Märtyrer sterben wollen, das hätten sie schon vorher angekündigt. Wissen Sie das?

Das habe ich auch gelesen.

Was denken Sie darüber?

Ich kenne die Leute ja nicht. Ich recherchiere natürlich, was das soll, wie es zu dieser Meldung kommt.

Beeinflusst das Ihre Sicht der Geschehnisse vom 31. Mai, auf die Auseinandersetzung zwischen israelischen Soldaten und einigen militanten Besatzungsmitgliedern der Mavi Marmara?

Zunächst mal müssen wir das auswerten.

Halten Sie es für möglich, dass einige Mitglieder der IHH die Konfrontation gesucht haben, weil sie den Märtyrertod sterben wollten?

Was immer noch bleibt: Es gibt eben Tote nur auf dieser einen Seite.

Aber auch schwer verletzte israelische Soldaten.

Genau, es gibt Verletzte auf beiden Seiten. Es gab ja die drei Verletzten, von denen die deutschen Delegierten gesprochen haben. Das waren ja drei israelische Soldaten, die verletzt waren.

Ja, genau.

Ja.

Würden Sie sich dann von der IHH, die, wie Sie sagen, erst im Nachhinein dazugestoßen sei, distanzieren, sagen: „Mit militanten Islamisten wollen wir nichts zu tun haben“?

Wir gehören doch nicht zur IHH, wir sind eine katholische Friedensbewegung.

Würden Sie sich denn moralisch distanzieren und...

(Patzig) Ich habe das nicht geprüft, ich sagte es Ihnen doch. Ich kann ja sagen: „Hätte ich gewusst, dass es Tote gibt, hätte ich nie irgendwelche Schiffe losschicken lassen.“ Oder hätte es nie begrüßt. Ich wusste nicht, dass das israelische Militär so hart eingreift

Und Sie wussten auch nicht, dass es unter den Besatzungsmitgliedern der „Mavi Marmara“ militante Islamisten gab, die sich auf einen Märtyrertod vorbereitet und die Gewalt gesucht haben?

(Aggressiv) Das weiß ich doch nicht, ich muss das doch erst nachprüfen! Woher soll ich das wissen? Wissen Sie das vielleicht? Waren Sie auf dem Schiff? Sie können das doch auch nur recherchieren, indem Sie Leute fragen, die dort waren. Und so geht’s mir doch auch. Was soll die Frage? Wenn ich gewusst hätte, dass es Tote gibt, hätte ich das nie begrüßt.

Und Sie hätten es auch nicht begrüßt, wenn Sie vom Engagement der IHH gewusst hätten?

Das weiß ich doch nicht. Erstens: Was mir vorliegt an Informationen, das habe ich ja versucht, Ihnen zu erklären, dass es zwei verschiedene IHHs gibt.

Eben nicht, es ist ein und dieselbe.

Genau, Sie sagen, das stimmt nicht, jetzt muss ich das doch erst recherchieren.

Und was ist bei dieser Recherche herausgekommen? Eine zwei Tage nach dem Interview veröffentlichte, von Pax Christi mitgetragene Pressemitteilung gibt Aufschluss darüber: „Mit aller Entschiedenheit weisen wir die Vorwürfe zurück, die das friedliche Ansinnen der Freiheits-Flotte in Frage stellen und eine Verbindung zu ‚islamistischen Terroristen’ unterstellen. Diese Vorwürfe dienen allein dem Zweck, von dem israelischen Verbrechen beim Angriff auf die Schiffe und von der völkerrechtswidrigen Blockade von Gaza abzulenken.“ Um die eingangs gestellte Frage noch einmal aufzugreifen: Ist es Realitätsverleugnung? Oder schiere Ideologie? Das eine bedingt wohl tatsächlich das andere.

Update 7. Juni 2010: Auch das ARD-Magazin Report Mainz hat nun einen Beitrag veröffentlicht, der recht eindrucksvoll zeigt, mit wem die Linkspartei, die IPPNW, Pax Christi et al. gemeinsame Sache gemacht haben: Fragwürdige Friedensmission – Deutsche Linke in einem Boot mit türkischen Islamisten und Rechtsextremisten?

Das Foto zeigt den IHH-Vorsitzenden Bülent Yildirim (links) und den Hamas-Führer Ismail Haniya am 7. Januar 2010 beim Fundraising für „Free Gaza“.

* Stefan Frank ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Monatszeitschrift KONKRET. Auf seiner Homepage ist eine Auswahl seiner Texte und Interviews zu finden.